Professoren im Visier

Renommierte Akademiker berichten über Demütigungen, Kündigungen, eingeschüchterte Kollegen und Universitäten, die die E-Mails ihrer Professoren mitlesen. Teil 1 von 2.

Die Diffamierung kritischer Professorinnen und Professoren nahm in den letzten Jahren stark zu. Am 5. Juni 2023 veranstaltete die Akademie der Denker deshalb eine digitale Gesprächsrunde mit dem Thema „Zur Diffamierung kritischer Professoren“ (1). Die Professorinnen Heike Egner und Anke Uhlenwinkel, welche die „Entlassung und öffentliche Degradierung von Professorinnen und Professoren“ erforschen, stellten dort ihre Zwischenergebnisse vor. An der Diskussion nahmen auch weitere Betroffene teil. Unter ihnen Patrik Baab, Michael Esfeld, Ulrike Guérot, Michael Meyen, Günter Roth, Maximilian Ruppert, Martin Schwab, Andreas Sönnichsen und Jele Pilar Weiskopf.

Zuerst soll kurz dargelegt werden, wie es überhaupt zur Gründung der Akademie der Denker kam. Anschließend werden die bisherigen Studienergebnisse der Professorinnen Heike Egner und Anke Uhlenwinkel zusammengefasst. Danach folgen die Erfahrungen einiger Professorinnen und Professoren aus der besagten Gesprächsrunde. Abschließend wird ein Ausblick unter Berücksichtigung des Hinweisgeberschutzgesetzes gewagt, welches dazu geeignet ist, das kritische Denken am universitären Campus langfristig einzuschränken.

Die Entstehung der Akademie der Denker

Der Ingenieur Maximilian Ruppert ist als Professor an der Technischen Hochschule in Ingolstadt tätig. Dort kündigte er zu Beginn des Wintersemesters 2021/2022 gegenüber seinen Studenten an, dass er niemanden aufgrund des Impfstatus ausgrenzen werde. Als er kurz darauf in seiner Funktion als Studiengangleiter den ausländischen Studenten einen bestimmten Impfstoff empfehlen sollte, lehnte er mit der Begründung ab, dass er Ingenieur, kein Mediziner sei. Ein paar Tage später wurde ihm per Telefon vorgeworfen, ein „Impfgegner“ zu sein oder „sogar immer noch ungeimpft“. Ruppert wurde von dem Dekan seiner Fakultät in aller Deutlichkeit nahegelegt, nicht mehr im Fakultätsrat zu erscheinen. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Als Reaktion gründete er im Mai 2022 die „Akademie für freie Wissenschaft UG“. Ihr Vertragspartner ist die „Akademie der Denker“, die Ruppert wiederum leitet. In der Akademie der Denker wollen die Dozentinnen und Dozenten die „Menschen zu eigenständigem Denken inspirieren“.

Bisherige Studienergebnisse

Die bisherigen Studienergebnisse der Professorinnen Heike Egner und Anke Uhlenwinkel zum Thema „Entlassung und öffentliche Degradierung von Professorinnen und Professoren“ zeigen, dass das Vorgehen in der Causa Ruppert kein Einzelfall ist.

In der Gesprächsrunde im Juni 2023 berichtete Heike Egner von insgesamt 47 Fällen in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Ein solcher Fall liege vor, wenn es „um Entlassung oder Kündigung oder um eine öffentliche Degradierung“ gehe; auch „Nötigung“ spiele eine Rolle. Fälle dieser Art nahmen in den letzten fünf Jahren zu. Während von 1994 bis 2017 zumeist ein Fall gezählt wurde, 2015 waren es zwei, gab es allein 2018 schon sechs Fälle, 2019 waren es acht. Auffällig ist, dass es in diesen beiden Jahren überwiegend Frauen traf: fünf Professorinnen im Jahre 2018 und sieben im Folgejahr.

