Schattierungen verschiedenster Farben
Nachdem sich Robert F. Kennedy Jr. der Präsidentschaftskandidatur Donald Trumps angeschlossen hat, muss man fragen, ob Gut und Böse immer eindeutig unterscheidbar sind
Die Situation ist zweifellos eine Herausforderung für den Universalphilosophen und großen Integrierer Charles Eisenstein. Lange rang er mit sich, wie er als Autor gegenüber seinen Lesern auf diese neuerliche Wendung im US-Präsidentschaftswahlkampf reagieren sollte. Eisenstein war nämlich Berater des Kandidaten Robert F. Kennedy Jr. gewesen — in Deutschland auch durch seinen Auftritt bei einer Querdenkerdemo 2020 in Berlin bekannt. Unlängst gab der Kandidat, der einer bekannten Familie des Politadels innerhalb der demokratischen Partei entstammt, überraschend bekannt, seine Kandidatur zugunsten von Donald Trump aufzugeben. Dies brachte nicht nur Eisenstein selbst in Gewissensnöte; auf ihn prasselten auch viele Forderungen von Weggefährten ein, er möge sich unverzüglich entrüstet von Trump distanzieren. Der Philosoph dachte im Gegensatz zu vielen anderen jedoch nach, bevor er sprach, und kam zu einem überraschenden Ergebnis: Dem Phänomen Trump werde man weder durch unkritische Idealisierung noch durch Dämonisierung gerecht. Für und gegen die Entscheidung Kennedys gibt es gute Argumente — das gilt auch für Eisensteins eigene Parteinahme für Kennedy. Der Flirt des Geistes mit der Macht führte hier zu interessanten Denkergebnissen und jedenfalls — wie man an diesem brillanten Essay feststellen kann — nicht zur Selbstaufgabe des Ersteren.
Seit Robert F. Kennedy Jr. bekanntgab, dass er seine Präsidentschaftskampagne abbricht, um Donald Trump zu unterstützen, habe ich viele Bitten, Forderungen und Anfragen erhalten, meine Meinung zu seiner Entscheidung kundzutun.
Ich war in den Entscheidungsprozess eingeweiht. Zahllose Menschen kamen mit leidenschaftlichen, überzeugenden und widersprüchlichen Ratschlägen auf Bobby und seinen engeren Kreis zu. Viele hatten den Eindruck, dass ihre Einsichten dem Kandidaten irgendwie entgangen sein müssten. Lass mich also die beiden Hauptargumente herausfiltern und daraus mit ein, zwei weiteren Zutaten einen Trank zusammenbrauen, der vielleicht die polarisierenden Leidenschaften besänftigen kann, die Bobbys Entscheidung ausgelöst hat. Aber ich warne dich, manche der Zutaten könnten Schwindel erregen und Übelkeit verursachen.
Die Versuchung ist da, vorab zu signalisieren, welches dieser beiden Argumente, die ich gleich vorstellen werde, ich bevorzuge. So könnte ich das Clubhouse-Passwort vorzeigen, das wenigstens der Hälfte meiner Leserschaft signalisiert, dass ich immer noch ein akzeptabler Mensch bin, der nicht zur dunklen Seite hinübergewechselt ist und alle Normen des menschlichen Anstands über Bord geworfen hat. Also werde ich versuchen, undurchschaubar zu bleiben, während ich jedes Argument für sich so wohlwollend darstelle wie irgend möglich.
Argument 1: Bleib im Rennen!
Du hast sechzehn Monate damit verbracht, eine große, unabhängige politische Bewegung aufzubauen. Teil deiner Kampagne war es, die Zwei-Parteien-Zwangsjacke abzulehnen, die unser Land fesselt, und du hast eine Alternative angeboten. Du hast zig Millionen Unterstützern Hoffnung gegeben, darunter hunderttausende Freiwillige, die unermüdlich für dich gearbeitet haben, und eine ähnliche Anzahl von Spendern. Sie haben sich reingehängt, weil sie an dich glaubten. Du bist das Flaggschiff für eine unabhängige Bewegung, die das Land befreien kann. Selbst wenn du diese Wahlen nicht gewinnst, wirst du für künftige Kandidaten die Basis geschaffen haben. Veränderung geschieht nicht über Nacht.
Aber wenn du dich Trump anschließt, der umstrittensten Figur in der amerikanischen Politik, werden diese Bemühungen alle umsonst gewesen sein. Du wirst die Menschen betrogen haben, die an dich geglaubt haben. Die Menschen, die bei 47 °C und in bitterster Kälte draußen standen, um Unterschriften für dich zu sammeln. Und wofür? Für leere Versprechungen von einem Mann, der dafür bekannt ist, sein Wort nicht zu halten? Für jemanden, der dir den Rücken zukehrt, sobald es ihm einen Vorteil bringt? Für jemanden, der die schlimmsten Impulse in der Psyche der Amerikaner heraufbeschwört? Sei doch nicht so naiv. Gib jetzt nicht auf. Auf jeder beschwerlichen Reise gibt es einen Schlüsselmoment, in dem alles verloren scheint. Wenn du durch diesen Widerstand hindurchgehst, wirst du auf der anderen Seite entdecken, dass das Ziel am Ende gar nicht so weit entfernt war.
Argument 2: Schließe dich Trump an!
Deine Umfragewerte sind beständig gesunken und diese Kampagne fühlt sich mehr und mehr nach einem Prestigeprojekt an. Du kannst diesen unmöglichen Kreuzzug fortführen und deinen Unterstützern vorgaukeln, dass du gewinnen kannst, obwohl du selbst nicht mehr daran glaubst. Du kannst ihre schwer verdienten Dollars entgegennehmen und vielleicht zu einer Fußnote der Geschichte werden, als der, der den Teil der Wählerschaft, der sich gegen das Establishment stellte, gespalten und den Demokraten den Wahlsieg serviert hat – der Partei, die dich geschmäht und zensiert hat, die deine Kampagne sabotiert und einen juristischen Feldzug gegen dich inszeniert hat … der Partei, die das Establishment ist. Wenn du nicht gewinnen kannst, kannst du immer noch die Katastrophe einer weiteren Regierung mit den Demokraten abwenden, die die neokonservative Agenda endloser Kriege fortführt und die weiterhin der Lakai von Big Tech, Big Pharma, Rüstungsunternehmen und Wall Street sein wird.
Aber auf eine Trump-Regierung kannst du massiven Einfluss ausüben. Du kannst ihm helfen, die Korruption in den US-Bundesbehörden an der Wurzel zu packen. Er wollte „den Sumpf trockenlegen“, wusste aber nicht wie. Du weißt, wie das geht. Du kannst die Gesundheitsbehörden reformieren und Millionen Kinder vor Tod und Elend bewahren. Du kannst die Mission erfüllen, der du deine Karriere verschrieben hast. Und du kannst Trumps beste Impulse fördern und seinen schlimmsten entgegenwirken.
