Röttgen auf allen Kanälen
Das deutsche Fernsehen wird endlich grundlegend reformiert.
Der „Rechercheverbund deutschsprachiger Alternativmedien“ berichtet in einer heute verbreiteten Pressemitteilung von weitreichenden, zum Teil spektakulären Veränderungen bei der Gestaltung der Polit-Talkshows im deutschen Fernsehen. Der derzeitige Planungsstand sehe vor, spätestens nach der Sommerpause dem Publikum grundlegend überarbeitete Formate anzubieten. Betroffen seien davon zunächst die Sendungen „Anne Will“ und „Maybrit Illner“.
Wie ein Mitarbeiter der ZDF-Intendanz, der anonym bleiben wollte, dem Rechercheverbund mitteilte, liefen die Maßnahmen, die bereits weit fortgeschritten seien, unter dem Label „Formierung und Fokussierung“. Ziel sei es, die Botschaft der Sendungen „eindeutiger, präziser und überzeugender“ zu vermitteln.
Vorangegangen war der jetzt anstehenden umfassenden Reform der Polit-Talkshows eine aufwändige, mehrmonatige Publikumsbefragung, die das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag von ARD und ZDF durchgeführt hatte.
Die wichtigsten Ergebnisse dieser Erhebung: 29 Prozent der regelmäßigen Konsumenten der Polit-Talkshows monierten, dass es sich hier um reine Alibi-Veranstaltungen handele, um Pseudo-Diskussionen, deren Ergebnis von vornherein feststehe. Ausdrücklich kritisiert wurden die unausgewogene Auswahl der Gesprächsteilnehmer und die Voreingenommenheit der Moderatoren. Diskussionsteilnehmer mit abweichenden Ansichten seien regelmäßig in der Minderheit. Ihnen komme eine „Feigenblatt-Funktion“ zu, sie würden unfair behandelt und hätten kaum Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen.
Bei 32 Prozent des Publikums herrschte ein gegenteiliger Eindruck vor. Da in den Diskussionsrunden teils unterschiedliche Ansichten geäußert würden, blicke am Ende keiner mehr durch, und man wisse nicht, was jetzt richtig oder falsch ist.
Auffallend sei, so der ZDF-Mitarbeiter, dass fast 40 Prozent der Befragten keine explizite Meinung geäußert hätten beziehungsweise in ihrer Haltung unentschieden seien. Häufige Antworten in dieser Personengruppe lauteten etwa: „Ich verstehe oft überhaupt nicht, worum es in diesen Sendungen geht.“ oder „Das rauscht irgendwie alles an mir vorbei.“
Die Forsa-Umfrage, die Anfang des Jahres 2018 durchgeführt wurde, war Ende Januar Gegenstand einer Klausurtagung der Programmchefs von ARD und ZDF. Dort sei, so der ZDF-Mitarbeiter, die Forderung jenes Publikumssegments, dass sich echte und offene Debatten wünscht, nach kurzer Beratung als „unpraktikabel“ und „nicht zielführend“ verworfen worden. Stattdessen hätten sich die Programmverantwortlichen für ein überarbeitetes Format entschieden, das den Zuschauern unmissverständlich deutlich macht, „was richtig und was falsch ist“.
Auf die Frage, was das konkret zu bedeuten habe, lautete die Antwort, dass ARD und ZDF in Zukunft ausschließlich „reine Konsensrunden“ ausstrahlen wollen. Irritationen jeglicher Art sollen vermieden werden. Zuvor hatten einige ARD-Intendanten bemängelt, bei den jetzigen Formaten komme es immer wieder vor, dass Teile des Publikums „an der falschen Stelle“ applaudieren. Für Unmut hatte auch der Auftritt des Nahost-Experten Michael Lüders in einer „Anne Will“-Sendung zum Thema Syrien gesorgt. Derlei dürfe sich keinesfalls wiederholen, so die Forderung.
Auf die Frage, wie man denn mit einem solchen Konzept jenes Publikumssegment erreichen wolle, das schon die gegenwärtigen Formate als viel zu konsensorientiert empfinde und sich stattdessen offene und kontroverse Debatten wünsche, sagte der ZDF-Mitarbeiter, man könne es niemals allen recht machen. Im Übrigen seien jene 29 Prozent, die es anders wollen, für die Öffentlich-Rechtlichen ohnehin verloren. Denen müsse man keine Träne nachweinen.
Den Einwand, dass hier „offene Propaganda“ betrieben werde solle, wies der ZDF-Mitarbeiter mit Nachdruck zurück. Der Begriff „Propaganda“ sei historisch belastet und völlig unangemessen. Die von ARD und ZDF im Februar dieses Jahres eingesetzte gemeinsame Planungsgruppe spreche denn auch richtigerweise von „strategischer Kommunikation“.
Im Übrigen sei der Propaganda-Vorwurf „nichts Neues“. Schon der legendären ZDF-Diskussionsrunde „Journalisten fragen – Politiker antworten“ unter der Leitung des nicht minder legendären damaligen ZDF-Chefredakteurs Reinhard Appel sei von Kritikern unterstellt worden, sie inszeniere „Propaganda als Diskussion“. Davon hätte jedoch nie die Rede sein können.