Dann erfolgte ein Wandel. In den Jahren 2020 bis 2022 wurden jeweils mehr Männer als Frauen entlassen. 2020 betraf es vier, 2021 drei und 2022 fünf Professoren. Anke Uhlenwinkel wies darauf hin, dass dieser Wechsel in den Geschlechtern auch mit einem anderen Entlassungsgrund einhergeht. Während bei den Frauen ein „Führungsfehlverhalten“ als Grund angegeben wurde, führte bei den Männern während der Corona-Jahre die Kritik am Mainstream, die „ideologische Unbotmäßigkeit“, zu deren Entlassung beziehungsweise zur öffentlichen Degradierung. Diese Ergebnisse basieren auf Interviews und Fragebögen. Letztere enthalten auch die Frage, inwieweit die Universitäten bei der Entlassung oder öffentlichen Degradierung rechtsstaatliche Prinzipien beachtet haben, also beispielsweise das Recht auf Anhörung und Stellungnahme zu Vorwürfen, die Unschuldsvermutung, Transparenz des Verfahrens oder das Recht auf Konfrontation mit Beschwerdeführern.

Von den Professoren gaben 100 Prozent an, sie hätten nicht das Gefühl, dass die Unschuldsvermutung in ihrem Fall greift. Unter den Professorinnen, die diesen Fragebogen ausgefüllt haben, waren es 90 Prozent.

Und die Professorinnen Egner und Uhlenwinkel haben ihre Forschungen noch nicht beendet. Für das laufende Jahr liegen noch keine Zahlen vor, die letzte Erhebung endete im April. Ende November 2023 werden sie weitere Daten nennen können (2).

Die Berichte der Anderen

Heike Egner

Der Fall der Professorin Heike Egner wird in dem Gespräch nicht weiter diskutiert, zeigt sich aber in den bereits genannten Zahlen. Denn sie gehört zu den Frauen, die 2018 fristlos entlassen wurden. Sie war Leiterin des Geografie-Instituts an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt gewesen, die sich im österreichischen Bundesland Kärnten befindet. Diese Universität darf sie aber nicht mehr betreten, weil ihr ein „Haus- und Betretungsverbot auferlegt“ wurde.

Es ging damals um „Mobbingvorwürfe“ gegen Egner, der Fall landete vor Gericht. In den ersten beiden Instanzen wurde ihre Klage abgewiesen. Sie reichte eine „außerordentliche Revision“ am Obersten Gerichtshof in Wien ein, um folgende Fragen zu klären: „1. Darf eine Professorin aufgrund von anonym vorgetragenen Vorwürfen entlassen werden? 2. Darf eine Professorin aufgrund von negativen Leistungsbewertungen entlassen werden?“

Bisher erfuhr Egner „vor Gericht“, dass der Rektor, der sie auch fristlos entließ, wohl bereits 2017, also „ein Jahr vorher schon beschlossen hatte“, dass sie „weg soll“. Die Unterlagen zeigen laut Egner, dass der Rektor den Betriebsratsvorsitzenden angewiesen hat, „belastbares Material in schriftlicher Form“ zu sammeln. Der Betriebsratsvorsitzende sprach daraufhin „gezielt Mitarbeiter an“ und bat sie, ihre Ärgernisse mit Heike Egner niederzuschreiben und ihm „auszuhändigen“. Ein Zeuge schilderte diese Herangehensweise so vor Gericht.

Momentan sammelt Heike Egner Spenden, weil ihre „Ersparnisse weitgehend aufgebraucht“ sind. Denn die Kosten für dieses Verfahren stiegen auf „120.000 Euro“ an. Die Spenden sollen für die „juristische Klärung“ verwendet werden, aber auch „in die Forschung über die Entlassung von Professorinnen und Professoren“ fließen.

Ein Fall aus der Schweiz

Bevor die Erfahrungen der bereits genannten Gesprächsteilnehmer geschildert werden, verdeutlicht der Fall einer Frau, die nicht namentlich genannt wird, wie brachial eine Universität mit einer von ihr beschäftigten Professorin umgehen kann. Frau Uhlenwinkel berichtete von einer Frau aus der Schweiz, die bereits an ihrer Universität in Kritik geraten war. Diese Frau wurde krebskrank, hatte eine Chemotherapie hinter sich und erholte sich gerade. In dieser Situation hat ihre Universität ein „Administrativverfahren in Gang“ gesetzt und ihr dann einen „Führungsbeauftragten ins Haus geschickt. Obwohl sie ein ärztliches Attest hatte, dass sie noch gar nicht vernehmungsfähig sei“. Dieser habe sie dann „mit minimalen Pausen“ ganze „12 Stunden“ lang befragt.

