Professionelle Heuchelei (2/4)
Der Blick hinter die Fassade offenbart: Das Journalistenbüro Correctiv ist alles andere als unabhängig, aufklärerisch und investigativ.
Die erste Folge führte in die Herkunft der Redakteure, die Finanzierungsquellen und das Selbstverständnis von Correctiv ein. In diesem Teil werden Correctiv-Enthüllungen zur beruflichen Vergangenheit des russischen Präsidenten Putin und den vermeintlich kriminellen Praktiken während seines Aufstiegs inhaltlich und rhetorisch untersucht. Die großspurig als Enthüllungen präsentierten Vorwürfe erweisen sich nach genauer Analyse als substanzlose oder unbewiesene Unterstellungen, die das Journalistenbüro als mediale 'Kalte Krieger' entlarven.
Redaktionelle Vorbemerkung: Die Recherche von Elke Schenk zu Correctiv erscheint als Vierteiler. Den ersten Teil lesen Sie hier, den dritten hier, den vierten hier. Beim hier vorliegenden Text handelt es sich um den zweiten Teil.
Correctiv als Kalte Krieger 1
Enthüllungen zum „System Putin“
Seine Recherche zum „System Putin“ in Zusammenarbeit mit RTL, zu Erpressungen, Korruption, Ausschaltung der unabhängigen Justiz durch Putin bietet Correctiv in drei Versionen. Zwei Beiträge werden im Folgenden genauer analysiert.
Zunächst dokumentiere ich einen Auszug aus dem Artikel „CORRECTIV und 'RTL Nachtjournal' decken auf: Schmiergeld des US-Computerkonzerns Hewlett Packard begünstigte Aufstieg von Putin“ vom 25.07.15, der die zentrale Argumentation wiedergibt:
"Loyalität der Moskauer Generalstaatsanwaltschaft erkauft
Der russische Präsident Wladimir Putin hat im Jahr 1999 als damaliger Premierminister einen Schmiergeld-Deal ermöglicht, mit dem der US-Computerhersteller Hewlett Packard (HP) überteuerte Computertechnik nach Russland verkaufen konnte. […]
Hewlett Packard hatte demnach keineswegs das günstigste Angebot für den Auftrag abgegeben, aber dennoch den Zuschlag erhalten. Die Firma zeigte sich erkenntlich und zahlte mindestens 7,6 Millionen Euro Schmiergeld. Das Geld landete unter anderem bei russischen Staatsanwälten und Agenten des Geheimdienstes FSB. Mit dem Deal soll sich Präsident Putin womöglich die Loyalität der Moskauer Generalstaatsanwaltschaft erkauft haben. Seit dieser Zeit hat jedenfalls nie wieder ein russischer Generalstaatsanwalt gegen einen russischen Präsidenten ermittelt. […]
Im Jahr 2014 wurde Hewlett Packard bereits von einem US-Gericht zur Zahlung von 108 Millionen US-Dollar verurteilt wegen Korruption und Schmiergeldzahlungen in Russland, Polen und Mexiko, wobei das russische Geschäft besonders schwer wog. […]"
Der Korruptionsskandal um HP-Geschäfte war Gegenstand der Berichterstattung seit mindestens 2010. Über den Vergleich mit der US-Börsenaufsicht wurde im Frühjahr und Herbst 2014 berichtet. Insofern bietet der Artikel keine neuen Informationen. Neu ist der von Correctiv im Jahr 2015 hergestellte Zusammenhang, Putin sei in die Korruptionsaffäre verwickelt, um für loyale Gefolgsleute im Justizsystem und in den Geheimdiensten zu sorgen und seinen Aufstieg abzusichern. Für diesen zentralen Vorwurf, auf den die gesamte „Enthüllung“ abzielt, gibt es in dem Beitrag keinerlei Beweise, nur die Unterstellung „soll sich Präsident Putin womöglich die Loyalität der Moskauer Generalstaatsanwaltschaft erkauft haben“ (Hervorh. E.S.).
Sucht man im Internet nach weiteren Artikeln zu dem – sollte er stimmen – ungeheuerlichen – Vorwurf, so fällt die große Leere in den Suchmaschinen auf. Es stellt sich die Frage, auf welcher Grundlage die Diffamierung basiert? Die einzige Primärquelle, die ähnliche Anschuldigungen erhebt, ist Schachweltmeister Garri Kasparow, ausgewiesener Jelzin-Freund, Putin-Gegner, Transatlantiker und an der Seite von US-Neokonservativen wie John McCain.
Die Vorwürfe von Korruption und Machtmissbrauch werden in einem weiteren Artikel noch durch einen Sexskandal angereichert: „Sex, Schmiergeld, Staatszerfall Wie es Wladimir Putin gelang, die russische Staatsanwaltschaft zu kaufen – und deutsche Beamte ihm dabei halfen“ von David Crawford und Marcus Bensmann am 24.7.2015.
