Relevante Fragen
Die Krise zwingt uns zu einer Entscheidung darüber, was uns wirklich wichtig ist.
In einer Welt, in der die Zukunft so unsicher ist wie schon lange nicht mehr — zumindest empfindet das der Westen so; der Rest der Welt lebt schon lange mit Unsicherheit und Not — ist alles möglich. Chaos oder Heilung, Ellenbogenhaltung oder Kooperation, eine Verschiebung von der Unipolarität in die Multipolarität… welche Kräfte werden siegen? Wie wird die Welt aussehen, wenn diese Krise überstanden ist? Caitlin Johnstone hat sich mit diesen Fragen beschäftigt und fordert uns auf, diese Krisenzeit zu nutzen: Finde heraus, was wirklich wichtig ist.
Diese Show zurzeit ist irgendwie seltsam. Ich verdiene meinen Lebensunterhalt damit, darüber zu schreiben, was los ist in der Welt, und es gibt sicher viel, worüber man da schreiben könnte. Und doch bin ich mir sehr deutlich des Umstands bewusst, dass alles, worüber ich heute schreibe, bald kleinkariert und unwichtig erscheinen wird.
Wir befinden uns ja ganz am Anfang einer sich entwickelnden Pandemie, die — und hier reicht schon ein Blick auf die Zahlen — die Welt auf ganz schön bedeutsame Art und Weise verändern wird. Weltweit ein Regierungstotalversagen nach dem anderen, eine verpasste Gelegenheit nach der anderen scheinen uns auf eine Zielgerade in überlastete Gesundheitssysteme, einen gravierenden wirtschaftlichen Abschwung und natürlich ein Massensterben gebracht zu haben.
Vielleicht auch ins Chaos. Vielleicht auch in die Heilung. Und vielleicht am Ende auch in eine völlige Umstrukturierung von Macht und der Art und Weise, wie wir die Dinge anpacken.
Wie soll ich, wenn ich an diesem Abgrund stehe, darüber schreiben, ob Bernie in der letzten Debatte nicht hart genug gegen Biden vorging oder so? So viele der Argumente, denen wir in letzter Zeit so große Bedeutung beigemessen haben, könnten in ein paar Wochen völlig irrelevant erscheinen.
Wie auch immer — hier folgen neun Gedanken zu COVID-19 und was da auf uns zukommt.
Niemanden in Gefahr bringen
Erstens: In verschwörungstheoretischen Kreisen weiß jeder ganz genau, was da gerade los ist — also wird was auch immer ich zu diesem Thema sage, eine Menge Widerspruch aus diesem oder jenem Lager ernten. Das ist in Ordnung. Meiner Meinung nach sind die Sorgen dahingehend, dass die herrschende Klasse diese Gelegenheit nutze, um bereits ausgearbeitete autoritäre Agenden voranzutreiben, wohl begründet. Die Leute liegen richtig, wenn sie dem offiziellen Narrativ zur Herkunft des Virus misstrauen — wenn man jedoch immer noch sagt, dass das Ganze von vorne bis hinten erstunken und erlogen und es einfach nur eine weitere Grippe ist und damit kein Problem, wird man durch Fakten und Beweise eines Besseren belehrt.
Die Menschen sollten soziale Kontakte auf ein Minimum beschränken, um eine Überlastung der Gesundheitssysteme und damit den Tod anderer Menschen zu vermeiden. Egal, wie sicher Sie sind, dass dies alles nur „Fake“ ist: Sie sind nicht sicher genug, um zu rechtfertigen, Leben unnötig in Gefahr zu bringen.
Zensur
Zweitens: Youtube, das Google gehört, hat gerade angekündigt, man werde während der Pandemie noch viel mehr Videos zensieren und sich dabei auf eine automatisierte Zensur verlassen, da man die Anzahl der anwesenden Angestellten in den Büros minimiere. Dabei wurden keinerlei Anstalten unternommen, zu erklären, warum YouTube-Mitarbeiter das Material nicht im Home-Office durchsehen können. Dies sollte man im Auge behalten — wenn in diesen Zeiten umfassende autoritäre Maßnahmen eingeführt werden, wird eine zunehmende Zensur des Internets wahrscheinlich der erste Schritt in diese Richtung sein.
