Rufmordende Identitäter

Alternativmedien werden derzeit massiv rechts geframt. Wenn diese abstreiten, rechts zu sein — so heißt es —, liegt das nur an einer besonders perfiden Tarnstrategie.

Zweifellos gibt es heute in Deutschland mehr Nazis als 1940. Sie haben nur gelernt, geschickter zu agieren, und tarnen sich so gut, dass man ihr Nazi-Sein gar nicht mehr auf den ersten Blick erkennen kann. So tummeln sie sich ungeniert in der „Querdenker“-Szene, nörgeln über Coronamaßnahmen, werben für Frieden, Freiheit und Bürgerrechte, wettern gegen Wokeness, das Gendern und die Transmode und — was besonders perfide ist — hängen sich sogar an genuin linke Themen an: soziale Ungleichheit zum Beispiel, Armut und Teuerung. Gerade diese Tarnstrategie macht Rechtsextreme höchst verdächtig — denn hatten sich nicht die Nazis selbst damals als „nationale Sozialisten“ bezeichnet? Besonders viele De-facto-Nazis gibt es offenbar in der Szene der Alternativmedien. Auch auf Manova lastet ein solcher schlimmer Verdacht. Aber wackere Antifaschist*innen haben diesen jetzt die harmlose Maske vom Gesicht gerissen, sodass ihre schwarze Seele zum Vorschein kam. Das Fazit dieser Aufklärungskampagne: Je mehr sich Rechte mit Narrativen des Guten schmücken — Menschenrechte oder soziale Gerechtigkeit etwa —, desto böser sind sie vermutlich, desto unbarmherziger müssen sie von den Exponenten „unserer Demokratie“ bekämpft werden. Ein Artikel über ein ernstes Thema, das zusehends zur Farce gerät.

Bevor Sie sich dem Text widmen, gestatten Sie eine kurze Frage: Ist Ihnen bewusst, dass Sie sich auf einer alternativen Medienplattform befinden, die von Autor, Kabarettist, Satiriker und Hörspielmacher Maik Martschinkowsky gesichert der „rechten Ecke“ zuzuordnen ist?

Falls Sie diese Information zum Beenden des Lesevorgangs veranlassen sollte, wäre dies genau das bedauerliche Phänomen, um das es hier gehen wird. Nichtsdestotrotz sei Ihnen weiterhin ein schönes Leben in Ihrer orchestriert babbelnden Bubble irgendwo zwischen Spiegel, Zeit, Correctiv, Volksverpetzer, MaiLab, Instagram, Böhmermann und Martschinkowsky gewünscht.

Letzterer beließ es natürlich nicht nur bei der Warnung vor Manova.News. Er teilte mit den Lesern seine geballte Expertise in achtzehn Folgen auf dem Online-Portal „ND/Journalismus von links“ zu allen wichtigen Strömungen, die den langsam, aber sicher bachabwärts tuckernden Deutschlanddampfer immer weiter „nach rechts“ treiben.

In der Einleitung hieß es dazu:

„Die Rechten werden immer mehr, auch wenn manche beharrlich behaupten, sie seien gar nicht rechts, oder angestrengt versuchen, sich als etwas anderes auszugeben.“

Martschinkowsky lieferte daraufhin jedem orientierungslosen Antifaschisten den ultimativen Durchblick im Dschungel des rechten Sumpfgebietes.

Er systematisierte, klassifizierte und taxierte Rechte Parteilinge, Rechtskonservative, Liberal-Konservative, Rechts-Esoteriker:innen, Deutsche Burschenschafter:innen, Reichsbürger, Rechte Prepper, Identitäre Bewegung, Völkische Siedler, Besorgte Bürger:innen (sic!), Rechtsintellektuelle, Info-Krieger:innen, Nazi-Punks, Maskulinisten, Völkische Frauen, Neo-Nazis, Anarcho-Kapitalisten und Pälaolibertaristen.

In Teil 14 wandte er sich dann der chamäleonartigen Gattung der „Querfrontler:innen“ zu, als deren wichtigste Medien er „‚Manova.News‘ (ehem. ‚Rubikon‘), ‚Nachdenkseiten‘, ‚Apolut.net‘ (ehem. ‚Ken FM‘) und ‚Compact Magazin‘“ identifizierte. Zum Erscheinungsbild dieser politischen Zwitterwesen schrieb er, dass sie vor allem „viel zu oft in der Öffentlichkeit“ stünden. Dabei gäben sie sich „gern wie hilfsbereite Nachbar:innen, die mal nach dem Rechten sehen wollen (…). Moderne Querfrontinitiativen sind ein bisschen wie eine Matrjoschka — je näher man sie betrachtet, desto kleiner werden sie, und am Ende hat man eine winzige russische Puppe in der Hand.“

Piroschka („Rotkäppchen“) Martschinkowsky entlarvte sodann die grundlegende Querfront-Strategie:

„Nach dem Rechten sehen. Querfrontler:innen suchen gezielt nach linken Themen, die sich auf rechts drehen lassen. Sei es Kapitalismuskritik, die sie als Kampf gegen eine ‚gierige Elite‘ mit entsprechenden Verschwörungsgeschichten inszenieren, Antiamerikanismus, weil überhaupt, und verschiedenste Formen von Antisemitismus, weil lässt sich gut mit beidem kombinieren. Als weiteres produktives Arbeitsfeld für Querfrontler:innen hat sich in den letzten Jahren auch die Auseinandersetzung oder Aneignung identitätspolitischer Themen herausgestellt. Etwa der Hass auf Political Correctness und gendergerechte Sprache einerseits oder absurde ‚Antidiskriminierungs-Ansprüche‘ andererseits (zum Beispiel das vermeintliche Recht auf Anerkennung der spezifischen Identität nichtjüdischer Weißer). Ein für Querfrontler:innen durchaus attraktives Mobilisierungspotenzial liegt auch im Bereich der Konsumkritik — und zwar sowohl im Postulieren bewussten Konsums (‚esst mehr regionale arisch-vegetarische Lebensmittel vom braunen Bio-Bauer!‘) als auch in der Kritik an der Kritik (‚individualistische Ansprüche verlagern die Verantwortung doch nur auf die Einzelnen, Fleischverzicht und Bio sind ablenkende Elitenmoral!‘).“

Interessanterweise fehlte in dieser Beschreibung das Wort Corona, obwohl alle Kritiker der politischen Maßnahmen von den Lockdowns bis zu den Zwangsinjektionen zeitgleich als Schwurbler, Querdenker, Querfrontler und Nazis verunglimpft wurden und dadurch umso schneller lernten, über ideologische Grenzen hinweg erfolgreich zusammenzuhalten und erbitterten Widerstand zu leisten.

Martschinkowsky definierte statt dem wirkmächtigen Aktionsbündnis gegen die weltweite Gesundheitsdiktatur zwei andere Querfrontthemen als zentral für diesen Teil der „rechten Ecke“. Erstens traf dies auf die Kritik der Querfrontler an den „Antideutschen“ zu. Auf Wikipedia heißt es:

„Antideutsche sind eine aus verschiedenen Teilen der Linken hervorgegangene politische Strömung in Deutschland und Österreich. Sie wenden sich gegen gewisse Ausprägungen des deutschen Nationalismus, der insbesondere im Zuge der deutschen Wiedervereinigung erstarkt sei. Weitere antideutsche Positionen sind Solidarität mit Israel sowie Gegnerschaft zu Antizionismus, Antiamerikanismus als auch bestimmten („regressiven“) Formen des Antikapitalismus und Antiimperialismus. Diese führten und führen zu Kontroversen innerhalb der linken Szene.“

Zweitens ging es laut Martschinkowsky um die Kritik der Querfrontler an „Wokeness“ und „linker Identitätspolitik“. Es dürfte hierbei längst nicht jedem Leser bekannt sein, dass der Begriff „woke“ in der afroamerikanischen Community der 1930er Jahre entstand und seitdem das wachsame Bewusstsein dieser Gruppe für mangelnde soziale Gerechtigkeit und Rassismus in den USA beschrieb. Es erscheint wie ein schlechter Treppenwitz, wenn gerade die politischen Ideologen, die bei Weißen mit Dreadlocks oder in indigenen Karnevalskostümen direkt „Kulturelle Aneignung“ schreien, den Begriff „woke“ wie selbstverständlich auf den Umgang mit jeder vorgeblich unter Ignoranz oder Benachteiligung leidenden Gruppe übertragen.

Um an dieser Stelle nicht erneut (1) auf die lebensgefährliche Politisierung von Genderdysphorien einzugehen, sei exemplarisch die zunehmende Politisierung der Veganismus-Bewegung hervorgehoben. Die Linken-Politikerin Dr. Didem Aydurmus erläuterte diese in der Tageszeitung taz:

„Veganismus wird oft als etwas Privates dargestellt. Er ist aber eine politische Philosophie, die sich aus verschiedenen Gerechtigkeitsbewegungen heraus entwickelt hat. Da ist ein Anspruch der Gerechtigkeit, auch die Stimmlosen zu vertreten. Damit sind nicht nur die Menschen im Globalen Süden gemeint, die unter unserer industriellen Landwirtschaft unheimlich leiden. Sondern auch Lebewesen von anderen Spezien.“

Bei ihrer berechtigten Kritik an einer zu geringen Achtung des hiesigen Tierwohls ließ sie selbstredend unerwähnt, dass nur der regelmäßige Konsum tierischer Produkte die Landschaftspflege, die natürliche Kreislaufwirtschaft und somit die partielle Unabhängigkeit von Kunstdünger ermöglicht.

In ihrem Interview mit Kilian Dreißig auf vegpool.de gab die wertebasierte Hochschuldozentin weitere Einblicke in ihr „wokes Mindset“. Nachdem sie im kleinen Laden der Rosa-Luxemburg-Stiftung ein Buch mit dem Titel „Queere Tiere“ erstanden hatte, berichtete sie davon, wie sie in der Türkei medienwirksam Seifenblasen auf grimmige Polizisten gepustet habe. Nach einem Aufenthalt in türkischer Untersuchungshaft 2017 wurde sie dann konsequent vegan. Diese Entscheidung passte in ihr politisches Weltbild wie die Faust aufs (rechte!) Auge. Denn, so heißt es im Interview weiter, laut Dr. Aydurmus sei linke Politik „Wertepolitik ohne falsche Kompromisse“, und das gelte auch für Veganismus. „Veganismus ist links.“

Bei so viel Geschichtsvergessenheit und Vereinnahmungswillen kam der Interviewer nicht umhin, sich in ungewohnt klarer Form zu distanzieren. Er teilte dem Leser ganz offen seine spontanen Gedanken mit:

„Ich verspüre Unbehagen, möchte Veganismus unwillkürlich in Schutz nehmen vor politischen Labels. Braucht man für gute Aufklärungsarbeit nicht eine Sprache, die ankommt, frage ich. Ein wärmendes Bauchgefühl, damit es nicht so theoretisch, so weltfremd, so ‚links‘ wirkt?“

Richtig unwohl dürfte sich Dreißig dann gegen Ende des Gespräches gefühlt haben, als Dr. Aydurmus ein verbittertes Zukunftsszenario skizziert. Möglicherweise ende die Massentierhaltung nämlich erst, wenn die Preise für Wasser zu hoch seien.
Da dürften ihr gewisse Kreise durchaus in die Karten spielen. Denn ginge es nach dem World Economic Forum, sollte die Verwendung von Wasser — angeblich wegen der „Nachhaltigkeit“ — auf globaler Ebene kontrolliert werden. Ulrik Gernow, Group Executive Vice President des dänischen Konzerns Grundfos, forderte als Podiumsteilnehmer deshalb auf, etwas zu tun, um dieses Ziel zu erreichen:

„Haben Sie Ihre Abhängigkeit vom Wasser erkannt? (…) Wir brauchen eine globale Koalition, um globale Standards zu schaffen (...), so wie wir es beim Klima getan haben.“

In vielen Ländern dieser Erde sind die Preise für Wasser — weniger für die Massentierhaltung als vielmehr für die einheimische Bevölkerung — viel zu hoch. Dies betrifft unter anderem die Ukraine. Denn das Wasser aus den Leitungen ist im ganzen Land selbst zum Duschen gesundheitlich bedenklich und zum Trinken, Spülen, Kochen oder Zähneputzen absolut unbrauchbar. 1,5 Liter des begehrten Trinkwassers kosten dort mittlerweile circa 45 Cent. Das bedeutet für eine normale Familie bei 12 Litern Durchschnittsverbrauch am Tag 108 Euro pro Monat. Dies ist viel zu viel, denn das Monatseinkommen in der Ukraine beträgt im Durchschnitt nur circa 500 Euro.

Eine weitere Verteuerung, ja eigentlich bereits jede Privatisierung von Trinkwasser irgendwo auf der Welt ist absolut menschenrechtswidrig. Aber dies wird von extremen Veganisten in der sogenannten Bewegungslinken achselzuckend hingenommen, da es in ihrer Überzeugung ja dem Ziel einer massentierhaltungsfreien Welt dienlich sein könnte.

Hieran wird das immer wiederkehrende Dilemma ersichtlich.

Durch eine radikalisierte Verfolgung von Partikularinteressen werden gemeinsame Kämpfe für eine bessere Zukunft in Freiheit, Frieden und allgemeinem Wohlstand immer schwieriger und schließlich ganz unmöglich.

Diese Kritik hat nicht nur Susan Neiman in „Links ist nicht woke“ oder Sahra Wagenknecht in „Die Selbstgerechten“ geäußert. Besonders wegweisend war der 2018 erschienene Sammelband „Die sortierte Gesellschaft“, welcher von Johannes Richardt herausgegeben wurde und dessen prägnantes Vorwort den Titel trug: „Streitkultur statt Schubladendenken.“

Die Identitätsbewegung hat nicht nur die meisten Buchstaben mit der Identitären Bewegung gemein. Auf beiden Seiten wird gleichermaßen krankhaft nach Merkmalen und Themen gesucht, um die Bevölkerung in Gruppen zu spalten und gegeneinander aufzuhetzen. Dies führt dazu, dass jeder unabhängig denkende Mensch wahlweise als „linksgrüner Siff“ oder „rechter Nazidreck“ diffamiert wird. Für die Verunglimpften gilt es, sich von mutwilligen Rufschädigungen nicht beirren zu lassen, sondern sich selbst treu und vielfältig informiert zu bleiben. In diesem Sinne sei allen Lesern herzlich für ihre Aufmerksamkeit gedankt. Auch ganz ausdrücklich Ihnen, Herr Martschinkowsy!