Wie beim voran gehenden Artikel ist auch hier Kern der Anschuldigungen gegen Putin ein Computerkauf von HP, für den Schmiergeld geflossen ist. Zu Putins Verwicklungen schreibt Correctiv:
"Ermöglicht hat diese Korruptionsaffäre Wladimir Putin. Das Schmiergeld von HP sicherte Putin die Loyalität einer Clique von Staatsanwälten. Und trug dazu bei, ihm die russische Justiz gefügig zu machen. […] In diesem Jahr (1999, ES) inszeniert Wladimir Putin einen Sexskandal, zettelt einen Krieg an, bricht die Unabhängigkeit der russischen Staatsanwaltschaft, steigt auf zum russischen Präsidenten – und ermöglicht das Schmiergeldgeschäft mit HP."
Mit Putin beginne die Zeitenwende in Russland. Denn bis dahin, unter Präsident Boris Jelzin
„trägt Russland, trotz Korruption und Willkür, noch die Grundzüge eines Rechtsstaates. Eine Gewaltenteilung ist vorhanden, im Parlament, der Duma, erheben unabhängige Abgeordnete ihre Stimme, Teile der Justiz arbeiten eigenständig.“
Diese Einschätzung der Jelzin-Präsidentschaft ist schon mehr als Geschichtsklitterung. Der dem Rechtsstaat angeblich verbundene Jelzin putschte als damaliger russischer Präsident zusammen mit den Präsidenten der Ukraine und Weißrusslands im Dezember 1991 gegen Gorbatschow, was zur Auflösung der UdSSR führte. Staat und Wirtschaft waren danach in der Hand der sog. Jelzin-Familie, einer Clique aus Familienmitgliedern, neoliberalen Politikern (Tschubais, Gajdar) und einflussreichen Oligarchen (Beresowski, Abramowitsch, Chodorkowski), die ihren Zugang zum Alkoholiker Jelzin nutzten, um sich am Verkauf von Staatsbetrieben und Ressourcen zu bereichern.
Mit der durch Wahlmanipulation durchgesetzten neuen Verfassung regierte Jelzin per Dekret am Parlament vorbei und schanzte seinen Kumpanen die auf deren Wunsch auf die Privatisierungsliste gesetzten strategischen Wirtschaftssektoren zu (Medien, Banken, Rohstoffe). Interpol beklagte, dass 1998 in Russland 10.000 Verbrechergruppen operierten, die Unternehmen und Banken kontrollierten (vgl. Joseph Stiglitz: Die Schatten der Globalisierung. Berlin 2002; vgl. Hubert Seipel: Putin. Innenansichten der Macht. Hamburg 2015). Der im Titel des Correctiv-Beitrags genannte Staatszerfall war gerade ein Produkt der Jelzin-Ära, mit freundlicher Unterstützung aus den USA.
Aus den vielen verwirrend verwobenen Namen und Handlungssträngen des 12-seitigen Beitrags lässt sich folgender inhaltlicher Kern herausschälen:
- Generalstaatsanwalt Skuratow habe Ermittlungen gegen Jelzin aufgenommen wegen Schwarzgeldes auf ausländischen Konten. Es habe eine Schmutzkampagne gegen Skuratow gegeben; Skuratow habe die Vorwürfe bestritten; Putin habe als Chef des russischen Geheimdienstes FSB das Kompromat gegen Skuratow bezeugt, der damit beruflich erledigt gewesen sei. Der Nachfolger Ustinow habe die Ermittlungen gegen Jelzin eingestellt. Jelzin habe Putin aus Dankbarkeit zum russischen Premier und anschließend zu seinem Nachfolger befördert.
- Putin habe als russischer Ministerpräsident einen Auslandskredit genehmigt, um neue Computer für die Justizbehörden zu beschaffen. Er habe sich die Loyalität der Generalstaatsanwaltschaft und des Geheimdienstes auf diese Weise sichern wollen, vor allem aber, indem er mit der Fremdfinanzierung der Zahlung von Bestechungsgeldern in die Taschen von Generalstaatsanwaltschaft und Geheimdienst den Weg geebnet habe.
Woher hat Correctiv seine Informationen? Es wird immer wieder auf Ermittlungserkenntnisse der Leipziger Staatsanwaltschaft bezüglich der HP-Korruptionsaffäre verwiesen, ohne dass jedoch Belege angegeben würden.
