„Ohne große Zwischenfälle“
Der Kongress „50 Jahre israelische Besatzung in Palästina“ in Frankfurt ist vorbei. „Ohne große Zwischenfälle“, titelte die Frankfurter Rundschau ihre Berichterstattung. Von wegen.
Der Kongress „50 Jahre israelische Besatzung in Palästina“ in Frankfurt hat für viel Wirbel gesorgt. Man könnte meinen, in der Bankenmetropole wurde für ein paar Stunden der Israel-Palästina-Konflikt nachgestellt, mit vielen Leihgaben, Kostümierungen, Bühnenbildern und Projektionen, verzwickten Frontverläufen und merkwürdigen Koalitionen. Es gibt genug Gründe, hinter die abflauende Aufregung zu schauen.
Ohne große Zwischenfälle
Der Kongress „50 Jahre israelische Besatzung in Palästina“ in Frankfurt ist vorbei. „Ohne große Zwischenfälle“ titelte die Frankfurter Rundschau ihre Berichterstattung.
Der enttäuschten Aufregung folgt in aller Regel die nächste Aufregung.
Man könnte meinen, in Frankfurt wurde für ein paar Stunden der Israel-Palästina-Konflikt nachgestellt, mit vielen Leihgaben, Kostümierungen, Bühnenbildern und Projektionen, verzwickten Frontverläufen und merkwürdigen Koalitionen.
Laut Frankfurter Rundschau/FR haben sich ca. 150 Menschen an der Protestkundgebung „We stand with Israel“ beteiligt. Dort sprach die selbsternannte Stadtgesellschaft, zu der neben Bürgermeister Uwe Becker (CDU), Sascha Stawski (Vorsitzender des Vereins Honestly Concerned), der Bundestagsabgeordnete Volker Beck (Grüne) diese eine Mal die ansonsten so verschmähte „antiautoritäre Linke“ Jutta Ditfurth dazustieß.
Für ein „Free Palestine“ und gegen die Verbotsgesellschaft hatten sich laut FR ca. 120 Menschen eingefunden: „Wir wollen die Fahne Palästinas, die für uns ein Zeichen des Widerstands der Schwachen gegen eine starke Militärmacht ist, hochhalten“, erklärte dort eine Rednerin.
Und am eigentlichen Ereignis, dem Kongress nahmen über 200 Interessierte teil.
In der dazu verfügbaren Berichterstattung erfährt man so gut wie gar nichts, ob sich die zuvor erhobenen Verdächtigungen und Vorwürfe bestätigen ließen – oder ob man einen Anlass dafür sieht, sie (in Teilen) zurückzunehmen. Man erschöpft sich in Stichworten.
In meinem Beitrag: 50 Jahre israelische Besatzung in Palästina – Was ist daran Kritik und was Antisemitismus? bin ich auf ein Hauptargument der Verbotsbefürworter eingegangen, die den „Wirtschaftsboykottaufruf“ gegen die israelische Besatzung mit der Nazi-Parole „Kauft nicht bei den Juden“ aus den 30er Jahren gleichstellten. Dafür führte ich wesentliche Merkmale des Antisemitismus aus.
Mit diesem Wissen möchte ich auf ein paar Redner eingehen, die erneut dieser Kampagne Antisemitismus vorwarfen. Das verwundert nicht. Das ist jedoch kein Grund, auf sie nicht einzugehen. Im Gegenteil: Anstatt ihren Vorwürfen aus dem Weg zu gehen, muss man ihre Bannmeile betreten und fragen: Was verstehen die Redner für „We stand with Israel“ unter Antisemitismus?
Man wird feststellen können, dass fast jeder in dieser selbst zusammengestellten „Stadtgesellschaft“ seinen eigene Antisemitismustheorie hat und dass in keinem einzigen Fall dem Gehalt dieser Aussagen nachgegangen wurde. Das lohnt sich aber, wenn man sich nicht am Spektakel, Schlag-Worten und Blitzlichtern beteiligen will.
