Nie wieder gegen Russland!
In Anbetracht der Verwüstungen, die Hitlerdeutschland bis 1945 in der Sowjetunion angerichtet hat, sollte sich jede neuerliche Kriegsrhetorik verbieten.
„Warum Krieg?“, fragten Albert Einstein und Sigmund Freud 1932 in einem Briefwechsel. Die logische Schlussfolgerung aus den Überlegungen des Physikers und des Psychotherapeuten war: konsequenter Pazifismus. Bekanntlich handelte es sich um zwei sehr intelligente Männer. Dies erklärt vielleicht auch, warum die Kriegspropaganda in Deutschland und anderen Ländern versucht, die Bevölkerung eher dumm zu halten. Vor allem das Waffengeklingel in Richtung Russland bestimmt seit ein paar Jahren die Tagesordnung. Ein solches Verhalten ist nicht nur brandgefährlich — es ist auch das Gegenteil dessen, was die furchtbaren Verbrechen Nazideutschlands gegenüber der Sowjetunion in den 40er-Jahren des 20. Jahrhunderts nahelegen würden: nämlich Bescheidenheit, Vorsicht und das Bemühen um Aussöhnung. Es ist unerträglich, dass seitens der politischen Entscheidungsträger in Deutschland auch nur erwogen wird, dass deutsche Waffen wieder Russen auf ihrem eigenen Territorium töten könnten. Dieser Beitrag ist ein Nachtrag zu Ulrich Falkes Artikelserie „Lernziel Pazifismus“.
Meine aktuell bei Manova erschienene Serie zum „Lernziel Pazifismus“ hatte ich mit Erkenntnissen des Pazifisten, Musikwissenschaftlers und Autors Bernhard Bennedik (1892 bis 1973) eröffnet, die er in der Weltbühne vom November 1946 veröffentlicht hatte. Mit einem Zitat aus seinem Beitrag zur „Weltanschauung Pazifismus“ möchte ich auch den vorliegenden Nachtrag einleiten. Denn Bennedik stellt darin klar, dass „wirkliche Hilfe“ bei der notwendigen Gesinnungsänderung, „nie aus einem ‚Anti‘, einer Negation erwachsen kann“. Die Frage müsse daher gestellt sein, „aus welchem Positiven, aus welchem ‚Pro‘ eine solche Hilfe geboren werden kann, die einfache Antwort (…lautet), für den ‚Frieden‘, Pazifist sein“.
Damit wendet sich Bennedik gegen diejenigen, die als Lösung auf den „eifrig propagierten ‚Antifaschismus‘“ setzten. „Der wahre Pazifist“, so der Autor, „der Pazifist aus positiver Gesinnung, nicht aus negativem Ressentiment und augenblicklichen, vorübergehenden Gefühlsaufwallungen heraus, wird sich immer darüber klar gewesen sein, daß Pazifismus eine Weltanschauung ist oder nichts.“
So schrieb er:
„Wenn wir in Menschlichkeit als dem Gegenteil der barbarischen Unmenschlichkeit des Nationalsozialismus, in Freiheit als dem Gegenteil des Terrors und der Despotie des Nationalsozialismus, in Frieden als dem Gegenteil des kriegshetzerischen Nationalsozialismus die drei Leitsterne sehen, die mehr sind als nur Antifaschismus, weil sie außer dem Negativum des ‚Anti‘ auch das Positivum des ‚Pro‘ enthalten, so wollen wir darüber hinaus erkennen, daß die Menschlichkeit wie Freiheit nur im Frieden gedeihen können, so daß der Mensch erst Pazifist sein muß, bevor er Menschlichkeit und Freiheit verwirklichen kann“ (1).
