Politik ohne Krieg
Anstatt wie gebannt dem Schachspiel der Mächtigen zuzuschauen, sollten wir eigenverantwortlich Gemeinschaften gründen, in denen Frieden erprobt werden kann.
In einem technokratisch geführten Krieg stehen sich Feinde in der Regel nicht mehr leibhaftig gegenüber. Das ist oft nur noch bei Gegnern in der Politik so, wenn sie sich mehr oder weniger konzeptlos vor allem mit Ablenkungsmanövern, mit Flickwerk und mit Wahlkämpfen beschäftigen. Dieser Beitrag basiert zum einen auf den langjährigen Erfahrungen des Autors als Politiker in der kleinen Schweiz und zum anderen auf seiner Wahrnehmung der großen Politik, wie sie uns täglich bis zum Gehtnichtmehr durch Medien kolportiert wird. Weiter macht der Autor deutlich, warum es für unsere Welt ein echtes Miteinander braucht und wie es ein solches geben kann. Dafür ist es nötig, scheinbar Unmögliches möglich zu machen.
Wir leben in einer Welt, die, vielfach geistesgestört und krank, von Herrschsucht geprägt ist. Viele in dieser Welt erfolgreiche Menschen sind dem Denken mit dem Verstand verhaftet, dem es an der Tiefe des Seins fehlt. Zu dieser Welt des Denkens gehört auch, ständig gewinnen zu müssen.
Für eine andere Welt braucht es innere Stärke und Kooperation. Innere Stärke ist eine Frage des Seins und nicht des Habens. Und eine friedvolle Kooperation bedingt einen offenen und souveränen Umgang mit Andersartigkeit. Solche Kräfte und Handlungsoptionen vermisse ich bei einer Politik, die auf Egoismus und äußerem Schein basiert.
Wenn Wahlen etwas änderten, wären sie verboten
„Dieser Satz bringt die Gemüter vieler Menschen in Wallung. Denn sie klammern sich verbissen an den Glauben, das System durch die Abgabe von Stimmzetteln verändern zu können. Sie erkennen nicht, dass Demokratie als Herrschaftssystem darauf ausgelegt ist, exakt das nicht zuzulassen.“
So die Einleitung zum Vortrag „Triff die Freaks“ des amerikanischen Autors und Filmemachers Larken Rose, den Tom-Oliver Regenauer übersetzt und am 9. November 2024 auf Manova veröffentlicht hat .
Dieser Vortrag ist ein Hammer — die Anmerkung erlaube ich mir für alle, die wie ich gelernt haben, an die Redlichkeit der Demokratie zu glauben. Larken Rose geht es dabei um Voluntarismus: eine Bewegung, die sich als Alternative zum nicht nur in den USA praktizierten Versuch versteht, mit gigantisch manipulierten Wahlen für das kleinere von zwei Übeln zu stimmen. Dies verbunden mit der Illusion, etwas entscheidend und fundamental Wichtiges getan zu haben.
Unter anderem scheint das möglich dank einer (un)heimlichen Allianz von Dummen — die nicht wissen, was sie tun –, Gleichgültigen — denen eh alles Wurst ist —, Schlauen — die nur das wollen, was ihnen selber nützt — und Gemeinen — die dazu auch noch andere über den Tisch ziehen.
Es fehlen Mächtige mit Verantwortung, die qualifiziert wirksam „Stopp“ zu einem solchen System sagen. Aber viele Politikerinnen und Politiker sind vor allem mit sich selbst beschäftigt: untereinander und gegeneinander. Und die Wirtschaft ist im Wachstumsmuster „Immer noch mehr auf Kosten von immer noch mehr“ gefangen: ein Perpetuum-Mobile, das in Tat und Wahrheit schon lange stillsteht.
Selbst habe ich es als Politiker immer wieder als einen Trick von schlauen Mächtigen erlebt, zusammen mit Medien ehrgeizig intelligente Dumme mit einer Polarisierungen wie beispielsweise „Linke oder Rechte“ in ein Gegeneinander zu manövrieren, das es für sie leicht macht, ohne Haftung und Verantwortung von oben durchzuherrschen.
Ein solches Manöver stelle ich oft auch bei Sachfragen fest, wo es nichts bringen kann, das politische Handeln auf einem Selbstverständnis zu begründen, das dafür eine Gegnerschaft braucht. Und vor allem: Eine Politik, die ihr Selbstverständnis auf einer Gegnerschaft begründet, ist nicht friedenstauglich.
„Anstatt einen sogenannten Linken und einen sogenannten Rechten sich duellieren zu lassen, würde ich es begrüßen, wenn Medien beide fragen, was sie gemeinsam tun wollen, um die Staatsfinanzen ins Lot mit dem Bedarf und den Bedürfnissen sowie den Ressourcen zu bringen. Herausforderungen, die sich mehr und mehr in der aktuellen Welt stellen, können im Großen wie im Kleinen besser mit Kooperation als mit Konfrontation gemeistert werden.“
So mein Kommentar zu einer Debatte betreffend die Baselbieter Staatsfinanzen, veröffentlicht in der Basler Zeitung vom 28. Oktober 2024 (1).