Freunde, Unterstützer, Spender, Familienangehörige und Berater warnten Bobby energisch, dass er einen schrecklichen Fehler beginge, wenn er Option 1 wählte. Andere sprachen ähnliche Warnungen über Option 2 aus. Ehrlich gemeinte, leidenschaftliche, gut begründete Warnungen. Manchmal gab ein Ratgeber am einen Tag den einen und am nächsten Tag den gegenteiligen Rat – jedes Mal im festen Glauben an das jeweilige Argument.
Kontaktschuld
Als Kennedy schließlich seine Entscheidung bekanntgab, Donald Trump zu unterstützen, waren all jene, die wollten, dass er den Wahlkampf fortführe, bestürzt und fassungslos. Dutzende oder Hunderte kontaktierten mich auf der Suche nach einer Erklärung oder um mir ihr Mitgefühl zu bekunden. „Wie geht es dir?“ „Alles okay bei dir?“
Viele dieser Nachrichten waren zweifellos ehrlich gemeint. Die Leute wollten wirklich wissen, ob es mir gut ging. Doch in den hunderten von Nachrichten fand ich auch einen Subtext – oder glaubte, ihn zu finden. Die implizite Frage lautete: „Bist du zur dunklen Seite übergewechselt?“
Die Frage, auf welcher Seite ich stehe – ob ich womöglich zur MAGA-Bewegung (Make America Great Again-Bewegung) „übergelaufen“ bin – weckt in mir eine Urangst. Die Frage kann nicht beantwortet werden, indem man die relativen Vorzüge von Trumps Politik im Vergleich zu den Vorzügen der Politik von Kamala Harris diskutiert. Gefragt wird: Bist du einer von Uns oder einer von Denen? Kann man dich als Mitglied der Gesellschaft – meiner Gesellschaft – akzeptieren? Denn, lieber Charles, deine Nähe zu den Unberührbaren macht dich nun auch unberührbar, es sei denn, du reinigst dich von ihrem Makel, indem du die notwendigen Waschungen vornimmst. Die implizite Aufforderung an mich lautet also, Donald Trump und Kennedys Bündnis mit ihm eindeutig zu desavouieren, zu verurteilen und abzulehnen. Dann werde ich wieder als Mitglied der Gesellschaft akzeptiert sein.
Eine maßvolle Bewertung der Fehler und Vorzüge Trumps oder der Leute um ihn herum oder der möglichen, positiven und negativen, Auswirkungen seiner Amtszeit verstößt gegen die Anforderungen des Reinigungsrituals. Man muss ihn „othern“ – ihn als „fremdartig“ markieren. Man muss ihn aus dem Kreis seiner „Verbindungen“ ausstoßen. Zu welcher Gruppe gehörst du?
Dies ist eine anzestrale und erschreckende soziale Kraft. Wenn eine Hexenjagd stattfindet, sollte man keine freundschaftlichen Beziehungen zu einer Hexe pflegen und auch nicht zu einem der ihren. Man muss sich schützen, indem man die Hexerei lauthals verurteilt oder, besser noch, indem man sich der Hexenjagd anschließt. Als die Kommunisten gejagt wurden, musste man darauf achten, keine Verbindungen zu jemandem einzugehen, der im Verdacht stand, einer zu sein, oder man galt als „Sympathisant“.
Die gegenwärtige Situation gleicht nicht ganz einer Hexenjagd, denn das Trump-Lager ist keine kleine oder machtlose Minderheit. In Zeiten von Stress wenden sich Gesellschaften immer einem Sündenbock oder einer Sündenbockklasse zu, um sie für ihre Probleme verantwortlich zu machen und die Gesellschaft in einer blutigen Säuberungsaktion zu vereinen. Damit die Sündenbockklasse ein geeignetes Gefäß für die Angst und Wut der Gesellschaft ist, muss sie marginal und relativ machtlos sein. Dann kann die Hexenjagd, der Lynchmord, das Pogrom seine Opfer fordern, ohne einen Bürgerkrieg auszulösen.
Ein Bürgerkrieg ist genau das, was uns erwartet, wenn das polarisierte Denken, das menschliche Angelegenheiten in „meine Seite“ und „deine Seite“ unterteilt, sich weiter verschärft. In den Vereinigten Staaten könnte ein Bürgerkrieg ausbrechen, wenn der weitverbreitete Eindruck entsteht, dass ein Wahlbetrug stattgefunden hat oder, sollte Trump siegen, durch gesellschaftliche Unruhen, die zu dem Versuch einer „Farbenrevolution“ führen könnten. Auf der Ebene der Artenvielfalt befinden wir uns bereits im Bürgerkrieg. Jeder Krieg ist ein Bürgerkrieg.
Ebenso grauenhaft ist, dass die womöglich folgenden Bürgerunruhen als Vorwand für autoritäres Durchgreifen dienen werden. Das Establishment wird seine Kontrolle über die Öffentlichkeit, die Medien und das Internet festigen. Es wird Plattformen der Meinungsfreiheit wie Telegram und Twitter vereinnahmen oder beseitigen. Es wird Furcht erregende KI-optimierte Überwachungs- und Zensurtechnologien einsetzen und abweichende Meinungen im Namen des „Kampfes gegen Des- und Fehlinformation“ zum Schweigen bringen. Es wird die Bankkonten von Dissidenten sperren. Es wird politische Gegner einsperren. Wahlen werden nicht mehr von Bedeutung sein. Und man wird sich nirgends mehr verstecken können, weil diese totalitären Kräfte nationale Grenzen überwinden.
Je spaltender, herablassender, hasserfüllter, hetzerischer die politische Rhetorik, desto mehr stecken wir den Rahmen für diese Ergebnisse. Ein Reizgas strömt sowohl aus der rechten als auch der linken Herdflamme. Sein Gestank füllt das Haus. Und diese Wahlen werden mit Sicherheit reichlich Funken erzeugen. Deshalb weigere ich mich, mich am Distanzierungs- und Verurteilungsspiel zu beteiligen.
Zum ersten Mal bekam ich die Hitze dieses Dramas um 2018 herum zu spüren, als ich bei Russell Brands Podcast zu Gast war. Wenig später hatte Russell Jordan Peterson zu Gast. Also war ich auf derselben Plattform wie Jordan Peterson. Bald erhielt ich E-Mails mit der Forderung, mich von Russell Brand „zu distanzieren“ und seine Verbindung zu Peterson zu verurteilen. Die angesagten Kids hatten verkündet, dass Jordan Peterson Läuse hat. Daher hatte Russell Brand ebenfalls Läuse, und ich würde sie auch bekommen, wenn ich mich nicht distanzierte.
