Öffentlich-private Machenschaften
In Chile hat ein sozialistischer Präsident zur Verstaatlichung des Lithiums aufgerufen — das birgt Chancen, jedoch auch Risiken.
Smartphones, Tablets, Elektroautos, dazu Batterien ... Wer diese heute „unentbehrlich“ gewordenen Produkte kontrolliert, der schwingt sich — so könnte man meinen — zu einem der führenden Staaten der Welt auf. Chile verfügt über eines der größten Lithium-Vorkommen der Welt. Und das Leichtmetall ist in allen genannten Technologien enthalten. Die chilenische Volkswirtschaft hat bis jetzt jedoch nur wenig davon profitiert. Oft bedeutete „Public-private partnership“ in der Vergangenheit, dass die Staatskasse, also letztlich die Bevölkerung, für die Kosten und Risiken aufkam, während Privatfirmen und ausländische Investoren den Rahm abschöpften. Der chilenische Präsident Gabriel Boric will nun die Lithium-Förderung unter staatliche Kontrolle stellen. Wird er damit durchkommen? Ist diese Vorgehensweise „zu sozialistisch“ oder hilft sie dem Land weiter? Und wie verträgt sich die Idee mit dem Umweltschutz?
In der Andenrepublik Chile, wo das Leben auch langsam ungemütlich wird, scheiterte jüngst der sozialistische Präsident Gabriel Boric an seiner geplanten Steuerreform. Bei der Abstimmung im Nationalkongress hatte nur eine einzige Stimme gefehlt, dann wäre sie durchgegangen! So aber verfehlte die Regierung die nötigen 74 Stimmen im Parlament; es hatten sich nur 73 Abgeordnete gefunden, die für die vorgeschlagene Steuerreform des Präsidenten stimmten.
Dies wird zur Folge haben, dass eine Reihe von fundamentalen Sozialreformen, darunter auch eine Änderung des privatisierten Rentensystems, wegen fehlender Mittel nicht durchgeführt werden kann. Auch hatte man vor, die Wartelisten in Spitälern zu verkürzen und die Notaufnahmen zu verbessern. Doch die Wahlversprechen des Präsidenten basierten sämtlich auf dieser Steuerreform und haben sich mit diesem harten Schlag des konservativ dominierten Parlamentes nun wieder verflüchtigt.
Etwa sechs Wochen später, am Abend des 20. April dieses Jahres, kündigte Präsident Boric in einer Rede an, die Förderung von Lithium unter staatliche Kontrolle stellen zu wollen. Seine Rede war auf allen nationalen Fernsehsendern simultan geschalten worden. Die Ankündigung des Präsidenten erfolgte überraschend und könnte als Versuch gewertet werden, die fehlenden zehn Milliarden US-Dollar, die Chiles Regierung für soziale Reformen benötigt, auf diese Weise zu bekommen.
Chile verfügt über eines der größten Lithium-Vorkommen der Welt. Allein unter den ausgedehnten Salzfeldern der nördlichen Atacama-Wüste werden 8,3 Millionen Tonnen Lithium vermutet, wenn auch frühere Regierungen übereingekommen waren, diesen Bodenschatz als Reserve vorerst unter der Erde zu lassen.
Aktuell wird das Lithium bloß in einer einzigen Mine abgebaut, die von dem chilenischen Chemiekonzern Sociedad Química y Minera (SQM) betrieben wird. Besitzer des SQM-Konzerns, welcher in der Vergangenheit immer wieder in diverse Skandale verwickelt war, ist ironischerweise Julio Ponce Lerous, der Ex-Schwiegersohn des Generals und früheren Diktators Augusto Pinochet. Ebenfalls beteiligt an SQM ist der US-amerikanische Konzern Albemarle Corporation.
Vor nicht allzu langer Zeit war Multimilliardär Elon Musk nach Chile gereist, um sich persönlich eventuelle Rechte an dem Lithium zu sichern. Da er jedoch nur die Hälfte des Marktpreises bezahlen wollte, musste er unverrichteter Dinge wieder abziehen, wofür die chilenischen Verhandler nur zu beglückwünschen sind.
Man erinnert sich vielleicht an den Staatsstreich in Bolivien Ende 2019, wo es im Hintergrund auch um das Lithium in bolivianischer Erde gegangen war, und Herr Elon Musk auf Twitter kommentierte: „Wir werden putschen, gegen wen immer wir wollen.“ Unterstützt wurde der Staatsstreich gegen Evo Morales damals auch von Brasiliens Ex-Präsident Jair Bolsonaro.
