Ristorante Robotico
Wenn wir künftig in Restaurants von Robotern bedient werden, muss das nicht zwangsläufig ein dystopischer Albtraum sein – vielmehr ein Fortschritt zum Wohl aller.
Warum gehen wir an manchen Tagen essen, statt die Mahlzeit selbst zuzubereiten? Sehr pointiert bringt es der Werbeslogan der Restaurantkette „Wienerwald“ zum Ausdruck: „Heute bleibt die Küche kalt, wir gehen in den Wienerwald.“ Darum geht es also: Das aufwendige Zubereiten der Speisen, das Tischdecken, Abspülen und Abtrocknen wird an manchen Tagen gegen gutes Geld an die Gastronomie ausgelagert. Man gönnt sich das Privileg, sich bedienen zu lassen, statt sich kraftraubend selbst zu dienen. Die Gastronomie – das Wort bedeutet, aus dem Altgriechischen hergeleitet, so viel wie „Magenpflege“ – ist hierzulande eine alles andere als unerhebliche Branche. Mehr als eine Million Menschen sind in diesem Gewerbe tätig. Neben dem monetären Aspekt kann der Gedanke bedrücken, dass andere Menschen dafür schuften mussten, dass man selbst einen schönen Brunch, ein schmackhaftes Mittagessen oder einen guten Abend hatte. Selbst im Fall, dass Köche und Kellner relativ gut bezahlt werden, ist der Preis dafür ein starker Verschleiß, bedingt durch Stress, körperliche Anstrengung und ungünstige Arbeitszeiten. Wäre es in Zeiten zunehmender Automatisierung da nicht naheliegend, diese schweißtreibende Arbeit an die Robotik und die künstliche Intelligenz auszulagern? Bei diesem Gedanken dürften sich wohl diejenigen, die der vierten industriellen Revolution ablehnend gegenüberstehen, vor Schreck verschlucken. Es wäre irritierend bis schwer verstörend, nicht mehr von einem echten Menschen bedient zu werden – zunehmende Entfremdung würde gegen diese Idee ins Feld geführt werden. Unter den richtigen Rahmenbedingungen allerdings wäre eine Automatisierung des Gastronomiegewerbes ein großer, positiver Schritt für die Menschheit.
Von dem höflichen „Buon giorno“, mit welchem wir „beim Italiener“ empfangen werden, sollten wir uns nicht beirren lassen. Die vorgetragene Lockerheit und Leichtigkeit ist lediglich Fassade. Blicken wir – etwa beim Gang zur Toilette – in den Küchen- oder auch nur in den Barbereich, dann sehen wir, dass sich hinter dem Schleier Stress und Hektik verbirgt. Köche hetzen zwischen den Küchenzeilen umher, mit voller Wucht wird auf die Klingel geschlagen, wenn eines der Gerichte fertig ist, und Kellner zicken sich gegenseitig an. An Feiertagen ist komplett Land unter.
Das Arbeiten in der Gastronomie ist ein Knochenjob. Er war es immer und wird es naturgemäß immer bleiben. Mit Sicherheit haben technische Erfindungen wie die Spülmaschine, Induktionsherde oder digitale Abrechnungs- und Kassensysteme den Ablauf erheblich erleichtert. Doch wie der Soziologe Hartmut Rosa herausgearbeitet hat, führt die Beschleunigung der Abläufe nicht allein dazu, dass ein gleichbleibendes Pensum an Aufgaben schneller abgearbeitet wird, sondern dass die Anzahl der Aufgaben entsprechend dem Grad der Beschleunigung ausgeweitet wird. (1) Auf die Gastronomie bezogen bedeutet das: Konnte ein Gastwirt im 19. Jahrhundert ohne elektronisches Kassensystem und Spülmaschine pro Tag 50 Gäste bedienen, so kann ein Gastwirt dieser Tage dank der genannten Technik 150 Gäste bedienen.
