Propaganda aus dem Äther
Heute vor 100 Jahren ging das erste Radioprogramm Deutschlands auf Sendung. Den Rundfunk kann man heute nur als Geschichte vergebener Chancen bezeichnen.
Der erste Radiosender Deutschlands nannte sich Deutsche Stunde. Erstmaliger Sendebetrieb: 29. Oktober 1923 – aus Berlin. Es gab in verschiedenen deutschen Städten Sendestationen der Deutschen Stunde. Zunächst wurde kein Radioprogramm präsentiert, es wurden Konzerte aus Sälen übertragen. Erstmals bekamen die Menschen vom heimischen Wohnzimmer aus Zugang zu einer Welt, die abseits ihres direkten Umfeldes lag. Nötig waren dafür nur ein Empfangsgerät und eine Lizenz zum Hören. Was damals vielleicht noch keiner ahnte: Hier formierte sich ein neues Machtinstrument. Die bescheidenen Anfänge vor 100 Jahren legten das noch nicht nahe.
Selbst in den Vereinigten Staaten, in denen der erste Radiobetrieb schon 1909 aufgenommen wurde, war noch nicht zu erkennen, dass der Rundfunk ein Konzept zur Macht darstellte. Die Nationalsozialisten erkannten hierzulande wohl als erste, welche Möglichkeiten in dem Medium steckten – und ließen den Volksempfänger für einen halbwegs erschwinglichen Preis verkaufen. 76 Reichsmark kostete das Gerät – viel Geld zwar, aber im Vergleich zu den bis zu 400 Reichsmark für andere Radioapparate, war das geradezu günstig.
Die Etablierung politischer Einflussnahme
Vor 100 Jahren trat also erstmals der Rundfunk in Deutschland in Erscheinung. Der hat sich seit jener Zeit gewandelt. Heute ist er online zu finden, in Mediatheken, gelegentlich noch als Fernsehprogramm, immer häufiger via Social Media. Radiosender gibt es erstaunlicherweise noch immer. Zwar nimmt laut Statistischem Bundesamt die Zahl derer ab, die Radio hören, aber vergleichsweise viele Menschen lauschen nach wie vor den Klängen aus dem Kasten. Heute allerdings oft in digitaler Version.
Das Radio hat es im Gegensatz zum Fernsehen etwas einfacher, denn man zelebriert den Konsum nicht. Er geschieht nebenher. Zum Fernsehen muss man sich im Regelfall Zeit nehmen, sich hinsetzen und gucken. Radiogeräte dudeln im Hintergrund, lauscht man mal nicht, gehen dem Rezipienten nicht gleich wichtige Informationen verloren. Außerdem besteht das normale Radioprogramm aus Musik – die meisten Menschen hören Radio, weil sie die musikalische Unterlegung ihres Alltages genießen. Die leidigen, stets ausgezeichnet gelaunten Moderatoren: Mag die wer?
Musik war von Anfang an das, was den Rundfunk antrieb. Veranstaltungen aus Konzertsälen sollten Menschen erreichen können, die gar nicht anwesend waren. Später erst kamen weitere Programme hinzu. Der Rundfunk mauserte sich vom Unterhaltungsprogramm zu einer Informationsplattform. Das Medium erlebte also einen Wandel, konnte ganz anders eingesetzt werden, als ursprünglich angedacht – ein wenig so, wie Facebook es viele Jahrzehnte später erlebte. Aus einer Plattform, die zur Vernetzung von Freunden gedacht war, entwickelte sich eine Werbeform für Unternehmen und eine Beeinflussungsmöglichkeit für Regierungen, Parteien und Interessensgruppen.
Nicht ganz so früh erkannte man, dass der Rundfunk seinem Wesen nach für den Machtmissbrauch offenstand – die Erfahrungen des Dritten Reiches spielten dieser Erkenntnis zwar in die Hände, aber erst das Aufkommen privater Sendeanstalten forcierte ein neues Bewusstsein in dieser Frage.
Ein Rundfunkstaatsvertrag sollte der Art und Weise, wie die Sender berichten und unterhalten, Regeln und Grenzen setzen – 1987 unterzeichnete man ihn; 1991 folgte eine Neuauflage für das vereinte Deutschland. Politische Parteien nahmen ab diesem Moment Einfluss auf staatlich finanzierte Medien, die Exekutive wirkte in die ideologische Ausrichtung der Sendeanstalten hinein. Man nutzte die Medienkrise jener Jahre, die sich mit der Etablierung des Privatfernsehens manifestierte, um politisch Einfluss nehmen zu können.
Öffentlich finanzierte Pressesprecher
Spätestens seither ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk bezüglich seines gesellschaftlich wertvollen Auftrags am Ende. Aber sein Ende ist nicht in Sicht. So lautet der Buchtitel der beiden Autoren Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer: Es handelt sich dabei um eine Generalabrechnung mit den gebührenfinanzierten Medienangebot – insbesondere der Tagesschau. Zwar wurde 2014 neu geregelt, dass nur noch ein Drittel der Verwaltungsräte der Sendeanstalten von „staatsnahen Mitgliedern“ besetzt sein dürfen, aber die parteipolitische Färbung ist deshalb längst nicht verschwunden. So ist die derzeitige Vorsitzende des ZDF-Verwaltungsrates, Malu Dreyer, gleichzeitig Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz. Lobende Kommentare des ZDF zu ihrer Person könnten Zufall sein – oder das glatte Gegenteil.
