Politik ohne Parteien
Nie waren eine Wiederbelebung der Demokratie und eine weltweite grundlegende Neuordnung gesellschaftlicher Prinzipien notwendiger als heute. Exklusivauszug aus „Demokratie versus Parteienherrschaft“.
Aus den Naturwissenschaften wissen wir, dass alles mit allem zusammenhängt. Die Atome, aus denen wir und sämtliche belebte und unbelebte Materie bestehen, sowie auch das universelle Bewusstsein sind Teile der kosmischen Schöpfung. Seit mehr als 250 Jahren greift die Menschheit durch ihre Produktionsweise, angetrieben vom ungehemmten Kapitalismus, in zerstörerischer Weise in das Wunderwerk des Lebens ein. Die Folgen sind weltweit verheerend. Entweder schließt die Menschheit Frieden mit dem Planeten und der Natur und ordnet ihre Wirtschaftsmodelle den begrenzten Ressourcen absolut unter, oder sie wird gnadenlos untergehen. Wir brauchen daher einen kompletten Wechsel des politischen und des Wirtschaftssystems. Die Politik der demokratischen Staaten basiert überwiegend auf Parteienherrschaft, und weltweit ist zu beobachten, dass die menschlichen Gemeinschaften in fataler Weise von dieser Herrschaft betroffen sind. Dieser Text wurde erstmals 2020 in Buchform veröffentlicht. In einigen Details ist er deshalb nicht mehr ganz aktuell, wohl aber in seinen grundsätzlichen Aussagen.
Wir haben beschrieben, welche Mechanismen zur aktuellen Situation geführt haben: Die im Grundgesetz vorgesehene Mitwirkung der Parteien an der politischen Willensbildung führte zu einem Monopol, das Demokratie — eine Herrschaft des Volkes, wie der Name unterstellt — durch eine Parteienherrschaft ersetzt hat.
Der deutsche Psychiater und Philosoph Karl Jaspers hatte bereits in den 1960er-Jahren beklagt, dass die Parteien sich von Organen des Volkes zu Organen des Staates entwickelt hätten und dazu beitrügen, die Wirksamkeit des Volkes Demokratie konterkarierend zu minimieren. Die politischen Parteien haben sich den Staat faktisch angeeignet.
Dass das parlamentarische System nicht nur in einer tiefen Krise steckt, sondern am Ende seiner bedrohlichen Entwicklung angekommen ist, zeigen uns die ungelösten Problematiken, national und international. Im Übrigen geben Wahlergebnisse die Erwartungen und Überzeugungen der Wähler schon lange nicht mehr wieder. Die von der Bevölkerung beauftragten Parlamente und Regierungen spiegeln nicht das Bewusstsein und den Willen der Landesbewohner.
Ein Verbot von geplantem Verschleiß im Wirtschaftssystem, von Plastikabfall, von Massentierhaltung, von krankmachender Lebensmittelproduktion, von Naturzerstörung ist zwingend notwendig. Und was bekommen wir? Städte, Gemeinden, Regionen und Länder, die versuchen müssen, in einem ständigen Wettbewerb die Nachbarn zu dominieren. Wir wollen regionale Wirtschaftskreisläufe, Verbraucherschutz, fairen Handel, aber wir bekommen eine Diktatur des Kapitals, die all das ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Steigerung des eigenen Reichtums steuert. Wir wollen sichere Arbeitsplätze mit einer fairen und auskömmlichen Vergütung, doch wir bekommen Druck auf Arbeitsplätze und Entgelte durch Produktionsbedingungen in Indien oder China. Wir wollen eine Zukunft für unsere Kinder in einer intakten Natur, stattdessen haben wir eine Welt bekommen, in der Angst vor der Zukunft vorherrscht: Angst vor den Folgen der Klimaveränderung, Angst vor Kriegen und Konflikten, Angst vor dem Morgen. Wir wollen Volksvertreter in den Parlamenten, die sich dafür einsetzen, unser Leben und das der gesamten Natur zukunftsfähig und friedvoll zu gestalten, doch was haben wir?
