Politisch unerwünschte Forschung
Die Christian-Albrecht-Universität in Kiel kündigte dem Journalisten Patrik Baab, weil dieser im Donbass recherchierte — jetzt landet der Fall vor Gericht.
Im Donbass zu recherchieren sei unmoralisch, findet die Kieler Universität. Deshalb kündigte sie dem Journalisten Patrik Baab voriges Jahr den Lehrauftrag — begleitet von einer medialen Hetzkampagne. Sein Fall geht nun vor Gericht. Auf einem Vortrag in Kiel erläuterte Baab, wie er seine Lehraufträge verlor. Er sprach von einer Medienkampagne mit dem Ziel, seinen Ruf zu ruinieren, andere Abweichler unter Druck zu setzen und in den Hochschulen Konformismus zu erzeugen.
Journalisten sollen die Realität bestmöglich spiegeln. Dafür genügt es nicht, ungeprüft aus Pressemitteilungen bestimmter Interessensgruppen zu zitieren oder von Kollegen abzuschreiben, schon gar nicht in Kriegs- und Konfliktsituationen. Darum soll die Presse recherchieren, am besten vor Ort, und alle Seiten beleuchten. Wer diesen Standard verletzt, betreibt Propaganda. In Sachen Ukraine-Krieg ist Propaganda jedoch erwünscht. Wer sich um Objektivität bemüht, landet schnell im Abseits.
Rauswurf nach Medienkampagne
So erging es dem Journalisten Patrik Baab, der schon viele Top-Recherchen für den NDR produziert hat. Als er im vergangenen September im nach wie vor massiv von der ukrainischen Armee bombardierten Osten der Ukraine unterwegs war, um für ein Buchprojekt zu recherchieren, ereilte ihn eine Medienkampagne.
Zuerst ging das vom Werbekonzern Ströer betriebene Webportal t-online auf ihn los, stellte ihn, gespickt mit allerlei Schimpfworten, wahrheitswidrig als offiziellen „Wahlbeobachter“ beim „Scheinreferendum“ dar, der sich von der russischen Regierung habe einspannen lassen. Andere Journalisten, darunter vom Spiegel, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland und sogar dem CAU-Campusradio schrieben von diesem Bericht ab, ohne die Geschichte selbst auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen.
Allein auf dieser Grundlage widerrief die Christian-Albrechts-Universität (CAU) in Kiel Baabs Lehrauftrag für das folgende Wintersemester. Auch die Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Berlin erklärte umgehend, den Journalisten nicht mehr beschäftigen zu wollen.
Gerichtsverhandlung und Widerstand
Baab sieht damit nicht nur seine Grundrechte auf Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit ausgehebelt, sondern auch grundlegende journalistische Standards verletzt. Wer Journalisten die Recherche verbietet, handele antidemokratisch und funktioniere die Presse zum politischen Propagandaorgan um, so Baab.
Er hat die CAU auf die Rücknahme des Widerrufs seines Lehrauftrags verklagt. Das Verwaltungsgericht Schleswig verhandelt seinen Fall am 25. April 2023. Auch andere sind mit seinem Rauswurf nicht einverstanden.
Ein Bündnis, dem auch Studenten angehören, unterstützt seine Klage. Dieses organisierte eine Solidaritätsveranstaltung, auf der Baab nun selbst Stellung zu den Vorgängen um seine Person nahm. Er sprach von einem Propagandakrieg, in dem Leitmedien und Universitäten wie eine politische Kriegspartei auf ukrainischer Seite agierten. Die Rede liegt der Autorin schriftlich vor.
Recherche unter Beschuss
Baab schildert darin, dass seine Reise in den Donbass seit Monaten geplant war. Dass zu dieser Zeit in den russisch besetzten Gebieten Referenden über den Anschluss an Russland abgehalten werden, habe er weder vorher wissen noch einkalkulieren können. Es sei bloßer Zufall gewesen.
Baab plant, ein Buch über den Konflikt zu schreiben. Dafür habe er die Situation in der Ostukraine vor Ort beleuchten, die Stimmung einfangen und mit Einwohnern reden wollen.