Warum muss überhaupt die Politik Posten besetzen innerhalb der Struktur der öffentlich-rechtlichen Medien? Wäre eine zu stellende Frage. Nur fragt sich das kaum einer.
Eine befriedigende Antwort im Sinne freier Berichterstattung gibt es hier allerdings nicht. Wohl aber eine, die die Funktionalität dieser Einrichtung unterstreicht: Denn einen regierungskritischen Kurs wird man so leichter unterbinden können. Hier und da kritisiert man dennoch. Feigenblätter müssen sein. Existenzgefährdende Kritik ist jedoch ausgeschlossen. Grundsätzlich hält man also Kurs und sieht sich als Hauskanal der amtierenden Politik – als von der Öffentlichkeit finanzierte Pressesprecher.
Während etlicher Krisen in der letzten Dekade konnte man sehen, wie wenig reflektiert der gebührenfinanzierte Rundfunk die politischen Entwicklungen begleitete. Die Finanzkrise schob man zusammen mit der Politik den Banken in die Schuhe, als hätten die nicht lediglich die Lücken und Löcher einer von der Politik gefertigten Gesetzeslage ausgenutzt. Im Zuge der Flüchtlingskrise von 2015 schoss man sich auf Kritiker ein. Ab 2020 hofierte man die Apologeten des Wahnsinns und diffamierte so gut wie jeden Kritiker am Corona-Kurs der Bundesregierung, während Bill Gates zur besten Sendezeit als Experte auftreten durfte. Bis neulich galt jeder, der einen Verhandlungskurs mit Russland forderte, als Gefährder.
Staatsmedien, die auch als solche bezeichnet werden, haben allerdings nur andere Länder. Die Russen zum Beispiel. Deren Medien würden nur das nachbeten, was eine übergriffige Regierung ihnen an die Hand gibt. Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland gelte das aber nicht, betont man immer wieder nachdrücklich. Man sei ja unabhängig, stellt man dann als Behauptung in den Raum – und dies entgegen der strukturellen Nähe zur Politik und der in den letzten Jahren praktizierten Einseitigkeit bei der Berichterstattung.
Eine Entpolitisierung tut not
Sicher, selbstverständlich berichten auch ARD und ZDF von des Bundeskanzlers Gedächtnislücken im Zuge der Warburg-Affäre. Doch man hält sich bedeckt, ermittelt nicht – von Seiten der Staatsmedien ist jedenfalls kein investigativer Coup in dieser Angelegenheit zu erwarten. Berichten muss ja sein, es gibt schließlich eine Informationspflicht, an die man sich ein wenig halten muss. Aber in eine Sache Engagement hineinstecken? Wo steht das denn?
Vollen Einsatz zeigt man lieber, wenn man regierungskritische Positionen ins Lächerliche ziehen will. Als Seymour Hersh publikumswirksam behauptete, die Vereinigten Staaten wären in die Anschläge an den Ostseepipelines verwickelt, erklärte man per Übersetzungsfehler, dass das alles nicht stimmen könne. Hersh schrieb „to plant“, was so viel wie anbringen heißt – und zwar Sprengstoff an die Rohre. Bei der ARD las man das allerdings so, als habe Hersh von explosiven Pflanzen gesprochen – plant: Das heißt auch Pflanze. Ein Botaniker erklärte in der Tagesschau, die These sollte ins Lächerliche gezogen werden. Wie viel Einsatz für eine potenzielle Theorie zum Tathergang – und wie wenig zeigt man davon, wenn es wirklich nötig wäre. Ja, wie viel unterschlägt man ganz und gar? Etwaige Proteste werden ausgeblendet, von den Gelbwesten in Frankreich sah man wenig bei der Tagesschau. Corona-Proteste ereilte dasselbe Schicksal. Die Nachrichtenformate der Staatsmedien sind Ausschnittsdienste mit zuweilen recht kleinen Gucklöchern.
Der Rundfunk war nicht von Anbeginn an die ganz große Chance auf Transparenz und Information. Unterhaltung stand im Fokus. Aber eine Weile lang sah es im Laufe seiner Existenz danach aus, als könne er einen solchen Beitrag leisten – so er nicht von der Infrastruktur der Macht gekapert wurde. Heute erleben wir aber genau das: Er wird zum Instrument der Mächtigen und deren politischen Funktionseliten umgebaut und alle Hoffnungen und Chancen fahren dahin.
Nach 100 Jahren Rundfunk in Deutschland kann man wohl sagen, dass die wenigste Zeit damit verbracht wurde, das Medium als Informationsportal und damit einhergehend als korrektive Plattform zu nutzen. Immer wieder tendiert es zu Propaganda – im Augenblick erstaunlich penetrant.
Nach einem Jahrhundert lässt sich sagen: Der Rundfunk ist vielleicht noch nicht ganz tot, lässt sich unter Umständen noch reanimieren. Dazu wäre aber eine grundlegende Reform notwendig. Eine Entpolitisierung tut dringend not – und er braucht geeignete Strukturen, um sich künftig nicht als Propagandainstrument ausnutzen zu lassen. Ob wir im Jahr 2073, dem 150-jährigen Jubiläum des Rundfunks, noch an einen freien Rundfunk erinnern dürfen, ist nach dem momentanen Trend wirklich fraglich.