Abgeordnete, die in politischen Zirkeln — Parteien — organisiert sind und nicht unabhängig vorgehen, sondern die Interessen der Partei vertreten, deren Führung von Meinungseliten mit kühler Berechnung unter Druck gesetzt werden und die dafür sorgen, dass sie in Abhängigkeit von deren Interessen agieren. Die Vertreter dieser Interessen prägen und lenken über die Presse die öffentliche Meinung. Das Gesetz des Handelns liegt zum großen Teil bereits bei einer wuchernden Eurobürokratie in Brüssel, bei dem Internationalen Währungsfonds in Washington, bei der Europäischen Zentralbank in Frankfurt und bei der Welthandelsorganisation in Genf — alles Institutionen, die eng mit dem internationalen Finanzsektor verwoben sind. So wird nationale Politik von den Zielen der globalen Finanzwirtschaft ferngelenkt.
Die Geschichte von Ägypten bis Rom zeigt uns, dass jedes politische System ein Verfallsdatum hat. Für die Parteienherrschaft in Demokratien ist diese Zeit jetzt gekommen!
Global stehen uns tiefgreifende Umbrüche bevor, sowohl klimatisch als auch soziologisch und politisch. Wir stehen am Beginn einer ganz anderen Zivilisation. Die Interessen eines jeden Teils der Gesellschaften und der gesamten Natur müssen berücksichtigt und zweifellos den Partikularinteressen übergeordnet werden.
Jetzt stellen sich die Fragen: Werden wir zu Opfern von Ereignissen, die über uns hereinbrechen und uns ein anderes Leben aufzwingen, oder können wir die Geschichte wenden und eine gemeinsame Vision für eine lebenswerte Zukunft entwickeln?
Vor etwa 200 Jahren entstanden die Nationalstaaten und haben überall in Europa die monarchischen Herrscher abgelöst. Jetzt ist es an der Zeit, erneut etwas grundlegend Neues entstehen zu lassen, damit wir gut gerüstet in die Zukunft gehen können. Mit einem radikalen grundlegenden Umbau der verkrusteten politischen Strukturen kann der Grundstein für ein friedvolles Zusammenleben der globalen Gesellschaften in einer intakten Umwelt gelegt werden.
Für diese grundlegende Transformation bedarf es einer Neuorientierung der Gesellschaftsziele. Nachfolgend eine realistische Aussicht.
Verfassung für Deutschland
Der Ökonom und Philosoph Professor Dr. Wolfgang Berger hat im März 2019 in der „Wissensmanufaktur“ (Institut für Wirtschaftsforschung und Gesellschaftskritik) ein Essay mit dem Titel „Demokratie ohne Parteien“ verfasst. Die Ausführungen dieses bemerkenswerten Mannes sind genial und zukunftsweisend. Sie zeigen uns einen realistisch-visionären Weg aus der vermeintlichen Sackgasse hin zu einer wahren Demokratie.
Dem deutschen Volk ist nach der Vereinigung von Ost- und Westdeutschland im Jahre 1990 gemäß Gesetz eine Verfassung in Aussicht gestellt worden. Die Organisatoren der Wiedervereinigung haben sich über diese Vorgabe des deutschen Grundgesetzes hinweggesetzt. Die Politiker haben den Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland einfach um das Gebiet der früheren Deutschen Demokratischen Republik erweitert, ohne das davon betroffene Volk in Ost oder West zu befragen.
Verfassungsreform gemäß Grundgesetz (GG) Artikel 146
Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.
1762 hat Jean-Jacques Rousseau, Philosoph, Schriftsteller und Naturforscher, in seinem „Du Contrat Social“ (Vom Gesellschaftsvertrag) das Konzept der Volkssouveränität als Prinzip legitimer politischer Herrschaft begründet. Danach steht das Volk als höchste Staatsgewalt über allen anderen Institutionen.