Die Pazifisten Freud und Einstein stellen sich der Frage: „Warum Krieg?“
Dem stelle ich zugleich ein weiteres Zitat zur Seite:
„Wenn die Bereitwilligkeit zum Krieg ein Ausfluss des Destruktionstriebs ist, so liegt es nahe, gegen sie den Gegenspieler dieses Triebes, den Eros, anzurufen. Alles, was Gefühlsbindungen unter den Menschen herstellt, muss dem Krieg entgegenwirken. (…) Alles, was bedeutsame Gemeinsamkeiten unter den Menschen herstellt, ruft solche Gemeingefühle, Identifizierungen, hervor. Auf ihnen ruht zum guten Teil der Aufbau der menschlichen Gesellschaft.“
Diese Folgerung stammt aus der Feder von Sigmund Freund (1856 bis 1939) in seinem Briefwechsel mit Albert Einstein (1879 bis 1955) des Jahres 1932, in dem die beiden Pazifisten, der Begründer der Psychoanalyse und der Physik-Nobelpreisträger (von 1921) der Frage nachgehen: „Warum Krieg?“ Freud antwortet damit auch auf die ihm von Einstein gestellte Frage: „Wie lange müssen wir nun warten, bis auch die anderen Pazifisten werden?“ Vielleicht, so antwortete der Briefpartner, ist es „keine utopische Hoffnung, dass der Einfluss dieser beiden Momente, der kulturellen Einstellung und der berechtigten Angst vor den Wirkungen eines Zukunftskrieges, dem Kriegsführen in absehbarer Zeit ein Ende setzen“. Wir dürfen daher sagen: „Alles, was die Kulturentwicklung fördert, arbeitet auch gegen den Krieg“ (2).
Mit dieser Aussage wird umgekehrt auch verständlich, weshalb Kriegstreiber in Deutschland alles zu verteufeln versuchen, was positiv mit der Kulturnation und dem Vielvölkerstaat Russland verbunden werden kann.
Die „Cancel Culture“ kann den Kriegsprofiteuren nicht weit, nicht gleichgeschaltet und nicht dumm genug sein. Verbissen werden im deutschen Rudimentär-Kulturbetrieb russische Musiker und Komponisten ausgeschlossen.
Und da in Deutschland eine Zensur stattfindet, um den Souverän als „Kind-Bürger“ (Roland Rottenfußer) (3) gebückt und leicht lenkbar (Rudi Dutschke, Alexandra Kollontai) (4) zu halten, soll er „Feindsender“ wie RT.de (Russia Today) „im Tal der Ahnungslosen“, diesmal in ganz Deutschland und sogar EU-weit, gar nicht erst empfangen können. Und selbst sportlicher Wettbewerb mit Russen wird, unter Jubel der ruinös herrschenden Klasse Deutschlands und der EU der Großkonzerne, „gecancelt“ bis hin zu den Olympischen Spielen, die spätestens mit diesem letzten Ausschluss zur Farce geworden sind (5).
Krieg bedeutet, so Freud, hoffnungsvolle Menschenleben zu vernichten. Den einzelnen Menschen bringt er in Lagen, „die ihn entwürdigen, ihn zwingt, andere zu morden, was er nicht will, kostbare materielle Werte, Ergebnis von Menschenarbeit, zerstört und anderes mehr“: Mit der Vervollkommnung der Zerstörungsmittel ist auch das „alte heldische Ideal“ absolet. Statt dessen könnten sich die Gegner zukünftiger Kriege gegenseitig komplett ausrotten. So könne „man sich nur verwundern, wenn das Kriegführen noch nicht durch allgemeine menschliche Übereinkunft verworfen worden ist“ (6).
Neue Staatsräson: „Nie wieder gegen Russland!“
Antje Vollmer (1943 bis 2023), aus deren „Vermächtnis einer Pazifistin“ ich in meiner Beitragsserie „Lernziel Pazifismus“ mehrfach zitiert hatte, war bewusst: „Der Hass und die Bereitschaft zum Krieg und zur Feindbildproduktion sind tief verwurzelt in der Menschheit, gerade in Zeiten großer Krisen und existenzieller Ängste“ (4). Umso mehr glaube ich mich im Einklang mit dem „Erbe“ der überzeugten Pazifistin zu befinden, wenn ich dazu aufrufe, dass wir Deutschen, wie kein anderes Volk, uns dagegen stemmen müssen, uns erneut in die „Feindbildproduktion“ gegen Russland drängen zu lassen. Im Gegenteil, wir sollten uns erinnern und die russische Bevölkerung um Verzeihung bitten.