Sascha Stawski, Vorsitzender des Vereins Honestly Concerned und Mitorganisator der Proteste gegen die Konferenz zu „50 Jahren israelischer Besatzung“ in Frankfurt, hat sein Antisemitismus-Verständnis wie folgt dargestellt:
„Ich halte mich da an die bekannte 3D-Definition von Natan Scharansky: Aussagen, die eine Delegitimierung, Doppelstandards oder Dämonisierung in Bezug auf Israel enthalten, sind demnach antisemitisch. Ich erwarte schlicht, dass, wenn man Kritik an Israel formuliert, sie genau so formuliert ist, wie Kritik an anderen Ländern. Dass man Israels Politik kritisiert und hinterfragt, damit habe ich überhaupt kein Problem.“ (FR vom 8.6.2017)
Als Sascha Stawski diese 3-D-Definition präsentierte, hatte die FR keine Nachfrage. Solche Nachfragen wären aber notwendig, um zu verstehen, was wer unter Antisemitismus versteht.
Niemand wird hoffentlich bestreiten, dass es im Kampf um Deutungshoheit und politische Rechtfertigungen die drei D’s zum Einsatz kommen: Delegitimierung, Doppelstandards und Dämonisierung.
Das kann und muss man auch an der linken Israel-Kritik überprüfen, wenn Linke – in den 80er Jahren sehr vehement – dem Staat Israel seine Existenzberechtigung absprachen, da dieser doch ein „künstliches Gebilde“ sei – als seien andere Staatsgründungen organischen Ursprunges. Dasselbe trifft zu, wenn man israelische Ministerpräsidenten mit Hitler vergleicht oder die Ermordung und Vertreibung von Palästinensern zu einem „zweiten Holocaust“ macht.
Die eigene Argumentation zu überprüfen, ist also mehr als gerechtfertigt.
Diese 3-D-Techniken sind jedoch keine besondere Eigenheit von Kritikern der israelischen Staatspolitik. Sie kommen überall zum Einsatz, wo Macht- und Herrschaftsverhältnisse legitimiert werden sollen, ob auf Seiten der deutschen oder russischen Regierung, ob in deutschen oder US-amerikanischen Medien.
Auch wenn es auf den ersten Blick überraschen mag: Die 3-D-Techniken haben etwas Erhellendes, wenn man sie an alle „Konfliktparteien“ anlegt.
Denn in ganz wesentlichen Zügen beherrschen die Israel-Befürworter diese Techniken ausgezeichnet, wenn sie die Idee und das Anliegen der Kopi-Veranstaltung delegitimieren, um diese mit einer Dämonisierung zu krönen. Nichts anderes machen sie, wenn sie den Boykottaufruf gegen die israelische Besatzungsmacht in politische Verwandtschaft mit der Nazi-Parole „Kauft nicht bei Juden“ setzen und mit dem Vernichtungswillen des NS-Regimes gleichsetzen.
Und was doppelte Standards angeht, so lieferte der Frankfurter OB Feldmann erst kürzlich ein weiteres Beispiel, wenn es um den Umgang mit Annexionen geht. Wenn das Russland macht, wie mit der Krim, dann hört man nicht auf, dies zu kritisieren und … mit Wirtschaftsboykott darauf antworten. Ganz anders sieht es hingegen mit der Annexion von Ost-Jerusalem durch den israelischen Staat aus. Darauf folgte bis heute kein lauter Ruf, diese aufzugeben, auch keine Wirtschaftssanktionen. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall: Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann hatte vor zwei Wochen die Schirmherrschaft für Feierlichkeiten zu „50 Jahre wiedervereinigtes Jerusalem“ übernommen.
