Satire vor Gericht
Die Strafverfolgung des Journalisten Ulrich Gellermann offenbart den zunehmend autoritären Umgang mit abweichenden Meinungen.
Wer Satiriker vor Gericht zerrt, weil er sich von einer Kritik angeblich „beleidigt“ fühlt, erreicht nicht immer eine Veruteilung des Gegners. Er erreicht aber zumindest eines: dass sich unter kritischen Geistern ein Klima der Angst breit macht und dass im schlimmsten Fall eine Vorzensur im Hirn des Schreibenden stattfindet. Die Süddeutsche Zeitung hat gegen Ulrich Gellermann die „Methode Erdogan“ angewandt. Dass dieser Prozess überhaupt stattfindet, ist ein Schlag gegen die Meinungsfreiheit in Deutschland.
Ulrich Gellermann ist Herausgeber und Redakteur des Online-Magazins Rationalgalerie, das sich kritisch mit der deutschen Gesellschaft auseinandersetzt. 1968 gehörte Gellermann zu den Mitgründern des Düsseldorfer „Republikanischen Centrum“. Als Herausgeber verantwortete er das Buch „Armut in der Bundesrepublik“ im Verlag Pahl-Rugenstein. Seit 1990 drehte er gemeinsam mit Angelika Kettelhack Portrait- und Dokumentar-Filme für TV-Sender.
Die Süddeutsche Zeitung geht gegen Ulrich Gellermann nun juristisch vor, weil er in der von ihm herausgegebenen Website Rationalgalerie am 12. Januar 2017 einen Kommentar veröffentlicht hatte, in dem ein Artikel derselben kritisch beleuchtet wird: Am 15. Juni 2018 sollte er, auf Antrag der Süddeutschen, wegen „Beleidigung“ vor ein Münchner Gericht. Vor dem Münchner Amtsgericht ist sie damit in erster Instanz erstmal erfolgreich gewesen: Das Gericht verurteilte den Beklagten Uli Gellermann zu 30 Tagessätzen á 30 Euro.
Man sollte meinen, die Zeiten seien längst vorbei, dass die Autoren satirischer Beiträge mit einer Klage rechnen müssen.
Aber nein! Ganz offensichtlich nicht, wenn Journalisten auf einen satirischen Beitrag mit einer Anklage wegen „Beleidigung“ reagieren. Aber das ist tatsächlich so geschehen mit Ulrich Gellermanns Kommentar zu dem Artikel von Hubert Wetzel „Hätte Putin Trump in der Hand - wegen eines heiklen Videos?“ in der Süddeutschen Zeitung vom 12. Januar 2017.
„Satire darf alles!“, hatte Kurt Tucholsky behauptet – vor inzwischen knapp 100 Jahren! Tucholsky wurde besonders eifrig zitiert, als es darum gegangen war, „Charlie Hebdo“ gegen die Mörder seiner Karikaturisten und Satiriker zu verteidigen – als ob es einer solchen Verteidigung bedurft hätte, denn Mord ist in keinem Fall zu rechtfertigen.
Wenn also heute Tucholsky doch wieder gilt, und Satire alles dürfe, könnte die Süddeutsche einwenden, dass deshalb noch lange nicht „alles“ Satire sei, was den Redakteuren und Herausgebern der Süddeutsche nicht gefällt.
Fraglos klingen Begriffe wie „postfaktisches Arschloch“ oder „Schmierblatt-Sau“ „beleidigend“, erkennt der Autor des satirischen Beitrags an. Aber dennoch sei dies keine Beleidigung. Vielmehr handle es sich um Satire, denn: „gemeint ist nicht der Redakteur, gemeint ist eine Methode, die den Leser und dessen Intelligenz beleidigt.“
Also ist zu vermuten, dass diese Unterscheidung für die Zeitung, für die der Journalist geschrieben hat, zu hoch ist.
Umgekehrt wird ein Schuh draus: Die Chefredakteure der Süddeutschen wissen sehr wohl, dass der vor den Kadi gezerrte Text die Methode auseinander nimmt, mit der dem Leser eine Meinung so dargereicht wird, dass er sie ohne weitere Nachfrage annehmen kann, denn es ist ja die Methode ihrer Wahl.
Genau das ist also das Delikt des Satire-Schreibers: Er hat die Methode auseinander genommen, derer sich die Kriegstreiber und Brunnenvergifter bedienen.
Sie wollen uns Leser zum Arschloch machen, die sich mit Schmierereien über Sex-Orgien und Erpressung die Sinne benebeln lassen und dann vollkommen verblödet Beifall klatschen, derweil sie uns ins Verderben führen.
Weil Ulrich Gellermann die Methode der Schreiber der Süddeutschen entlarvt, können sie nicht auf Unterlassung der Entlarvung klagen. Deshalb fokussieren sie sich auf die Beleidigung eines Arschlochs, der nichts weiter getan, als die in der Süddeutschen geforderte und von ihr bezahlte Arbeit zu verrichten. Deshalb tun sie so, als wüssten sie nicht zwischen Methode und Person zu unterscheiden, die sich dieser Methode bedient.
Es ist jedoch untrügliches Zeichen für die Treffsicherheit seiner Analyse(n), dass die Süddeutsche Uli Gellermann dafür wegen „Beleidigung“ vor Gericht ziehen will.
Man kann nur noch konstatieren: So hat man sich wohl den Untergang der Produktionsweise „wie wir sie kennen“ vorzustellen, als Produktion von Fake und Verleumdung, rücksichtslose Verfolgung von Aufklärung und Widerstand, als Hölle der Verblendung voller Lüge, Hinterhalt, Rachsucht und Häme.