Ab in die Katastrophe
Drittens: Ich glaube, dass dies die USA leider härter als die meisten anderen Länder treffen wird. Man kombiniere diesen Witz von einem Gesundheitssystem mit einem Präsidenten, der bis zum heutigen Tage die Bedrohung durch dieses Virus heruntergespielt hat, sowie mit der Tatsache, dass die Mehrzahl der US-Bürger in Zeiten zunehmender Entlassungen bei gleichzeitiger chronischer Nicht- oder Unterversicherung keine Notfallausgaben von 1.000 US-Dollar stemmen können. Dazu noch die Unmöglichkeit, große Unternehmen dazu zu bringen, etwas zu tun, das ihre Profitmargen schmälern könnte; und die Kultur eines ruppigen Individualismus mit reflexartigem Widerwillen gegen kollektive Organisationsformen zum Wohle aller sowie eine hochreligiöse Bevölkerung, deren Prediger ihren unterversicherten Gemeindemitgliedern sagen, sie sollten ihren Glauben dadurch unter Beweis stellen, dass sie sich in ihren riesigen Kirchen treffen und allen die Hände schütteln. Voilà — die besten Voraussetzungen für eine Katastrophe.
Schützen Sie sich bitte bestmöglich.
China auf der Überholspur
Viertens: Währenddessen ist China dabei, die Pandemie dort erfolgreich unter Kontrolle zu bringen. Die Regierung hat ihre Fähigkeit bewiesen, in erstaunlicher Schnelle Krankenhäuser hochzuziehen und brandneue technische Lösungen zu kreieren sowie natürlich die Bewegungsfreiheit der Öffentlichkeit zu beschränken, sobald sie dies für notwendig hielt. Nun ist Peking auf dem Weg dahin, weltweit die Führungsrolle bei der Bekämpfung der Pandemie einzunehmen und dabei Länder zu unterstützen, die sonst nirgendwo Hilfe finden — wie Italien und Serbien.
Fünftens: Die USA wurden zu einer Supermacht, als konkurrierende Nationen im Wiederaufbau nach zwei verheerenden Weltkriegen feststeckten, während sie selbst unbehelligt blieben. Dadurch war es ihnen möglich, an den anderen vorbeizuziehen und sich an der Spitze zu etablieren. Wie wir hier schon öfter erörtert haben, stand China schon lange in den Startlöchern, die USA als dominante Weltmacht zu überholen — es ist also möglich, dass wir sehen werden, wie Chinas relativer Erfolg und das relative Scheitern der USA an dieser Front einen ähnlichen Impuls darstellt wie der, den die USA aufgrund der beiden Weltkriege erhalten haben. Es ist sehr wahrscheinlich, dass China seiner Agenda der Schaffung einer multipolaren Welt bedeutend näher sein wird als vorher.
Antichinesische Propaganda
Sechstens: Und natürlich sind sich die USA dieser Bedrohung bewusst. Deswegen bekomme ich auf meinen Social-Media-Seiten gerade haufenweise Geblöke von propagandahörigen menschlichen Herdentieren zu hören — des Inhalts, dass China der Neueste Offizielle Böse Bube sei, bei dem ich unbedingt vom Schlimmsten ausgehen müsse. Ein sterbendes Imperium weiß, dass es drastische und gefährliche Maßnahmen ergreifen muss, um sich im Angesicht eines erstarkenden Kontrahenten die Weltherrschaft zu sichern— und es weiß, dass es für diese drastischen, gefährlichen Maßnahmen Zustimmung erschleichen muss.
Dem Mainstream-Bewusstsein wird in letzter Zeit immer aggressiver antichinesische Propaganda eingeflößt — vor allem in rechten, aber auch in liberalen Echokammern — Joe Biden verglich die chinesische Regierung erst letzte Nacht (am 15. / 16. März; Anmerkung der Übersetzerin) mit Jack the Ripper.