Was bedeutet das – „sich distanzieren“? Es bedeutet, das dämonisierte Subjekt des Volkszorns rituell zu verurteilen. Ich bin mir sicher, viele meiner Leser würden sich jetzt wohler fühlen, wenn ich diesen Essay mit einer rituellen Verurteilung von Donald Trump begonnen hätte. Und einige von euch durchleuchten jedes meiner Worte, um wenigstens einen Ansatz von Spott, ein subtiles Signal zu entdecken, das ihnen zusichert, dass ich auf der richtigen Seite von Anstand und Tugend stehe, um die schreckliche Vermutung, ich könnte – da ich ein enger Berater und Redenschreiber von RFK Jr. war – meine Fähigkeiten, meine Unterstützung, meinen Rückhalt Donald Trump zur Verfügung stellen. Ein anderer Teil meiner Leserschaft wäre begeistert, wenn das der Fall wäre. Aber wenn das der Fokus deines prüfenden Blickes ist, wird meine Botschaft an dir unbemerkt vorübergehen.
Gewinnen ist nicht das oberste Ziel
Was ist eigentlich diese Sache, die wir in Amerika „Endorsement“ nennen? Es sagt aus: „Du solltest für diesen Kandidaten stimmen“, und es legt fest, mit welchem Lager ich mich identifiziere. Aber ich glaube nicht, dass „du“, denn es gibt unzählige, einzigartige Dus, für irgendeinen bestimmten Kandidaten stimmen „solltest“. Wenn das nach unverbindlicher Distanziertheit und Unentschlossenheit klingt, willst du mich vielleicht fragen: „Wirst du dafür arbeiten, dass Trump gewählt wird, so wie du dafür gearbeitet hast, dass Kennedy gewählt wird?“ Nun, warum möchtest du das wissen? Vielleicht, weil du dann weißt, ob ich zu „uns“ oder zu „denen“ gehöre. Du wirst wissen, ob du meine Texte weiterhin lesen solltest. Und ich werde dem Gruppenzwang nachgegeben haben, der die Gesellschaft in eine Katastrophe treibt.
Mir wäre es lieber, man würde meine Texte um ihrer selbst willen annehmen oder ablehnen, nicht basierend darauf, welcher politischen Gruppe ich – wenn überhaupt – angehöre. Aber um die Frage zu beantworten: Meine oberste Priorität als Wahlkampfberater und Redenschreiber war niemals, dass der Kandidat gewählt würde. Ja, natürlich wollte ich, dass er gewinnt, aber hauptsächlich galt meine Treue erstens dem, wozu seine Kampagne dienen könnte: Wahrheit, Frieden, Transparenz, Freiheit; und hinter alledem eine neue Geschichte der Zivilisation und zweitens der besten Version seiner selbst, die ich sehen, an die ich glauben und zu der ich ihn als Berater und Freund ermutigen konnte.
Aus dem politischen Mindset heraus erscheint der Wahlsieg als das Allerwichtigste. Alles baut darauf auf. Oh, wie viele Veränderungen du herbeiführen könntest, wenn du gewählt wirst! Aber ich habe noch nie geglaubt, dass Präsidenten, Milliardäre oder CEOs die Welt verändern würden, wenn sie nur endlich verstehen würden. Sie haben weniger Macht als wir denken. Sie erscheinen mächtig, wenn sie sich herrschenden Systemen und Ideologien unterordnen; wenn sie die vorherrschende Mythologie der Zivilisation fortführen. Aber wenn sie sich dem entgegenstellen, wenden sich die Kräfte, die ihre Segel gefüllt hatten, gegen sie. Vielleicht können sie immer noch wunderbare Ergebnisse erzielen, wenn sie sich gegen den Wind stellen. Aber sie können nicht seine Richtung ändern.
Der Wind kann sich tatsächlich drehen. Kosmische und elementare Kräfte stehen in Resonanz mit dem sich weiter entwickelnden menschlichen Bewusstsein, sammeln die Winde und verteilen sie. Daher habe ich überwiegend auf der Ebene des Narrativs gearbeitet, um die grundlegenden Mythen zu verändern, die die Zivilisation im Hintergrund organisieren: das eigenständige und getrennte Selbst, die Trennung zwischen Mensch und Natur, Materie und Geist; den Quantitätskult, die Illusion des Fortschritts, die Geschichte des Geldes, das Leugnen des Todes; den Glauben, dass sich Ergebnisse erzwingen lassen.
Damit diese Mission nicht zu grandios erscheint, füge ich schnell hinzu, dass meine Rolle darin sehr klein ist. Ich bin ein Leichtgewicht. Die schweren Gewichte wurden und werden von denen gehoben, die durch selbstlose Aufopferung und Geduld ein Feld der Liebe, Freundlichkeit, Heilung und Großzügigkeit aufgebaut haben. Sie sind es, die den Wind herbeigerufen haben. Wir Geschichtenerzähler nähren uns lediglich von der Energie ihrer Sakramente. Wer also ist wirklich in einer „Machtposition“? Irgendwo im Sudan oder in Haiti oder Gaza hat ein Mann sein letztes Stück Brot einer Großmutter gegeben, die er kaum kannte, damit sie ein ausgehungertes Kind ernähren konnte. Vielleicht wird niemand es je erfahren. Vielleicht wird weder er noch das Kind oder die Großmutter lange genug leben, um diese Geschichte zu erzählen. Die vorherrschende Theorie des Wandels besagt, dass sein Opfer daher keine Auswirkung auf die Welt hatte.
Aber jeder, der das Glück hatte, Zeuge einer solchen Handlung zu werden, versteht, dass etwas Wichtiges geschehen ist; dass es nicht nur diesem einen Kind, sondern allen Kindern gedient hat; dass ein Prinzip der menschlichen Natur gestärkt wurde; dass eine Erklärung vor Gott als Zeugen abgelegt wurde: „So soll ein Mensch sein. Das ist es, wofür ein Mensch sich entscheiden soll.“ Das sind die versteckten Yogis, die unsere Welt zusammengehalten haben. In dieser Kolumne werde ich von Zeit zu Zeit ihre Geschichten teilen. Wenn ich das tue, dann nicht deshalb, weil ich mich von dem Druck und der Gefahr des politischen Engagements zurückziehe, das tatsächlich etwas verändert. Sondern ich werde es tun, weil es Heilgeschichten sind, die helfen, eine neue und alte Mythologie in ein zusammenhängendes Bild zu bringen. Wenn sie gehört werden und Dankbarkeit und Ehre in sie hineinfließen, werden die Schutzgeister in dieser Welt stärker.
Und dennoch: Da mich Schicksal und Umstände in die Nähe der „mächtigen“ Kreise gebracht haben, werde ich ihnen weiterhin einen Teil meiner Aufmerksamkeit widmen, solange ich dort von Nutzen sein kann. Sie haben weniger Macht, als wir denken, aber sie sind auch nicht machtlos. Sie haben ihre Rolle. Aber ihre wahre Macht entspringt nicht einem Wahlsieg, sondern der Art und Weise, wie sie gewinnen – oder verlieren –, und wer sie werden, wenn sie gewinnen oder verlieren.
In Übereinstimmung mit einer Theorie des Wandels, die den Prozess über das Ergebnis stellt, habe ich RFK Jr. dazu geraten, das Gewinnen nicht an oberster Stelle zu sehen. Ich riet ihm mit einem Paradox: „Du kannst nur gewinnen“, sagte ich, „wenn du etwas anderes an erste Stelle stellst.“
Dieses Paradox hat zwei Verständnisebenen. Zunächst einmal ist es ein praktischer Rat. Die Leute müssen spüren, dass du nicht wie andere Politiker bist; dass du letztlich Idealen jenseits deiner eigenen Macht dienst. Wenn du nicht auf Nummer sicher gehst, indem du sagst, was du denkst, dass man von dir hören will, oder was du meinst, sagen zu müssen, um zu gewinnen, sondern stattdessen ehrliche Worte sprichst, werden die Menschen dir Glauben schenken. Natürlich lügen und gewinnen Politiker ständig. Unehrlichkeit ist die Währung in der Politik. Aber wenn du dich als Alternative zur gewöhnlichen Politik aufstellst, musst du diese Alternative auch sein.
Zweitens: Stell dir vor, du führst eine Kampagne auf dem üblichen Weg, indem du sagst, was deiner Meinung nach die Menschen hören wollen; indem du den Wahlsieg über die Wahrheit stellst. Wenn du auf diesem Wege gewinnst, wer hat dann eigentlich gewonnen? Welche Version von dir hat gewonnen? Wer bist du geworden, als du den Sieg zu deinem neuen Gott erkoren hast? „Du“ hast vielleicht gewonnen, aber du hast nicht gewonnen. Das, wofür du dienen wolltest, hat nicht gewonnen. Der, der du sein wolltest, hat nicht gewonnen. Und das wird sich vermutlich nicht ändern, sobald du „an der Macht“ bist.
Daher ist mein Versprechen an alle, die ich berate, ihr Verbündeter darin zu sein, ihren besten und höchsten Zielen treu zu bleiben. Ich gelobe, mich dafür einzusetzen, dass dieses Ideal in ihrer Organisation aufrechterhalten wird. Diese Zusicherung kann ich sicher nicht fehlerlos einhalten, und ich erwarte auch nicht, dass jemand perfekt ist. Ich werde niemanden im Stich lassen, weil er nicht perfekt ist. Aber ich werde nicht still sein, wenn ich eine Unstimmigkeit entdecke. Ich werde sie beim Namen nennen. Ich werde sie hartnäckig beim Namen nennen. Und gleichzeitig werde ich bei meinem Gegenüber weiterhin sehen, auf welche Weisen er mutig und wahrhaftig ist.
Ich trete nicht Donald Trumps Kampagne bei, aber wenn ich die Gelegenheit bekomme, Ideen in seinen Kopf, seine Botschaft, seine Kampagne oder seine Regierung einzupflanzen, werde ich das tun. Ich würde es für jeden tun, der in einer Position institutioneller Macht ist. Wenn solche Menschen offen sind für irgendeinen Teil der neuen und alten Geschichte, der ich diene, dann bin ich bereit, ihnen in ihrer Offenheit zu begegnen.
Zur Karikatur verkommen
Ich werde das Spiel von „Entweder du verurteilst oder du unterstützt“ nicht mitspielen. Das psychosoziale Muster des „Auf-wessen-Seite-stehst-du“ entstammt einem der obersten Narrative der Mythologie der Trennung. Es versteht die Welt, indem es sie zu einem simplen Drama von Gut gegen Böse macht und auch die Menschen, die eine Rolle in diesem Drama spielen, in unter- oder übermenschliche Karikaturen verwandelt.
Kaum jemand wird gegenwärtig häufiger karikiert als Donald Trump. Es tut mir leid, wenn ich unter meinen Lesern diejenigen enttäusche, die den Mann dämonisieren oder zum Helden machen, aber da ich an diesem Punkt so etwas wie ein Backstage-Ticket habe, kann ich dir sagen, dass keine der beiden Seiten auch nur annähernd der Wahrheit entspricht. Es ist fast unmöglich, den echten Mann durch den Nebel des heutigen Informationskrieges zu sehen.
Er ist kein strategisches Genie, das den tiefen Staat in einem 4D-Schachspiel austrickst. Er ist auch keine Mussolini-Figur, kein fanatischer Faschist, der wiedererstarkende ultrarechte Kräfte anführt, damit sie ihm zu einer diktatorischen Machtposition verhelfen. Er ist nicht einmal besonders weit rechts außen. Kennedy hat mir ein Gespräch mit Trump über Project 2025 geschildert, das die Heritage Foundation, eine konservative US-amerikanische Denkfabrik, als ein Programm für eine konservative Runderneuerung der USA vorgestellt hat. Es wurde weithin mit der Trump-Kampagne in Verbindung gebracht, aber als Kennedy ihn dazu befragte, sagte er: „Ach, die Sache? Ich hatte davon noch nicht mal gehört, bevor die Leute begannen, sich zu beschweren. Es wurde von irgendeinem ultrarechten Arschloch geschrieben. Auf jeder Seite steht irgendwas Absurdes. Wir machen nichts davon.“
Ich kann diese Anekdote teilen, weil RFK Jr. sie öffentlich geteilt hat. Es gibt viele weitere Anekdoten, die ich nicht ohne einen Vertrauensbruch teilen kann, aber sie bestätigen meinen lang gehegten Verdacht, dass Donald Trump zu etwas viel Schlimmerem – und viel Besserem – gemacht wurde, als er wirklich ist.
Donald Trump ist eine unheimlich gute Projektionsfläche für alles mögliche Gute und Schlechte. Es erscheint fast wie ein kosmischer Witz, dass sein Nachname „Trump“ ist, der Trumpf, der Joker in einem Kartenblatt, ein Platzhalter, die Karte, die jede andere Karte darstellen kann. So ist es mit Donald Trump, der alles sein kann, was die Menschen ihm zuschreiben. Das dient sowohl seiner Erhöhung als auch seiner Herabwürdigung. Was immer seine Mängel und Tugenden sein mögen – eines ist er sicher: ein talentierter Showmaster, einer, der Spektakel inszeniert, wie man es vom Joker, vom Narren, vom Trumpf erwarten würde. Die Offenheit des Showmasters für Projektionen erlaubt es den Zuschauern, in ihm zu sehen, was er gar nicht ist, ob Held oder Bösewicht. Er ist eine Art Code, ein Stellvertreter, durch den sich die zunehmende Spaltung der Gesellschaft in menschlicher Form materialisieren kann. Dadurch steht er zugleich für eine Möglichkeit, diese Spaltung zu heilen. Diese Möglichkeit liegt nicht bei ihm. Sie liegt bei uns, und wir können sie wählen, indem wir die Dämonisierung und die Erhöhung hinter uns lassen, um den Mann unter dem Joker-Deckmantel zu sehen.