Die Frage, wofür und für wen Parteien ihre Politik machen, stellt sich immer deutlicher, stehen sie doch immer öfter neben den Schuhen oder/und schauen nur noch in die Röhre.
Auch in der Schweiz erlebe ich die parlamentarische Macht-Schach-Parteien-Demokratie als ein System, das nicht nur in einer Krise steckt, sondern sich immer mehr als gescheitert erweist. Weil sie in für die Bevölkerung existenziell relevanten Sachfragen keine Entscheidungen mehr zustande bringt, die zu bestmöglichen Lösungen für alle führen können. Das System, wo Parteien zum Selbstzweck gegeneinander um die Macht kämpfen, zeigt sich immer mehr als ein Auslaufmodell: Für ein Miteinander braucht es eine ganz andere Politik.
Unabhängig davon, wer konkret diese oder jene Wahl gewinnt oder verliert, bewegt mich schon seit Langem ein Unbehagen: Warum ist das eigentlich ein Wahl„kampf“? Warum geht's um ein Siegen, das immer auch Verlierer hervorbringt?
Warum geben wir unsere Stimme ab, statt sie zu erheben? Warum gestalten wir eine Art von Demokratie, wo uns Politikerinnen und Politiker großartig hilflos versprechen: Wir lösen das für euch! – statt die Lösungen gemeinsam mit möglichst allen Menschen zu finden?
Außer Kontrolle
„Überwachung, Zensur, Manipulation, Herrschaft, Gewalt — die Kontrolle von außen, die wir heute erleben, hat viele Formen und Gestalten. Gegen die Bestrebungen globaler Institutionen und Unternehmen, die Macht über die gesamte Welt in wenigen Händen zu konzentrieren, können wir nichts tun. Doch wir sind nicht machtlos. Wenn wir das Problem erkennen, können wir in uns die Bedingungen dafür schaffen, dass die äußeren Machtapparate sich auflösen, weil sie nicht mehr gebraucht werden.“
So Kerstin Chavent über äußere Ereignisse, die zeigen, was wir innen loszulassen haben. Ihr Beitrag ist am 1. Oktober 2024 publiziert worden .
Auch das Schweizer System von Demokratie (Volksherrschaft) gründet auf Entscheidungen, wo die Mehrheit recht hat, und dies auch dann, wenn es nicht — oder zumindest nicht für alle — das Richtige ist. Mit diesem System kann es insbesondere auch in existenziell wichtigen Fragen für immer eine größere Minderheit schwierig werden.
Nicht nur in der Politik, auch in Teams und Organisationen kommt es vor, dass die Lauten sich Gehör verschaffen und die Entscheidungsmacht beanspruchen wollen. Die meisten aber werden nicht wirklich wahrgenommen. Ihr Beitrag und ihre Perspektive finden kaum Platz.
Oder alle verlieren sich in endlosen Debatten, in denen wieder die „gewinnen“, die das beste Sitzfleisch haben. Aber könnte das nicht auch ganz anders gehen? Wie wäre es, wenn wir eine Kultur des Miteinanders entwickeln, wo alle aktiv und wertgeschätzt zur Problemlösung beitragen können?
Wenn wesentliche Aspekte nicht berücksichtigt sind, kann eine „Entweder-ja-oder-nein-Entscheidungsorganisation“ in eine Endlos-Sackgasse führen, wo gar nichts besser ist. Für eine Ökologie und Ökonomie der Fülle braucht es eine fundamental andere Politik. Mit 100-Prozent-Entscheiden, die allen Aspekten und Interessen entsprechen, miteinander bestmöglich alle und alles umfassend ausgehandelt und austariert. So wie wir dies mit einer neuen Politik bestrebt sind zu tun (2).
Dies einer Gesellschaft von außen oktroyieren zu wollen, ist kein guter Weg. Und es von innen wachsen zu lassen, geht nur mit Menschen, die mit ihrem erwachten Bewusstsein eine Heilung im Ganzen anstreben, wo alle und alles in Vielfalt miteinander verbunden sind.
Wenn Schulen den Bildungsbetrieb mit Rennbahnpädagogik und Wettbewerb organisieren, mag dies eine hervorragende Vorbereitung auf ein Leben voller Kampf und Krieg sein. Was wäre aber, wenn es immer mehr Menschen auch angesichts aller äußeren Bedrohlichkeiten gelingt, zukunftsweisende, attraktive Möglichkeitsräume zu entdecken? Was wäre, wenn wir uns aus bisherigen Denk-, Gefühls- und Handlungsmustern befreien könnten, die uns nicht weiterbringen?
Der Schlüssel liegt im Verstehen von vermeintlich unvereinbaren Meinungen und Positionen sowie im gemeinsamen Treffen von Entscheidungen, die in einem grundsätzlichen und übergeordneten Sinn allen Aspekten entsprechen, die für Lösungen nützlich sein können und relevant sind.
„Der Erste, der ein Stück Land eingezäunt hatte und es sich einfallen ließ zu sagen: ‚Das ist mein‘ und so einfältige Leute fand, die das glaubten, wurde zum wahren Gründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, Leiden und Schrecken würde einer dem Menschengeschlecht erspart haben, hätte er die Pfähle herausgerissen oder den Graben zugeschüttet und seinesgleichen zugerufen: ‚Hört ja nicht auf diesen Betrüger. Ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass die Früchte allen gehören, die Erde keinem!‘“
So Jean-Jacques Rousseau in: Über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen, 1755.
Immer mehr Menschen — aber wahrscheinlich noch lange nicht eine maßgebende Mehrheit — merken, dass mit dem System der parlamentarischen Links-Mitte-Rechts-Macht-Schach-Parteiendemokratie in relevanten Sachfragen, wie beispielsweise in den Bereichen Arbeit, Bauen, Bildung, Finanzen, Gesundheit, Renten, Umwelt und Verkehr, offensichtlich kaum Entscheidungen zustande kommen können, die qualifiziert und alle Aspekte umfassend zu für alle bestmöglichen Lösungen führen. Ob in einem solch unzweckmäßig etablierten politischen System die Linken oder die Rechten oder die Mittleren das Rennen machen, scheint nur machtpolitisch und extrem kurzfristig betrachtet wirklich von Belang.
Immer mehr Menschen sind in für sie existenziell wichtigen Lebensbereichen von einer parlamentarischen Parteienpolitik betroffen, die ein perspektiv- wie auch substanzloses Macht-Schach spielt und sich wie auf einem Karussell im Kreis dreht.
Auch in der Politik braucht es Menschen, die in liebevoller Güte gemeinsam Entscheidungen treffen, die für alle zu bestmöglichen Lösungen führen: mit einer Ökologie der Fülle anstatt mit einer Ökonomie des Mangels und des Verschleißes.
Wahlkämpfe entsprechen einer Welt, die ihren Zenit überschritten hat. Wenn ein großartiges Chaos herrscht, braucht es viel Geschick und Glück, sich nicht davon vereinnahmen zu lassen. Ob die Menschheit es wohl schafft, diese alte Welt in Würde altern und ohne allzu viel Resignation, Verzweiflung oder Zerstörung loszulassen?
Die Welt, in und mit der ich gelernt habe zu leben, hat ihren Zenit überschritten. Es ist nicht einfach, sie loszulassen, denn sie steckt sowohl mit ihren Lügen als auch mit ihren Wahrheiten in meinem Kopf drin. Das Loslassen der alten Welt ist mit Gefühlen wie Wut, Trauer, Angst und Scham sowie mit ihren hellen und ihren dunkeln Seiten verbunden.
Hass verstehe ich als einen Bestandteil der Herrschsucht und der Zerstörungswut, von denen die Welt, in der wir leben, geprägt sind. Wut ist aber nicht per se schlecht oder gut. Die heilende Kraft der Wut kann dazu animieren, komplexe und/oder schwierige Situationen zu klären und kreativ zu handeln.
Herrschsüchtige wollen uns spalten. Fallen wir nicht darauf herein. Betreten wir stattdessen die politische Sphäre mit Fragen, die aus dem Mitgefühl stammen und zur Liebe führen: Dies ist die einzige Revolution, die einen Wert hat.
Friedensarbeit in der Gemeinschaft
„Wenn wir Frieden auf der Erde wollen, brauchen wir funktionierende Gemeinschaften. Wenn wir funktionierende Gemeinschaften wollen, brauchen wir — schlicht gesagt — eine Revolution unseres bisherigen Menschenbildes und unserer bisherigen Vorstellungen vom Leben.“
So Dieter Duhm in einem Beitrag, der am 27. Oktober 2024 vom ZE!TPUNKT veröffentlicht wurde (3).
Wir alle sind mitverantwortlich für eine Welt, die von Gier, Herrsch- und Vergnügungssucht sowie von Zerstörungswut geprägt ist, und dies auch dann, wenn wir, ohne uns dessen bewusst zu sein, „nur“ zuschauen und nichts tun.
In einer solchen Welt gehört beispielsweise Betrügen genuin dazu. Bei einem Wahlkampf geht es um das Gewinnen und um die Macht und nicht um Wahrheit. Ein Wahlkampf bewirkt auf der Gefühlsebene viele Schatten: Wut lässt hassen, Trauer resignieren. Angst lähmt. Scham führt zur Verzweiflung. Und Freude basiert leider oft lediglich auf Illusionen. Mit Menschen, die helle, kraftstrotzende Wahrheiten wissen und entsprechend handeln können und wollen, ist eine andere Welt möglich.
Mögen wir uns dafür mit Herz, Kopf, Händen und Füßen ganz und heil, wohlgeborgen und frei fühlen, möglichst auch frei von Hass, Leid und Schmerzen. Und um mich dabei und dafür in die Mitte zu bringen, verorte ich mich unterwegs immer wieder auch mit dem Gefühlskompass von Vivian Dittmar (4).