Rockstars, Hippies und andere Seelenfänger
In der Hippieära diente der Laurel Canyon in Hollywood als Sprungbrett für Rockstars, Basis für eine geheime Militäranlage und Absteige für Kultführer. Auszug aus „Seltsame Szenen im Canyon der Rockstars“ von David McGowan.
Die Hippiezeit und die Rockmusik der 1960er-Jahre dienen Aktivisten bis heute als Inspirationsquellen für Visionen einer friedvollen Kultur und ganzheitlicher Gemeinschaftsformen. Wie der amerikanische Autor David McGowan in seinem detailreichen Werk „Seltsame Szenen im Canyon der Rockstars“ darlegt, scheinen nicht Ideale einer Befriedung der Menschheitsfamilie, sondern handfeste Interessen des geheimdienstlich-militärischen Komplexes hinter der Genese der Hippie-Gegenkultur gestanden zu haben. Viele hundert Meilen entfernt von den Blumenkindern Haight Ashburys, in einem Canyon oberhalb von Los Angeles, versammelten sich die Söhne und Töchter hoher Militärs und anderer Mitglieder des Establishments, um — teilweise ohne die geringsten Musikererfahrungen — als aufstrebende Rockstars die Love-and-Peace-Generation von den Schrecken des Vietnamkrieges abzulenken. Samuel Peter übersetzte das Buch und schrieb die Einleitung.
Das Dorf der Verdammten — Eine Einführung
„There’s something happening here. What it is ain’t exactly clear“ (1).
Begleiten Sie mich — wenn Sie die Zeit haben — auf eine Erinnerungsreise in eine mehrere Jahrzehnte zurückliegende Zeit, als Amerika das letzte Mal uniformierte Bodentruppen einsetzte, um in einem lang andauernden und blutigen Gefecht einer souveränen Nation eine ausgesprochen Orwell’sche Form der „Demokratie“ aufzuzwingen.
Wir befinden uns in der ersten Augustwoche des Jahres 1964, und US-Kriegsschiffe unter dem Kommando von US-Marineadmiral George Stephen Morrison sind angeblich unter Beschuss gekommen, als sie den vietnamesischen Golf von Tonkin patrouillierten. Dieses Ereignis, das als „Tonkin-Zwischenfall“ bekannt werden wird, führt zur sofortigen Verabschiedung einer offensichtlich vorgefertigten Golf-von-Tonkin-Resolution durch den US-Kongress, was innert kürzester Zeit zu einem tiefen Einsinken Amerikas in den blutigen Morast Vietnams führt. Bevor alles vorbei ist, übersähen 50.000 amerikanische Leichen — neben buchstäblich Millionen südostasiatischer Leichen — die Kampffelder von Vietnam, Laos und Kambodscha.
Um dies an dieser Stelle festzuhalten: Der Tonkin-Zwischenfall scheint etwas von anderen vorgeblichen Aggressionen abzuweichen, welche Amerika in den Krieg getrieben haben. Tonkin war nicht, wie zuvor so oft gesehen, eine Operation unter falscher Flagge — womit eine Operation gemeint ist, in welcher Onkel Sam sich selbst angreift, um dann mit anklagendem Finger auf jemand anderes zu zeigen. Es handelte sich auch nicht, wie zuvor schon mehrmals geschehen, um einen Angriff, der absichtlich provoziert wurde. Nein, es stellt sich heraus, dass der Tonkin-Zwischenfall eigentlich ein „Angriff“ war, der überhaupt nie stattgefunden hat. Der ganze Zwischenfall war — und dies wurde von offizieller Seite später zugegeben — aus der leeren Luft gegriffen. Es ist jedoch gut möglich, dass die Absicht darin lag, eine defensive Antwort der Vietnamesen zu provozieren, die dann als unprovozierter Angriff auf US-Schiffe hätte dargestellt werden können. Die Schiffe, um die es sich handelt, waren auf einer geheimen Mission und agierten in einer ausgesprochen herausfordernden Art und Weise. Es ist gut möglich, dass die vietnamesischen Streitkräfte nicht wie antizipiert reagierten und Onkel Sam daraufhin entschied, so zu tun, als ob sie dies getan hätten.
Ungeachtet dieser Umstände werden die USA bis Anfang Februar 1965 — ohne eine Kriegserklärung und ohne stichhaltige Gründe für einen Krieg — damit beginnen, den Norden Vietnams willkürlich zu bombardieren. Im März desselben Jahres wird die berüchtigte Operation Rolling Thunder beginnen.
Über die nächsten dreieinhalb Jahre werden Millionen Tonnen an Bomben, Raketen, Brandsätzen und chemischen Kampfstoffen über die Bevölkerung Vietnams ausgeschüttet, in einem Geschehen, das als eines der schlimmsten Verbrechen gegen die Menschheit in unserer Geschichte bezeichnet werden muss.
Ebenfalls im März 1965 setzt der erste uniformierte US-Soldat offiziell seinen Fuß auf vietnamesisches Territorium — obwohl Spezialeinheiten, die sich als „Berater“ oder „Ausbilder“ ausgaben, bereits seit mindestens vier Jahren und wahrscheinlich schon viel länger in Vietnam unterwegs waren. Bereits im April 1965 schleppen sich dann ganze 25.000 uniformierte amerikanische Jünglinge — die meisten immer noch Teenager und kaum der Highschool entwachsen — durch die Reisfelder Vietnams. Bis zum Ende desselben Jahres wird die Truppenstärke der USA in Vietnam auf 200.000 Mann angewachsen sein.
Anderswo in der Welt beginnt sich derweil in diesen ersten Monaten des Jahres 1965 eine neue „Szene“ in der Stadt Los Angeles auszubilden. In einer geografisch und sozial isolierten Kommune, die als Laurel Canyon bekannt ist — ein dicht bewaldeter, ländlicher, ruhiger und doch etwas unheimlicher Fleck von Los Angeles, in den Hügeln, welche das Los-Angeles-Becken vom San Fernando Valley trennt —, beginnen sich Musiker, Sänger und Songwriter plötzlich zusammenzufinden, als wären sie von einem unsichtbaren Rattenfänger angelockt worden. Innerhalb weniger Monate wird hier die Hippie-Blumenkinder-Bewegung gezeugt werden, einhergehend mit einem neuen Musikstil, der den Soundtrack für die tumultartige zweite Hälfte der 1960er liefern wird.
Ab der Mitte der 1960er und quer durch die gesamte Dekade der 1970er hindurch wird eine unheimlich große Zahl an Rockstars aus dem Laurel Canyon hervorgehen. Die ersten, die ein Album veröffentlichen, sind die Byrds, deren größter Star David Crosby sein wird. Das Debütalbum der Band, „Mr. Tambourine Man“, wird zur Sommersonnenwende veröffentlicht werden. Ihm folgen in kurzer Abfolge Debütalben anderer Bands, wie der von John Phillips angeführten The Mamas and the Papas (If You Can Believe Your Eyes and Ears, Januar 1966), Love mit Arthur Lee (Love, Mai 1966), Frank Zappa und die Mothers of Invention (Freak Out, Juni 1966), Buffalo Springfield mit Stephen Stills und Neil Young (Buffalo Springfield, Oktober 1966) und The Doors (The Doors, Januar 1967).
Einer der ersten Neuankömmlinge in der Laurel-Canyon- und Sunset-Strip-Szene ist Jim Morrison, der enigmatische Frontmann der Doors. Es wird nicht lange dauern, bis Jim zu einer der kultigsten, kontroversesten, von den Medien gehyptesten und einflussreichsten Figuren werden wird, die im Laurel Canyon ein neues Zuhause finden. Merkwürdigerweise gibt es neben seinem Status als gefeierter Sänger auch noch einen weiteren Grund, warum der selbst ernannte „Lizard King“ einen Anspruch auf Berühmtheit hat. Diesem Grund misst jedoch keiner seiner zahlreichen Chronisten eine relevante Bedeutung in Hinsicht auf seine Karriere und seinen möglichen frühen Tod bei: Jim ist zufälligerweise der Sohn des eben genannten Admirals George Stephen Morrison.
Und so kommt es, dass — während der Vater Teil einer Verschwörung ist, die einen Vorfall kreiert, welcher dazu benutzt wird, einen illegalen Krieg hervorzurufen — der Sohn sich in die richtige Position begibt, um eine Ikone der „Hippies“ und der Antikriegsbewegung zu werden. Daran ist wohl nichts Ungewöhnliches zu finden, denke ich. Es ist, wie Sie wissen, eine kleine Welt. Und es ist nicht so, dass Jim Morrisons Geschichte einzigartig wäre.
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Quellen und Anmerkungen:
(1) „Hier passiert etwas. Was genau es ist, ist nicht klar.“ Aus dem Text des Liedes „For What It’s Worth“, einer 1967-Hitsingle von Buffalo Springfield.