Im Vorjahr habe er deshalb bereits die Westukraine bereist. Es sei notwendig, auch darzustellen, was die Menschen im Donbass wollen und wie die Realität dort aussieht. Zunächst beschreibt Baab, wie er von der Kampagne erfuhr:
„Am 25. September 2022 stehe ich am Fenster des Hotels Park Inn in Donezk in meinem Zimmer im fünften Stock. Ich beobachte, wie eine Artilleriegranate ein Wohnhaus trifft. 800 Meter von mir entfernt kracht ein Teil der Fassade herunter. Etwa zur gleichen Zeit erreicht mich eine Textnachricht von t-online.“
Der Redakteur Lars Wienand habe von Baab wissen wollen, „ob ich als Wahlbeobachter bei den Referenden in den von Russland besetzten Gebieten bin“. Baab habe dem Autor gegenüber klar gestellt, „dass ich einer Journalistengruppe angehöre“. Dies sei auch notwendig in dieser Situation.
Er erläuterte: Man könne schon aus Sicherheitsgründen nicht einfach ohne jede Anbindung an regionale Behörden durch eine Region laufen, die ständig bombardiert wird und von Minen übersät ist. Das gehe allen Kriegsreportern so. Diese deshalb als Vertreter einer Seite zu brandmarken, sei unseriös und absurd.
T-Online startete Fake-News-Kampagne
Genau so stellte T-online-Redakteur Wienand den ehemaligen NDR-Journalisten jedoch dar. Baab berichtet über die ursprüngliche Version des Artikels, der die Medienkampagne einläutete:
„Während mein Begleiter und ich im Donbass Milizen, Scharfschützen, Artilleriegranaten und Minen zu entgehen versuchen, blasen Sitzredakteure in Deutschland zum publizistischen Angriff. Ein Wahlbeobachter sei ich gewesen bei Putins Scheinreferenden, ein Apologet des Kremls, ein Journalist auf politischen Abwegen.“
Die Universitäten in Kiel und Berlin hätten diese Falschmeldungen sofort geglaubt, „die fabriziert wurden, damit jemand darauf hereinfällt“, so Baab. Das Portal t-online sei bereits in der Vergangenheit mit ähnlichen Denunziationskampagnen aufgefallen. Für Baab ist das ein Angriff auf die Meinungs- und Pressefreiheit, der alle betreffe. Er wandte sich an sein Publikum in Kiel:
„Eigentlich geht es um Sie, um Ihre Meinungs- und Informationsfreiheit, um Ihre Freiheit von Forschung und Lehre. Es geht um Artikel 5 des Grundgesetzes. Es geht darum, wie im Dienst der Propaganda Schreibtischtäter versuchen, öffentliche Meinung zu zensieren, akademisches Leben politisch zu säubern und Existenzen zu vernichten; und so ein Exempel zu statuieren, durch die Erzeugung von Angst vorauseilenden Gehorsam zu erzwingen – bei Ihnen allen.“
Baab berichtete von seinen Erlebnissen im Donbass, vom ständigen Beschuss durch die ukrainische Armee, von Granaten, die ihn und seinen Begleiter nur knapp verfehlt hätten, und von einem Angriff auf das Hotel in Donezk, in dem sie wohnten. Er berichtete auch davon, dass ihr lokaler Begleiter, der sie sprachlich und bei der Mobilität unterstützt hatte, wenige Wochen nach ihrer Reise durch Beschuss mit westlichen Himars-Raketen getötet worden sei.
NATO-konforme „Wahrheiten“
Auf örtlichen Pressekonferenzen im Donbass sei Baab zwar aufgetreten, habe aber seine eigene Sicht auf das Referendum offen dargelegt und auch, ohne irgendwelche Konsequenzen, Kritik geübt. Danach seien die Standards geheimer Wahlen nicht überall eingehalten worden. Gleichwohl führt Baab an:
„Ich habe aber auch erklärt, dass die Ergebnisse die Stimmung der Bevölkerung abbilden. Denn der Donbass wird seit 2014 von der ukrainischen Armee beschossen, es gab nach UN-Angaben mehr als 14.000 Tote. Aus diesem Grund geriet die Bevölkerung in die Opposition zur Regierung in Kiew.“
Doch offenbar, so Baab, dürfe diese Wahrheit deutsche Wohnzimmer nicht erreichen. Sie passe nicht zu den Propaganda-Erzählungen des Westens.
Scharf kritisierte er fehlende journalistische Standards:
„T-online präsentierte mich als Wahlbeobachter, obwohl ich deutlich erkärt habe, keiner zu sein. Das Portal suggierte, Putins Angriffskrieg sei mir egal. Dagegen bin ich juristisch vorgegangen. Mögen mich russische Medien als Wahlbeobacher bezeichnet haben – es wäre die Aufgabe von t-online gewesen, den Vorgang zu prüfen. Medien sind ein Filter, der aussieht wie ein Fenster. Im Journalismus reicht es eben nicht, am Schreibtisch zu sitzen und in den Computer zu gaffen.“
Ströer-Portal stachelte wohl die Unis auf
Doch der Erst-Autor vom Ströer-Portal t-online begnügte sich nicht damit, seine eigene Deutungsversion auf der Webseite zu verewigen. Wienand stachelte offenbar die Universitäten mit dem Ziel auf, sie zum Rauswurf Baabs zu bewegen. Laut Baab fragte der Schreiber zunächst bei der HMKW in Berlin an, was sie wohl von Baabs vermeintlicher Tätigkeit als „Wahlbeobachter“ im Donbass halte und ob sie das gut finde.
Die Hochschule war sogleich besorgt um ihren „guten Ruf“. Denn bekanntermaßen lautet seit einem Jahr die politische Denkvorgabe in Deutschland, die Russen als das alleinige Übel sehen und die Ukraine als bloßes Opfer mit einer Art Heiligenschein zu betrachten. Wer davon abweicht, kann schnell unter Beobachtung des Geheimdienstes geraten oder sogar vor Gericht enden. Dafür sorgen neue Kreationen dehnbarer juristischer Begriffe beim Verfassungsschutz und im Strafrecht, wie etwa „Legitimierung eines Angriffskrieges“ oder „Delegitimierung des Staats“.
Nach der HMKW sprang auch die CAU auf den Zug auf. Wer demnach als Journalist vor Ort recherchiert, legitimiere örtliche Machthaber oder gar Wladimir Putin persönlich. Folglich sollen Journalisten die Angaben beider Kriegsparteien nicht mehr an der Realität prüfen, sondern nur noch die Propaganda der genehmen Seite verbreiten. Denn alles andere sei irgendwie „moralisch verwerflich“. Für Baab bedeutet das:
„Diese Universitäten tragen die Desinformation einer Kriegspartei mit und werden damit selbst zur Kriegspartei. Sie verstoßen damit gegen die im Grundgesetz verankerte Meinungs-, Forschungs- und Lehrfreiheit.“
„Intellektuelle verkaufen sich an Meistbietende“
Baab spricht von politischer Gleichschaltung, vom Statuieren eines Exempels, und er findet weitere harte Worte für dieses Vorgehen. Er mahnt:
„Der Konformismus wird zur Waffe. Wie bei Ulrike Guérot, die von der Universität Bonn gekündigt wurde, und Gabriele Krone-Schmalz, die massiven Angriffen ausgesetzt ist, geht es dabei um Zensur und Akte politischer Säuberung, die einer Demokratie unwürdig sind.“
Diese Kampagnen zielten nicht zuletzt darauf ab, die Existenzgrundlagen der Zielpersonen zu zerstören. Allein das, so Baab, dokumentiere den antidemokratischen Charakter dieses Vorgehens.
Es scheine, als solle das soziale Klima vergiftet, die demokratische Öffentlichkeit zerschlagen werden, um autoritäre Politik zu etablieren. Medien und Hochschulen hätten daran einen entscheidenden Anteil.
Baab sieht nicht nur seine Zunft, sondern die gesamte akademische Schicht in der Krise. Manch einer meine, so resümiert er, die Intellektuellen verweigerten bloß ihre Arbeit. Aber dies treffe den Kern nicht, das Problem liege tiefer im gesamten System verborgen. Baab erklärt:
„Es geht ums Geschäft. Kopfarbeiter verkaufen ihren Kopf an den Meistbietenden. Sie werden bezahlt für ihre Ideen, mit denen sie die kulturelle Hegemonie und Herrschaft der Mächtigen organisieren.“
Das herrschende Meinungsklima werde immer mehr zum Maßstab der medialen Berichterstattung. Der Kampf um Klickzahlen und die Anerkennung von oben ersetze mehr und mehr die Recherche. Kein Gericht dürfe dies durchgehen lassen, ist Baab überzeugt.
In der Tat: Wer Journalisten existenziell oder moralisch erpresst, auf Recherche zu verzichten und einseitige Meinungen zu verbreiten, trägt den Journalismus zu Grabe – und beerdigt die Aufgabe der Presse als sogenannte vierte Gewalt zur Kontrolle der Herrschenden.