Prekäres Patt
Mit Putin und Trump treffen zwei Politiker aufeinander, die wenig gemeinsam haben.
Öl und Wasser gehen nicht gut zusammen. Ebensowenig harmoniert eine Politik der Destabilisierung der bestehenden Weltordnung, wie sie Trump repräsentiert, mit der besonnenen, stabilisierenden Politik Putins. Wird eine „Sicherheitspartnerschaft“ möglich sein? Oder zeigt sich, dass das Modell konkurrierender Nationalstaaten in Zeiten globaler Konzernmacht ohnhin überholt ist?
Am 16. Juli dieses Jahres soll geschehen, was schon längst hätte geschehen sollen: Der russische und der amerikanische Präsident wollen sich zu einem Zweiergipfel in Helsinki treffen.
Die Wahl des Ortes darf man getrost als Botschaft verstehen, die von diesem Treffen ausgehen soll. Wurden doch in Helsinki Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts mit der „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ erste Zeichen für die Beendigung des „Kalten Krieges“ und eine beginnende Entspannung zwischen „Westen“ und „Osten“ gesetzt, West- und Ostblock, wie es damals hieß.
In der „Schlussakte von Helsinki“ verpflichteten sich nach zweijährigen Verhandlungen im Jahr 1975 fünfunddreißig Staaten zu Zusammenarbeit, Unverletzlichkeit der Grenzen, friedlicher Konfliktlösung, Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten und Achtung sowie Förderung der Menschenrechte.
Des Weiteren vereinbarten die Staaten eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Wirtschaft, Technik, Wissenschaft und Umweltfragen. Die neue deutsche Ostpolitik, Glasnost und Perestroika in der UdSSR, die Öffnung der deutschen Grenzen gingen aus diesem Geist hervor.
Abrüstung für den Frieden?
Themen des bevorstehenden Treffens sollen, glaubt man Donald Trump, alle gegenwärtigen Konfliktpunkte sein – von der Ukraine, zur Krim, über Syrien, Korea, Iran, die Sanktionen bis hin zu Fragen der atomaren Abrüstung. Man könne sparen, wenn man die Rüstung zurückfahren könne, ließ Trump verlauten und außerdem könne die Abrüstung dem Frieden dienen.
Wladimir Putin wiederholt, was er und seine Vorgänger über viele Jahre immer wieder angeboten haben: die Bereitschaft eine Sicherheitspartnerschaft mit den USA einzugehen, die von den USA gekündigten Verträge zur Begrenzung der strategischen Atomwaffen zu erneuern, die UNO in ihrem Anspruch als internationales Kontrollorgan zu bestärken und so weiter.
Obwohl Putins Vorstellungen von einer übergreifenden Sicherheitspartnerschaft mit den USA selbstverständlich auch Europa, konkret die Europäische Union, mit einschließen, fürchten sich deren Politiker, übergangen und von Abmachungen zwischen den beiden Kontrahenten erdrückt zu werden. Das darf man zunächst einmal als politische Hysterie einordnen.
China hält sich zurück.
Das Treffen ist zweifellos zu begrüßen, ebenso wie das vorangegangene Treffen zwischen Trump und Kim Jong-un. Aber mehr noch als bei dem Treffen in Korea stellt sich die Frage, was tatsächlich bewegt werden wird. Das Treffen wird vor dem Hintergrund stattfinden, dass der US-Senat mit einer Mehrheit von 10 zu 85 Stimmen soeben eine Erhöhung der Militärausgaben von bisher 634 auf 716 Milliarden Dollar, also um 82 Milliarden beschlossen hat, nachdem das US-Repräsentantenhaus die Vorlage schon im Mai durchgewunken hatte. Allein diese neue Erhöhung des Etats übersteigt den gesamten russischen Militärhaushalt, der bei 61 Milliarden liegt.
Forciert werden soll zudem das Arsenal der amerikanischen Atomwaffen; insbesondere soll das Verbot der „Produktion von Atomsprengköpfen mit geringer Sprengkraft“ aufgehoben werden. https://kritisches-netzwerk.de/forum/us-demokraten-unterstuetzen-gigantischen-militaeretat .