Der Fall der Ulrike Guérot

Frau Guérot wurde schon lange vor dem Gespräch für ihre Aussagen über die Coronapolitik und über den Krieg in der Ukraine stark kritisiert. Die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, an der sie seit dem Wintersemester 201/2022 die Professur für Europapolitik inne hat, veröffentlichte sogar eine Stellungnahme über Guérot, ohne jedoch ihren Namen zu nennen.

Einige Monate später, im Februar 2023, kündigte die Universität Bonn Frau Guérot. Doch weil sie juristisch gegen die Kündigung vorgeht, ist die Kündigung noch nicht rechtswirksam. Guérot gilt bis zur gerichtlichen Entscheidung weiterhin als Professorin an dieser Universität.

Im Gespräch der Akademie der Denker berichtete sie, dass sie „nicht abgemahnt“ wurde und dass seit Juli 2022 kein offizielles Gespräch seitens der Universität Bonn mit ihr stattfand. Sie musste dennoch ihr „Büro räumen“ und bekommt seit März 2023 „kein Gehalt mehr“. Und das trotz Klage gegen die Kündigung. Der nächste Gerichtstermin findet erst am 10. Januar 2024 statt.

Dass die Aussagekraft eines ärztlichen Attestes wie im Fall der Frau aus der Schweiz von der eigenen Universität nicht ernst genommen wird, darüber kann auch Frau Guérot berichten. Sie war ab Oktober 2022 für rund fünf Monate krankgeschrieben. Trotzdem sollte sie vor der „Plagiatskommission“ angehört werden. Sie bat mit Unterstützung ihrer Rechtsanwältin darum, den Termin zu verschieben, sodass sie dort „persönlich“ erscheinen könne. Der Vorsitzende der Plagiatskommission schrieb ihr daraufhin eine E-Mail mit der Aussage, dass „die angebliche Krankschreibung von Frau Guérot nicht interessiere“. Die Kommission tagte dann ohne sie. Über das Ergebnis wurde sie nicht informiert.

Der Fall Patrik Baab

In einem Fall, der auch in einigen Medien aufgegriffen wurde, geht es um den Journalisten und Autoren Patrik Baab. Er war nicht als Professor tätig, hatte aber „einen Lehrauftrag für praktischen Journalismus“ an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Berlin sowie einen an der Christian-Albrechts-Universität Kiel (CAU) inne. Letztes Jahr verlor er beide Lehraufträge nach einer Recherchereise in die Ostukraine für sein Buch „Auf beiden Seiten der Front. Meine Reisen in die Ukraine“.

Gegen die CAU ging er dann gerichtlich vor. Ende April 2023, also noch vor dem Gespräch bei der Akademie der Denker, entschied das Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein, „dass die Kündigung des Lehrauftrags nicht rechtmäßig war“. Im Juli wurde das Urteil dann rechtskräftig, weil die CAU eine Frist verstreichen ließ und nicht in Berufung ging.

Die Folgen der Medienberichte und der Kündigungen, die Patrik Baab in dem Gespräch beschreibt, sind eindrücklich. Er traf sich „mit ehemaligen Kolleginnen und Kollegen in Kiel heimlich im Hinterzimmer von Kneipen“, weil sie nicht mit ihm zusammen „gesehen werden dürfen“. Ebenfalls in Kiel musste er eine Gaststätte verlassen, weil man ihm vorwarf, „ein Verschwörungstheoretiker“ zu sein. Baabs Fazit: „Es geht einfach darum, durch die Erzeugung von Angst vorauseilendem Gehorsam bei Dritten zu erzwingen, und es wird radikal durchgesetzt.“

Der Fall Michael Meyen

Meyen hat eine Professur am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) inne. Er wurde bereits 2020 von einem Redakteur der Süddeutschen Zeitung für seine „fragwürdigen Ansichten“ kritisiert. Hier standen bestimmte Beiträge im Fokus, die Meyen auf seinem Blog „Medienrealität“ veröffentlichte. Doch als im März 2023 bekannt wurde, dass Meyen neuer Mitherausgeber der Wochenzeitung Demokratischer Widerstand geworden war, brachte das den Stein erst so richtig ins Rollen.

LMU-Präsident Bernd Huber teilte Meyen Anfang April in einem Gespräch mit, dass er „beim Verfassungsschutz anfragen“ ließ, ob etwas gegen diese Wochenzeitung vorliege. Kurz darauf hat Meyen „seine Mitherausgeberschaft bei der Zeitung wieder beendet“.