Wir müssten Abbitte leisten für das, was unsere Väter und Großväter oder Urgroßväter an Leid, Zerstörung und Tod mit ihrem Angriffskrieg über die Menschen in weiten Teilen der Sowjetunion gebracht haben.
Statt die russische Föderation erneut militärisch zu bedrohen, muss aufgrund der historischen Schuld für uns Deutsche — in den Worten von Otto von Bismarck (1815 bis 1898) — zur Staatsräson werden: „Nie, nie, nie gegen Russland!“ (7).
„Neben dem Tod von etwa 26 Millionen Menschen, der Entvölkerung und Verwüstung ganzer Gebiete, der Zerstörung Tausender Städte und Orte erreichte der materielle Schaden durch Vernichtung und Plünderung fast ein Drittel des gesamten vor dem Krieg bestehenden Nationalreichtums“, fasst Eric Angerer die mit dem am 22. Juni 1941 begonnenen Überfall der deutschen Wehrmacht erlittene Gewalt des Sowjetreiches zusammen. Diese Erfahrung hat sich tief in das Bewusstsein jeder russischen Familie eingegraben, die fast alle im Krieg getötete Verwandte, Nachbarn und Freunde zu beklagen hatten und die von Vernichtung und Flucht betroffen waren. „Kein anderes Land hat jemals in einem Krieg derartige Zerstörungen hinnehmen müssen,“ schreibt der Autor (8).
Der World Jewish Congress (WJC) hält auf seinen Internetseiten fest, dass nach den Verwüstungen und Massenmorden durch die deutsche Wehrmacht die der Front nachrückenden SS-Einheiten systematisch Juden, Roma, sowjetische Verwaltungsbeamte und Kommunisten ermordeten. Diesen als „Einsatztruppen“ benannten Mörderbanden des KZ-Staates Deutschland fielen, so die geschätzte Zahl, zwei Millionen Juden in den von Deutschland besetzten Teilen der Sowjetunion zum Opfer.
Erinnert wird auch an die dort so angegebene Zahl von 3,3 Millionen sowjetischer Soldaten der Roten Armee, die zwischen 1941 und 1945 im Rahmen der „Communist Menace“ (Auslöschung des „bedrohlichen“ Kommunismus) in deutscher Kriegsgefangenschaft getötet wurden. Systematisch, auf Befehl von den deutschen Lagerverantwortlichen so ausgeführt, verhungerten die meisten. Die in deutscher „Obhut“ gefangenen Rotarmisten waren, so der WJC, „nach den Juden die zweitgrößte Gruppe der von den Nazis gezielt ermordeten Opfern“ (9).
Hitlers imperialistisches Ziel: „Was für England Indien war, wird für uns der Ostraum sein.“
Und so ist, aus meiner Sicht, das blanke Entsetzen und auch die Wut von russischen Veteranen mehr als verständlich, wie sie dies in ihrem offenen, an die deutsche Regierung und an die deutsche Bevölkerung gerichteten Brief ausdrückten, als sie erfuhren, dass Waffen ausgerechnet von der historischen Mördernation sich wieder gegen russischen Soldaten richten, jetzt gegen die Generation ihrer Enkelkinder (10).
Statt Dankbarkeit zu erfahren für die damals von ihnen mit höchstem, eigenem Blutzoll vollbrachte Befreiung der Deutschen von ihrem Diktator, ihrem Terrorstaat und von ihren KZ-Vernichtungshöllen wie Auschwitz am 27. Januar 1945 und Majdanek, am 23. Juli 1944 durch sowjetische Truppen, werden Rotarmisten wieder durch deutsche Waffenlieferungen getötet (11).