Soweit ich sehen kann, hat sich Trump seit seiner letzten Amtszeit stark verändert. Anders als im Jahr 2017 hegen er und die Menschen um ihn herum eine tiefe Ablehnung gegen die Neokonservativen, die das Land seit 2001 in eine militärische Konfrontation nach der nächsten gesteuert haben, und die jetzt eine Politik der maximalen Konfrontation mit Russland verfolgen. Während ich das schreibe, hat Reuters berichtet, dass die USA bereit sind, Langstrecken-Marschflugkörper vom Typ JASSM in die Ukraine zu liefern. Diese Geschosse wären in der Lage, Moskau anzugreifen – natürlich unter Inanspruchnahme von Training, Zielausrichtung und Geheimdienstinformationen aus den USA. Kamala Harris hat keinen Widerstand gegen diese irrsinnige Eskalation erklärt. Wenn überhaupt, war ihre Rhetorik noch kriegslustiger als die Bidens, was ihr die Unterstützung von Neokonservativen wie Dick Cheney einbrachte. Trump, auf der anderen Seite, bevorzugt einen Verhandlungsfrieden.
Was seine anderen politischen Ideen angeht, sind einige besser als die der Demokraten, andere schlechter. Keine von ihnen sind sonderlich radikal, egal wie sie dargestellt werden. Er wird beispielsweise nicht versuchen, die Abtreibung abzuschaffen oder Homosexuelle festnehmen lassen. Ich habe Sorge, dass er die Zerstörung öffentlichen Lands durch Bergbau-, Holz- sowie Öl- und Gasunternehmen vorantreiben wird. Ich befürchte auch, dass er – wenn der direkte Konflikt mit Russland abgewendet ist – die Kriegsmaschinerie auf Iran und China richten könnte. Er und – das muss ich leider sagen – Kennedy akzeptieren beide die ideologische Basis von Israels Versuchen, einen Krieg zwischen den USA und dem Iran zu provozieren. (Mehr dazu weiter unten.) Auf der positiven Seite glaube ich, dass er die Zensur, Überwachung, Heimlichtuerei und Medienkontrolle mit größerer Wahrscheinlichkeit zurückfahren würde, die unter Biden gefährlich zugenommen haben, und dass er die Macht der Geheimdienste einschränken würde – Prioritäten von Kennedy, mit denen er stark in Resonanz geht. Das liegt daran, weil er wütend ist, dass er selbst von einem zur Waffe gemachten Rechtssystem zensiert und verfolgt wurde.
Ich könnte die Liste von Trumps politischen Ideen durchgehen und mit denen der Demokraten vergleichen, aber das werde ich nicht tun – aus zwei Gründen. Erstens geht es mir nicht darum, die relativen Vorzüge gegenüber Kamala Harris vorzutragen. Mir geht es eher darum, dass das Narrativ, das eine komplexe und im Wandel befindliche Person zu einer Karikatur des Bösen verkommen lässt, nicht haltbar ist. Und genau dieses Narrativ macht ihn und jeden, der über Ecken mit ihm in Verbindung steht, in der feinen Gesellschaft unberührbar.
Es würde die Dinge sicher vereinfachen, wenn diese Wahl schlicht ein Wettbewerb zwischen Gut und Böse wäre. Aber das ist genau die Art zu denken, die die Welt zerreißt. Wer so denkt, hält sich natürlich immer für ein Mitglied von Team „Gut“. Wenn dein Gegner das inkarnierte Böse ist, dann ist jedes Mittel gerechtfertigt, um ihn zu stoppen. Wenn man also nicht sagt, dass Donald Trump das Böse in Person ist – oder etwas ähnlich Entmenschlichendes; wenn man nicht sagt, dass er verächtlich ist, dann wird man im Team „Gut“ Zorn schüren, da es dessen Selbstverständnis und Verständnis von der Welt widerspricht. Sie fühlen sich angegriffen, wenn ich sage, dass ich einigen von Trumps Ansichten zustimme und andere ablehne, oder dass einige seiner Ideen bedenkenswert sind. Denn dann erhebe ich ihn in den Status eines vollwertigen Menschen. Ich validiere seine Inklusion in die feine Gesellschaft.
Diese Menschen werden die Litanei von Trumps Verbrechen und Verfehlungen, was er gesagt und getan hat, als Beweise vorbringen, dass ich mich täuschen lasse, ihn als jemanden mit normaler geistiger Gesundheit, Empathie und Gefühlen anzusehen. Er ist gewiss kein Heiliger. Aber im Zusammenhang des Informationskrieges mit seiner Rosinenpickerei und Dekontextualisierung, mit all seinem Hype und der Meinungsmache, der Verwendung von Narrativen und der Nutzung von Medien als Waffen, sollte man die Geschichte, dass Trump für sich alleinstehend eine Gefahr für die Demokratie ist, mit Vorsicht genießen. „Er wird die Vorherrschaft der Weißen fördern und einen Tsunami rassistischer, homophober und einwandererfeindlicher Gewalt lostreten.“ „Er hat verlauten lassen, dass er die Ergebnisse der Wahl nicht anerkennen wird.“ Sei skeptisch. Sprich mit seinen schwarzen, homosexuellen und Latino-Unterstützern. Lies alternative Sichtweisen zum Sturm auf das Kapitol 2021. Wenn du das tust, lösen sich Schwarz und Weiß in Schattierungen verschiedenster Farben auf.
Man muss den Elementen des Antihelden-Narrativs skeptisch gegenüberstehen. Und noch mehr sollte man bei der simplifizierenden Weltsicht und der Denkgewohnheit aufpassen, die vorschnell eine solche Charakterisierung von Trump – oder jedem anderen – akzeptiert.
Diese Gewohnheit ist auf der rechten Seite nicht weniger verbreitet als auf der linken. Beide Seiten verlegen sich auf Spott, Hohn und Verachtung. Beide verfolgen die Strategie, für maximale Entrüstung über ihre Gegner zu sorgen. Beide nähren die Flammen des Hasses, die die Situation in meinem Land und weltweit so explosiv machen. Die Rechten tun es aktuell besonders gegenüber Einwanderern, indem sie die massenhafte illegale Einwanderung als „Invasion“ bezeichnen und das Vorhandensein krimineller Gangs unter den Migranten betonen. Diese Linse legt vielleicht einen Hauch Wahrheit offen, versteckt und verdreht aber sehr viel mehr, als sie zeigt.
Das Problem mit den Themen
Der zweite Grund, weshalb ich keine Zeit mehr damit zubringen werde, die Politik von Trump und Harris zu vergleichen, liegt darin, dass die gesamte politische Diskussion viel zu oberflächlich ist. Was wirklich getan werden muss, lässt sich mit dem Wortschatz der Politik nicht ausdrücken. Es überschreitet ihre Grenzen. Die polarisierenden, spaltenden Debatten überdecken, worüber wirklich gesprochen werden sollte. Und die Auswahlmöglichkeiten, die uns Politiker anbieten, verschleiern jede echte Lösung.