Der ZDF-Mann erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass man laut Rundfunk-Staatsverträgen verpflichtet gewesen sei, den politischen Parteien eigene Sendezeit zur Verfügung zu stellen. Da jedoch langatmige Vorträge der jeweiligen Generalsekretäre sowohl von den Parteien selbst als auch von den Rundfunkanstalten als „wenig attraktiv“ empfunden worden seien, habe man sich seinerzeit – nicht zuletzt im Interesse des Publikums – für die Diskussionsrunde „Journalisten fragen – Politiker antworten“ entschieden. Man sei damit gut gefahren, und die heutigen Polit-Talkshows seien im Grunde nichts anderes als eine Fortentwicklung dieses ursprünglichen Modells.
Allerdings seien die Polit-Talkshows, so der ZDF-Mitarbeiter, inzwischen „an ihre Grenzen gestoßen“ und „nicht mehr zeitgemäß“. Ein neuerlicher Reformbedarf sei nicht zu leugnen. Gerade angesichts der zunehmenden Krisenerscheinungen im Inneren unseres Landes und der wachsenden internationalen Spannungen – Stichwort „russische Aggression“ – seien die Öffentlich-Rechtlichen gefordert, „Flagge zu zeigen“ und „Verantwortung zu übernehmen“.
Auf die Frage, ob denn nicht zu befürchten stehe, dass die jetzt auf den Weg gebrachten Maßnahmen bei Medienkritikern für erheblichen Unmut sorgen könnten, erwiderte der ZDF-Mitarbeiter: „Darauf sind wir gefasst.“
Zugleich machte er deutlich, dass man durchaus gewillt sei, den Kritikern entgegenzukommen. So sei in der jüngeren Mediendebatte immer wieder die „mangelnde Transparenz“ von ARD und ZDF moniert worden. Dem wolle man nun entschieden entgegenwirken, indem man „mit offenen Karten“ spiele. Die vielleicht spektakulärste Innovation bestehe darin, dass nicht länger sogenannte Journalisten die Talkrunden moderieren werden, sondern die Politiker selbst.
Beschlossene Sache sei bereits, dass Norbert Röttgen die beiden Sendungen von Anne Will und Maybrit Illner übernehme. Auch die Titel stünden schon fest: „Röttgen im Ersten“ und „Röttgen im Zweiten“. In der ARD-Runde werde sich Röttgen mit außenpolitischen, in der ZDF-Runde mit innenpolitischen Themen beschäftigen.
Röttgen sei, so der ZDF-Mann, aus Sicht der Intendanten „erste Wahl“. Er verfüge als regelmäßiger Talkshow-Gast über eminente Erfahrung, sei sympathisch und beliebt. Letztlich ausschlaggebendes Kriterium sei jedoch seine „überragende Kompetenz“. Nicht von ungefähr gelte Röttgen ja auch als „Muttis Klügster“, wie der ZDF-Mann scherzhaft anmerkte.
Röttgen habe sich zur Freude von ARD und ZDF zudem bereit erklärt, die Diskussionsrunden „pro bono“ zu moderieren und ausschließlich für „Gesprächspartner seiner Wahl“ zu sorgen. Da er überdies auf allen Themenfeldern „Bescheid weiß“, könne man auf eine redaktionelle Zuarbeit vollständig verzichten. Das erbringe „beträchtliche Einsparungen“ – ein Punkt, der von besonderer Relevanz sei, da den Öffentlich-Rechtlichen ja gerne ein verschwenderischer Umgang mit den Rundfunkgebühren vorgeworfen werde.
Wie es mit den Talkrunden „Maischberger“ und „Hart aber fair“ weitergehe, sei noch nicht abschließend geklärt, so der ZDF-Mitarbeiter. Da die Pflicht zur Ausgewogenheit bestehe, denke man daran, die beiden Sendungen einem SPD-Vertreter zu übertragen.
In Gesprächen auf „höchster Ebene“, also zwischen Intendanten und SPD-Präsidium, sei von SPD-Seite der Name Hubertus Heil ins Gespräch gebracht worden. In dieser Personalfrage bestünden jedoch gewisse Vorbehalte der Rundfunkanstalten. Heil sei, wie es ein ARD-Intendant unumwunden formulierte, ein „Quoten-Killer“. Da auch von sozialdemokratischer Seite eingeräumt wurde, dass der „herbe Charme“ Hubertus Heils ein wenig „gewöhnungsbedürftig“ sei, ist in dieser Angelegenheit das letzte Wort offenbar noch nicht gesprochen. Als mögliche Alternative zu Heil, so war zu erfahren, werde gegenwärtig Thomas Oppermann gehandelt.
Spätestens im Lauf der nächsten Woche sollen nach Informationen des „Rechercheverbunds deutschsprachiger Alternativmedien“ die Entscheidungen festgezurrt und verkündet werden. Geplant ist eine gemeinsame Pressekonferenz im Berliner Konrad-Adenauer-Haus, in deren Rahmen die CDU-Vorsitzende Angela Merkel, der kommissarische SPD-Vorsitzende Olaf Scholz, der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm und ZDF-Intendant Thomas Bellut die anstehenden Reformen erläutern werden.