In der Gesprächsreihe der Akademie der Denker sagte Michael Meyen, dass es nach einer gemeinsamen Veranstaltung mit Professor Maximilian Ruppert und Studenten Stehen Auf zu einem zweiten Gespräch mit dem LMU-Präsidenten kam. Denn mittlerweile hatte das Landesamt für Verfassungsschutz einen „Bericht geschickt“ und „die Hochschulleitung“ äußerte nun „Zweifel“ an Meyens „Verfassungstreue“. Das Verfahren landete daraufhin bei der Landesanwaltschaft, einer Prozess- und Disziplinarbehörde des Freistaates Bayern. Was der Bericht selbst enthielt, wurde Meyen nicht mitgeteilt. Ebenso wenig und trotz Nachfrage erhielt er Auskunft darüber, was denn die „Zweifel“ ausgelöst habe.

In einem Interview mit Milena Preradovic äußerte Meyen, dass mittlerweile seine erste Anhörung bei der Landesanwaltschaft stattgefunden hat. Es ging zum Beispiel um seine „Kritik an den Leitmedien“ und um die Frage, wieso er den Studenten bei der bereits erwähnten Veranstaltung die Webseiten Manova und Reitschuster empfahl. Und ob Meyen diese Seiten auch „in seinen regulären Lehrveranstaltungen“ empfehle. „Ich habe aus den Fragen entnommen, dass das ein Problem sein könnte“, so Meyen.

Der Fall Günter Roth

Günter Roth, der an der Hochschule München an der Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften lehrt, regte schon seit Sommer 2020 unter den Studenten eine kritische Diskussion zu den Coronamaßnahmen an. Im Dezember 2021 verwies er dafür unter anderem auf seinen Text „Erosion der Menschlichkeit“ auf der Webseite Rubikon und auch auf das Portal Achgut.com.

Bei einigen Studenten kam dieser Vorschlag nicht gut an, sie beschwerten sich anonym bei ihrer Hochschulleitung. Kurze Zeit darauf wurde Roth in einem Gespräch mit einer „Mitarbeiterin der Rechtsabteilung“ mit Vorwürfen konfrontiert. Worin die Beschwerden der Studenten eigentlich bestanden, wurde Roth nicht mitgeteilt. Stattdessen wurde ihm von dem Präsidenten der Hochschule, Martin Leitner, eine „Ermahnung“ angekündigt und mit der Kündigung gedroht.

Daraufhin klagte Roth am Arbeitsgericht München „gegen den Freistaat Bayern und die Hochschule München“. Roth siegte vor Gericht, das Urteil erging am 10. Januar 2023. Die Beklagten mussten die Ermahnung dann wieder „aus der Personalakte des Klägers“ entfernen.

Roth nimmt an der Universität zusehends eine „Kälte“ und „Unmenschlichkeit von Rationalität“ wahr. In den Hochschulen herrsche die Ansicht vor: „Wir sind die Guten.“ Bevor Roth sich kritisch über die Coronamaßnahmen geäußert hatte, war alles in Ordnung. Nach seiner Kritik war er plötzlich der Unsolidarische. Wer mehr von Roth lesen möchte, dem sei sein ausführlicher Beitrag „Krisenpolitik und Autoritarismus des ‚Guten und Wahren’“ auf seiner Webseite einfachkompliziert.de empfohlen.

Der Fall Michael Esfeld

Im Mai 2021 wurde Esfeld in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als „Querdenker-Philosoph“ und „Nestbeschmutzer“ bezeichnet, weil er die Coronamaßnahmen und die Rolle der Leopoldina kritisierte.

Kleiner Exkurs: Die Leopoldina ist die Nationale Akademie der Wissenschaften. Sie machte in Stellungnahmen immer wieder mit der Forderung nach harten Coronamaßnahmen auf sich aufmerksam – wie im Dezember 2020, als sie „einen harten Lockdown“ für die Weihnachtsfeiertage und den Jahreswechsel forderte. Im November 2021 sprach sie sich unter anderem für eine „konsequente Durchsetzung der 2G-Regeln“, „Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte, auch im Privatbereich“ sowie „eine ausnahmslose Maskenpflicht für Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler aller Klassenstufen (…) in den Schulgebäuden“ aus (3). Einige Personen, die diese Maßnahmen forderten, waren auch an der Evaluation derselben beteiligt.