Um auf das Beispiel Einwanderung zurückzukommen: In dem Streit geht es nur um den Bau einer Grenzmauer und um die Abschiebung von Migranten. Ich könnte mich nun im Rahmen dieser Optionen äußern, aber dann würde ich das eigentliche Thema außen vor lassen: Warum wollen überhaupt so viele einwandern? Es liegt daran, dass man in vielen anderen Ländern praktisch gar nicht leben kann – aufgrund durch die USA geförderter Kriege, der ökologischen Verwüstung und des Systems des Neo-Kolonialismus. Es muss schon eine Menge zusammenkommen, damit Menschen keine andere Möglichkeit sehen, als ihre Heimat und alles, was sie bisher kannten, zu verlassen und sich auf eine gefahrvolle Reise in ein fremdes Land zu begeben.
Aber wenn der Schuldendruck einen Staat dazu treibt, seine Wälder und Bodenschätze zu plündern, wenn Sparprogramme es nötig machen, Löhne und Renten zu kürzen, wenn Entwicklungsprojekte traditionelle Lebensweisen zerstören, wenn internationale Währungsspekulanten das Geld entwerten, dann wird das Leben jedes Jahr schwieriger, immer größere Teile der Bevölkerung sinken ins Elend, und die Wagemutigeren flüchten. Eine andere Betrachtungsweise der Frage sieht so aus: Wenn ein Land alles andere Wertvolle exportiert hat, das man von ihm nehmen kann, exportiert es zuletzt seine jungen Menschen.
Diese Erklärung ist immer noch zu einfach, aber sie bringt die Erkenntnis zum Ausdruck, dass es bei Einwanderung nicht um ein Wir-gegen-die geht. Massenmigration ist ein Symptom eines tiefer liegenden Übels und, so problematisch sie für das aufnehmende Land sein mag, sie weist auf noch größeres Leid im Ursprungsland hin.
Beim Thema Einwanderung geht es im Grunde um Imperialismus und Verschuldung. Beide sind wiederum untrennbar mit dem heute herrschenden Geldsystem verbunden. Darin wird Geld als zinstragende Schuld geschöpft, die eine Wachstumsökonomie erfordert, die das Kapital auf der Suche nach ausreichender Rendite ins Ausland treibt; was allenthalben Druck auf Regierungen und Gesellschaften ausübt, natürliche und soziale Ressourcen zu Geld machen zu müssen … und so weiter. All das wird in der politischen Debatte über Einwanderung allenfalls als Randnotiz erwähnt. Werden diese Ursachen nicht angesprochen, kann der Immigrationsdruck nie nachlassen und Gesellschaften wie die unsrige werden weiterhin vor moralisch unlösbaren Entscheidungen stehen, die die Öffentlichkeit spalten.
Zum Rest unserer „Themen“ könnte ich ähnliche Gesichtspunkte beitragen – Handel, Bildung, Gesundheitswesen, Außenpolitik, Rassismus, Trans-Themen, Waffen, Strafjustiz, Abtreibung und so weiter. Noch ein kleines Beispiel: Die Kennedy-Kampagne und jetzt Trump und Harris machen die öffentlich bezuschusste Kinderbetreuung zum Thema. Wenn Kinderbetreuung für moderne Eltern unumgänglich ist, dann ist es vermutlich besser, wenn alle sie sich leisten können. Aber wieso blicken wir nicht mit Abscheu auf eine Gesellschaft, in der Gemeinschaft und Großfamilie, und erst recht natürlich Dorf und Clan sich bis zu einem Grad aufgelöst haben, wo wir Fremde schlecht dafür bezahlen, dass sie eine der intimsten, wertvollsten Aufgaben erfüllen, die es gibt – die Fürsorge für unsere Kinder?
Innerhalb der Kennedy-Wahlkampagne gab es eine gewisse Empfänglichkeit für meine Ansichten zu solchen Dingen, zumindest auf einer philosophischen Ebene. Zu einem gewissen Grad flossen sie in Erklärungen und Wahlprogramm ein. Aber der Wahlkampf war im Großen und Ganzen ziemlich konventionell. Das musste er vermutlich auch sein, damit die Leute seine politische Sprache verstehen. Und wenn der Wahlkampf auch die Kühnheit vermissen ließ, meine Ansichten komplett zu übernehmen – oder die Weisheit besaß, es nicht zu tun –, so gingen doch die Aussagen des Kandidaten im Allgemeinen in dieselbe Richtung.
Aber es gab – und gibt – eine krasse Ausnahme: Palästina.
Das Palästina-Problem
Palästina ist der Grund, aus dem Option 1 – im Rennen bleiben – eine Sackgasse war. Um wirklich und wahrhaftig der Fahnenträger einer unabhängigen politischen Bewegung gegen das Establishment zu sein, hätte Kennedy sich das Anliegen von Frieden und Gerechtigkeit in Palästina zu eigen machen müssen.
Vor dem 7. Oktober 2023 war Kennedy in den Umfragen sogar bis auf 24 Prozent gekommen. Er war der Liebling der Alternativmedien. Wäre er energisch für eine gerechte Lösung des Palästina-Konflikts eingetreten, hätte die enorme politische Energie, die Chicago außerhalb des Parteitreffens der Demokraten entflammte und Studentinnen und junge Menschen in ganz Amerika mobilisierte, seinen Wahlkampf unaufhaltsam gemacht.
Tatsächlich hat seine scharfe „Pro-Israel“-Position – ich setze das in Anführungszeichen, weil sich Israel in meinen Augen im Namen seiner eigenen Sicherheit selbst zerstört – viele seiner Anhänger vor den Kopf gestoßen, denn sie ist unvereinbar mit seinen anderen Botschaften. Er hat die letzten zwanzig Jahre seiner Karriere dem Schutz der Kindergesundheit gewidmet – aber was ist mit den Hunderttausenden Kindern in Gaza, die in Israels mörderischem Rachefeldzug getötet, verstümmelt, verwaist, entwurzelt, unterernährt und in ihrer Entwicklung gehemmt wurden?
Er hat die Arbeitsweise der Propagandamaschinerie offengelegt, durch die das aus Regierung und Unternehmen bestehende Establishment Zustimmung für die Tyrannei in der Medizin und für endlose, Regimewechsel forcierende Kriege erlangt hat, und blickt doch nicht hinter die Kulissen einer der raffiniertesten Propaganda-Operationen, die es je gab.
Er bietet eine beißende Kritik am US-Imperialismus in Lateinamerika und am neokonservativen Programm der Anstiftung zum Krieg gegen Russland und China. Dennoch versteht er nicht, wie zentral Israel für den US-Imperialismus in Vorderasien ist, obwohl er es „Amerikas unsinkbaren Flugzeugträger“ genannt hat. Auch das widerspricht seiner dezidierten Position für die Demontage der Kriegsmaschinerie. Brauchen wir Flugzeugträger, sinkbar oder nicht, die auf dem Planeten patrouillieren?