Ein Artikel aus der Berliner Zeitung und einer von Spiegel online vom August 1999, liefern anders akzentuierte Darstellungen (Vgl. RUSSLAND. Der Zar im Zwielicht. Spiegel online 30.08.1999): Es geht darin nicht nur um den korrupten Präsidenten Jelzin, sondern um die gesamte Jelzin-Clique aus Familienmitgliedern und Oligarchen (v. a. Boris Beresowski), die sich mit kriminellen Methoden auf Kosten des russischen Staates bereichert, Kredite des IWF veruntreut und das Geld in Steueroasen verschoben hat. Ihnen sind Ermittler aus Russland, der Schweiz und den USA auf der Spur. Es kommen also viele Stellen in Frage, um Kompromat gegen den russischen Generalstaatsanwalt zu fabrizieren.
Wie dem auch gewesen sein mag: Tatsache ist, es gibt auch in der Langfassung von Correctiv für den zentralen Vorwurf gegen Putin, auf den die gesamte „Enthüllung“ abzielt, keinerlei Beweis, keine belegten Fakten.
Ich möchte aus dem 12-seitigen Beitrag noch einen kurzen Textauszug wiedergeben, der die Vorgehensweise von Correctiv begreifbar macht. Correctiv stellt ein Dokument auf Russisch ein, das eine Verordnung zum Computerkauf für die Generalstaatsanwaltschaft wiedergibt. Von dem Dokument stellt Correctiv den ersten Absatz als Übersetzung zur Verfügung. Im Folgenden dokumentiere ich die Übersetzung und den anschließenden Kommentar von Correctiv zum Vorgang:
Übersetzung:
"Regierung der Russischen Föderation Verordnung vom 14 November 1999 Nr. 1881-p Stadt Moskau
1. Es wird als sinnvoll erachtet, einen Kredit der Export- und Importbank der USA über eine Summe von 30 Millionen USD zu erhalten, und zwar im Jahr 2000 10 Millionen USD, und im Jahr 2001 20 Millionen USD, um für die Generalstaatsanwaltschaft der russischen Föderation den Kauf von nicht in Russland herstellbarer Hard- und Software zu erwerben, um für die Organe der Staatsanwaltschaft der Russischen Föderation ein Informationsnetzwerk zu schaffen, um so mit Hilfe der staatlichen Telekommunikationssysteme die Anwendung der Gesetze zu überwachen."
Und hier der Kommentar im genannten Correctiv-Artikel:
„Eine merkwürdige Entscheidung. Russland ist nach der Rubelkrise fast pleite. Krankenhäuser verrotten. Warum ausgerechnet jetzt ausländische Darlehen für die Generalstaatsanwaltschaft? Ein solcher Deal lädt förmlich ein zu Korruption. Das dürfte auch Putin wissen. Winkt er ihn ganz bewusst durch, damit sich die neuen Generalstaatsanwälte die Taschen füllen können - und er sich so ihrer Loyalität versichern kann? […]
Es wird unterstellt, es sei ein sittenwidriger Vorgang, der Generalstaatsanwaltschaft moderne Technologie zur Erfüllung ihrer Aufgaben zur Verfügung zu stellen und dafür einen Auslandskredit aufzunehmen. Es wird unterstellt, dass dieses Geschäft Schmiergeldzahlungen auslöste, ohne zu begründen wieso. Es wird unterstellt, dass sich die Generalstaatsanwaltschaft im Zuge dieses Geschäftes persönlich bereichert. In der rhetorischen Frage verbirgt sich die Diffamierung, Putin habe sich die Loyalität der Generalstaatsanwälte erkauft, um sich vor gerichtlicher Verfolgung zu schützen.
Unausgesprochene Prämisse ist, dass die Generalstaatsanwaltschaft, wäre sie unabhängig gewesen, gegen Putin hätte vorgehen müssen. Die offenen und unterschwelligen Vorwürfe werden nicht belegt. Man könnte die Geschichte des Computerkaufs auch anders erzählen: Ohne moderne technische Infrastruktur ist es dem Staat nicht möglich, für die Anwendung der Gesetze zu sorgen. Aus dem Verordnungstext lässt sich folgern, dass es auch um Überwachungsmöglichkeiten geht, um z. B. gegen Steuervermeidung und -hinterziehung oder auch Korruption vorzugehen. Der Verordnungstext als solcher gibt keinen Anlass für eine derart böswillige Auslegung.
An den vermeintlichen Enthüllungen von Crawford und Bensmann zum „System Putin“ fallen typische Methoden aus dem Werkzeugkasten persuasiver Rhetorik auf:
Man findet eine unterschwellige Skandalisierung und ein Aufbauschen von Details, Banalitäten oder Selbstverständlichkeiten. Es ist beispielsweise nicht per se verdächtig, wenn eine Staatsanwaltschaft gegen Steuerhinterzieher ermittelt, sondern das gehört zu ihren Kernaufgaben, auch wenn der Betroffene der im Westen als Opfer und Quasi-Widerstandskämpfer betrachtete Michail Chodorkowskij ist.