Hitler sah in der westlichen UdSSR „vor allem ein leeres Land, in dem er eine tausendjährige Utopie verwirklichen konnte“. So fassen die beiden US-amerikanischen Autoren, der Journalist und Pulitzer-Preisträger Robert K. Wittman und der ehemaliger FBI-Ermittler David Kinney, in ihrem Buch „Die Rosenberg-Papiere — Die Suche nach den verschollenen Tagebüchern von Hitlers Chefideologen Alfred Rosenberg“ (in deutscher Übersetzung erstmals 2015 erschienen) die Expansions- und Vernichtungspolitik des deutschen Diktators und seiner Führungsriege zusammen. Diese schwor Hitler auf die Formel ein: Die Deutschen seien als Befreier zu den Völkern der UdSSR gekommen. Zumindest sei das die offizielle Version. Der wahre Grund müsse natürlich streng geheim bleiben. Niemand wisse bisher, dass es um eine dauerhafte Besiedlung gehe. Über die zu treffenden Maßnahmen müsse „die Führung absolut einig sein: erschießen und Aussiedeln et cetera“ (12).
„Viele zehn Millionen Menschen werden in diesem Gebiet überflüssig und werden sterben oder nach Sibirien auswandern müssen.“ Es sei jetzt die Aufgabe der Nationalsozialisten, so geben die beiden Autoren die protokollierten Aussagen von Hitler wieder, „den riesenhaften Kuchen handgerecht zu zerlegen, damit wir ihn erstens beherrschen, zweitens verwalten und drittens ausbeuten können“. Damit bekäme das Deutsche Reich „genug fruchtbares Getreideland und alle Erdölfelder, die es brauchte, um Autarkie zu erreichen: ‚Was für England Indien war, wird für uns der Ostraum sein.‘“.
„Leer war dieses Land“, weil Hitler „die unerwünschten Bevölkerungsteile deportieren, erschießen und verhungern lassen würde. Später kam noch die Methode des Vergasens dazu“, so Wittman und Kinney (13). Nach den Vorschlägen von Heinrich Himmler, ab 1943 „Reichsinnenminister“ in Nazideutschland und Hauptverantwortlicher der „Endlösung der Judenfrage“ (LeMO), sollten „hinter dem Ural riesigen Vernichtungslager errichtet werden. Dort sollten 60 Millionen Russen in kürzester Zeit vernichtet werden, abgesehen von anderen Völkern“, zeigt der Filmemacher und Regisseur Michail Romm (1901 bis 1971) in seiner Dokumentation von 1965 „Der gewöhnliche Faschismus“ an.
„Die Pläne für die Zufahrtsstraßen waren bereits ausgearbeitet. Die Bauaufträge waren vergeben. Die Firmen des Dritten Reiches bereiteten sich auf eine umfangreiche Arbeit vor“ (14).
Reichsgesundheitsgesetz und Zentralregister als Instrumente der totalen Herrschaft
Hannah Arendt (1906 bis 1975) bestätigte: „Der Antisemitismus hat nur den Boden dafür bereitet, die Ausrottung ganzer Völker mit dem jüdischen Volk zu beginnen.“ Im Vernichtungsprogramm von Hitler war auch „die Liquidation eines großen Teils des deutschen Volkes vorgesehen.“ Dieser sollte „legal“, „auf der Grundlage des neuen Reichsgesundheitsgesetzes“ erfolgen. Dafür war nach Ende des Krieges der Aufbau eines Zentralregisters vorgesehen. Erfasst werden sollten „alle Kranken, besonders die Lungen- und Herzkranken“. „Stand of the art“ seinerzeit war die Röntgentechnik. In dem totalitären System sollten „alle Kranken (…) aus der Öffentlichkeit verschwinden“. Sie „dürfen auch keine Kinder mehr bekommen. Was mit diesen Familien dann geschieht, ist künftigen Führerbefehlen vorbehalten“, zitiert Arendt aus „Nazi Conspiracy and Aggression“ (Washington 1946) (15).
Doch die Armeen der Sowjetunion und der West-Alliierten siegten über Nazideutschland und befreiten die Deutschen und ihre Arbeitssklaven und Gefangenen, die überlebt hatten, von dem totalitären Terror- und Überwachungs-Staat mit seinen Vernichtungshöllen, Folterkammern und KZs.