Er ist zu Recht beunruhigt, dass eine fortschreitende Eskalation des Ukraine-Kriegs zum Dritten Weltkrieg führen könnte, zeigt jedoch kaum Widerstand gegen die Machenschaften von Israel und den Neokonservativen in Washington, einen Krieg zwischen den USA und Iran anzuzetteln.
Er erfasst die Rolle der CIA bei den Attentaten auf seinen Onkel und seinen Vater sowie ihren fortdauernden, ungesunden Einfluss auf Medien und Politik, erkennt jedoch nicht ihre enge Verbindung zu Israels Geheimdiensten.
Klar – wenn ich ihm die Gelegenheit gäbe, könnte Bobby – zumindest zu seiner eigenen Zufriedenheit – erklären, wie völlig konsequent seine Ansichten sind. Aus seinem Blickwinkel, aus der Zusammenschau an Informationen und Einflüssen, die ihn geformt haben, sieht es so aus, als stünde Israel in einem Überlebenskampf gegen regionale und globale Kräfte eines blutrünstigen Antisemitismus; als würde das Leid der Palästinenser durch die Hamas-Propaganda aufgebauscht; als gäbe es im Gazastreifen keine Hungersnot; als wären die israelischen Streitkräfte die moralischste Armee der Welt und als setzten die Anschuldigungen gegen Israel nur die lange Tradition der Ritualmordlegende gegen das jüdische Volk fort.
Meiner Ansicht nach kann jedoch keine Führungspersönlichkeit, die es nicht fertigbringt, hinter den Schleier aus Ideologie und Propaganda zu blicken und damit Kriegsverbrechen wie Genozid und ethnische Säuberungen zu erkennen und anzuprangern, irgendwie die moralische Kraft aufbringen, die geschlossene Volksbewegung zu inspirieren, auf die wir warten.
Der Versuch, als Anti-Establishment-Kandidat ins Rennen zu gehen und dabei in einer derart zentralen Frage eine durch und durch Establishment-konforme Position einzunehmen, ist, als würde ein gefeierter Läufer mit gezerrter Achillessehne ins Rennen starten. Seine Muskeln, sein Herz und die Lunge können in bester Verfassung sein, aber er wird dennoch als Letzter über die Ziellinie humpeln, falls er sie überhaupt erreicht.
Und Kennedy ist in der Tat ein beeindruckender „Athlet“: ein Mann von Geist und Gemessenheit, mit einem unbeugsamen Willen und freundlichen Herzen, standhaftem Mut und tiefer Bescheidenheit. Viele Leute haben zum Ausdruck gebracht, dass es ihnen das Herz brach, als er sich Trump anschloss. Mein Herz brach bereits letzten Oktober.
Und so muss ich meine Hoffnung auf tiefgreifenden Wandel auf etwas anderes setzen als auf einen der Kandidaten dieser Wahlperiode.
Es stimmt, Cornell West, Jill Stein und viele andere der hunderten von Kandidaten, die sich zur Wahl gestellt haben, haben bessere Standpunkte zu Palästina. Aber sie haben andere Defizite und keinerlei Chance auf einen Wahlsieg.
Allem Anschein nach teilt Donald Trump Kennedys Meinung über Israel, während die Demokraten schwache Protestpiepser von sich geben, während sie weiterhin die Vertriebswege für Gewehre und Bomben nach Israel weit offenhalten und unermüdlich ihre Unterstützung bekräftigen. Die Zukunft sieht schlimm aus für Gaza und die Westbank. Man könnte sich an dem Strohhalm der Hoffnung festhalten, dass, wenn Kennedy mit Trumps Rückendeckung tatsächlich die Chance hat, den Deckel von Korruption, Vertuschungen, Geheimnissen und Lügen der letzten sechzig Jahre zu lüften, ihn irgendetwas, das aus dieser Pandora-Büchse herausfliegt, bis ins Mark erschüttert. Dann wäre sein Augenblick für Mut gekommen.
Israel ist ein zentrales Zahnrad in der Maschinerie des globalen Imperialismus. Wer auch immer diese Maschinerie zerlegen möchte, sei es als Gelehrter oder als Politikerin, wird schließlich aufdecken, dass Israel – so wie es bis jetzt ist – untrennbar mit der Amerika-zentrierten imperialistischen Weltordnung verbunden ist. Aber Israel kann sich verändern. Ich habe den Glauben, dass sich ein wunderschönes Land aus dem Wrack des judäo-faschistischen Staats erheben kann, zu dem das zionistische Israel gerade in rasender Geschwindigkeit wird. Der Traum eines sicheren jüdischen Heimatlands kann Realität werden, aber nicht durch Waffengewalt, nicht durch Mauern und Kontrollpunkte und ethnische Säuberung. Eine wahrhaft sichere Nation braucht nichts dergleichen. Fortlaufender Krieg bringt keinerlei Sicherheit.
Ich gebe ja zu, es ist eine verzweifelte Hoffnung, dass Kennedy oder Trump die Schrecken klar werden, die Israel in den letzten 80 Jahren über das palästinensische Volk gebracht hat und dass sie die Friedens-Führerschaft übernehmen könnten, die nötig ist, um eine Transformation des Heiligen Lands herbeizuführen. Wahrscheinlicher wäre, dass die Antipathie gegenüber den Neokonservativen und die Ehrfurcht vor Frieden, die Kennedy im Trump-Lager verstärkt, die neokonservativ-israelische Agenda für Krieg mit dem Iran scheitern lässt.
Fragen, die das Mitgefühl stellt
Wie ich vor einiger Zeit über den Krieg im Gazastreifen geschrieben habe, rührt meine Enttäuschung über Kennedy nicht daher, dass er die falsche Seite gewählt hat, sondern dass er in genau das Muster der Parteinahme verfallen ist, das zu transzendieren er uns aufgerufen hatte. Das Problem ist nicht, dass er Held und Bösewicht verwechselt hätte, sondern dass er den Konflikt überhaupt in diesen Kategorien sah. Damit soll nicht geleugnet werden, dass die Dynamik von Unterdrücker und Unterdrückten, Opfer und Täter in Palästina ganz klar zutage tritt. Dennoch gibt es auch andere Erzählweisen, andere Dramen und deshalb andere Wege zum Frieden neben dem, dass eine Seite schließlich zugibt, dass sie Unrecht hatte.
Wenn eine Seite die andere jedoch als hoffnungslos verloren und jenseits jeder Verhandlungsmöglichkeiten betrachtet, dann ist ein Frieden nur durch totale Vernichtung möglich – und die Seite, die die andere erfolgreich vernichtet, wird dabei ihre eigene Seele verlieren. Die Parallele zur politischen Rhetorik in den USA ist unübersehbar. Die Führungsschicht der Demokraten und ihre eifrigsten Anhänger, die Trump als hoffnungslosen Faschisten betrachten, der die Demokratie zu Fall bringen will, sind auf dem Weg, genau das zu werden, was sie auf ihn projizieren. Sie zerstören die Demokratie, indem sie sie retten wollen.