In der Folge dreht nun das westliche Fußvolk wegen China durch — als spiegele sich die Russland-Hysterie von Ende 2016, Anfang 2017 in einem „rechten“ Spiegel. Die hysterischen Antichina-Äußerungen online haben in den letzten ein, zwei Wochen stark zugenommen; einer Umfrage von Anfang dieses Monats ist zu entnehmen, dass die Stimmung gegen China in den USA so negativ ausgefallen ist wie seit zwanzig Jahren nicht — und ich wette, dass es bei einer heutigen Umfrage noch deutlich schlimmer wäre.
Die Menschen empören sich gerade ununterbrochen darüber, wie autoritär die chinesische Regierung sei, was dumm ist, weil China schon immer eine autoritäre Regierung hatte. Daran hat sich nichts geändert; was sich verändert hat, ist die Steuerung des Narrativs — mit krassen Justierungen wie zum Beispiel, dass die Massenmedien über die Proteste in Hongkong weit umfassender berichten als über die Antiregierungsdemonstrationen in Ländern wie Frankreich, die auf Linie des US-Imperiums sind.
Darauf herumzureiten, wo das Virus nun herkam, ist irrelevant und dient nicht dazu, dich vor dem Virus zu schützen — es soll China einfach schlecht aussehen lassen.
China stellt heute keine größere Bedrohung für dich dar als vor zwei Jahren — was sich verändert hat, ist einzig, dass dir nun Narrative, wie bedrohlich es sei, eingehämmert werden. Wenn sich Massenmedien gemeinsam auf eine Nation stürzen, die vom Imperium ins Visier genommen wird, ist das nie etwas Gutes.
China ist ein schlafender Riese. Lass‘ ihn schlafen; wenn er nämlich aufwacht, wird er die Welt erschüttern (Napoleon Bonaparte).
Die USA — so zerstörerisch wie ein Virus
Siebentens: Es ist interessant, wie sehr sich das Virus, das möglicherweise die mächtigste Regierung der Welt vom Thron stürzt, genau wie eben diese Regierung verhält: es dominiert das Weltgeschehen und tötet die schutzbedürftigsten Bürger jener Völker, die es angreift.
Nationen, die bereits durch US-Sanktionen schwer getroffen sind, mussten schon mit ansehen, wie ihre Schwachen und Alten aufgrund unzureichender medizinischer Versorgung und Mangelernährung sterben. Mit dem Coronavirus erleben sie dasselbe, nur potenziert. Deswegen trifft es Länder wie den Iran so extrem hart. Wäre COVID-19 ein Land, so wären dies die USA.
Wenn Unmögliches plötzlich möglich wird oder:
Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Es hapert halt oft am Willen.
Achtens: Die Reaktion der Menschen auf die Art und Weise, wie viele der Unternehmens- und Regierungsmaßnahmen, die großes Leid über gewöhnliche Menschen gebracht haben, nun weltweit (1, 2) wegen der Pandemie aufgehoben werden, ist ebenfalls interessant.
