Schändliches Schweigen
Österreichs Neutralität kann nicht als Ausrede herhalten, um beim derzeitigen Gaza-Genozid untätig zu bleiben. Als Unterzeichnerin der Völkermordkonvention trägt die Alpenrepublik eine Mitverantwortung.
Gaza wird zum Lackmustest für den Westen. Folglich auch für Österreich. Die Substanz dessen, was vielfach als die „westlichen Werte“ angepriesen wird, schmilzt wie Eis unter der palästinensischen Sonne. Das Morden hat unlängst Völkermord-Dimensionen erreicht. Überwiegend sind Frauen und Kinder zu beklagen. Dem vielfach ausbleibenden Aufschrei ist jetzt schon ein Platz als „Schweigen der Schande“ in den Geschichtsbüchern sicher. Wird die Alpenrepublik noch rechtzeitig zur Besinnung kommen und den Pflichten nachkommen, die sich aus der Unterzeichnung der Völkermordkonvention ergeben? Sie könnte damit als Vorbild für andere westliche Nationen dienen. Andernfalls wird sich das Bild dieser und anderer westlicher Nationen in den Augen der Welt verdunkeln.
Die Welt blickt auf Gaza, und die Bilder, die uns erreichen, sind erschütternd. Tausende Tote, darunter unzählige Kinder, zerbombte Krankenhäuser und ein humanitärer Albtraum, der seinesgleichen sucht. Doch während der internationalen Gemeinschaft über Schuld und Verantwortung diskutiert, bleibt eine Frage drängend:
Was tut Österreich, um dieser Tragödie Einhalt zu gebieten?
Als Vertragsstaat der Völkermordkonvention trägt Österreich eine besondere Verantwortung. Diese Konvention wurde aus den dunklen Kapiteln unserer Geschichte geboren, um sicherzustellen, dass sich die Gräueltaten des 20. Jahrhunderts nicht wiederholen. Sie verpflichtet uns, nicht nur Genozid zu bestrafen, sondern ihn von vornherein zu verhindern.
Doch was bedeutet das in der Praxis? Es bedeutet, dass Österreich nicht schweigen darf. Es bedeutet, dass die Regierung sich aktiv diplomatisch bemühen muss, um internationale Mechanismen zum Schutz der Zivilbevölkerung in Gaza zu aktivieren. Es bedeutet, dass Österreich seinen Einfluss in der EU und den Vereinten Nationen geltend machen muss, um unabhängige Untersuchungen und eine sofortige Waffenruhe zu fordern. Europa und die EU dürfen die Lösung dieser Krise nicht allein den USA überlassen. Sie müssen aktiv handeln, um das Pulverfass Naher Osten zu entschärfen und die Eskalation zwischen Iran und Israel einzudämmen. Der Zustrom neuer Flüchtlinge nach Europa verdeutlicht die dringende Notwendigkeit, strukturelle Probleme in der Region anzugehen.
In Anbetracht der jüngsten Entwicklungen im Nahen Osten, insbesondere seit dem Sturz des Assad-Regimes, der Machtergreifung islamistischer Kräfte in Syrien sowie der prekären politischen und wirtschaftlichen Lage im Libanon, ist ein engagiertes und entschlossenes Eintreten für Frieden und die Wahrung der Menschenrechte im Interesse der freien und demokratischen Welt — wie es Österreich und die Europäische Union praktizieren — von grundlegender Bedeutung. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Situation der Flüchtlinge.
Es ist zu betonen, dass die österreichische Neutralität nicht als Vorwand für Untätigkeit missverstanden werden darf.
Die Maxime der Neutralität impliziert die unbedingte Verpflichtung, sich konsequent auf die Seite des Rechts und der Menschlichkeit zu stellen, unabhängig von den politischen oder geopolitischen Interessen. Ein Schweigen zu den Gräueltaten in Gaza würde die Glaubwürdigkeit unserer Neutralität untergraben und die Prinzipien, auf denen sie beruht, verraten.
Die Geschichte wird diejenigen beurteilen, die in Zeiten der Not geschwiegen haben. Österreich hat die Wahl: Es kann sich als Vorbild für moralischen Mut und völkerrechtliche Integrität etablieren — oder aber sich in die Reihe derer stellen, die versagt haben, als es darauf ankam. Es ist an der Zeit, die Praxis des Wegschauens zu beenden. Die internationale Gemeinschaft beobachtet die Geschehnisse mit großem Interesse.