Die Revolution, die wir anstreben, besteht im Kern aus Mitgefühl. Das Mitgefühl fragt ernsthaft: „Wie fühlt es sich an, du zu sein?“ „Wie bist du geworden, wer du bist?“ „Was ist deine Geschichte?“ „Was sind deine Lebensumstände?“ „Was sind deine Hoffnungen?“ „Was fürchtest du?“ „Was möchtest du?“ „Was brauchst du?“ Und, wie Orland Bishop sagt: „Wie muss ich sein, damit du frei sein kannst?“
Sicherlich gibt es eine kleine Anzahl echter Psychopathen, bei denen diese Fragen beunruhigende Antworten hervorbringen würden. Aber es gibt nicht ganze Bevölkerungen und Klassen und Ethnien von Psychopathen. Solche Fragen bergen Vielschichtigkeit. Sie rütteln an unseren Überzeugungen und lassen unsere Ideologien zerfallen. Sie verhindern Gewalt. Sie erlauben uns, Spaltung zu überwinden und die gemeinsame Basis zu finden, die nicht zwischen den Polen liegt, sondern unter ihnen verborgen. Und man kann diese Fragen nicht selektiv anwenden. Wenn man den einen Mitgefühl entgegenbringt, den anderen aber nicht, kann man nicht selbst in diesem Bewusstsein bleiben. Wenn du kein Mitgefühl für das Volk von Gaza hast – oder für das Volk von Israel oder für irgendeine andere Gruppe oder Klasse –, dann hast du einen blinden Passagier auf dein Schiff gelassen, der dazu bestimmt ist, eines Tages das Kommando an sich zu reißen und dich dorthin zurückzusteuern, woher du gekommen bist, oder an einen schlimmeren Ort; Mission nicht erfüllt.
Wenn die Führungskräfte der USA in Bezug auf Palästina dem Mitgefühl entspringende Fragen stellen würden, wäre das Gemetzel in drei Tagen vorbei.
Indem sie die Story israelischer Hardliner über Palästinas Geschichte und Gegenwart aufrechterhalten, verharren Kennedy und Trump in genau dem Bewusstsein, das sie aus dem Kreis der Menschlichkeit ausschließt. Das Bewusstsein, das die Tötung zehntausender Kinder im Namen der Sicherheit zulässt, lässt auch zu, dass gelogen, betrogen, gestohlen wird, juristische Kriegsführung betrieben, ja selbst Attentate begangen werden, nur um den buchstäblichen Hitler daran zu hindern, ins Weiße Haus zu gelangen.
Was also ist zu tun? Weiter oben, als ich gefragt habe: „Warum möchtest du das wissen (ob ich Trump unterstütze)?“, war ich vielleicht ein bisschen knauserig mit meiner Antwort. Die Leute wollen nicht nur wissen, ob ich noch ein tragbares Mitglied der Gruppe bin. Es herrscht auch echte Bestürzung, Verwirrung, Schwindelgefühl angesichts plötzlicher und dramatischer Vorfälle. In solchen Zeiten suchen wir ganz natürlich bei Substack-Autoren nach Orientierungshilfe.
Das sollte natürlich ein Scherz sein.
Egal – ich werde dir nicht sagen, wen du wählen sollst. Ich habe ein wichtigeres Anliegen.
Die Welt ist in großer Gefahr, und wir müssen das Wir-gegen-die-Denken jetzt aufgeben.
Die Denkweise, die den politischen Gegner dämonisiert, ist die gleiche, die ein anderes Land dämonisiert, um Krieg zu beginnen, oder die eine Bevölkerung dämonisiert, um ethnische Säuberungen zu erleichtern. Wird sie nicht in ihre Schranken gewiesen, führt sie zu Unruhen, Gewalt und schließlich Tyrannei. Sie könnte sogar zum Dritten Weltkrieg führen. Ich spreche hier als Amerikaner, aber dieselbe Dynamik grassiert im ganzen Westen. Mein Land ist nicht ausgenommen von dem, was es in die Welt gesät hat. Das Schicksal von Libyen, von Irak, von Venezuela, der Ukraine, von Syrien, von Jugoslawien, des Libanons, des Gazastreifens könnte leicht unser eigenes werden.
Wie können politische Autoritäten furchtbare Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen? Sie sind schließlich keine Übermenschen. Sie haben keine besonderen Kräfte wie Magneto oder Darth Vader. Also müssen sie die Bevölkerung zu willigen Mittätern ihrer eigenen Unterdrückung machen. Sie stiften an zu immer neuen Wellen von Furcht und Hass und reiten jede Welle zu neuen Gipfeln der Macht. Wie der Nazi Hermann Göring sagte: „[D]as Volk kann mit oder ohne Stimmrecht immer dazu gebracht werden, den Befehlen der Führer zu folgen. Das ist ganz einfach. Man braucht nichts zu tun, als dem Volk zu sagen, es würde angegriffen, und den Pazifisten ihren Mangel an Patriotismus vorzuwerfen und zu behaupten, sie brächten das Land in Gefahr. Diese Methode funktioniert in jedem Land.“
Es gibt immer ein Feindbild. Die wahnsinnige Eskalation in der Ukraine braucht das Feindbild Wladimir Putin, der den wiederauferstandenen Leichnam des Bösen Reichs (Sowjetunion) anführt. Die Welle von Überwachung und Zensur und Verfolgung Andersdenkender im Westen braucht das Feindbild „Make-America-Great-Again-Extremisten“ oder „russische Agenten“ oder „inländische Terroristen“ oder „Verbreiter von Impfkritik-Desinformation“. Um den Gazastreifen dem Erdboden gleichzumachen und seine Menschen abzuschlachten, bedarf es des Feindbilds unerbittlicher, hasserfüllter Feinde Israels, die es nach dem Blut von Juden dürstet.
Jedes Wort des Hasses, jede entmenschlichende Hetzkampagne, jeder Anflug von Spott und Verachtung, jede Denunziation und Verurteilung, die wir in die Öffentlichkeit tragen, nährt die Kräfte, die uns in einen Krieg, in Genozid und Faschismus hineinmanipulieren können. Und so gehen uns Politiker und Medien beispielhaft mit einem Hass voraus, dem wir folgen sollen. Sie tun es nicht einmal mit Absicht – das ist das Problem. Das passiert einfach so. Ich will hier nicht Politiker und Medien als das neue Böse hinstellen. „Vergib ihnen, Herr, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Aber genau das tun sie. Sie spalten uns. Sie lehren uns, einander zu hassen.
Falle nicht darauf herein. Das ist mein Anliegen. Falle nicht darauf herein. Betritt stattdessen die politische Sphäre mit Fragen, die aus dem Mitgefühl stammen und zur Liebe führen. Das ist die einzige Revolution, die es wert ist.
Redaktionelle Anmerkung: Der Beitrag erschien zuerst unter dem Titel „Shades of Many Colors“ auf dem Substack von Charles Eisenstein. Er wurde von Ingrid Suprayan übersetzt und von Bobby Langer und Janet Klünder korrekturgelesen.