In unserem Land repräsentieren die politischen Parteien die höchste Staatsgewalt und beherrschen allen anderen Institutionen. Deshalb braucht Deutschland eine Verfassung, die vom Volk verstanden, akzeptiert und getragen wird — der das Volk zugestimmt hat. Erst wenn das erreicht ist, haben wir eine wahre Demokratie.
Professor Dr. Berger erläutert, wie eine Verfassung die Erdrosselung unseres Gemeinwesens durch die Parteien in Deutschland beenden kann, und macht hierzu sieben Vorschläge:
• „Bei Bundestagswahlen bewerben sich in jedem Wahlkreis nur noch Direktkandidaten.
• Der Kandidat, der in einem Wahlkreis die meisten Stimmen erhält, zieht in den Bundestag ein.
• Landeslisten, die von den Parteien aufgestellt und mit der ‚Zweitstimme‘ gewählt werden, gibt es nicht mehr. Weil Überhangmandate wegfallen, wird die Größe des Bundestages mehr als halbiert.
• Kandidieren kann jeder Bürger, der im Wahlkreis wohnt und das passive Wahlrecht besitzt. Hierzu benötigt er 250 unterstützende Unterschriften von wahlberechtigten Mitbürgern aus dem Wahlkreis.
• Es werden Personen gewählt, keine Parteien. Eine mögliche Parteizugehörigkeit von Kandidaten wird auf dem Wahlzettel nicht vermerkt — eine Zugehörigkeit zu einem Sportklub ja auch nicht.
• Die Reihenfolge, in der die Kandidaten auf den Stimmzetteln stehen, wird ausgelost. Das beschränkt den sicheren Erfolg eines von der größten Partei aufgestellten Kandidaten.
• Die zuständige Behörde organisiert öffentliche Veranstaltungen, bei denen die Kandidaten sich vorstellen.“
Für eine Verfassung muss allerdings noch sehr viel mehr geregelt werden. Zu ihrer Vorbereitung und Beratung wird eine verfassungsgebende Versammlung gebildet, ähnlich der, die das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland entworfen hat. Dieses ausdrücklich so genannte „provisorische Grundgesetz“ wurde vom Parlamentarischen Rat beschlossen und konnte erst nach Genehmigung durch die westlichen Besatzungsmächte am 24. Mai 1949 in Kraft gesetzt werden. Der Parlamentarische Rat war eine von den Länderparlamenten der drei Westzonen gewählte Versammlung, die 65 stimmberechtigte und 5 nicht stimmberechtigte — aus Westberlin — Mitglieder hatte. Sie tagte von September 1948 bis Juni 1949 in Bonn.
Professor Dr. Berger schreibt, dass die neue verfassungsgebende Versammlung jetzt aus 100 Personen gebildet werden solle, denn 100 Personen seien arbeitsfähig, weil jeder jeden kenne, und meint weiter, dass 40 von ihnen Juristen, Wissenschaftler, Richter, Verwaltungsjuristen, Rechtsanwälte, Staatsanwälte, Wahlbeamte und Parlamentarier sein sollten, die sich selbst vorschlagen oder von ihren Institutionen vorgeschlagen werden könnten.
Jedes Landesparlament würde aus dieser Vorschlagsliste eine anteilige Zahl von Personen auswählen und sie in die verfassungsgebende Versammlung entsenden. Nach Nordrhein-Westfalen 9, Bayern 6, Baden-Württemberg 5, Niedersachsen 4, Hessen 3, Sachsen, Berlin, Brandenburg und Schleswig-Holstein je 2 Mitglieder, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland und Bremen je 1 Mitglied. Diese Personen würden mit Dreiviertel der Parlamentssitze gewählt. Diese Mehrheiten erreichten die Regierungsfraktionen der Landesparlamente nur, wenn sie die gesamte Opposition mit einbänden.