Danach war es zu Gesprächen mit den Chinesen gekommen, die offenbar mehr geboten hatten. So geschehen bei der internationalen Konferenz der Lithium-Batterien-Industrie und dem Symposion „Erneuerbare Energie-Fahrzeuge“, die im Juli 2022 in Suining, in der chinesischen Provinz Sichuan abgehalten wurden, wo der chilenische Botschafter in China, Gustavo Díaz Hidalgo, das Versprechen abgegeben hatte, die Kooperation im Lithium-Sektor mit der Volksrepublik China zu stärken. Die Lithium-Förderung in Chile habe zugenommen, dank der starken chinesischen Nachfrage, sagte der chilenische Diplomat bei dieser Gelegenheit und fügte noch hinzu, dass der weltweite Marktanteil des Lithiums aus Chile mittlerweile bei 38 Prozent liege, wie die Global Times berichtete.
Bekanntlich ist Lithium ein wichtiger und begehrter Rohstoff geworden, den manche frohlockend schon als das „neue Erdöl“ bezeichnet haben.
Überall in Batterien mobiler Geräte wie Smartphones und Tablets wird Lithium gebraucht, vor allem aber zur Herstellung von Batterien für Elektroautos, die wiederum CO2-Emissionen weltweit reduzieren sollen und deshalb gerade im Trend liegen oder dem Publikum aus Gründen des Klimaschutzes schmackhaft gemacht werden sollen. Ich lasse hier dahingestellt, ob das vielgescholtene Kohlendioxid tatsächlich als Ursache des Klimawandels angesehen werden kann oder nicht. Tatsache bleibt, dass Lithium stark nachgefragt wird. Auch soll es jedem selbst überlassen sein, ob man Smartphones oder Tablets als entbehrlich empfindet.
Der Sozialismus und seine Widersacher
Zurückkommend auf die Ankündigung des chilenischen Präsidenten, soll nach dessen Willen und Vorstellung in naher Zukunft ein staatliches Unternehmen gegründet werden, welches die Lithium-Förderung kontrolliert — jedoch im Rahmen von öffentlich-privaten Partnerschaften.
Das möchte freilich für manche Ohren sicherlich verdächtig nach dem berüchtigten „Public-private Partnership“ klingen, ein mittlerweile sogar in Mainstream-Medien stark kritisiertes Modell. Doch wenn es nach den Vorschlägen des Präsidenten geht, sollen private Unternehmen nur zu maximal 49 Prozent an gemeinschaftlichen Projekten beteiligt werden. Zwar bestehen Verpflichtungen mit den Konzernen SQM und Albermarle, deren Konzessionen erst 2030 beziehungsweise 2043 auslaufen. Doch Präsident Boric möchte diese Konzessionen auf dem Verhandlungsweg vorzeitig beenden. Darauf erfolgte allerdings umgehend eine Reaktion des SQM-Konzerns und seines chinesischen Teilhabers Tianqi, welche konstatierten:
„Wir sind ein seriöses und vertrauenswürdiges Land; immer respektierten wir geltende Verträge und werden das auch in Zukunft tun, und wir wissen, dass im Jahr 2030 der Pachtvertrag von Privaten eines wichtigen Teils der Salzwüste von Atacama ausläuft.“
Die Minen des SQM-Konzerns beanspruchen 81.000 Hektar des fraglichen Gebietes, während die in den USA ansässige Albermarle-Korporation nur auf mageren 16.000 Hektar angesiedelt ist.
Die australische Lithium Power International hingegen, die gleichfalls Schürfrechte in der Atacama besitzt, fand anerkennende Worte:
„Dies (die Verstaatlichung des Lithiums) ist eine gute Nachricht für das Land, welche Kurs geben wird für diverse Projekte der Vernetzung existierender Salzfelder, einschließlich der nötigen Konkurrenz, und die Prozesse der Erneuerung und der Übernahme von neuen Standards bei den Lithium-Projekten in Chile beschleunigen wird.“
Das nationale Lithium-Unternehmen aber solle eine Tochterfirma der staatlichen Kupferminen CODELCO werden, dem weltweit größten Kupferproduzenten. Dem Staatsbetrieb CODELCO wird also die undankbare Aufgabe zufallen, mit dem SQM-Konzern in Verhandlung zu treten. Außerdem soll CODELCO bei der Organisation des Lithium-Abbaus in Chile mit dem nationalen Bergbau-Unternehmen Enami kooperieren, was zu Kompetenzfragen führen könnte.
Als eine weitere Falle des „Public-private Partnership“-Modells entpuppt sich oft der Umstand, dass die daran beteiligten Staaten sämtliche Investitionen und Spesen eines Wirtschaftsunternehmens zu bestreiten haben, während private Unternehmer bloß die anfallenden Gewinne abschöpfen.