Dieser Artikel im Slate zählt die Veränderungen auf, die in den USA bereits vollzogen wurden. So ist beispielsweise „San Antonio eine der vielen Gerichtsbarkeiten, die verkündet haben, damit aufzuhören,“ Menschen wegen kleiner Vergehen ins Gefängnis zu werfen, „um damit zu verhindern, dass Gefängnisse mit kranken Bürgern überfüllt sind. Warum haben sie überhaupt erst damit angefangen?“ Oder wie „Trump seine Regierungsbehörden, die Darlehen vergeben, angewiesen hat, aufgelaufene Zinsen für die Dauer der Krise zu erlassen. Warum um alles in der Welt aber verlangt unsere Regierung überhaupt Zinsen von ihren Bürgern?“
Wir sehen, wie den Menschen riesige Lasten abgenommen werden — mit einem schlichten „Oh, das macht die Pandemie schlimmer? Also gut, wir hören auf damit.“ Und dann erleben wir Menschen, die mit gerechtfertigter Empörung darauf reagieren: „Warum habt ihr mir das überhaupt jemals angetan?“
Die Antwort ist sehr einfach — weil bis jetzt Dein Leiden nicht einen Virus verschärft hat, der keinen Unterschied zwischen den Gesellschaftsschichten macht. Politiker und Milliardäre sind genauso gefährdet, ihr Leben und ihre Lieben an diesen Virus zu verlieren wie jeder andere auch — wie zum Beispiel der Vorstandsvorsitzende der Universal Music Group erfahren musste, als er wegen COVID-19 ins Krankenhaus eingewiesen wurde. Einfach nur kein unnötiges menschliches Leid zu verursachen, war nicht genug Grund dafür, damit aufzuhören, Menschen zu erdrücken — das menschliche Leid musste buchstäblich erst an ihrer Tür erscheinen, damit sich etwas ändert.
Was wirklich wichtig ist
Neuntens: Ich denke schon lange, dass es großartig wäre, wenn die Welt nur für eine Minute ein Nickerchen machen könnte. Der Kapitalismus wurde auf der Glorifizierung der Geschäftigkeit erbaut. Wir werden merken, wie viel Arbeit wir von zu Hause aus erledigen können, wie viele Jobs nur Geschäftigkeit sind, wie viele Tätigkeiten wir zusammenfassen oder ganz abschaffen können und wie viele Arbeitsplätze tatsächlich schädlich sind.
Ein ganz großer Teil der Jobs hat nichts damit zu tun, uns zu füttern, uns ein Dach über dem Kopf zu verschaffen oder uns zu pflegen, sondern damit, den Leuten zu zeigen, wie defizitär sie angeblich sind und dass sie ein Schlangenöl-Elixier mit Placebo-Effekt brauchen, um sich besser zu fühlen. Die Religion ist ein solcher Bereich; Werbung, Marketing und die meisten Medien auch. Wenn wir die Wirtschaft umgestalten, könnten wir diese alle abschaffen und die ganze kreative Energie in gesunde Dinge einfließen lassen.
Zuerst jedoch müssen wir uns alle von diesen seelenvertrocknenden Aktivitäten erholen. Dies zu tun, während wir uns Sorgen darüber machen, dass wir unsere Miete und unsere Rechnungen nicht zahlen können, ist nicht ideal, aber machen Sie es so, wie meine Mutter immer sagt: kümmere dich um die Dinge, die du verändern kannst, und überlasse die Dinge, die Du gerade nicht verändern kannst, den Vögeln. Überlasse die Rechnungen den Vögeln. Wir werden schon eine Lösung finden — das tun wir immer.
Aber jetzt bist du sicher und hast alles, was du brauchst. Vergegenwärtige dir das. Sobald du für dich klar hast, dass du zumindest im jetzigen Moment stabil bist, nutze diese Zeit, um so tief wie möglich zu entspannen. Schau dir Stand-up-Comedy an und lache, singe zu YouTube-Karaoke, mache oft tiefe Nickerchen, dusche und bade, schmecke dein Essen bewusst und genieße deine Atmung, gähne und strecke und verhätschle dich und schüttle alles ab.
Du musst jetzt keine Schränke auswischen, ein neues Instrument lernen, dieses Buch lesen oder was auch immer du dir vorgenommen hattest zu tun — jetzt, wo du die Zeit dafür hast. Überlasse deinem Tierkörper die Führung und befreie Dein Gehirn von all dem „sollte“ und „sollte nicht“. Es ist in Ordnung, gar nichts zu tun. Lass dich darauf ein.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „Nine Thoughts On COVID-19 And What’s Coming“. Er wurde von Gabriele Herb aus dem ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://twitter.com/SholaMos1/status/1239636117999300608
(2) https://english.elpais.com/society/2020-03-16/spanish-government-puts-private-healthcare-firms-at-the-orders-of-the-regions.html