Den höchsten „Blutzoll“ im Krieg gegen die Nazi-Armeen und -Kollaborateure zahlte die sowjetische Zivilbevölkerung und zahlten die Soldaten der Roten Armee.
Um so erbärmlicher und würdeloser ist es, wenn versucht wird, deren Opfer und Verdienste bei dieser Befreiung zu schmälern und zu relativieren. Auf den Versuch, die Geschichte den Wunschträumen des Westens anzupassen, verdeutlicht der Autor Bernhard Trautvetter mit seinem Manova-Beitrag vom August 2020 „Die Kriegsschuldlüge — NATO-Desinformation versucht der Sowjetunion gleiche Verantwortung am Zweiten Weltkrieg zuzuschieben wie Nazideutschland“ (16).
8. Mai 2023, dankbares Erinnern an den Tag der Befreiung, Berlin-Tiergarten. Foto: Falke
Das Propagandablatt Der Spiegel hatte kurzzeitig sogar die „Auschwitz-Befreiung“, diesen Wendepunkt der Rückkehr zur Menschlichkeit, der US Army angedichtet, statt diesen Erfolg der Humanität und des Militärs bei der sowjetischen Roten Armee zu lassen, wo er hingehört. Die Redaktion entschuldigte sich zwar umgehend für ihren „Fauxpas“ und korrigierte den Beitrag; Thomas Röper, Journalist des Anti-Spiegel, vermutet aber, dass hinter diesem und weiteren offengelegten inhaltlichen Fehlern der staatsverherrlichenden Milliardärszeitschrift System steckt (17).
Die gesamte deutsche Presse lebt unter Einschüchterung
Den Verlust an Qualität des Spiegel stellte allerdings Hannah Arendt schon Mitte der 1960er-Jahren fest: „Die neue Serie über die SS ist ausgesprochen schlecht, minderwertig“, schrieb die Totalitarismusforscherin seinerzeit an ihren Freund und ehemaligen Doktorvater, den Philosophen Karl Jaspers (1883 bis 1969). Und: „Übrigens hatte ich Nachricht von Augstein, ziemlich lendenarm, ohne Interesse. (…) Ich hab den Eindruck, Augstein hat keine Lust mehr“ (18).
Jaspers fällte sein Urteil über die Ausrichtung des Blattes noch früher. In seinem Brief an Arendt schrieb er Ende 1962: Der Spiegel „hat keine Gesinnung, keine politische Konzeption, keine Linie und keine Ziele. Er entspringt den Aggressionsbedürfnissen, den Enthüllungs- und Sensationsbedürfnissen der Masse, in die die Minister selbst eingeschlossen sind“. Den „Geist“ der Zeitschrift identifizierte der Philosoph als „nihilistisch im Gewande vorausgesetzter ‚moralischer‘ Selbstverständlichkeiten“.
Der Spiegel, so Jaspers, „‚enthüllt‘ beliebig politisch relevante und andere Dinge. Er hat einen negativistisch-hochmütigen Stil entwickelt, der sich sogar auf die Leserzuschriften überträgt, die er veröffentlicht. Keine Spur von Anstand, keine Noblesse, kein Gehalt. (…) Es ist eine Weise der Lebensfreude, Ruhm zu ernten durch universales Anklagen, Lächerlichmachen, Infragestellen, selber ständig zu fühlen in solchen Verneinungen“.
Aber, gibt er Arendts Einschätzung „völlig recht: daß der Spiegel da ist, ist für die Bundesrepublik notwendig. Weil unsere gesamte Presse (auch die Zeit) faktisch und uneingestanden unter Einschüchterung lebt, also nicht in gutem Stil und positiver Gesinnung leistet, was heute für Demokratien das Dringendste ist: Aufdeckung der Realitäten, überzeugende und begründende Urteile — darum ist der Spiegel da,“ als, so Jaspers, „bellende(r) Köter (…) für ein lachlustiges und die Bloßstellung suchendes Publikum“, das er „in die Art seines Drecks zieht“ (19).
