Nichts für Softies!
Die öffentliche Belästigung durch die Bundeswehr geht in die nächste Runde.
Die Bundeswehr kann es einfach nicht lassen! Nach den Webserien „Die Rekruten“ (1) und „Mali“ (2) kommt nun mit den „Springern“ (3) der dritte Streich – die Rodel-Tour der Militär-Gebirgsjäger (4) dazwischen war nur von sehr kurzer Dauer und ist nicht weiter erwähnenswert. Unsere neue Mini-Artikelreihe beschäftigt sich jedoch weniger mit dieser neuen YouTube-Serie; das taten wir bereits bei Mali ausführlich (5) und Fallschirmspringen – der Inhalt der „Springer“ – ist im Gegensatz zu einem fragwürdigen Auslandseinsatz nicht ideologisch aufgeladen. Außerdem kann auch jeder privat aus einem Flugzeug hüpfen, es handelt sich also um kein rein militärisches Vergnügen. Vielmehr soll es hier um die aktuelle bundesweite Werbekampagne der Bundeswehr gehen, die man an Bushaltestellen, U-Bahnhöfen und Plakaten überall in den Städten antrifft. Hier sollen der Jugend richtige Werte vermittelt werden. „Beißer oder Lutscher?“ – Ganz klar: Die Bundeswehr ist nichts für Softies!
Hip soll das Militär wieder werden. Die Bundeswehr hat daher schon die gängigen Social-Media-Plattformen erobert. Camouflage auf Facebook, die Twitter-Drohne wirft Hashtagbomben und die Kids bekommen Snap-(G36)-Shoots an der Instagram-Front. Doch auch auf der Straße sind wir vor der optischen Präsenz der Militarisierung nicht mehr gefeit. Auch wenn wir uns digital auskoppeln, werden wir von den Ergüssen des Bundeswehr-Marketings belästigt.
„Beißer oder Lutscher?“ und „Nichts für Softeis.“ steht da auf den großen Plakaten, darunter sehen wir die Konturen eines Waffeleises mit Camouflage-Farben in dezentem, minimalistischem Layout. Betrachten wir diese Motive einmal nacheinander.
Beißer oder Lutscher?
Diese Frage stammt aus jenem Pool unnötiger Entscheidungsplacebos, dessen Beantwortung sich sonst inhaltsleere Privatsender-Formate wie Galileo oder Punkt 12 Aktuell widmen. Der Bundeswehr geht es natürlich nicht darum, wie Eiskugeln konsumiert werden – sehr wohl aber um den Umgang mit Bleikugeln. Und um die Entscheidung, zu welcher Gruppe man gehören will: den hemmungslosen, skrupellosen Beißern, die ihren Gegnern unnachgiebig Blei in die Schädeldecke ballern oder doch nur zu den „Lutschern“ – ein im Pausenhof-Jargon leider negativ konnotiertes Wort –, die vielleicht Beißhemmungen besitzen, eine innere moralische Stimme, die ihnen zuflüstert, dass es nicht richtig sein kann, einen Menschen zu töten.
Zwar mag dieser Kritikpunkt mit der Tür ins Haus fallen. Wird ein Soldat rekrutiert, ist es noch ein weiter Weg, bis er das erste Mal das zerstört, was zur Entstehung neun Monate benötigt. Doch darauf läuft es letztendlich hinaus: die moralische Stimme zu knebeln, das Gewissen mit schweren Stiefeln in den Asphalt zu stampfen, die eigene Persönlichkeit zu negieren – bis man zu einem gewissenlosen Befehlsempfänger wird, einer Tötungsmaschine, die keine Skrupel kennt, wenn es darum geht, für das Vaterland, die Demokratie, die freien Märkte oder irgendeine andere Sache Leben zu vernichten. Die Liste der Gründe, für die das Töten legitimiert wird, ist schier unendlich; der einzelne Soldat bleibt dabei bedeutungs- und gesichtslos.
Das „Beißer oder Lutscher?“-Plakat dürfte allerdings bei mindestens einer potentiellen Zielgruppe eher ein Eigentor der Bundeswehr sein. Homosexuellen nämlich dürfte die gerade unter Jugendlichen eher als Beleidung gebrauchte Bezeichnung als „Lutscher“ sauer aufstoßen. Ein Glück! Die größte Parade in Deutschland sollte der Christopher Street Day bleiben, auf dem es vor allem um Toleranz und friedliches Miteinander geht. Und es ist völlig klar, dass die PR-Abteilung der Bundeswehr sich dieser Doppeldeutigkeit bewusst war. Mit friedliebenden Schwulen will unsere Armee, die die westlichen Werte in die Welt bringt, ergo offenbar nichts zu tun haben.