Die Technik, die dem Menschen nur beisteht statt ihn zu ersetzen, reduziert nicht die Aufgabendichte, im Gegenteil, sie steigt tendenziell, einhergehend mit erhöhten Stress, da das Mehr an bewältigbaren Aufgaben nun zu vollbringen ist.
Im Nachfolgenden sollen nun Überlegungen angestellt werden, inwieweit Automatisierung, Robotisierung und Künstliche Intelligenz (KI) diesen Bereich zu Gunsten der Menschheit revolutionieren könnten. Machen wir uns nichts vor: ChatGPT und Snicklink-Videos sind nur der Blitz, der dem Donner vorausgeht. Die KI wird unser gesamtes Gesellschaftsgefüge in den Grundfesten umstrukturieren und einen Großteil der Arbeit von uns Menschen abnehmen. Der Weg hin zu einer Post-Leistungsgesellschaft ist geebnet. Und freilich gibt es direkt eine vom World Economic Forum (WEF) ersonnene Hölle, in der wir „nutzlosen, hackbaren Menschen“ (Yuval Noah Harari), die „Madenmenschen“ (Dr. Seuch), ein elendiges, mit Computerspielen und Drogen sediertes Dasein fristen. Aber das ist nur eine der denkbaren Varianten. Wir dürfen bei der Vielzahl an Drohszenarien nicht das unermesslich emanzipatorische Potenzial dieser Gigant-Technologie übersehen. So wie es die KI vermag – so sie sich in falschen Händen befindet – uns zu versklaven, so kann sie – nutzen wir sie zu unseren Gunsten – uns zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit die Vorzüge, die Bequemlichkeit und zuweilen auch den Luxus der Zivilisation ermöglichen, allerdings ohne dass dafür Menschen ausgebeutet werden müssen.
Zunächst sei hier ein Modell eines automatisierten und robotisierten Restaurants skizziert. Danach beschäftigen wir uns mit den inneren Widerständen, die viele kritischer Beobachter des Zeitgeschehens angesichts eines solchen Modells empfinden könnten.
Das Ristorante Robotico
Das Ristorante Robotico unterscheidet sich von außen im Grunde genommen gar nicht von den Restaurants der „alten Welt“. Entscheiden Sie selbst, ob sie sich nun ein italienisches, ein griechisches, indisches, äthiopisches, oder asiatisches Restaurant vorstellen wollen, einen Fast-Food-Laden, einen bayerischen Braukeller oder ein 50er-Jahre-Retro-Dinner in einem Restaurant mit roten Ledersitzen.
Sie betreten die Tür und werden zunächst von einem Automaten empfangen. Auf einem Tresen liegen zahlreiche Restaurant-Chipkarten in der Größe und des Formats von Kreditkarten. Jeder Gast nimmt sich vor Betreten des Lokals eine solche anonyme Karte und steckt diese in den Schlitz des Automaten. Anschließend laden Sie die Karte mit einem Geldbetrag sowie einer Zahlungsmethode Ihrer Wahl auf. Sie können die Restaurantkarte selbstverständlich mit Ihrer EC-Karte, Ihrer Kreditkarte, dem Smartphone, der Smartwatch, oder auch – Gott bewahre, dass wir da nicht hinkommen (!) – mit Ihrem implantierten RFID-Chip aufladen.
Möchten Sie verständlicherweise anonym bleiben und verhindern, dass die Daten über ihren Restaurantbesuch bei Big Data landen, können Sie die Restaurantkarte auch mit Bargeld, spezifischen Regionalwährungen oder unterschiedlichsten Kryptowährungen aufladen. In manchen auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Restaurant könnte dieses Zahlungsmodell dahingehend ausgeweitet werden, dass die Karte auch mit Abgabe geretteter Lebensmittel aufgeladen werden kann. So oder so wird selbst bei elektronischer Zahlung nur erfasst, dass Sie in dem Restaurant zu Gast waren. Die Karte dient folglich allein der Abbuchung der vorab eingezahlten Geldbeträge. Was Sie davon bestellen, wird datentechnisch nicht erfasst. Sie können sich theoretisch fünf Mai Tais bestellen, ohne dass Ihre Krankenversicherung aufgrund zu erwartender Leberschäden den Mitgliedsbeitrag erhöht.
Nachdem Sie Ihre Karte aufgeladen haben, betreten Sie den Restaurantbereich. Nirgends herrscht Hektik. Die Getränke und Speisen werden entweder auf Fließbändern – vergleichbar mit dem Modell „Running Sushi“ –, von auf Bodenschienen fahrenden Robotern oder von unterhalb der Decke verlaufenden Kransystemen zu den jeweiligen Tischen transportiert. Zweiteres ist mit Bewegungssensoren, Warntönen et cetera technisch so weit ausgeklügelt, dass Zusammenstöße mit Gästen absolut vermieden werden können.
Sie nehmen an einem Tisch Ihrer Wahl Platz. In der Tischplatte ist je Sitzplatz ein Touchscreen-Monitor eingebaut, auf welchem sich die Speisekarte befindet. Im Gegensatz zur analogen Speisekarte können Sie durch das Anklicken des jeweiligen Menüs spezifischere Informationen zu den jeweiligen Speisen erhalten, sich über etwaige Unverträglichkeiten, Herkunft der Zutaten et cetera informieren. Der Vorzug der digitalen Speisekarte liegt aber in erster Linie darin, dass Sie die Bestellung unmissverständlich ganz nach Ihren individuellen Wünschen aufgeben können, sodass die Cocktails und Speisen nach passgenauer Präferenz gemischt, gewürzt und gebraten werden können.
Nachdem Sie Ihre Bestellung zur Bestellliste hinzugefügt haben, drücken Sie auf dem Screen einen Button mit der Beschriftung „Bestellung aufgeben“. In einem Zwischenschritt wird Ihnen der abzubuchende Betrag angezeigt. Nachdem Sie die Bestellung geprüft haben, drücken Sie auf „bestellen“ und legen hierzu Ihre Restaurantkarte auf eine neben dem Speisekartenscreen befindliche Scanfläche. Ein leises Piepsen bestätigt den Abbuchungsvorgang.
Denkbar wäre darüber hinaus, dass auf dem Speisekartenscreen ein Timer Auskunft darüber gibt, in wie vielen Minuten und Sekunden die Getränke und Speisen geliefert werden. Das hängt jedoch davon ab, ob eher das Analoge oder das Digitale in diesem Restaurant kultiviert wird. Ein solcher Timer beansprucht naturgemäß die Aufmerksamkeit der am Tisch sitzenden Gäste und trägt selbstredend nicht gerade zu einer besinnlichen Einkehr bei. In einer durchgetakteten Welt sind es doch gerade die Restaurant-Besuche, die uns für wenige Stunden einmal die Zeit vergessen lassen. Das ungeduldige Starren auf einen ablaufenden Timer und/oder einen sich verkleinernden Zeitbalken führt eher zu Stress denn zu einem Sich-Fallen-Lassen und dem Belohnt-Werden durch den freudigen Anblick, wenn sich das Tablett mit Trank und Speise auf den Tisch zubewegt.
Ein solcher Servier-Countdown ist der bekanntlich größten Freude, der Vorfreude, nicht zuträglich. Es könnte jedoch Bedarf nach solchen Timern bestehen, gerade weil wir Menschen der westlichen und asiatischen Zivilisation in den letzten Jahren so enorm darauf geeicht wurden, jede Unwägbarkeit durch eine Gewissheit zu ersetzen oder zumindest durch die Illusion derselbigen. Zugleich wären Modelle denkbar, bei denen sich nach Aufgabe der Bestellung der Speisekartenscreen verdunkelt und ein Schutzdeckel – vielleicht sogar in Farbe und Material des Tisches – darüber gezogen oder geklappt wird, sodass die Tischfläche für Getränke und Speisen frei liegt und die Konversation zwischen den Gästen nicht durch die ablenkende Wirkung der Screens gestört wird.