In Chile wäre das keine Neuigkeit. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an den chilenischen Politiker Radomiro Tomic, der, nachdem er Botschafter in den USA gewesen war, bei den Wahlen 1970 als christdemokratischer Gegenkandidat von Salvador Allende auftrat und einen ähnlichen Deal mit US-amerikanischen Kupferminen am Laufen hatte. Am Ende zeigte sich, dass der chilenische Staat für alle Kosten aufzukommen hatte, jedoch die Gewinne in die Vereinigten Staaten flossen. Da bleibt zu hoffen, daß Präsident Boric die Sache etwas geschickter handhaben wird.
Nach den Worten des Präsidenten soll es eine öffentliche, transparente Ausschreibung geben, bei der private Unternehmen um entsprechende Konzessionen ansuchen werden können. Den privaten Unternehmen wird freigestellt, sich auch gegenseitig an Projekten zu beteiligen.
Umweltschutz sichert Lebensräume für Tier und Mensch
Ein besonderes Augenmerk legte Chiles Präsident bei seiner Rede auf den Umweltschutz. Dazu sagte Gabriel Boric:
„Wenn die Salztonebenen (‚Salares‘) einmal ausgebeutet werden, um Lithium zu gewinnen, wird man die Installierung von neuen Technologien einfordern, welche Umweltschäden möglichst gering halten.“
Überdies würden die Verpflichtungen aus dem Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Biodiversität selbstverständlich erfüllt werden.
Boric kündigte auch die Schaffung eines „Technologischen Instituts der Öffentlichen Forschung“ zu Lithium und Salzstätten an, welches die Anstrengungen technologischer Entwicklung kombinieren soll mit Forschungskapazitäten aus Ökologie, Geologie und Sozialwissenschaften sowie um die Salzwüsten, ihre Biodiversität und die Gemeinschaften, die um sie herum wohnen, zu erforschen. Schließlich seien Salzwüsten komplexe ökologische Systeme, einzigartig und artenreich, die nicht nur in Chile, sondern auch auf internationaler Ebene nicht ausreichend geschützt würden.
Nun ja. Um zu überprüfen, ob beim Umweltschutz alles mit rechten Dingen zugeht — sollte es mit der staatlichen Kontrolle nicht wie vorgesehen klappen —, können wir uns hoffentlich auf vorhandene Umweltschutzgruppen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) verlassen. Derzeit werden übrigens nirgendwo auf der Welt so viele Umweltschützerinnen und Umweltschützer ermordet wie in Lateinamerika.
Auf dem harten Weg zur Nummer eins
Wenn es nach den ehrgeizigen Plänen von Präsident Boric geht, soll Chile in nächster Zukunft zum weltweit führenden Lithium-Produzenten aufsteigen. Das vorhandene Potenzial sei enorm, sagte der Präsident. Neben den erwähnten Minen in der Atacama existieren nämlich noch weitere 63 Lagerstätten dieses begehrten Materials, darunter sind auch 18 Salzlagunen. Es soll jedoch eine Entscheidung des chilenischen Staates bleiben, welche davon unter Naturschutz gestellt werden. Dies natürlich stets im Austausch mit der Bevölkerung angrenzender Wohnsiedlungen.
Tatsächlich scheint die Lithium-Gewinnung in Chile nicht ganz so sauber abzulaufen. Hierzu verweise ich auf den Artikel „Tödliche Spuren des weißen Goldes“, den die Autorin Susanne Aigner 2020 auf der Webseite TierWelt veröffentlichte und in dem es unter anderem heißt:
„Nun pumpen Bergbauunternehmen diese Salzlake aus rund 400 Metern Tiefe an die Oberfläche in fußballfeldgroße Becken. Bis zu 80.000 Liter Frischwasser pro Stunde werden dafür verbraucht. Aus den künstlichen Seenlandschaften verdunstet das Wasser und geht endgültig verloren. Während der Bohrungen wühlen die Maschinen den Untergrund auf und zerstören die Wasserstellen, aus denen auch Lamas trinken. Einige Wasserlöcher enthalten so viel Salz, dass das Wasser zum Trinken nicht mehr geeignet ist. Seit in der Gegend Lithium abgebaut wird, sinkt der natürliche Wasserspiegel, vermischt sich Salz- mit Süßwasser. Gleichzeitig leeren sich die natürlichen Süßwasservorkommen zusehends. Unterdessen müssen die Bauern an jedem Tropfen Wasser zur Bewässerung ihrer Felder und zum Tränken ihrer Tiere sparen. Verdursten Lamas und Ziegen, ist nicht nur die Existenz der Bauern bedroht, sondern auch das gesamte Volk der Kolla.“
Präsident Boric hingegen schwört darauf, dass neue Technologien zur Anwendung kommen würden, welche die Salzlaken direkt anzapfen könnten, ohne die Oberflächen zu belasten. Andernfalls müsste man sonst der Lithium-Industrie vorwerfen, fahrlässigen Genozid an indigenen Bevölkerungen zu betreiben — noch dazu im Rahmen einer öffentlich-privaten Partnerschaft!