60 Mitglieder dieser Versammlung würden über die Einwohnerregister der Wahlberechtigten mit einer qualifizierten Zufallsauswahl aus der Mitte der Bevölkerung rekrutiert werden. Das Losverfahren orientiere sich neben regionalen an demografischen Kriterien (Geschlecht, Alter, Bildungsgrad, Beruf), sodass diese Vertreter die Struktur der Gesamtbevölkerung damit spiegeln würden. Zahlreiche Losdurchgänge würden so lange durchgeführt, bis die erzielte Auswahl der Zusammensetzung der Bevölkerung entspräche. Zusätzlich würden Ersatzkandidaten benannt, falls einzelne ausgeloste Bürger den Ruf zur Mitwirkung in der verfassungsgebenden Versammlung nicht annähmen.
Vorsitzender der verfassungsgebenden Versammlung sei ein Bundesrichter, der von den Mitgliedern der Versammlung mit einer Dreiviertelmehrheit gewählt werde. Bei Nichterreichen der erforderlichen Mehrheit würde ein weiterer Wahlgang angesetzt werden. Die Wahl des Vorsitzenden würde von einem Mitglied des Bundesverfassungsgerichts geleitet, das von diesem Gericht einvernehmlich dafür benannt werde.
Die organisatorische Starthilfe für die Versammlung obliege dem Bundespräsidenten. Die Versammlung wählte einen zentral in Deutschland gelegenen festen Tagungsort, der auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut zu erreichen sei, zum Beispiel Kassel.
Mitglieder der verfassungsgebenden Versammlung erhielten Kostenersatz und würden für ihre Tätigkeit entlohnt. Beamte, die man für die Mitwirkung in dieser Versammlung freistellte, erhielten keine Vergütung. Mitglieder der Versammlung, die durch ihre Mitarbeit einen Verdienstausfall erlitten, würden für ihre Mitwirkung gleichhoch vergütet. Als Richtgröße gelte der durchschnittliche nachgewiesene Verdienstausfall. Bei der Berechnung würden sehr hohe Einkommen nivelliert. Selbstständige, deren Betrieb durch ihre Mitwirkung gefährdet sei, würden je nach ihrer spezifischen Situation unterstützt. Berufsverbände stellten hierfür die Bearbeiter. Der Bundesfinanzminister erließe eine Durchführungsverordnung zur Vergütungsregelung.
„(…) Der so erarbeitete Verfassungsentwurf muss von der Bevölkerung als oberstem Souverän in einer Volksabstimmung genehmigt und freigegeben werden. Der Prozess der Vorbereitung dieser Abstimmung wird die meisten Wähler veranlassen, sich mit dem Entwurf und seinen Folgen — also mit dem politischen System — zu beschäftigen. Wird der Entwurf vom Souverän — dem Volk — nicht gebilligt, muss erneut beraten werden. Für Diskussion und Meinungsbildung ist ausreichend Zeit vorzusehen.“
Nach dieser Zäsur könnte Deutschland Vorreiter und Vorbild für eine ganz besondere Verfassung werden. Die Winde der Veränderung kündigen sich an und fordern uns auf mitzukommen. Unsere Demokratie wird nicht vergehen, weil die Parteien ihre Macht verlieren, im Gegenteil: Sie wird endlich wiedererwachen und aufblühen.
Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun und mit uns geschehen lassen. Und wir müssen nicht auf dem Boden der uns oktroyierten Tatsachen leben. Wir — das Volk — sind der Souverän. Dessen müssen wir uns bewusst sein. Die Meinungsmacher der politischen Parteien haben uns schon viel zu lange die Wege verbaut, auf denen alle Menschen ihre Würde wiedererlangen können. Es sind die friedvollen Wege in uns, die zum Frieden in unserem Land und zum Frieden auf der Welt führen können.
Von allen bisher erprobten Gesellschaftsformen ist die Demokratie jene, die den menschlichen Eigenschaften und Bedürfnissen wie Vertrauen, Wertschätzung, Liebe, Empathie, Gemeinschaftssinn, Solidarität und Gerechtigkeit am nächsten kommt.
Fazit
Durch die Betrachtung der Vergangenheit konnten wir verdeutlichen, welchen Beweggrund es für die Erfindung der Demokratie im 5. Jahrhundert vor Christus in Griechenland gab. Ganz grundsätzlich war das Leitmotiv die Einhegung der Macht, die man durch Abbau ererbter Vorrechte der Adelsfamilien zugunsten eines größeren Mitwirkungsrechts der athenischen Bürgerschaft erreichte. Hauptmerkmal jeder Demokratieform ist die Abwehr autokratischer, oligarchischer oder allgemein diktatorischer Herrschaft durch das Volk als souveränem Träger der Staatsgewalt. — So weit die Theorie.
In der Praxis haben aber in allen heutigen Demokratien sich selbst so nennende „politische Parteien“, in Symbiose mit mächtigen Akteuren der Wirtschaft, eine Unterwanderung und Aushöhlung demokratischer Ordnung bewirkt. Unsere Volksvertreter benutzen das Mandat, das wir ihnen zum Zwecke der gemeinwohlorientierten Gestaltung unserer Gesellschaft übertragen haben, vor allem für ihre persönlichen Ziele. In den Parlamenten verwirklichen sie seit Jahrzehnten ungehindert ihre eigennützigen Bedürfnisse durch Mehrheitsbeschluss.
Schon nach der ersten Bundestagswahl wurde von den damaligen Abgeordneten, ohne dass es dafür einen anderen Grund als Machtsicherung gab, das Wahlgesetz dahingehend geändert, dass in den Wahlkreisen neben dem direkt gewählten Volksvertreter noch ein zusätzlicher Parlamentarier über eine Parteienliste in den Bundestag gelangt. Diese Kandidaten werden ausschließlich durch die Parteien bestimmt. Seitdem, seit dem 2. Bundestag 1953, regiert in Deutschland nicht das Volk durch Volksvertreter, sondern die politischen Parteien.
2017 wurden aus 299 Wahlkreisen 709 Abgeordnete in den Deutschen Bundestag delegiert. 299 davon sind Direktmandate, 410 Parlamentarier wurden hingegen von den Parteien in den Bundestag gesandt. Von den 299 Direktmandaten, also Personen, die von den Bürgern als ihre Interessenvertreter gewählt wurden, gehören ganze zwei keiner Fraktion an. Deutlicher kann man den deutschen Parteienstaat nicht darstellen.
Dieses Machtsyndikat hat sich unserer Demokratie von Beginn an ermächtigt. Seit Jahrzehnten ausgebaut und verfeinert, haben die Parteien bis heute sämtliche Bereiche unserer Gesellschaft durchdrungen. Die Schlüsselstellen der staatlichen Organisation sowie sämtliche Bereiche öffentlicher Verwaltung sind mit Parteisoldaten besetzt. Wenn Regierungen wechseln, werden Beamte nach Parteibuch ausgetauscht. Staatliche Parteienfinanzierung, Entscheidungen in eigener Sache (Diäten und Versorgung), berufliche Tätigkeiten neben ihren politischen Aufgaben, aber vor allem das Zulassen wirtschaftlicher Beeinflussung auf Gesetze und Verordnungen durch ein Übermaß an unkontrolliertem Lobbyismus sind prägend für die egoistischen Entscheidungen und das Handeln unserer Volksvertreter.
Die direkten Konsequenzen dieses Systems der Parteienherrschaft sind nicht nur demokratiegefährdend, sondern tatsächlich demokratiezersetzend, weil die wichtigste Grundregel jedes demokratischen Staatswesens — die Trennung von Legislative, Exekutive und Judikative — durch den Einfluss der Parteien auf alle drei Säulen des Staates ausgehebelt wurde.