Direkt nach Aufgabe der Bestellung wird in der Küche – die mehr einer Fabrik gleicht – ein rasch ablaufender Prozess in Gang gesetzt, bei dem aus Zutatenfächern, die in Sachen Temperatur und Verderblichkeitserkennung perfekt kalibriert sind, die jeweiligen Gerichtsbestandteile in Topf und Pfanne mit der Präzision und Perfektion zubereitet werden, wie es kein Koch vermögen würde. Ganz zu schweigen davon, dass Haare in der Suppe fortan der Gastro-Geschichte angehören würden. Hier brennt nichts an, wird zu kurz gedünstet, oder ähnliche Fehler fabriziert. Das Gericht und die Getränke werden in schnellstmöglicher Zeit und in bestmöglicher Form zubereitet.
Nach Fertigstellung werden die Speisen über die drei oben genannten Transportwege zu dem jeweiligen Tisch transportiert. Der Vergangenheit gehören nervenzehrende Balanciermanöver an, bei denen Kellner mit einer Hand ein Tablett mit zehn Getränken zum Tisch transportieren, stets der Gefahr eines Zusammenstoßes ausgesetzt, der zur Folge hat, dass sich über die Gäste eine Mischung aus Weißbier, Rotwein, Cola und Scherben ergießt. Welche Entlastung solche Serviermethoden mit sich bringen, wird überdeutlich, wenn man sich diese Technologie in Bierzelten beim Transport von Biermaßkrügen vorstellt.
Ein durchaus praktisches Feature könnte es für die skurrile Gattung jener Restaurantbesucher geben, bei denen offensichtlich – anders als üblich – der Magen nur mitisst, der Genuss jedoch primär über den Sehnerv erfolgt. Mit dieser Gattung gemeint sind jene Food-Porn-Fetischisten, die selten eine warme Mahlzeit im Magen haben, da sie nach Erhalt ihrer Speisebestellung so lange damit beschäftigt sind, ihr Essen abzufotografieren, auf Instagram mit Filtern zu versehen und mit entsprechenden Hashtags zu bestücken, dass bis zum ersten Gabelstich das Essen längst kalt geworden ist. Damit diese Menschen mit ihrem seltsamen Mitteilungsbedürfnis endlich wieder in den Genuss einer warmen Speise kommen, könnte als Zusatzleistung die Vorabfotografie der bestellten Speise durch den Servier-Roboter aus verschiedenen Kamerawinkeln dazugebucht werden. Durch das Hinterlassen einer Mailadresse können die Bilder direkt auf das Smartphone versendet werden, sodass nach dem Serviervorgang das Essen sofort genossen werden kann und auch „normale“ Mitgäste nicht auf ihre Food-Porn-Fetischisten-Freunde am Tisch warten müssen, bis diese ihre Speise perfekt abgelichtet haben.
Gesetzt den Fall, dass wir in der weiteren Betrachtung nun ein Ristorante Robotico skizzieren, welches das Analoge kultiviert, so sehen wir hierbei zugleich den Vorzug einer maschinellen Bedienung. Das Gespräch der Gäste wird nicht durch die Bedienung unterbrochen, kein unangenehmes Schweigen entsteht, wenn der Kellner über eine Minute hinweg Getränke und Speisen auf dem Tisch verteilt, Gespräche mit diskreten oder sensiblen Inhalten müssen nicht unterbrochen werden und die Zweisamkeit eines Rendezvous erfährt keine Störung. Als Restaurantbesucher ist man unter sich, und es kommt nicht zu unangenehmen Situationen, wenn etwa die Kellner fragen, ob man zufrieden sei, und man als Gast im Falle des Gegenteils entweder gequält grinsend lügt oder man sich eine ehrliche Antwort nicht verkneifen kann. Feedback zur Qualität der Speise kann einfach über die Vergabe von Sternen auf der digitalen Speisekarte gegeben werden, ohne dass ein Koch dadurch gekränkt wird. Der Koch-Roboter nimmt eine negative Rückmeldung mangels Gefühle nicht persönlich, sondern lernt dadurch einfach nur, es beim nächsten Mal besser zu machen.