...aber genau hinschauen
Diese Tatsachen könnten eigentlich schon reichen, um die Erwartungen an das bevorstehende Treffen in Helsinki auf ein realistisches Maß zu reduzieren. Vollends nachdenklich machen muss aber die Konstellation, in der die beiden Präsidenten aufeinander treffen: Trump, der in radikaler Fortsetzung der Fraktionierungspolitik seiner Vorgänger erkennbar an der Dekonstruktion der bestehenden Weltordnung arbeitet, Putin, dessen Interesse ebenso offensichtlich und ebenso radikal darin liegt, in diese Weltordnung nicht nur einzutreten, sondern sie zu erhalten.
Destabilisierung steht gegen Stabilisierung – nichts geht mehr. Was kann es da Gemeinsames geben?
Eine Antwort auf diese Frage ergibt sich, wenn die Weltordnung genauer betrachtet wird, zu der die beiden Präsidenten scheinbar so unterschiedlich stehen: Es ist die Völkerordnung des einheitlichen Nationalstaats, die unter dem Einfluss der wichtigsten Siegermacht USA aus dem Ersten Weltkrieg hervorging. Das Credo des einheitlichen Nationalstaats, das heißt, eines Staates, der, dominiert von der Ökonomie, sämtliche Lebensbereiche einer begrenzten Bevölkerung monopolistisch umschließt, überlebte bis heute ungeachtet der wechselnden politischen Konstellationen im Lauf der weiteren Geschichte seit 1918.
Konkurrenz der Nationalstaaten
Schon 1918 aber war offensichtlich, dass die Konkurrenz der imperialen Nationalstaaten in den ersten Weltkrieg geführt hatte und dass eine Erhebung des Nationalstaats zum Credo der zukünftigen Weltordnung zu einer Wiederholung der Konflikte führen würde, statt der Entwicklung einer offenen Weltwirtschaft und Weltkultur förderlich zu sein.
Angesichts der heutigen Globalisierung sind die Nationalstaaten nur noch Relikte, die von internationalen Monopolen zur Durchsetzung ihrer örtlichen oder regionalen Interessen benutzt werden.
Gleichzeitig müssen die einzelnen Staaten in Konkurrenz zu allen anderen auf die knapper werdenden Ressourcen zugreifen.
Ein globales prekäres Patt ist entstanden, in dem die Weltmacht USA sich auf nationale Interessen zurückzieht, zugleich aber die bestehende globale Nationalstaatsordnung unter Einsatz der globalen Machtapparate einer Weltmacht sprengt.
Demgegenüber steht der Vielvölkerstaat Russland, der sich im Interesse des eigenen Überlebens gezwungen sieht, die Nationalstaatsordnung zu verteidigen.
In dieser Anordnung der Widersprüche stimmt keiner der herkömmlichen Begriffe vom Staat mehr. Nur das ist klar: Im Ergebnis läuft beides, Trumps Angriff auf die marode nationalstaatliche Weltordnung von heute wie deren Verteidigung durch Putin, auf die Zementierung des Credos vom einheitlichen Nationalstaat und damit auf eine Verschärfung der darin liegenden Konkurrenz hinaus. Ideen, die über die bestehende nationalstaatliche Grundordnung hinaus den Weg weisen könnten, stehen weder bei Trump noch bei Putin auf der Tagesordnung.
Die Krise eine Chance?
Klar gesagt: Die so entstandene Lage ist nicht nur krisen-, sie ist kriegsträchtig. Sie wird zurzeit nur durch die Existenz der Atomwaffen in der Waage gehalten.
Es ist offensichtlich:
Eine tiefgreifende Veränderung muss her, welche die überfällige nationalstaatliche Ordnung, das heißt, die Unterwerfung des gesamten Lebens unter die staatliche monopolisierte wirtschaftliche Dominanz überwindet
Ohne die Welt im Gegenzug dem unkontrollierten Zugriff globaler Monopole auszuliefern, versteht sich.
Das dies keine Tagesaufgabe ist, liegt auf der Hand. Mehr als ein Einfrieren der laufenden Konflikte auf dem Niveau des prekären globalen Patts ist vor diesem Hintergrund nicht zu erwarten – weder von Trump noch von Putin. Wenn es gut kommt, schaffen sie es, das Patt zu halten. Das könnte die Basis sein, die Botschaft von Helsinki neu aufzugreifen, erweitert um die Aufgabe, Wege zur Entflechtung des einheitlichen Nationalstaats zu suchen, die es erlauben, Beziehungen zwischen den Menschen zu entwickeln, die nicht von ökonomisch dominierten Staatsinteressen monopolisiert werden, sondern am Wohl des Einzelnen und seiner Gemeinschaft orientiert sind.