Nichts für Softeis!
Unter anderen gesellschaftlichen Umständen wäre dieses Plakat sogar mit Sicherheit ein gewaltiges Eigentor! In einer humanen Gesellschaft, in der vor allem die Jugendlichen und jungen Leute einfühlsam, rücksichtsvoll und empathisch wären, würde dieses Plakat einen Großteil der Zielgruppe automatisch ausmustern.
Nur leider landet diese Botschaft bei einer sozial immer apathischer werdenden und sukzessive abstumpfenden Jugend auf fruchtbarem Boden. Die Bundeswehr bedient sich ungeniert althergebrachter Definitionen von „Stärke“ und „Härte“. Hart und stark ist nur, wer kein Softie ist, also seine eigenen Gefühle nicht auslebt.
Ist das die Richtung, in die man die Jugend bewegen möchte? Falls ja, dürfte es trotz der oben beschriebenen Umstände – Gott sei Dank! – schwierig werden, aus den ganzen YouTubern und Bloggern wieder harte, stramme Burschen zu machen. Aber genau dort wird angesetzt. Dort holt man die jungen Menschen vom Schlag „die Lochis“, „Bibi“ und „Prank Bros“ ab. In der Internet-Serie „Die Rekruten“ wurden die Neulinge der Bundeswehr als eine Art YouTuber in Szene gesetzt, die den Zuschauern ihren militärischen Alltag in der stilistischen Form eines Vlogs (Video-Blogs) präsentieren.
Sicherlich dürfte es auch eine große Gruppe unter den Jugendlichen geben, die umgeben von YouTubern, Instagram-Influencern, nerdigen Zockern und Konsorten nach einer „neuen Härte“ lechzt und nur darauf wartet, sich in ein herausforderndes, testosterongeladenes Abenteuer zu stürzen.
Aber wofür brauchen wir harte Burschen? Stahlharte Knaben mit eiserner Miene? Kühle Frauen? Sind das die Mitmenschen, mit denen wir eine friedliche Welt errichten wollen?
Das soll keine Aufforderung an alle Männer sein, wie Marc Forster oder Philipp Poisel herumzujaulen. Das ist auch nicht meine Definition von „soft“. Soft würde in letzter Konsequenz bedeuten, wieder zu erlernen, mit seinen eigenen Gefühlen in Kontakt zu treten, die eigenen Wunden zu lokalisieren und zu heilen. Seiner eigenen Emotionalität entgegenzutreten; Frieden in seinem Inneren zu schaffen. Das mag nun sehr utopisch und vereinfachend klingen, aber ein im Herzen friedlicher Mensch zieht für nichts und niemanden in irgendeine Schlacht, um potenzielle Freunde niederzumetzeln!
Hier sei noch einmal auf das Interview zwischen Dr. Daniele Ganser, Prof. Franz Ruppert, Florian Kirner und Jens Lehrich verwiesen, welches sehr eindringlich den Zusammenhang zwischen Trauma – Konflikt im Inneren – und Krieg – Konflikt im Äußeren – aufzeigt.
Eine Gesellschaft, in der sich der Frieden im Individuum, in der Familie, in der lokalen Gemeinschaft und letztlich in den einzelnen Nationen ausbreitet, benötigt kein Militär mehr und zieht damit am Ende der Rüstungsindustrie den Boden unter den Füßen weg, die sich am gegenseitigen Abschlachten junger Menschen eine goldene Nase verdient.
Wissen ist unsere Waffe
Wir von der Rubikon-Jugendredaktion werden nicht müde, gegen jede weitere schäbige Kampagne der Bundeswehr anzuschreiben! Unsere jungen Federn liegen stets einsatzbereit im Tintenfass, um jeden weiteren Versuch der deutschen Rüstungsindustrie samt ihrer Marketing-Agenturen, die Jugend an die Front zu locken, zu kennzeichnen und mit einem aus Faktenholz geschnitzten Warnschild zu entblößen!
Da die aktuelle Kampagne ja sehr mit der Eis-Symbolik spielt, sei zum Ende hin nochmal an Folgendes erinnert:
„Diese Kugel ist aus Blei/
nicht Ice-Cream/
sie ist heavy heavy heavy...heavy heavy!“
Fler, Jalil – „Ice Cream“
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://www.rubikon.news/artikel/die-rekruten
(2) https://www.rubikon.news/artikel/stoppt-den-krieg
(3) https://www.youtube.com/watch?v=DpKw2Ph-jNQ
(4) https://youtu.be/9heZSHDgk14
(5) https://www.rubikon.news/autoren/rubikons-jugendredaktion