Ganz allgemein ist das Ristorante Robotico durch Ungezwungenheit charakterisiert. Nachdem Sie fertig sind, können Sie einfach aufstehen und gehen. Sie haben ja schon direkt mit ihrer Restaurantkarte bezahlt. Am Aus- beziehungsweise Eingang können Sie sich am besagten Automaten das nicht verbrauchte Restgeld in einer monetären Form Ihrer Wahl wieder auszahlen lassen. Es stellt sich nicht mehr die Frage, ob es in diesem jeweiligen Land eine Gepflogenheit ist, Trinkgeld zu geben. Der Sie bedienende Roboter ist im Gegensatz zu einem menschlichen Kellner nur ein gefühlloses Ding, welches keiner Würdigung bedarf.
„Der Gerät wird nie müde.“
Vielen dürfte angesichts des oben skizzierten Gastronomie-Konzepts gründlich der Appetit vergangen sein. Manche mögen sich gar fragen, ob der Autor dieser Zeilen, der sich solche Modelle ausdenkt, vom WEF bestochen wurde, um solch abartige Ideen im Bereich der freien Alternativmedien salonfähig zu machen. Ich kann Ihnen an dieser Stelle versichern: Ich wurde nicht von der Klaus-Schwab-Clique bestochen, weder mit Geld noch mit einer Riesenpackung hochwertiger Insekten-Proteinriegel.
Es soll hier überhaupt nicht darum gehen, einer Great-Reset- oder einer UN-Agenda das Wort zu reden, sondern vielmehr darum, die uns potenziell unterdrückenden Werkzeuge an uns zu reißen und uns mit deren Hilfe zu emanzipieren. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass die Vorstellung befremdlich ist, sich in einem Restaurant von einem Roboter statt von einem Kellner aus Fleisch und Blut bedienen zu lassen. Der am häufigsten angeführte Einwand dürfte wohl der sein, dass ein Restaurant-Besuch zu etwas sehr Unpersönlichem wird. „Wo bleibt der menschliche Austausch?“, mögen viele fragen. Gerade im Bereich der Theken ist für viele, vor allem ältere und vereinsamte Menschen der Kontakt zum und der Austausch mit dem Barkeeper essenziell.
Gehören Sie, liebe Leser und Leserinnen, vielleicht auch zu jenen Menschen, denen daran gelegen ist, in Cafés, Kneipen und Restaurants weiterhin von echten Menschen bedient zu werden? Hier die Gegenfrage: Wären Sie auch bereit, ebendiesen Job zu übernehmen?
Selbst andere Menschen zu bedienen, so wie Sie als Gast bedient werden möchten? Möchten Sie das? Mit allem, was dazugehört? Bis in die Morgenstunden wach bleiben und die Kassenabrechnung machen? Sich die Beine platt treten? Stundenlang schwere Tabletts schleppen? Sich von unfreundlichen Gästen anschnauzen lassen? Möchten Sie das? Ja? Oder eher ... nein?
Im Falle letzterer Antwort stellen Sie sich doch bitte die Frage, ob es den Menschen, die Sie bewirten, vielleicht ähnlich geht? Sie möchten also in einer Art und Weise bedient werden, wie Sie es selber nicht bereit wären zu tun?
Halten wir also fest, dass dieses gewisse Etwas eines „vermenschlichten“ Restaurantbesuchs immer auch den Preis hat, dass wiederum andere Menschen ihre Lebenszeit und Energie dafür aufopfern müssen. Freilich wird es zahlreiche Gastwirte, Barkeeper und Kellner in Kult-, Familien- und Traditionsbetrieben geben, die diesen Beruf leidenschaftlich und mit Herzblut betreiben. Doch in den allermeisten Fällen dürfte das Arbeiten in der Gastronomie der wirtschaftlichen Notwendigkeit zum Bestreiten des Lebensunterhalts entspringen. Bestünde für die meisten Menschen in der Gastronomie nicht die finanzielle Notwendigkeit zum Geldverdienen – sie würden ihr Leben mit Gewissheit anders gestalten. Würden sie das tun, dann wären wir sehr bald um einen Großteil der Gastronomie-Betriebe ärmer. Es sei denn, die Branche geht dazu über, diesen Ablauf – größtenteils – zu automatisieren. Damit kämen wir in den Genuss der Gastronomie, ohne andere Menschen für uns schuften lassen zu müssen.
Wer die Entfremdung als Gegenargument zur Automatisierung der Gastronomie anführt, sollte sich darüber hinaus die Frage stellen, ob diese Entfremdung nicht schon hinlänglich stattgefunden hat oder aber in der jüngsten Vergangenheit ohne weiteres hingenommen wurde. In den Jahren 2020 und 2021 war es ein ganz natürliches Bild in Restaurants, dass Kellner mit blauen OP-Masken die Speisen servierten. Dolce Vita verschmolz mit der Intensivstation. Wäre es da nicht weniger befremdlich gewesen, sich von einem Roboter bedienen zu lassen?
Ganz generell menschelt es immer weniger zwischen Kunden und sogenanntem „Servicepersonal“. Das lässt sich ganz deutlich bei Jugendlichen und Heranwachsenden beobachten, die Kassierer, Lieferdienstangestellte und eben auch Kellner kaum noch eines Blickes würdigen, sondern sprach- und achtlos die EC-Karte zum Bezahlen auf das Lesegerät legen und wortlos von dannen ziehen. Das ist eine tiefgreifende Verschiebung unserer Vorstellung von Sittlichkeit, die sich so schnell nicht rückgängig machen lässt. Wenn also die als „Servicepersonal“ angestellten Menschen schon nicht sonderlich menschlich behandelt werden – von der Bezahlung mal ganz abgesehen –, dann könnten sie genauso gut durch Roboter ersetzt werden.
Die Übertragung weiterer Arbeitsfelder an die KI und die ihr angeschlossene Robotik – nicht nur in der Gastronomie – kann sogar dazu beitragen, dass das im Verschwinden begriffene Menschliche neu gedeihen kann.
Wenn wir über das Ristorante Robotico sprechen, dann müssen wir diese Konzepte nicht im Absoluten denken. Ein Ristorante Robotico muss nicht allein von Robotern betrieben werden; selbstverständlich sind Hybridmodelle nicht nur denkbar, sondern sogar die gangbarste Variante. Denken Sie an die oben aufgeführte technologische Entwicklung in der Gastronomie: Die Erfindung der Spülmaschine ermöglichte es, dass weniger Arbeitskraft beim Abwaschen und beim Trocknen des Geschirrs gebunden war. Und wie von Hartmut Rosa abgeleitet, führte das wiederum dazu, dass das gleichbleibende Arbeitspensum für die Bedienung von noch mehr Gästen aufgewendet wurde, statt eine Entlastung mit sich zu bringen. Bei der KI und der Automatisierung stellt sich die Entlastung anders dar als etwa bei der Spülmaschine. Die Spülmaschine ist kein technologischer Kollege, sondern ein technisches Hilfsmittel, welches dem Gastronomie-Personal Arbeit abnimmt, damit dieses im Gegenzug noch produktiver bei der Bedienung der Gäste sein kann. Die Automatisierung hingegen vermag es, den Köchen und Kellern alle Aufgaben abzunehmen, die von Stress und Hektik geprägt sind, da die in diesem Prozess integral eingebundenen Roboter als hypereffektive Kollegen, als unermüdliche, unendlich belastbare, gefühllose Laufburschen fungieren.
Ein Hersteller eines Döner-Roboters brachte es einmal mit ganz schlichten Worten auf den Punkt: „Der Gerät wird nie müde. Der Gerät schläft nie ein.“
Was folgt daraus? Weniger Arbeit für den einzelnen Menschen, die wiederum auf mehr Menschen aufgeteilt werden kann. Statt zehnstündige Schichten zu schieben, können sich vier Barkeeper auf je 2,5-stündige Schichten aufteilen und mit wahrhaftiger Gelassenheit ihre Gäste an der Theke bedienen, ihnen auch mal länger zuhören, sich Zeit nehmen, da – den Robotern sei Dank – keine Hektik mehr besteht. All die kräftezehrende Arbeit schultern die Roboter, während die schönen, menschenwürdigen Aufgabenfelder den Menschen vorbehalten bleiben, die diese in verträglichen Arbeitszeiten in ebenso erträglicher Ruhe verrichten können.
Diese Hybridmodelle würden es leidenschaftlichen Gastronomie-Mitarbeitern ermöglichen, weiter in den Betrieben zu arbeiten, die sie mit Herzblut betreiben und die sie nicht vollends den Maschinen überlassen wollen. Hingegen wären all jene Menschen von dem Joch der Gastro-Schufterei befreit, die dies einzig und allein deswegen tun, um über die Runden zu kommen.
Gedanklicher Nachtisch
Die hier vorgestellten Grundrisse einer automatisierten Gastronomie sind genau das: Grundrisse. Hier wurde lediglich in groben Zügen skizziert, wie in naher Zukunft eine Gastronomie aussehen könnte, in der wir Menschen die Vorzüge eines Restaurant-Besuches genießen können, ohne andere Menschen dafür schuften lassen zu müssen.
Im Rahmen dieses kurzen Beitrags konnte nicht erörtert werden, wie weit die Technologie gediehen ist, um das hier vorgestellte Konzept in der Realität umzusetzen. Gewiss ist, dass die Entwicklung sowohl der Roboter-Motorik als auch die Lernfähigkeit der KI schon lange große Sprünge macht und dies auch weiterhin tun wird. Rein technisch gesehen sind solche Gastronomie-Konzepte in greifbarer Nähe.
Auf die hier ausformulierten Gedanken und Konzepte aufbauend wären weitere Fragen zu stellen, etwa die Frage nach den Besitzverhältnissen: Wem gehören dann diese Restaurants? Müssen die Roboter besteuert werden? Ist ein gemeinschaftlicher beziehungsweise genossenschaftlicher Betrieb solcher Restaurants denkbar? Wie kann diese Robotisierung nachhaltig gestaltet werden? Schließlich bedarf es auch hier der Verwendung seltener Erden. Wie kann die lokale Landwirtschaft eingebunden und wie verhindert werden, dass es sowohl im Bereich der Lebensmittelproduktion, der Distribution und der Restaurants zu Monopolbildungen kommt?
Und dem Themenfeld der Gastronomie übergeordnet stellt sich selbstredend die Frage, wo das Geld herkommt, welches die Gäste im Ristorante Robotico ausgeben. Denn schließlich dürften auch die meisten von ihnen im Zuge des KI-Vormarsches ihre Lohnarbeit verlieren. Wo kommt dann das allen Menschen zur Verfügung stehende Geld her? Von einem wahrhaftigen oder nur scheinbar bedingungslosen Grundeinkommen?
Alles in allem wird jeder Bereich der Gesellschaft in den nächsten Jahren und Jahrzehnten umgekrempelt werden. Der Bereich der Gastronomie wird in diesem Prozess keine Ausnahme darstellen. Wir können entweder tatenlos zusehen, wie korporatistische Strukturen sich diesen Bereich unter den Nagel reißen, wirtschaftlich in den Tod gelockdownte Restaurants aufkaufen und Teil eines Franchise-Einheitsbreies werden lassen, oder wir entwickeln eigene Konzepte dafür, wie eine Gastronomie in unserem Sinne aussehen könnte.
Das Gesprächsformat Fair Talk stellt gebetsmühlenartig die Frage: „Wie wollen wir in Zukunft miteinander leben?“ Das impliziert zugleich die Frage: „Wir wollen wir in Zukunft miteinander essen?“.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Vergleiche Rosa, Hartmut: „Beschleunigung und Entfremdung“, Berlin, 2013, Suhrkamp, Seite 29 Fortfolgende.