Unabhängige und teilweise viele Jahre auseinander liegende Ereignisse werden in einen Kausalzusammenhang gebracht, um eine Person zu verunglimpfen:
- Schmiergeld von HP an Mitglieder der Justizbehörden, um den Auftrag zu erhalten, und die Feststellung, dass die Staatsanwaltschaft seit 15 Jahren nicht gegen den russischen Präsidenten ermittelt hat.
Belegte oder nachprüfbare Fakten werden vermischt mit Behauptungen zum Kernvorwurf gegen Putin, dabei ohne Quellen zu nennen, oder man beruft sich auf Quellen und Zeugen, die aber im Nebulösen bleiben, jedenfalls nie nachprüfbar sind.
Es wird eine suggestive Sprache verwendet, die die Assoziationen des Lesers in die gewollte Richtung lenken. Es finden sich insbesondere:
a) spekulative Aussagen:
- „sein soll“, „soll … überwiesen haben“, „offenbar“, „Schwarzgeld … auf Konten in der ganzen Welt verteilt haben soll“;
- „Wir konnten diesen Geldfluss nicht rekonstruieren. Aber es riecht verdächtig nach Geldwäsche“.
b) unklare oder unpräzise Begriffe:
- Putin „ermöglicht das Schmiergeldgeschäft mit HP“,
- Generalstaatsanwalt Ustinow „drückt das Gesetz über die 'Konfiszierung von Eigentum' durch“,
c) abwertende Charakterisierungen:
- Vize-Generalstaatsanwalt Juri Birjukow „ein kleiner stahlharter Mann mit einer unschönen Reibeisenstimme“.
d) unausgesprochene Unterstellungen:
- Generalstaatsanwalt Ustinov, durch Putins Intervention gegen den Vorgänger Skuratow ins Amt gekommen, fälle Gefälligkeitsentscheidungen im Sinne von Putin;
e) rhetorische Fragen als Instrument der Diffamierung:
- Der Kauf von Computer-Hard- und Software auf Kredit aus dem Ausland „lädt förmlich ein zur Korruption. Das dürfte auch Putin wissen. Winkt er ihn ganz bewusst durch, damit sich die neuen Generalstaatsanwälte die Taschen füllen können - und er sich so ihrer Loyalität versichern kann?“
- Bezogen auf den Vertreter der HP-Niederlassung in Russland und ehemaligen IM der Stasi heißt es: „Oder wusste Putin, dessen Geheimdienst Zugriff hat auf zahllose Stasi-Akten, von Hilmar L.s einstigem Doppelleben? Erhielt HP vielleicht gerade deshalb den Zuschlag für den krummen Deal?“
Der Leser wird wie in einer Kriminalgeschichte in verschiedene parallele Handlungsstränge mit vielen Namen verwickelt, die nur teilweise wieder zusammengeführt werden bzw. bei denen unklar bleibt, was sie mit dem Hauptvorwurf zu tun haben sollen.
Selektive Darstellung: Zu Putin werden nur die Aspekte seiner Karriere zusammengetragen, die seine Glaubwürdigkeit in Frage stellen, seine Skrupellosigkeit und sein Machtstreben belegen sollen. Anderes, das relativierend oder gar entlastend wirken könnte, wird weggelassen, z. B. dass er den vom KGB unterstützten Putsch gegen Gorbatschow 1991 ablehnte und seine Entlassung aus dem KGB betrieb, (vgl. Hubert Seipel: Putin. Innenansichten der Macht, 2015, S. 125), dass er als späterer Chef des FSB zwei Abteilungen gegen Korruption und Steuerhinterziehung aufgebaut hat, - was doch im Sinne der Antikorruptions-Agenda von Correctiv sein müsste - oder dass unter seiner Präsidentschaft die IWF-Kredite zurückgezahlt wurden und Russland schuldenfrei ist.
Der Dämonisierung der Zielperson entspricht das maßlose Aufbauschen ihrer Macht und ihres Einflusses zu einem absoluten Herrscher: Putin, der nach Belieben Funktionsträger und staatliche Institutionen manipuliert und unterwirft, alle Stasi-Akten und IMs kennt und sie sich zunutze macht.
Bei dieser offensichtlichen Schmutzkampagne fragt man sich, ob das nicht eine Intervention des Ethik-Rates erfordert hätte, der schließlich „darauf achten (soll), dass CORRECT!V den hohen ethischen Grundsätzen aufklärerischen Journalismus als wichtigen Beitrag für die demokratische Kultur genügt“.
Fortsetzung folgt: Im nächsten Teil wird Correctivs Webreportage zum Abschuss der malaysischen Verkehrsmaschine MH17 dekonstruiert.