„Kein Bergbau mehr für einige wenige! Wir müssen uns fähig zeigen, die Gewinne unter allen Chilenen aufzuteilen,“ erklärte der Präsident enthusiastisch. Auf diese Weise könnte man vorerst die Gewinne aus dem Lithium aufsparen, um die Finanzierung von sozialen Projekten, Technologie und Produktion langfristig zu sichern und eine nachhaltige Entwicklung des Landes zu fördern. Ein weiterer Punkt drehte sich um die Frage, ob Chile auch fertige Batterien herstellen könne.
Allerdings warnte der Präsident:
„In Konsequenz aber werden die Lithium-Gewinne eine notwendig gewordene Steuerreform nicht ersetzen können, um einige laufende Kosten abzudecken.“
Als erste Reaktionen auf die Präsidentenrede erschienen in den von Konservativen dominierten Fernsehkanälen mehrere Ökonomen als sogenannte Experten auf der Bildfläche, welche es sich angelegen sein ließen, die hoffnungsvollen Ausführungen des Präsidenten zu dämpfen. Da wurde zunächst einmal bezweifelt, dass Chile so einfach zum führenden Lithium-Produzenten der Welt aufsteigen könne, denn es würden auch in anderen Ländern immer mehr Lagerstätten ausfindig gemacht. Sodann kritisierte man die Auflagen, dass private Unternehmen nur zu maximal 49 Prozent beteiligt werden sollten. Das müsse erst in Gesprächen mit der Privatwirtschaft geklärt werden. Mit anderen Worten, der uralte Bullentrick: den Fuß in die geöffnete Türe zu stellen.
Präsident Boric möchte die Gründung der „Nationalen Lithium-Gesellschaft“ aber nicht per Dekret verordnen, was ein unsicheres Unterfangen wäre. Deshalb wird er dem Nationalkongress einen entsprechenden Antrag vorlegen müssen, dies soll erst im nächsten Halbjahr geschehen. Dort aber wird die Regierung Boric wiederum auf die Mehrheit der Abgeordnetenstimmen angewiesen sein. Bleibt zu hoffen, dass sich der Träger jener einzigen Stimme im Abgeordnetenhaus, an welcher die Steuerreform schon scheiterte, bis dahin eventuell noch gewinnen lässt.
Nachtrag: Es existieren tatsächlich Verfahren zur Lithium-Gewinnung, die erst kürzlich entwickelt wurden und angeblich weit umweltfreundlicher sein sollen. Im Oktober 2022 stellte die Universität Melbourne ein solches Verfahren zur „Direct Lithium Extraction“ (DLE) vor. Die Funktionsweise dieser neuen Technologie kann auf der Homepage CleanTech Lithium nachgelesen werden:
„Bei einem DLE-Verfahren wird die Sole zu einer Aufbereitungsanlage gepumpt, in der ein Harz oder Adsorptionsmaterial verwendet wird, um nur das Lithium aus der Sole zu extrahieren, während die verbrauchte Sole wieder in die Grundwasserleiter des Beckens eingeleitet wird.“
Auf diese Weise soll das Absinken des Grundwasserspiegels durch den Lithium-Abbau verhindert werden. Man wird sehen, ob es sich dabei um echten Umweltschutz oder „Greenwashing“ handelt. Der SQM-Konzern in Chile plant jedenfalls, in Zusammenarbeit mit den deutschen Firmen BMW, Livent und BASF seinen Betrieb auf das neu entwickelte Verfahren umzustellen und voraussichtlich 1,5 Milliarden US-Dollar dafür zu investieren — doch weniger der Umwelt zuliebe: Das Verfahren der „Direct Lithium Extraction“ verspricht nämlich auch höhere Erträge beim Lithium-Bergbau.
Themenwechsel: Der Mummenschanz in Chile ist vorbei. Dennoch bekommt man hie und da noch Personen mit Maske zu sehen. Deren Prozentsatz in der Bevölkerung scheint ebenso gering zu sein wie derjenige von menschengemachtem Kohlendioxid in der Atmosphäre.