Nachtreten gegen Auschwitz-Befreier
Zur „Legendenbildung“ und „Feindbildproduktion“ (Antje Vollmer, (20)) in der Propagandaschlacht des „Westens“ gegen die Russische Föderation gehört meiner Ansicht nach auch, wenn in dem Wikipedia -Eintrag über die Befreiung des ehemaligen „Frauen-KZ-Ravensbrück“ durch die sowjetische Rote Armee eigens herausgestellt wird, dass die Befreier „laut der britischen Journalistin und Schriftstellerin Sarah Helm auch Häftlinge vergewaltigten“. Der Wikipedia-Eintrag verweist als Quelle auf einen Beitrag in der britische Boulevardzeitung Daily Mail vom 10. Januar 2015 („Inside the Nazi death camp for Women: Injected with petrol, infected with syphilis and raped by their liberators, the shocking fate of prisoners at Ravensbruck“, (21)).
Wenn man bei Wikipedia unter „Sarah Helm“ nachschaut, erfährt man, dass die Autorin die Ehefrau von Jonathan Powell ist, dem, wie es dort heißt, langjährigen Stabschef des ehemaligen britischen Premierministers Tony Blair (1997 bis 2007) von der Labour-Partei. Der wiederum zeichnete sich nicht gerade als „Edelmann“ aus, sondern war wegen seiner privaten Bereicherungen durch fragliche Immobiliengeschäfte — an der heimischen Steuer vorbei — aufgefallen (18). Das bedeutet selbstverständlich noch keine „Kontaktschuld“ und sagt nichts weiter über den Grad der Seriosität dieser Autorin aus, aber es legt doch immerhin deren wahrscheinliche Einbindung in eine Schicht von Nutznießern nahe, die, mindestens durch Privilegien, vom vorherrschenden Staats- und Wirtschaftssystem „profitieren“ — und allein schon daher von antikommunistischen Ressentiments geprägt oder dafür anfällig sind.
Weidlich genutztes „Versteck“, um Vermögen vor der Entdeckung und dem „Zugriff“ nationaler Steuerbehörden zu schützen, ist die Steueroase Delaware. In dem Bundesstaat war der frühere US-amerikanische Präsident Joe Biden zuvor 35 Jahre lang Senator, sodass dort, wie es Volker Rügemer in seinem Lunapark 21-Beitrag „Pandora Papers: Weißwäsche des westlichen Finanzsystems — Es fehlen die wichtigsten Finanzoasen und deren Nutzer“ vom Februar 2022 schreibt, „die Zahl der Briefkastenfirmen in Bidens Homeland (…) mindestens doppelt so hoch (ist) wie die Zahl der Wahlberechtigten“ (22). So kann kaum überraschen, dass dort unter anderem die Zentrale des zigbillionen Dollar schweren „Vermögensverwalters“ BlackRock residiert.
Rügemer widmet in seinem 2021 veröffentlichten Buch „BlackRock & Co. enteignen“ ein eigenes Kapitel dem Thema „Friedrich Merz und BlackRock: Das passt!“. Damit hätten sich die Wählerinnen und Wähler darauf einstellen können, in welche Richtung die deutsche BlackRock-Kreatur, der aktuelle „Wahlsieger“ bei der Bundestagswahl 2025, den Staat und die Wirtschaft der Bundesrepublik lenken soll. Anzunehmen ist, dass dieser Diener des Mammon mit den Stimmen der Bundestagsfraktionen seiner Anti-Bergpredigt-Parteien CDU/CSU und denen der „Schatten-ihrer-selbst-Sozialdemokraten“ tatsächlich zum neuen deutschen Bundeskanzler gewählt wird.
Dass er dann als neuer deutscher Herrscher durch die Lieferungen der weitreichenden Taurus-Angriffswaffen an die Ukraine, wie er nicht müde wurde, dies anzukündigen, tatsächlich riskieren will, dass damit — so seinerzeit der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt (1918 bis 2015) — das „heilige Russland“ (23) angegriffen werden wird, ist denkbar.
Selbstverständlich würde der Konflikt deshalb weiter eskalieren, bis hin zu dem dann dritten Weltkrieg, in den wieder Deutschland hineingeführt hätte. Für mindestens diese Nation wäre es, so oder so, der letzte Krieg. Aber auch andere Völker, möglicherweise sogar die gesamte Menschheit könnte es danach nicht mehr geben.
Seligpreisung vor dem Berliner Reichstag am 5. Februar 2023 bei der Menschkette für Frieden. Foto: Falke
Wahrscheinlicher scheint mir jedoch, die neue deutsche Führung und die sie unterstützende Kaste weiterer Bellizisten und Kriegsgewinnler des seit 80 Jahren von den USA militärisch besetzten Landes werden schon bald von der neuen amerikanischen Administration zurückgepfiffen, die damit dann auch klarstellt, wo für Deutschland „der Hammer hängt“. In den USA scheint jedenfalls der feuchte Traum, „Russland erobern, diesmal transatlantisch“ — so der Titel des Beitrag von Werner Rügemer vom April 2017 (24) — zu wollen, inzwischen ausgeträumt. Und ohne Einwilligung der USA und nur mit der europäische Rest-NATO bewaffnet, wirkte ein solcher „Plan“ — und dann womöglich noch geleitet unter einem „Kriegsherren“ Merz — nahezu absurd.
Auch könnte der Widerstand gegen Krieg und Kriegstreiberei selbst in Deutschland so stark werden, weil immer mehr Kriegsgegner und Friedensfreunde nicht nur aufwachen, sondern auch aufstehen, dies gerade im Interesse einer lebenswerten Zukunft für ihre Kinder und Kindeskinder. Dann werden sie sich auch kaum noch durch billige „Querfront“-Diffamierungen auseinanderdividieren lassen, sondern ihren Kampf „Für den Frieden!“ und „Krieg dem Kriege!“ als gemeinsame Verbindung von „ehrlich Ringenden“ (Julius Leber, 1891 bis 1945, (25)) begreifen und aufnehmen. Dann ließe sich, in den Worten von Alexandra Kollontai (1872 bis 1952), „die Masse“ auch nicht wieder „in eine gehorsame Herde“ zusammentreiben und nach dem „selbstherrlichen Willen dorthin (…) jagen, wohin es den Führern notwendig dünkt“ (26).
Wir vergessen nicht
Schließlich gibt es auch in Deutschland, und das schon seit Langem, herausragende und kraftvolle Menschen, die im Sinne und Wortlaut des Grundgesetzes der Bundesrepublik für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt eintreten. Eine von ihnen ist die seit Jahrzehnten engagierte Friedensaktivistin Laura von Wimmersperg. Sie verfasste federführend und unterzeichnete den „Offene(n) Brief an die russischländische Bevölkerung“, der damit beginnt:
„Wir sind uns der großen Opfer bewusst, die Ihr Volk, die die Völker der Sowjetunion im Kampf gegen den deutschen Faschismus gebracht haben. Wir vergessen nicht: Dem vom faschistischen Deutschland begonnenen Raub- und Vernichtungskrieg von unvorstellbarer Grausamkeit fielen 27 Millionen Bürgerinnen und Bürger der Sowjetunion zum Opfer“ (27).
Friedensaktivistin Laura von Wimmersperg auf der Kundgebung vor dem Brandenburger Tor am 15. Februar 2025, Foto: Falke
Bei einer solchen geschichtlichen Einordnung ertönt in Deutschland reflexartig und nun vermehrt wieder der Aufschrei: „Aber Stalin!“. Ja, aber deren Stalin geht uns kaum etwas an, dafür geht uns unser Adolf Hitler alles an — von dem uns Stalins Armee befreit hat. Wir haben uns in erster Linie mit unserer eigenen Geschichte zu beschäftigen, in der genügend schiefgelaufen ist, wo in der Zeit unserer Vorfahren mit ihrem KZ-Staat die schrecklichsten Verbrechen in der bisherigen Menschheitsgeschichte geschehen konnten.