Esfeld ist der Ansicht, hier werde Wissenschaft „als Waffe eingesetzt gegen die Menschenrechte“. Er resümierte, dass „alle wissenschaftlichen Standards verletzt sind“, und berichtete weiter, dass „Mediziner hier in Lausanne ein Disziplinarverfahren gegen mich erwirken wollten, weil ich Fake-News über Corona verbreiten würde“. Sie scheiterten letztendlich, weil sie dafür „keine Belege liefern konnten“. Einige Kollegen an Esfelds Fakultät hätten ähnliche Ansichten zu den Coronamaßnahmen gehabt, doch das sagten sie ihm nur hinter vorgehaltener Hand, denn sie „möchten nicht in der Zeitung stehen“.

Ambitionierte Unileitungen und eingeschüchterte Kollegen

Professor Maximilian Ruppert stellte die Frage in den Raum, wer an den Universitäten dafür verantwortlich sei, die genannten Fälle eskalieren zu lassen. Frau Uhlenwinkel äußerte mit Blick auf die Studienergebnisse, dass es „die Unileitungen“ sind, die „gegen einen arbeiten“. Sie griffen mitunter auf Studenten und Nachwuchswissenschaftler zurück und konnten so die Fälle vorantreiben. In der Studie wurden die Professorinnen und Professoren unter anderem gefragt, welche Gruppen sie während des Entlassungsverfahrens als für oder gegen sie arbeitend wahrgenommen haben. Eine Mehrheit der Befragten empfand die Unileitungen als gegen sie arbeitend.

Es sei laut Maximilian Ruppert eben einfacher, die Leute „einzeln fertig zu machen“. Das habe „Methode“. Und diese Methode funktioniert offenbar. Denn Heike Egner erwähnte auch das „Schweigen“ der Kolleginnen und Kollegen. Ein Schweigen, das sich mit der Dauer des Verfahrens ausbreite.

Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot führte aus, dass es an der Universität Bonn drei Personen gebe, die hinter ihr stehen und die „offen mit Namen“ mit ihr kommunizieren. Dieses Trio besteht aus „einem Informatiker, einem Mathematiker und einem Germanisten“, doch aus ihrem direkten Kollegium, das immerhin 22 Personen umfasst, stellte sich niemand hinter sie. Der Mediziner Andreas Sönnichsen hat mit seinen Kollegen ähnliche Erfahrungen gemacht: „Es gab ganz, ganz wenige, (…) die sich mit mir solidarisiert haben.“

Wie ein Narrativ entsteht

Wer den Namen Andreas Sönnichsen in eine Suchmaschine eintippt, der wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine Meldung stoßen, in der es heißt, dass die Medizinische Universität Wien (MedUni) ihm die Kündigung ausgesprochen hat, weil er die Coronamaßnahmen missachtete. So wie hier: „CoV: MedUni kündigt umstrittenen Professor“. Weil diese Aussage auch von anderen Medien verbreitet wurde, konnte das Narrativ vom gekündigten Professor, der sich nicht an die Coronamaßnahmen hielt, erst entstehen. Richtig ist aber: Die MedUni Wien hat versucht, Sönnichsen rauszuschmeißen, weil er nicht mit der vorgegebenen „wissenschaftlichen“ Auffassung der Universität übereinstimmte. Sie konnte den Verstoß gegen die Maßnahmen nie belegen. Also zog sie die Kündigung in einem Vergleich vor dem Arbeitsgericht zurück. Beide Parteien vereinbarten eine einvernehmliche Auflösung des Vertrages zum 31. Dezember 2022. Weil aber über die Geschehnisse vor Gericht in den Medien nicht berichtet wurde, hält sich bis heute das Narrativ vom gekündigten Professor Sönnichsen.

Die Universitäten lesen E-Mails mit

Sönnichsen wies noch darauf hin, dass die Kollegen ihre Unterstützung nur über ihren „privaten E-Mail-Account“ geäußert haben. Den Account der Universität haben sie nicht genutzt, „weil sie Angst hatten (...), dass sie da vielleicht auffallen könnten.“ Offenbar gab es diesbezüglich nicht allzu viel „Vertrauen der eigenen Universität gegenüber, dass die E-Mails vielleicht mitgelesen werden könnten, ob da jemand nicht linientreu ist“.

Ulrike Guérots Erfahrungen gehen hier noch weiter: „Während meiner Krankschreibung hatte die Universität Bonn offenbar Zugriff auf meinen E-Mail-Account“, denn die „Abwesenheitsnotiz,“ die sie für die Krankschreibung gemacht hat, wurde „geändert“. In der nun geänderten Abwesenheitsnotiz wurde auf „die Causa Guérot hingewiesen“, inklusive einem Link zur Stellungnahme der Universität.

Laut Heike Egner berichten viele Studienteilnehmer, dass ihre „Universitäten den E-Mail-Verkehr mitgelesen haben“.

Hinweisgeberschutzgesetz

Das Hinweisgeberschutzgesetz war nicht Teil der obigen Diskussion, hat aber das Potenzial dazu, das Leben auf dem Campus zusätzlich zu belasten. Denn es führt dazu, dass auch in den Hochschulen Meldestellen errichtet werden. Dieses Gesetz trat Anfang Juli 2023 in Kraft und verlangt, dass Unternehmen und Einrichtungen, in denen mehr als 49 Personen beschäftigt sind, Meldestellen errichten. Der Mechanismus, der hier greifen soll, ist simpel: Wer bei den Arbeitskollegen Straftaten oder auch andere Delikte beobachtet, kann sie dort melden. Dieser Vorgang soll es Whistleblowern ermöglichen, Missstände sicherer melden zu können.

Die Bundesregierung setzte mit dem Hinweisgeberschutzgesetz eine Richtlinie der EU um. Doch während zum Beispiel „Frankreich und Österreich nur das Nötigste übernahmen“, weitete die Ampelkoalition aus SPD, FDP und Bündnis90/Die Grünen die Anforderungen dieser Richtlinie „massiv aus“.

Sie haben ein Instrument erschaffen, „das zur Denunziation einlädt.“ Denn der „Hinweisgeber“ kann seine Meldung nicht nur namentlich, sondern auch anonym einreichen. Obwohl er schließlich auch „Falschmeldungen“ einreichen könne, ist es wiederum „verboten“, ihn aufgrund seiner Meldung zu sanktionieren. Wer das dennoch macht, muss mit einem „Bußgeld von bis zu 50.000 Euro“ rechnen.

Regelkonformes Verhalten erwünscht

Im Bundesland Rheinland-Pfalz wurde laut einer Mitteilung der Universität Trier „beim Ministerium für Wissenschaft und Gesundheit eine zentrale interne Meldestelle eingerichtet, die auch für die Hochschulen zuständig ist“. In Nordrhein-Westfalen beschreibt die Universität Bielefeld auf ihrer Webseite sehr deutlich, was sie sich im Umgang mit der Meldestelle für die Zukunft wünscht:

„Die Universität möchte Sie ausdrücklich ermutigen, von der Möglichkeit der internen Meldung/Hinweisabgabe Gebrauch zu machen. Sie unterstützen uns damit, regelkonformes Verhalten an der Universität zu stärken, für ein faires Miteinander zu sorgen und die Reputation der Universität zu schützen.“

Wie erwähnt, können nicht nur Straftaten gemeldet werden. Denn das Hinweisgeberschutzgesetz gilt auch „für die Meldung (...) und die Offenlegung (...) von Informationen über (...) Äußerungen von Beamtinnen und Beamten, die einen Verstoß gegen die Pflicht zur Verfassungstreue darstellen“. Das erinnert an den Fall Michael Meyen, dessen „Verfassungstreue“ im Gespräch mit der Hochschulleitung angezweifelt wurde. Es steht die Sorge im Raum, dass für einen derart schwerwiegenden Vorwurf zukünftig ein anonymer Bericht bei der Meldestelle genügt.

Ausblick

Auch wenn einige Personen, darunter Günter Roth und Patrik Baab, vor Gericht bereits erste Erfolge feiern konnten, bestätigen die Erfahrungsberichte die Forschungsergebnisse von Frau Uhlenwinkel und Frau Egner: „Es ist tatsächlich ein katastrophales Bild für die Universitäten und Wissenschaftseinrichtungen.“ Doch für Professor Ruppert ergibt sich auch etwas Positives: Die Professorinnen und Professoren, die an ihrer Hochschule Repressalien erfahren haben, sind nicht alleine. Und auch außerhalb der Universitäten gab und gibt es Unterstützer. Professor Michael Esfeld berichtete, dass er unter anderem im Supermarkt angesprochen wurde – und zwar „meistens positiv“. Das Leben spielt sich eben nicht nur im Elfenbeinturm ab.