Demokratie kann aber nur praktiziert werden, wenn in jedem dieser Bereiche unabhängig von den anderen gehandelt wird, wobei es zur wesentlichsten Aufgabe der Parlamente gehört, die Regierenden zu kontrollieren und gegebenenfalls zu korrigieren. Es hat zwar den Anschein, dass das Rechtswesen noch weitgehend unabhängig ist, jedoch werden die Richter von Parteigremien bestellt, und die Staatsanwälte sind dem Justizministerium gegenüber weisungsgebunden, also auch von Parteien gelenkt. Selbst die von Bundestag und Bundesrat gewählten Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts werden nicht von unabhängigen Parlamentariern gewählt, sondern von Politikern, die der Parteilinie verpflichtet sind.
Um das große Drama unserer Zeit, nämlich die Durchdringung von Kapitalinteressen in sämtliche Bereiche des Staates und seines Gemeinwesens, verständlich darzustellen, müssen wir die Intention und Motivation der Parteien und ihres Personals kurz erläutern.
Zur Erinnerung: In Deutschland überträgt das Grundgesetz den Parteien lediglich die Aufgabe, bei der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, mehr nicht!
Wie schon erwähnt hielten sich die Parteifunktionäre der ersten Stunde nicht an Artikel 38 Absatz 1 GG, der die Unabhängigkeit der Abgeordneten dadurch fordert, dass sie in ihren Entscheidungen nur ihrem Gewissen unterworfen sind. Seitdem, seit 1953, bestimmen Parteigremien die Aufstellung der Kandidaten für den Bundestag und entscheiden damit, wer eine Chance erhalten soll, Parlamentarier zu werden. Die sich schnell herausbildende Allmacht der Parteien provozierte, dass die Mandatsträger Berufspolitiker wurden, weil sie de facto weisungsgebunden sind, also abhängig Beschäftigte der Parteien. In der Praxis konnte und kann niemand Politiker werden, der nicht Angestellter einer Partei ist, auch wenn dies formal nicht so dargestellt wird. Da nun die Berufspolitiker ihre Jobgarantie nur von den Parteiführungen erhalten beziehungsweise fürchten müssen, im Falle der Verweigerung von Gefolgschaft nicht mehr nominiert zu werden, sind sie durch ihr Führungspersonal erpressbar. Von diesen Abhängigkeiten machen die Parteien reichlich Gebrauch. Folglich marschiert eine Heerschar von braven Parteisoldaten in Richtung der Vorgaben ihres Vorstandes. Das Hauptaugenmerk der Berufspolitiker ist die Sorge um Posten und Privilegien und steht auf der Prioritätenliste politischer Ziele ganz oben.
Den Politikernachwuchs rekrutieren die Parteien aus der unerfahrenen Gefolgschaft, die ihre Loyalität ständig beweisen muss. Die Folge ist, dass Politiker und Kandidaten vor allem durch Seilschaften und Proporz an die Schaltstellen der Staatsmacht gelangen, nicht durch ihre Kompetenz. Dieser Kompetenzmangel ist quer durch alle Bundesministerien sichtbar und bedroht den Staat sowie den Zusammenhalt der Gesellschaft. Die Parteien haben sich ihren eigenen Staat kreiert und sitzen am Hebel der Macht. Sie schwächen unsere rechtsstaatliche Demokratie und missbrauchen ihren Einfluss. Dies alles geschieht seit vielen Jahrzehnten vor unseren Augen, Stück für Stück, sodass die fatale Entwicklung bisher kaum auffiel.
Die Erkenntnis ist eindeutig: In Deutschland gibt es keine Demokratie, sondern eine Parteienoligarchie.
Der Hunger der Parteien und ihrer Akteure nach Posten, Geld und Macht blieb nicht lange unbemerkt. Die Wirtschaftseliten und ihre Kapitalmacht gesellten sich zu ihnen und wurden zu einem willkommenen Partner. Es entwickelte sich eine symbiotische Abhängigkeit, die in der Folge zur heutigen Beherrschung des Staates durch Kapitalinteressen führte. Die anfänglich von den Parteien begonnene Eroberung der Demokratie hat zur Annexion der Staatsführung durch die Kapitaleigner und zur Unterwerfung der Gesellschaft zum Zwecke ihrer bedingungslosen Verwertung geführt. Parteien und ihre Büttel sind primär gerne dem Willen ihrer Herrschaft ausgeliefert. Der sogenannte Drehtüreffekt zeigt deutlich die Verstrickung von Politik und Wirtschaft, ist aber nur die bekannteste von vielen Maßnahmen für aktive und ehemalige „Staatsdiener“.
Die Folgen sind, dass die Gesetzgebung der Demokratien, selbst die gesamte Gesellschaftsstruktur durch Kapitalinteressen dominiert wird. Seit Beginn der Globalisierung haben die Wirtschaftseliten diesen Zustand weiter verstärkt und ihn bis heute global netzwerkartig ausgebildet. Der Einfluss privatwirtschaftlicher Akteure in internationalen Politikprozessen ist weltweit an den Spannungsgebieten und kriegerischen Auseinandersetzungen sichtbar. Unternehmen üben, lokal und international, massiven rechtlichen und ökonomischen Druck gegenüber Regierungen aus, um staatliche Regulierungen oder für sie nachteilige fiskalpolitische Maßnahmen zu verhindern. Damit sind sie auch, direkt und indirekt, hauptverantwortlich für ausbeuterische Arbeitsbedingungen, den Raubbau an Bodenschätzen, Kriege, Hunger, Tod und Vertreibung sowie schuldig am Klimawandel und dessen verheerenden Folgen.
An den vorgenannten Beispielen wird offensichtlich, dass diese Herrschaftsform, die man uns als „Demokratie“ präsentiert, nicht einmal ansatzweise eine Herrschaft des Volkes darstellt und das Zerstörungspotenzial der neokapitalistischen Wirtschaftsform, sollten wir sie weiter gewähren lassen, die Lebensbedingungen des Homo sapiens und unzähliger Arten unwiederbringlich auslöschen wird.
Dabei dürfen wir aber nicht vergessen, dass auch wir eine große Verantwortung gegenüber der gesamten Natur haben, der wir in unserem alltäglichen Handeln auch nachkommen müssen.
An dieser Stelle wollen wir aber auch hervorheben, dass es uns nicht darum geht, Wirtschaft und Entwicklung infrage zu stellen. Im Gegenteil. Das Potenzial des Menschen ist bewundernswert. Seine Fähigkeiten und seine Kreativität sind uns durch die Dimension seiner Schöpferkraft in Kunst, Musik sowie Forschung und Entwicklung in allen Wissenschaftsbereichen durchaus bewusst. Die zutiefst lebensfeindliche Logik der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, die nahezu alles, was unser Leben ausmacht, den Kapitalinteressen unterordnet, lässt aber nicht zu, dass wir als Menschheit von den technischen und medizinischen Erfindungen auch insgesamt profitieren. Zum Beispiel werden Medikamente durch Patentschutz überteuert verkauft beziehungsweise wird die Lieferung dringend benötigter Medizin nach Afrika aus Rentabilitätsgründen unterlassen. Oder schauen wir auf die Art und die Umstände der Lebensmittelherstellung: Da geschieht nicht nur in Deutschland, sondern weltweit ein Verbrechen an der gesamten Natur der Erde. Die Menschheit wird in der Wirtschaft nur noch als Humankapital und als Konsumentenmasse betrachtet.
Diese globale Repression hat den Menschen entsolidarisiert, ihn seiner Empathie beraubt, die Gegenwarts- und Zukunftsängste verstärkt und sogar den Widerstand der Philosophen und klugen Denker unserer Zeit verstummen lassen. Gerade jetzt wären ihre Gedanken über eine zukünftige Gesellschaft sehr wichtig, aber sie sind nahezu unsichtbar und auch nicht zu hören.
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