Parlamentarische Sprechblasen

Heutigen politischen Debatten ist nicht vorzuwerfen, dass darin zu viel gestritten würde — vielmehr sagen alle Parteien annähernd das Gleiche in zunehmend hohlen Worten.

Früher ging es hoch her im Hohen Haus, wenn prägnante Köpfe sich ebendiese in oftmals aggressiven Wortgefechten heißredeten. Man stritt, jedoch mit einiger Substanz. Heute herrscht eher das Bild einer De-facto-Einheitspartei, die durch inszenierte Scharmützel über Geschmacksnuancen demokratische Verhältnisse zu simulieren versucht. Über die ungefähre Marschrichtung sind sich ohnehin alle längst einig: weniger Freiheit für die Bürger, mehr Krieg und die Ausplünderung des Landes durch mächtige Eliten. Wenn in diesem domestizierten Debattierklub noch irgendwo wirkliche Feindseligkeit mitschwingt, dann richtet sie sich gegen die Bürger.

Das Theater, das man aus unerfindlichen Gründen „Politik“ nennt, hat manchmal etwas Unwirkliches, vor allem im Sommer und noch mehr im Rückblick auf diesen. Zum Beispiel kann ich mir nicht vorstellen, weshalb und zu welchem Zweck sich jemand bei dreißig Grad in die pralle Sonne am Marienplatz stellt, um sich von dem Typen, der vor zwei Jahren sein selbstzufriedenes, überhebliches Blecken auf Plakaten mit der Drohung „Respekt für dich“ unterschreiben ließ, als „gefallener Engel aus der Hölle“ beschimpfen zu lassen.

Abgesehen davon, dass ein sogenannter Wahlkampf immer ein peinliches und entwürdigendes Schauspiel ist, vor allem in Zeiten wie diesen, wo zwar Wahlen stattfinden (sollen), man aber eine Wahl — im Sinne konkurrierender Interessen, Ideen und Lösungsansätze für gesellschaftliche Probleme — in keiner Weise hat, sondern bloß irgendeine vorgefertigte Namensliste ankreuzen darf, um hinterher zu erfahren, was „alternativlos“ ist und wozu man folglich gezwungen werden muss: Abgesehen davon ist selbstverständlich das Schimpfen schon immer Bestandteil der Politik. Es gab große Meister dieser Disziplin, die sich die abwegigsten Bezeichnungen für ihre jeweiligen ideologischen Konkurrenten einfallen ließen — vom „Düffel-Doffel“ (Herbert Wehner) bis zum „rotlackierten Faschisten“ (Franz Josef Strauß). Es gab auch untalentierte Parvenüs wie Josef Fischer, der die Bemerkung „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch“ für originell oder frech hielt.

Es gab ja aber auch etwas zum Streiten. Weil damals — egal wie vorgeformt, von außen gesteuert, inszeniert und korrupt der ganze Aufzug gewesen sein mag — Parteien noch das waren, was ihr Name besagt: Vertreter der Interessen eines bestimmten Teils (lateinisch „pars“) der Bevölkerung. Dass der Boss nicht wollte, was seine Arbeiter wollten — weil man nun mal alles nur einmal verteilen und folglich den Ausgebeuteten nicht geben kann, was der Ausbeuter schon aufs Schweizer Nummernkonto verschafft hat —, verstand sich von selbst.

Folglich führten die Parteien der Bosse — FDP und CDU/CSU — anderes im Sinn als die Partei der Arbeiter: die aus nachvollziehbaren Gründen verbotene KPD sowie möglicherweise zeitweilig und jedenfalls angeblich die SPD. Es brauchte auch die niederbayerische Bäuerin anderes als der Industriekapitän, der Straßenkehrer, der bohemianische Künstler und die homöopathische Ärztin, und deshalb waren solche Parteien möglicherweise irgendwann mal eine gute Idee. Ich bin davon nicht überzeugt, aber das ist heute nicht das Thema, weil wir das schon hatten.

Jedenfalls wurde gestritten und geschimpft, von Repräsentanten in Parlamenten, weil die dafür da waren und weil man so wenigstens verhindern konnte, dass sich die Leute auf der Straße und in den Kneipen die Knüppel über die Scheitel zogen.

Daher rührt übrigens ein populäres Missverständnis: Die Nazis fürchteten und verachteten Parlamente und schmähten sie als „Quatschbuden“, gerade weil darin gestritten wurde. Streit im deutschen Volk indes wollten die Nazis nicht. Wenn es einen Konflikt gab, hatte gefälligst der Führer zu entscheiden, das Volk sich unterzuhaken und dem Führer zu gehorchen, und gestritten wurde gegen den Feind, den inneren wie den äußeren, und zwar mit allen Mitteln, auch weil — und da schließt sich ein Kreis — das mit dem Unterhaken nur dann gescheit funktioniert, wenn man jemanden findet, den man zur Bedrohung aufbauschen kann, weil er einen stören, schädigen, gar vernichten wolle.

Heute sind Parlamente wenigstens in Deutschland tatsächlich zu Quatschbuden degeneriert, aber nicht, weil dort gestritten würde. Im Gegenteil: Selbst wenn tatsächlich mal jemand etwas sagt, was einem anderen nicht gefällt, dann ist der andere im Zweifelsfalle gar nicht da — weil meistens so gut wie überhaupt niemand da ist — oder hat jedenfalls für das Gequatsche höchstens ein Gähnen übrig.

Niemand fürchtet oder verachtet ein Parlament, in dem nichts mehr stattfindet als gähnende Leere und konsentes Gequatsche. Wo es echte Konflikte gibt, haben gefälligst die Führer zu entscheiden, das Volk sich unterzuhaken und den Führern zu gehorchen. Gestritten wird gegen den Feind, den inneren wie den äußeren: den Querdenker, Ketzer und Abweichler hier, den Russen und Chinesen dort. Der Kreis, der sich da schließt, ist 2023 kurioserweise der gleiche wie 1933.

Das gilt auch fürs Schimpfen: Der und die Führer damals tobten hemmungslos gegen alles, was sich — vermeintlich oder tatsächlich — ihren Absichten in den Weg stellte, fanden dafür die absurdesten Begründungen, teilten die Welt in Gut und Böse, in Gläubige und Teufel, schürten Angst vor den Ab- und Außenseitigen, trieben den Spaltkeil so tief in die Gesellschaft, dass der entstandene Graben nicht mehr zu überbrücken war, und gingen dann acht Jahre später daran, das Unterhaken so ins Extrem zu eskalieren, dass angesichts der absehbaren Kriegsniederlage nur noch das schlimmste Verbrechen der Menschheitsgeschichte übrig blieb: die industrielle Vernichtung so vieler der erkorenen Gegner, wie man bis zum unvermeidlichen eigenen Untergang zu vernichten imstande war.

So weit, verharmlosend gesagt, sind wir nicht, und so weit wird es, wenn man ein Fitzelchen Vernunft als menschliche Eigenschaft auch kollektiv vermutet, nie mehr kommen, obwohl die „westlichen“ Bemühungen um eine baldige Übertreffung samt Weltuntergang unter dem Motto „Die Russen werden schon nicht so weit gehen!“ derzeit nicht zu übersehen sind — höchstens für notorische Junkies der Staatsmedien.

Aber geschimpft wird trotzdem, und das Modell ist das gleiche: Da sind die Bösen! Sie sind „gefallene Engel aus der Hölle“ (Scholz) beziehungsweise Verbrecher, die sich „nicht auf mildernde Umstände herausreden können“ (Steinmeier), beziehungsweise sowieso Staatsdelegitimierer, Ketzer, Covidioten, Destabilisierer, Blinddärme, Erpresser, Volksschädlinge und was da noch so an Hetzvokabeln in der Gegend herumgespuckt wird.

Die große Frage lautet: Was kann eine Bevölkerung tun, wenn ihre angeblichen Repräsentanten entweder so kriminell und verkommen oder so verzweifelt und hysterisch oder beides zusammen sind, dass ihnen nichts mehr einfällt, als eben diese Bevölkerung — oder wenigstens ein Viertel davon, Tendenz schnell steigend — hemmungslos zu beschimpfen, um sie auf Linie zu trimmen?

Für diese Frage spielt es tatsächlich eine gewisse Rolle, ob dies oder das: Wenn wir es mit Wahnverbrechern vom Schlage Hitler/Goebbels/Himmler zu tun haben, ist die Sache aussichtslos: Solche Figuren wissen, dass sie scheitern und untergehen werden, und eine möglicherweise typisch deutsche Massendynamik sorgt zuverlässig dafür, dass sie alles um sich herum mitreißen. „Wir können doch nicht unsere Engel so ganz allein in die Hölle hinabfallen lassen!“ oder so ähnlich. Ich habe kein großes Talent für religiöse Phantasie- und Wahnwelten.

Die Verbrechen der Scholz-Baerbock-Habeck-Faeser-Steinmeier-Bande — insbesondere des Letzteren, von Hartz IV über den Majdan-Putsch bis hin zur strafrechtlichen Einordnung von Falschwählern — mögen welthistorisch eine gewisse Bedeutung haben. Sehr wahrscheinlich — ich kann mich irren! — sind sie jedoch nicht annähernd vom Kaliber dessen, was die Hitlerbande angerichtet hat. Selbst Mussolini, Biden, Blinken, Sullivan, Nuland und Pelosi können diesen schrägen Gestalten mit ihren hassverkniffenen Leergesichtern wohl kaum das Wasser reichen.

Das macht sie indes nicht ungefährlich, vor allem wenn man bedenkt, dass die Letztgenannten ja ohne Zweifel als ihre Vordenker und Befehlshaber agieren und im Zweifelsfall das Sagen haben — und haben werden, wenn die Verschwörungstheorie zutrifft, dass die ab Oktober anstehenden neuerlichen „Coronamaßnahmen“ in den USA vor allem dem Ziel dienen, die nächste Präsidentschaftswahl auf brieflichem Wege zu manipulieren, um diese Gestalten im Amt zu halten, das sie vom Gefängnis aus nicht ausüben könnten. Aber das ist wiederum eine andere Geschichte, über die man diskutieren mag, wenn es so weit ist.

Also: Was tun? Oder, um die Frage mit etwas mehr historischer Bedeutung aufzuladen: Wie werden wir diese unfähigen, gefährlichen und offensichtlich irren Herrscher los?

Ich bin in verspäteter Sommerlaune und möchte deswegen empfehlen, was die rebellische deutsche Jugend derzeit unternimmt, um ein Neun-Euro-Ticket und ähnliche vernachlässigenswerte Kraft-durch-Freude-Wohltaten herbeizuführen: Kleben!

Aber nicht etwa uns selbst auf irgendwelche Straßen. Wir sollten vielmehr alles andere kleben, und zwar an, in, um und mit allem verkleben, was es nur gibt. Ein ganzes Land in pappige Zuckerwatte einzuckerwattieren! Und sobald es einer schafft, sich trotzdem auf eine Bühne zu schwingen und den Mund zu öffnen, um irgendwas „voranzutreiben“, wird er zu- und festgeklebt!

Und wir: gehen derweil noch ein paar Tage zum Baden, nackt, damit uns die Zuckerwatte nicht erwischt, weil wir ja nichts Böses und eigentlich überhaupt nichts wollen außer dem, was wir mal hatten oder gerade noch so haben. Und dann, wenn der Herbst wirklich kommt und die wabernde, wummernde, sich windende und wimmelnde Zuckerwattenvisagenbande daherkommt und irgendwas von uns will — Wahlen! Waffen! Unterhaken! Masken! Was auch immer! — lachen wir den ganzen Schmarrn ganz einfach weg.

Weil wir nämlich den Radio, den Fernseher, das durchzensierte Internet und die Zeitungsausgabekästen der Staatsmedien ebenfalls zugeklebt haben und da nichts mehr herauskommt als ein dumpfes Blubbern. Und wenn der nächste Frühling kommt — was er tun wird, weil die Kasernen und Waffenfabriken zugeklebt sind —, dann tanzen wir nackt auf den Straßen und sehen den Kaiser nicht mehr.


Radio München · Letzte Hoffnung: das nackte Kleben!


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Beitrag erschien zuerst unter dem Titel „Letzte Hoffnung: das nackte Kleben!“ als Podcast auf Radio München.