Was die Russen und ihre Aufarbeitung des Stalinismus angeht, dazu hat bereits vor mehr als 60 Jahren Rudi Dutschke (1940 bis 1979) Erhellendes in seiner Abhandlung „Es gibt noch keinen Sozialismus auf der Erde (Die Rolle der antikapitalistischen, wenn auch nicht sozialistischen Sowjetunion für die marxistischenSozialisten in der Welt)“ geschrieben. Hier ein Auszug des seinerzeit bekanntesten Agitatoren der damaligen Außerparlamentarischen Opposition (APO), aus dem tiefes Vertrauen in die „Selbstheilungskräfte“ der eurasischen Kulturnation spricht:
„Das Volk von Radistschew, Pestel, Puschkin, Lermontov, Herzen, Belinskij, A. Ulyanov, Trotzki, Gorki und Lenin hat so viel Großes in seiner Vergangenheit, hat so große Perspektiven für seine Zukunft, daß es keinen Grund hat, vor einer schonungslosen Abrechnung mit einer gefährlichen Vergangenheit und ihrem schädlichen, gefahrdrohenden Erbe zurückzuschrecken!“ (28)
Wir hingegen, in der westlich-kapitalistischen Welt und speziell in der Bundesrepublik, haben selbst noch genug mit dem „Erlernen des aufrechten Gangs“ (29) zu tun, um so auch den „Krieg zu verlernen“ und den Frieden zu gewinnen.
Weshalb ich zum Schluss ein längeres Zitat aus der damaligen Aufforderung von Rudi Dutschke an seine Kommilitoninnen und Kommilitonen „Besetzt Bonn!“ wiederhole:
„Die gesellschaftlich notwendige Lüge von der kommunistischen Subversionstätigkeit in den ‚freien‘ Ländern dient als Rechtfertigung, um die den Frieden gefährdende, die kapitalistische Wirtschaft aber stabilisierende Rüstungsindustrie und die Bundeswehr aufrechtzuerhalten, dient der Verhüllung der wirklichen Funktion der Notstandsgesetze: innenpolitische Strukturveränderungen a priori auszuschalten.
(…) Der Feind, gegen den täglich das ganze System mobilisiert wird, ist die reale Möglichkeit, die bestehende Ordnung abzuschaffen, ist die Möglichkeit, überfüssige Herrschaft zu beseitigen, das heißt, die nur aus Herrschafts- und Profitinteressen hohe Arbeitszeit auf dem hohen Stand der Entwicklung der Produktivkräfte entsprechendes Minimum zu reduzieren, ist die Möglichkeit, die irrationale Rüstung, die künstliche Bürokratenzucht, die funktionale Kapital- und Gütervernichtung abzuschaffen“ (30).
Um sie zu ehren — auf dem Weg zu den Gräbern von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, im Januar 1919 ermordet unter dem Freikorps-Kommando von Waldemar Papst, dem späteren Rheinmetall-Direktor. Foto vom 30. Januar 2024. Foto: Falke
Wohin dieser Weg führen soll, hatte der ehemalige SPD-Politiker und Widerstandskämpfer Julius Leber bereits in seiner 1933 in Untersuchungshaft verfassten Analyse über „Die Todesursachen der deutschen Sozialdemokratie“ eindeutig formuliert:
„Wir leben in einer großen Zeitenwende, aber nicht heute oder gestern begann diese Wende. Ihr Anfang liegt im August 1914. Alle die gewaltigen sozialen und geistigen Umwertungen, die seit Beginn des großen Krieges die Völker, allen voran das deutsche, erlebten, sind nur Etappen und Ausbrüche des einen großen Vorganges. Niemand weiß heute, wohin alles treibt, wo wir wie der Strom endlich seine Mündung finden werden. Nur das Ziel steht unverrückbar fest: die Überwindung der kapitalistischen Epoche mit ihrem egoistisch-ökonomischen Liberalismus mit der Proklamation der menschlichen Arbeit als Fundament sozialer Geltung“ (31).
Solange dieses Ziel nicht erreicht ist, sollte die von dem Pazifisten und Autoren Kurt Tucholsky empfohlene Haltung gelten, wie er sie in seinem Schlusssatz aus dem Essay über „Unser Militär“ zusammenfasste: „Wir speien auf das Militär — aber wir lieben die neue, uralte Menschlichkeit“ (32).