Potenzierte Fluchtursache
Der Sturz von Syriens Präsidenten Bashar al-Assad hat hierzulande die Debatte über die Rückführung von Syrern entfacht, da das Land nun sicher sei. Angesichts der neuen Machthaber ist die Forderung blanker Hohn.
Vermutlich war das Flugzeug, das den ehemaligen Präsidenten Syriens, Bashar al-Assad, auf seiner Flucht nach Russland transportierte, noch nicht einmal gelandet, da ertönten aus Deutschland die ersten Rufe nach einer Rückführung oder Abschiebung von Syrern, die jetzt keinen Grund mehr für ihren Aufenthalt in Deutschland haben. Doch die Rufe sind absurd.
In Anbetracht der Migrationskrise, in der Deutschland unzweifelhaft steckt, sind die Reflexe nach der Abschiebung von Syrern zurück in ihr Heimatland, zwar naheliegend. Sie verkennen jedoch die komplexe Gesamtsituation, mit der wir es zu tun haben.
Selbstverständlich waren sofort die Journalisten und politischen Beobachter zur Stelle, die scheinbar alle hauptsächlich syrische Ärzte und Apotheker kennen. Seien die nicht mehr in Deutschland, so der Tenor, sei es schlecht bestellt um das deutsche Gesundheitssystem.
Dazu ist anzumerken, dass nicht bekannt ist, wie wichtig syrische Ärzte oder Apotheker für Deutschlands Gesundheitssystem sind, aber selbst, wenn sie es wären, wäre die Herleitung, dass diese nun im Land bleiben müssen, nicht nur ein Armutszeugnis für die gesundheitlichen Rahmenbedingungen in Deutschland. Denn es würde bedeuten, dass ohne die Ausbeutung von Fachkräften anderer Länder hier nichts mehr läuft. Das wäre fatal, und vermutlich ist auch noch etwas dran, denn während die deutsche Wirtschaft früher auf Exporte fokussiert war, ist das System in vielen Bereichen auf den Import umgeschwenkt – den Import von Fachkräften, die hierzulande so schlecht bezahlt werden, dass man auf ausländisches Personal zurückgreifen muss.
Es wäre aber auch gegenüber der syrischen Gesellschaft nicht nur egoistisch, sondern aggressiv und feindselig.
Denn wenn ein Land qualifizierte Kräfte im medizinischen Bereich braucht, ist das derzeit ganz sicher Syrien. Sie hier zu halten mit dem Argument, die gesundheitliche Versorgung sei sonst nicht mehr sichergestellt, und sei es nur partiell, ist das Gegenteil von der oft beschworenen Solidarität gegenüber den Menschen in Syrien.
Doch das eigentliche Problem ist noch viel größer.
Syrien als Spielball der Weltmächte
Es wäre einen eigenen Artikel wert, Syriens Entwicklung der letzten Jahrzehnte zu beschreiben. Und es ist deutlich zu einfach, den nun abgesetzten Präsidenten Assad zum „Schlächter“ abzustempeln. Ohne Frage hat der Mann ein System aufgebaut, das ihm maximalen Wohlstand und der Bevölkerung ein Höchstmaß an Armut beschert hat. Es wäre also vermessen, die politische Führung Syriens der letzten Jahre als humanistisch oder gar demokratisch zu bezeichnen.
Dennoch: Syrien ist wie kaum ein anderes Land auf der Welt zum Spielball der Großmächte geworden. Die USA haben ihre Finger im Spiel — und zwar viele Finger, sehr viele Finger —, aber auch Russland, China, die Türkei und nicht zuletzt Israel haben handfeste Interessen, die mit Syrien zusammenhängen. Wenn in der Ukraine ein Stellvertreterkrieg geführt wird — und das ist ohne jeden Zweifel so —, dann könnte man Syrien als die „Mutter der Stellvertreterkriege“ bezeichnen.
Es geht um Rohstoffe, um Geopolitik, um strategisch wichtige Gebiete, um Eingrenzungs- und Ausdehnungsversuche, aber auch um die Macht und den Einfluss unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen, dazu unten mehr. Es ist also einmal mehr ein Irrtum beziehungsweise eine Lüge zu behaupten, jetzt, da der Diktator weg ist, sei alles in Ordnung und genau das sei auch das Ziel gewesen. Vielmehr wird Syrien nun neu „vermessen“, aufgeteilt, die betroffenen Mächte werden alles dafür tun, ihre Vormachtstellung auszubauen oder — sollte das bisher nicht gelungen sein — überhaupt erst einmal herzustellen.
Zudem:
Die Bevölkerung Syriens hatte nicht nur unter Assad zu leiden. Der Westen hatte gegenüber Syrien unzählige Wirtschaftssanktionen initiiert, die zu großem Leid der Menschen beitrugen und immer noch beitragen.
Selbst als es vor ein paar Jahren zu dem großen Erdbeben in Syrien kam und edel und nobel Hilfen für die Opfer versprochen wurden, wurden die Sanktionen nicht ausgesetzt.
Und sogar jetzt, da Assad nicht mehr Präsident Syriens ist, bleiben die deutschen Sanktionen bestehen, solange Russland noch Militärbasen in Syrien hat. Die Menschen mögen also von Assad befreit sein, von der Unbarmherzigkeit westlicher Staaten konnte sie bislang niemand befreien.
Syriens Bevölkerungszusammensetzung und die Parallelen zu Deutschland
In der Öffentlichkeit wird gern der Eindruck erweckt, Syrien hätte auf der einen Seite aus dem Machtapparat Assads und auf der anderen aus einer unter ihm leidenden Bevölkerung bestanden. Doch Syrien ist unterteilt in eine Vielzahl religiöser und ethnischer Gruppen, wie man selbst bei der Bundeszentrale für politische Bildung nachlesen kann:
„Die Gesellschaft unterteilt sich in mehr als 15 religiöse und ethnische Gruppen. Neben der arabischen Mehrheit leben Kurden, Armenier, Turkmenen, Tscherkessen, Aramäer und Assyrer in Syrien. (1) Unter den knapp 21 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern bilden die Kurden mit einem Anteil von zehn bis zwölf Prozent die größte ethnische Minderheit. (2) Sie leben größtenteils im Norden und Nordosten des Landes sowie in den Großstädten Damaskus und Aleppo. Bekannte kurdische Städte und Dörfer sind al-Hasaka, al-Qamishli, Amuda, Afrin und Kurd Dagh (Berg der Kurden). Die Zahl der Turkmenen wurde 2012 auf rund zwei Millionen (neun Prozent der Bevölkerung) geschätzt. (3) Tscherkessen stellen die kleinste ethnische Minderheit islamischen Glaubens. Über eine Million Aramäer und Assyrer (etwa 4,5 Prozent) leben zum großen Teil in al-Hasaka (Nordostregion Syriens) und in der Stadt und Region Maalula nordöstlich von Damaskus. Die meisten Armenier kamen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts als Flüchtlinge aus der Türkei. Sie machen weniger als ein Prozent der syrischen Bevölkerung aus und leben hauptsächlich in Aleppo, aber auch in Damaskus und nördlichen Städten des Landes. Die offizielle Sprache des Landes ist Arabisch. Jedoch sprechen die ethnischen Minderheiten zusätzlich im Alltag Kurdisch, Aramäisch, Armenisch, Turkmenisch, Tscherkessisch oder andere Minderheitensprachen.“
Es ist mehr als fraglich, dass es unter der neuen Führung zu einem friedlichen Zusammenleben der Menschen in Syrien kommen wird. Vielmehr ist zu befürchten, dass Ausgrenzung, Gewalt und Mord zunehmen werden. Doch selbst wenn diese Annahme nicht zutreffend sein sollte, steht Syrien keine harmonische Zukunft bevor, denn neben den neuen Machteliten, die einen terroristischen islamistischen Hintergrund haben, werden die Machtkämpfe der beteiligten Länder unverändert weitergehen, vielleicht sogar noch heftiger und grauenvoller, als dies vorher der Fall war.
Man muss kein Kenner Syriens sein, um das Potenzial der Gewalt zu erahnen, das in dem Land vorhanden ist. Ein Blick nach Deutschland erlaubt bereits eine Vorstellung dessen, was Syrien in der nächsten Zeit bevorsteht.
Durch die weitgehend unkontrollierte Zuwanderung, die in Deutschland seit 2015 zu beobachten ist, hat sich die Zusammensetzung der Bevölkerung verändert. Solche Prozesse führen unweigerlich zu Problemen, wenn sie nicht konsequent und mit aller notwendigen Präzision begleitet werden. Da dies in Deutschland versäumt wurde, hat sich die Kriminalität von Menschen mit Migrationshintergrund erheblich gesteigert, der Anschlag von Magdeburg ist bekanntlich ja keine Ausnahme, er reiht sich ein in Handlungen krimineller oder kriminell gewordener Migranten, die offenkundig nicht in den Griff zu bekommen sind.
Nicht erst seit dem Anschlag von Magdeburg hört und liest man immer wieder von der Theorie, dass Anschläge dieser Art nicht nur nicht verhindert, sondern billigend in Kauf genommen werden müssen. Was auf den ersten Blick absurd erscheint, erhält eine gewisse Logik, wenn man nach Syrien schaut. Während es dort religiöse und ethnische Gruppen gibt, die verhältnismäßig sicher leben können — auch und gerade unter der neuen Führung —, sind andere, weniger oder gar nicht akzeptierte Bevölkerungsgruppen einer ernsthaften Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt.
In Deutschland steht der sogenannte „Kampf gegen rechts“ ganz oben auf der politischen Agenda, während kriminelle Taten anderer Gruppen vernachlässigt oder mehr oder weniger wohlwollend argumentativ politisch begleitet werden. Daraus eine politische Akzeptanz bestimmter Tätergruppen und ihrer Taten zu konstruieren, mag überzogen wirken, doch die Handlungsunfähigkeit der Politik wird allemal deutlich.
Nach Magdeburg war bei der Tagesschau zu lesen:
„Es gebe in den Behörden aber eine ‚Ohnmacht', wie mit Menschen umgegangen werden soll, die über Jahre in wirrer Art und Weise auch Gewaltdrohungen äußerten und etwa unter Verfolgungswahn litten und psychische Probleme haben. Deren Zahl sei ‚durchaus groß'. Wenn es dann noch so viele unterschiedliche Zuständigkeiten bei den Behörden gebe, fielen solche Täter durchs Netz.“
Der Versuch, die Tat von Magdeburg zu der eines psychisch gestörten Täters zu machen, der „wirr“ sei und „psychische Probleme“ habe, wirkt schwach, denn die Anschläge und Taten der Vergangenheit deuten eher darauf hin, dass wir es mit Tätern zu tun haben, die erstens sehr bewusst handelten und zweitens oftmals vor ihren Taten angeworben wurden. Im Übrigen kann man mit Fug und Recht jedem Mörder eine gewisse psychische Problematik unterstellen, denn Ausdruck einer gesunden Psyche ist der Mord an einem oder mehreren Menschen grundsätzlich nicht. Trotzdem ist es nicht so, dass jeder Mörder eine Gesprächs- oder Gestalttherapie erhält, weil er Menschen tötet, sondern in der Regel harte Gefängnisstrafen erfährt.
Syrien ist hinsichtlich der Zusammensetzung der Bevölkerung deutlich „bunter“ als Deutschland, man kann sich also ausmalen, dass das Land bis auf Weiteres nicht zur Ruhe kommt, weder im Inneren noch wegen der äußeren Einflussnahme anderer Länder.
Zurück in die Heimat?
Die, teils noch am selben Tag des Sturzes Assads, vorgebrachten Forderungen, Syrer in großem Stil wieder in die Heimat zurückzubefördern, sind in erster Linie Populismus. Wir dürfen nicht vergessen, dass Deutschland sich im Wahlkampf befindet. Bis sich eine stabile Entwicklung in Syrien abzeichnet, sind Abschiebungen, die ohnehin durch Gesetze nicht ohne Weiteres durchzusetzen sind, nichts weiter als der Versuch, sich Stimmen für die anstehende Bundestagswahl zu holen. Anders sieht es bei freiwilligen Ausreisen aus, aber das war vor dem Sturz Assads letztlich auch nicht anders.
Allein die Vorstellung, Menschen in ein Land zurückzuschicken, das von islamistischen Terroristen geführt wird, ist völlig abwegig und weit entfernt von einer geopolitischen Analyse, die diesen Namen verdient.
Trotzdem sind die Reaktionen von Teilen der deutschen Bevölkerung auf solche Forderungen nicht überraschend und durchaus nachvollziehbar. Der Anschlag von Magdeburg, der ja kein Einzelfall ist, sondern sich in andere Ereignisse einreiht, verunsichert die Menschen und lässt Ängste entstehen. Diese sind nicht unbegründet, sondern belegbar und für die Menschen greifbar. Wer will sich da wundern, wenn als Lösung und zur Wiederherstellung der Sicherheit — oder zumindest einem Gefühl der Sicherheit — der Wunsch nach Abschiebungen von Migranten gefordert wird?
Aber man muss es realistisch betrachten: In Syrien wird nicht darüber entschieden, wie es in Deutschland weitergeht. Deutsche Politiker werden nicht viel gegen die Forderungen haben, Syrer wieder in ihre Heimat zu bringen, denn diese sind kurzfristig nicht umsetzbar, gleichzeitig dienen sie als Ventil, um von den weitreichenden Problemen in Deutschland abzulenken, die weit über die Syrien-Problematik hinausgehen. Man kennt das: Alle sind mit den Gedanken bei den Opfern, schockiert und wünschen den Angehörigen viel Kraft. Eine Woche später ist die Sache vergessen, bis das nächste Drama passiert. Und das wird passieren, so viel ist sicher.