Regen
Freundlichkeit verändert uns und die Welt.
Jeder Augenblick ist ewig,
wenn du ihn zu nehmen weißt.
Ist ein Vers, der unaufhörlich
Leben, Welt und Dasein preist.
Alles wendet sich und endet
und verliert sich in der Zeit.
Nur der Augenblick ist immer.
Gib dich hin und sei bereit!
Wenn du stirbst, stirbt nur dein Werden.
Gönn ihm keinen Blick zurück.
In der Zeit muss alles sterben
aber nichts im Augenblick.
(Konstantin Wecker)
Als ich mit der S8 die Brücke nach Mainz überquere, beginnt es gerade zu regnen. Nein, zu gewittern. Es beginnt zu gewittern. Der Himmel öffnet sich und nach Wochen der Hitze fällt neues Leben auf die verbrannte Erde und ausgezehrten Körper und Seelen herab.
Ich überquere den Fußgängerüberweg an der Ampel in Richtung meines Hauses. Von der gegenüberliegenden Straßenseite aus beginnt eine Frau in strömendem Regen einen Sprint auf ihre Seite des Überweges zu. Aber just als ich die Fahrbahn überquert habe, schaltet die Ampel auf Rot. Ich bin hinüber. Sie ist es nicht. Ich habe einen Schirm und schreite voran. Sie steht, ohne Schirm, nun im strömenden Regen am Übergang und wird zunehmend nass.
Nach einigen Metern drehe ich mich um, überlege kurz und kehre dann zu ihr zurück. Ich stelle mich neben sie an die Ampel und halte meinen Schirm schützend auch über sie. „Ach, danke, das ist aber nett“, sagt sie. Und ich erwidere nach einem Moment des Schweigens: „Also, wenn es ihnen nichts ausmacht: Der Schirm ist kaputt und ich muss mir eh einen neuen kaufen. Darf ich ihn ihnen wohl überlassen?“ „Gerne, ja“, antwortet sie.
Und so drücke ich ihr meinen Schirm in die Hand, nicke und gehe weiter meines Weges. Vor der Haustür bleibe ich, den Schlüssel bereits in der Hand, kurz stehen, doch ziehe dann weiter. Und laufe schnurstracks in das sich über die Stadt ergießende Gewitter hinein.
Links und rechts hastet und rennt es. Bloß nicht nass werden!, denken die meisten wohl. Nach ein paar Minuten sind die Straßen fast menschenleer. Nur noch einige Versprengte und Hartgesottene teilen sich die Stadt noch mit mir. Ich trage T-Shirt und kurze Hose. Die Sandalen habe ich in der Hand. Ich tanze ein wenig und pfeife ein Lied, das ich gerade erst am Erfinden bin.
Ein Unbekannter mit Schirm streift meinen Weg. Er hört mich pfeifen und muss lächeln. Einige Zeit später zieht ein Pärchen an mir vorbei. Erst schauen sie auf meine nackten Füße, dann mir ins Gesicht, erneut auf meine nackten Füße. Und dann lächeln sie beide, lächeln mich an.
Das Kopfsteinpflaster in der Altstadt ist feucht und warm. Der Regen benetzt meinen Körper und umspült mir liebevoll die Zehen. Und, Pfützen, ja, die sind mir ein besonderer Genuss. Groß, weich und warm sind sie. Und als ich das fühle, lächele ich schließlich selbst.