Wenn man nur diese Beispiele nimmt, dann wird hoffentlich deutlich, wie absurd es ist, diese 3-D-Techniken zu einem Markenzeichen des Antisemitismus zu machen. Mehr noch: Indem man diese Techniken zur Feindbildversinnlichungen zum Kennzeichen eines Antisemitismus verklärt, kämpft man nicht gegen den Antisemitismus, sondern verdeckt die Anwendung der eigenen Herrschaftstechniken.
Auch der Vertreter der Grünen, der Bundestagsabgeordnete Volker Beck (Grüne) hat seinen ganz eigenen Antisemitismus:
„Wer gegen Zionismus ist, ist gegen den jüdischen und demokratischen Staat Israel.“
Man möchte laut und wild lachen über dieses Schwachsinn: Der Zionismus war und ist eine nationale Ideologie, eine bestimmte narrative Erzählung über das Leid, die Unterdrückung und schlussendliche Befreiung des Volkes. Eine nationale Befreiungsideologie ist nichts besonderes, nichts Einmaliges. Sie ist wichtig und notwendig, um sich gegen Unterdrückung und Verfolgung zu wehren, um die Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes selbst in die Hand zu nehmen. Aber jede nationale Erzählung richtet sich nicht nur gegen den äußeren Feind (Besatzung/Kolonialisierung), sie markiert und zementiert auch den Sieg über die inneren Feinde.
Der säkular geprägte Zionismus war in seinen Anfängen nur eine von vielen „nationalen Erzählungen“. Und, er war von Anfang an nicht die nationale Erzählung, sondern eine unter vielen. Die National-Religiösen, die Ultra-Orthodoxen haben eine ganz andere und widersprechen der zionistischen Geschichtsschreibung vehement. Und es gab und gibt jüdische Menschen, die sich explizit als Weltbürger verstehen und der nationalen Einfriedung um das Narrativ: Israel ist die einzige richtige Antwort auf den Holocaust widersprechen.
Wenn also Herr Beck behauptet, dass der Antizionismus das eigentliche Ziel verfolge, den jüdischen und demokratischen Staat Israel zu zerstören, dann kennzeichnet er nicht einen Konflikt, sondern frisiert die israelische Geschichte. Einflussreiche und machtvolle Antizionisten haben ihre Heimat nicht in Deutschland, sondern leben in Israel. Waren sie bis in die 60er Jahre noch „rechter Rand“ und in der Minderheit, so hat ihre Bedeutung in Israel rasant zugenommen. Sie sind heute Regierungspartner und befinden sich an den Schalthebeln der Macht … und sind dabei, die säkulare „Erzählung“ durch eine religiös-messianische Geschichtsschreibung abzulösen. In dieser gibt es keine besetzten Gebiete, sondern nur die Herstellung „biblischer Grenzen“. Was dies bedeutet, hat Amos Oz schon sehr früh, sehr eindrucksvoll beschrieben:
„Einen Monat lang, ein Jahr lang oder eine ganze Generation lang werden wir als Besatzer in Orten sitzen müssen, deren Geschichte unsere Herzen berührt. Und wir müssen uns daran erinnern: als Besatzer, denn dazu gibt es keine Alternative ... Nicht als Erlöser und nicht als Befreier.“ (Michael Brenner, Professor für jüdische Geschichte und Kultur, Jüdische Allgemeine vom 08.06.2017)
Wenn Herr Beck also die politische Gegnerschaft zum Zionismus für ein antijüdisches Ressentiment, und noch verkürzter, für Antisemitismus hält, dann ist das Ganze nur noch absurd: Die wichtigsten und mächtigsten Gegner des Zionismus in der Gründungsphase bis heute waren und sind Juden, die den Staat Israel (Eretz Israel) für ein Gotteswerk halten und nicht – wie der Zionismus – für eine Idee aus Menschenhand.
Wer einen Eindruck von der „umstrittenen“ Tagung bekommen will, dem sei der Vortrag von Moshe Zuckermann als Video empfohlen:
Aber auch: Prof. Moshe Zuckermann - Auszüge aus einer Debatte über Antisemitismus, Antideutsche und Antikapitalismus: