Privilegierter Underdog
Die Linken-Abgeordnete Zaklin Nastic verspricht in ihrem Buch „Aus die Maus“, über das politische Geschehen aus der Froschperspektive zu berichten.
Der „Blick von unten auf die da oben“ — es wäre wichtig, dass er ungetrübt bleibt und dass wir Bürgerinnen und Bürger daran teilhaben können. Aber ist eine Bundestagsabgeordnete überhaupt dazu berufen, diese Position einzunehmen? Schließlich gehört sie — selbst als Linke — damit zu den Etablierten, welche den politischen Alltag oft genug von oben herab kommentieren. In diesem Dilemma stecken viele, die sich selbst als sozial oder sozialistisch verstehen. Man tritt an mit dem Anspruch, für die „kleinen Leute“ zu sprechen, ist jedoch selbst finanziell privilegiert und Teil der Obrigkeit. Zaklin Nastic, gebürtig in Polen, meistert diese Aufgabe zwar nicht absolut trittsicher, sieht jedoch weiter oder tiefer als die meisten ihrer Berufskolleginnen und -kollegen. Sie legt Finger in Wunden und leuchtet in manche toten Winkel des Weltgeschehens hinein. Als Einäugige unter Blinden weist dieses Buch die 43-Jährige durchaus aus. Der ehemalige Linken-Abgeordnete Diether Dehm hat es rezensiert.
Im Untertitel „Mit dem Blick von unten — auf die da oben“ verspricht die 43-jährige Abgeordnete ein Kontrastprogramm zum Durchschnitt parlamentarischer Karrieren mit gutbürgerlichem Hintergrund. Als junges migrantisches Mädchen aus Polen war sie mit Eltern und Bruder zunächst lange Zeit auf einem Schiff im Hamburger Hafen kaserniert, bevor sie an Land durfte. Dann lebte sie in einem prekären Wohnsilo. Nun ist sie in der zweiten Legislaturperiode und hat die sozialen Kollisionen von Wissen und Gewissen unter dem Druck parlamentarischer Regeln und medialer Diktate am eigenen Leib erfahren.
Zum Beispiel gehörte sie am 22. April 2023 zur kleinen Minderheit in ihrer Fraktion, die gegen den Bundeswehreinsatz im Sudan stimmen wollte. Aber die Mehrheit wollte alles, nur keine Nein-Stimmen. Wegen der Pressewirkung. Also blieb sie der namentlichen Abstimmung fern. Über die raffinierten Weichenstellungen in Parlament und Partei verrät sie so einiges. Aber gerade jetzt, wo sich Millionen Menschen etwas anderes als diese Linkspartei wünschen, wären mehr Einblicke in charakterliche Stellschrauben und das Innenleben von Partei-Intrigen nötig. Denn auch charakterliche Unzulänglichkeiten von „denen da oben“ in der einstigen Friedenspartei Oskar Lafontaines hatten die Befürwortung von Waffenlieferungen an Selenskyj begünstigt.
Der Buchumschlag wirbt damit, über „Schönfärberei und Tatsachenverdrehungen selbst in den eigenen Reihen aufzuklären“. Aber dazu fehlt zum Beispiel, wie sich die als „Wagenknechtin“ öffentlich denunzierte Zaklin Nastic zweimal knapp in ihrem Hamburger Landesverband hatte durchsetzen können. Auch die Freude über das Mandat hätte sie durchaus mal zugeben dürfen. Und nicht nur, dass sie selbst „frei von Ehrgeiz (…) bald darauf nach Berlin musste (…)“ und ihr das Mandat „nur ein neues persönliches Problem“ beschert hatte.
„Einfühlen ist inzwischen vielen meiner Mitstreiter abhanden gekommen“, schreibt sie. Ihre eigenen persönlichen Gefühle sind aber auch nichts ganz Unpolitisches, besonders wie man/frau den widerständigen „Blick von unten auf die da oben“ in einem privilegierten Mandat aufrechterhält.
Was dem Buch hingegen vollauf gelingt, sind eigenwillige und kenntnisreiche Sichten als menschenrechtspolitischer Fraktionssprecherin und Obfrau im Verteidigungsausschuss. So hat Zaklin Nastic mehrfach den Nahen Osten unter wenig privilegierten Reise-Umständen besucht und kann manchem Mediensprech hierzulande über die „Schurken“-Staaten Iran, Irak, Syrien und Afghanistan mit eigenerworbener Beobachtung entgegentreten. Auch aus Israel und den Palästinensergebieten. Mit sachkundiger Kritik am Apartheid-Terror israelischer Siedler und deren Regime hält sie nicht hinterm Berg. Gerade mit ihrem jüdischen Hintergrund — von dem sie erst spät als junge Frau erfuhr.
Das Buch liefert Gegeninformationen, die ansonsten allenfalls auf den hinteren Rängen bei Google und Wikipedia rangieren. Zum Beispiel über die meist vergessenen Massaker 1965/1966 in Indonesien an den Millionen Anhängern des antikolonialistischen Präsidenten Sukarno.
Aber am menschlich Konkretesten wird sie bei der Darstellung serbischer Leidensgeschichten, die es schon lange gibt, nämlich seit des Kaiserreichs Kriegsgeschrei „Serbien muss sterbien“. 1999 wurden Menschen vom Grünen-Außenminister Joseph Fischer „in dieselben Luftschutzbunker gebombt, in denen sie schon unter Hitlers Luftwaffe kauerten“. Diese Bilder gelingen ihr sicher auch so warmherzig, weil, wie sie schreibt, „der Vater meiner Kinder Serbe ist“.
Es war auch ihre Anfrage, die öffentlich machte, dass Deutschland immerhin vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags als Kriegspartei eingestuft werden kann: weil die Bundesregierung nicht nur Leopardpanzer liefert, sondern auch ukrainische Milizen an deutschen Waffen ausbilden lässt. Solcherlei Anfragen und Zwischenrufe heben die Autorin aus dem talentlosen Mittelmaß jener kapitalhörigen Glücks-Ritter und -Ritterinnen hervor, welche den Bundestag ansonsten befallen — und die leider auch die Links-Partei beschlichen haben.