Raketen vor der Haustür
Niemand hat es gern, wenn tödliche Waffen in seiner unmittelbaren Nähe stationiert werden — den Russen wollen wir das aber zumuten. Eine Satire.
Die Warschauer-Pakt-Westerweiterung — nie gehört? Natürlich nicht, denn eine solche hat es nicht gegeben. Umgekehrt ist die NATO seit 1989 immer weiter gen Osten vorgedrungen, das Einverständnis der davon Bedrohten einfach voraussetzend. Im Zusammenhang mit dem Ukraine-Russland-Konflikt und allgemein dem West-Ost-Konflikt wurde dieses Argument schon öfters angeführt: Wie würden die USA reagieren, wenn eine fremde Macht Raketen unmittelbar an ihren Grenzen stationierte, welche binnen Minuten in den Großstädten des Landes explodieren könnten? Man mag sich das nicht ausmalen. Sollte man aber, um sich besser in den globalen „Gegner“ einfühlen zu können. Der Autor spinnt diesen Grundgedanken in vielen erhellenden Details weiter.
Aus vertraulichen Geheimdienstquellen wurde bekannt, dass China beabsichtigt, in nächster Zeit ein Verteidigungsbündnis mit einigen südamerikanischen Staaten und Mexiko einzugehen. Als Abwehrmaßnahme gegen einen möglichen Raketenangriff des Iran oder Nordkoreas ist geplant, ein Raketenabwehrsystem an der mexikanischen Grenze zur USA zu stationieren. In Folge sollen dann Mittelstreckenraketen, die mit Atomsprengköpfen ausgerüstet werden können, in das Abwehrsystem einbezogen werden.
Des Weiteren beabsichtigt China, Militärstützpunkte in mehreren mittelamerikanischen Ländern, in Kanada sowie auf Kuba zu errichten. Außerdem sollen in Kooperation mit Russland Raketen-Schutzschilde und Langstreckenraketen an der nordsibirischen Grenze aufgestellt werden, um eventuellen Angriffen aus Schurkenstaaten wirkungsvoll begegnen zu können.
Die US-Regierung hat diese Vorhaben als ernsthafte Bedrohung und Aggression verurteilt und scharf dagegen protestiert. Aus Washington war zu vernehmen, man werde unverzüglich entsprechende Abwehrmaßnahmen gegen eine militärische Einkreisung der USA ergreifen. Ebenso werde man die seit Längerem zu registrierenden Versuche, die Vereinigten Staaten durch Subversion zu destabilisieren, unterbinden.
Eine erste Reaktion war die Ausweisung von Vertretern mehrerer Nichtregierungsorganisationen, die sich angeblich ständig in innerstaatliche Angelegenheiten einmischten. Aus dem US-Innenministerium war zu erfahren, dass zudem im Auftrag fremder Mächte Spionage sowie eine Abspaltung Alaskas, Kaliforniens, Floridas und Hawaiis aus dem nordamerikanischen Staatenbund betrieben werde.
Bekannt ist, dass Mexiko schon länger eine Rückgabe von Gebieten fordert, die vor Jahren von den USA völkerrechtswidrig annektiert wurden. Das sind Texas, Kalifornien, Arizona, New Mexiko, Utah, Nevada und Teile von Colorado und Wyoming. Dazu erklärte kürzlich der US-Präsident vor Offizieren der Militärakademie in West Point, das sei Geschichtsklitterung und ein völlig unakzeptables Ansinnen. Nicht die USA hätten diese Gebiete annektiert, vielmehr habe bereits vorher eine widerrechtliche Inbesitznahme durch Mexiko im Wege eines Genozids an der einheimischen indianischen, also amerikanischen Bevölkerung stattgefunden. Sollte es zu Grenzstreitigkeiten kommen, werde man militärisch antworten.
In den mexikanischen wie auch den US-amerikanischen Medien tobt jetzt seit Tagen eine Propagandaschlacht. In Mexiko heißt es, die „räuberischen Gringos“ reagierten auf die Raketenstationierungen und die Rückgabeforderungen hysterisch, statt zu verhandeln. Sie bildeten sich ein, sie könnten ihren Einflussbereich ständig weiter ausdehnen und andere Völker unterjochen. Allein zu diesem Zweck unterhielte „God’s Own Country“ mehr als tausend Militärbasen in aller Welt. Gegen diese Anschuldigungen wenden sich die US-Medien in geschlossener Phalanx, wobei von einer heimtückischen Eroberungspolitik der „Schlitzaugen“, „Chicos“ und „Russenbastarde“ die Rede ist.
Die genauen Ursachen des sich immer mehr zuspitzenden Konflikts werden sich wohl kaum noch klären lassen. Nun hat sich die Europäische Union, und damit auch Deutschland, an die Seite der USA gestellt. Der deutsche Bundeskanzler hat inzwischen mehrmals mit dem chinesischen und dem russischen Präsidenten telefoniert, um zu vermitteln. Und die Präsidenten von Bolivien und Venezuela haben vor einer weiteren Eskalation gewarnt, die zu einem dritten Weltkrieg und damit zu einer Konfrontation der Atommächte mit unabsehbaren Folgen führen könnte.