Mit Links in die politische Bedeutungslosigkeit
So wichtig Kapitalismuskritik ist – das Gebaren mancher Genossen ist einfach link.
In Zeiten des Sozial- und Bürgerrechtsabbaus, des Auseinanderdriftens von Arm und Reich, der neuen Kriegstreiberei und einer grassierenden Ideologie der „Welt als Ware“ sollten sich Linke leichttun, hierzulande Wahlen zu gewinnen. Was linken Erfolgen im Wege steht, sind jedoch immer wieder – die Linken selbst. Jedenfalls einige von ihnen: freudlos, verkopft und verbissen vergraulen sie selbst Menschen, die mit ihnen inhaltlich viele Schnittmengen aufweisen. In jüngerer Zeit betätigen sich Linke zunehmend, wo man sie sonst nicht vermuten würde: etwa, wenn es um rot-rote Sozialkürzungen in Berlin geht. Oder wenn sich Kultursenator Klaus Lederer im Fall Jebsen am Abbau der Meinungsfreiheit in Deutschland beteiligt. Solche Linke können nicht gewinnen, weil sie nichts Gewinnendes an sich haben.
An dieser Stelle sollen nur zwei (von vielen) Themen im Vordergrund stehen: Durch krude Spiritualitätsfeindlichkeit grenzen Linke aus, was vielen wichtig ist. Ebenfalls schädlich ist die Manie, Menschen mit oft nur geringen ideologischen Abweichungen als „rechts“ abzukanzeln. Gemeinsamkeit wird so unmöglich, und die Linke verschleißt ihre Kräfte in unfruchtbaren Grabenkämpfen – die Gegner freut’s.
Das Wort „rechts“ ist der Linken liebstes Kind. Obwohl es ohne Zweifel wirkliche (und auch gefährliche) Rechte gibt, schwächt der inflationäre Gebrauch von „Nazi-Vorwürfen“ eine sachliche Auseinandersetzung. Es ist klar, dass sich Sozialisten in einem politisch ganz anders gepolten Umfeld generell im Modus des Dauerkonflikts befinden. Oft werden aber – nach dem Motto „ehrliche Feinde sind mir lieber als Verräter“ – Meinungsgegner im eigenen Lager noch härter angegangen als Rechte und Neoliberale. Das Ringen um den rechten linken Weg ist notwendig und normal, nicht aber unfaires Gebolze. Man muss die Frage stellen: Wenn die Zerstrittenheit und Zersplitterung des linken Lagers die Folge bestimmter Diffamierungskampagnen ist, ist das vielleicht mehr als ein Kollateralschaden, mehr als Zufall? Spekulationen darf man anstellen.
Ich selbst wurde vor allem als spiritueller Mensch Opfer von – im doppelten Wortsinn – linken Angriffen. Eine bestimmte Klientel verkrallt sich ganz besonders in ihnen verhasste Menschen und Weltanschauungen. So stänkerte eine intelligent wirkende, antikapitalistisch gesinnte Person namens „Charlie“ auf dem von mir betriebenen Internetportal „Hinter den Schlagzeilen“ von Anfang an gegen die Verknüpfung von Politik und Spiritualität:
„Ich halte Religionen ganz generell für kontraproduktiv und gefährlich – deshalb kann ich dazu ebenso wenig schweigen wie zu anderen Themen wie Armut, Ausbeutung, Krieg oder Faschismus.“
Der Artikel, um den es ging, hieß „Engagierte Spiritualität“ und hatte ein Bild des sozial sehr regen buddhistischen Mönchs Thich Nhat Hanh als Aufmacher. Charakteristisch ist die schnelle Verbindung, die zwischen Religion und Faschismus gezogen wird, obwohl ich auf die Gefahren rechter Esoterik explizit hingewiesen und mich von dieser distanziert hatte.
„Ich sehe aber die Gefahr, dass das Thema Spiritualität – wie schon zur Zeit des Expressionismus und danach, zum Ende der Weimarer Republik – eine Menge notwendiger Kräfte und Menschen binden und sie so von der eigentlich so dringend notwendigen Gegenwehr abhalten kann“, so Charlie.*
Dahinter scheint die Idee zu stehen, dass jeder Mensch nur begrenzte Zeit auf Erden habe. Meditiert oder betet er also, verschwendet er Zeit, die er besser auf einer Demo verbracht hätte. Tatsächlich gibt es aber unendlich viele Formen von “Zeitverschwendung” (Sportschau und Talkshows z.B.); um die Meditierenden mache ich mir da noch am wenigsten Sorgen.
Gelegentlich wurde mir mit gönnerhaftem Gestus Spiritualität auch als rein private Verrichtung zugestanden. Nur: ich dürfe keinesfalls damit in der Öffentlichkeit vernünftige Leute belästigen.
„Solange diese Gesellen sich mit dem Beten oder meinetwegen auch mit dem Masturbieren oder mit Bauklötzen beschäftigen, soll mir das völlig recht sein – das tun sie hoffentlich daheim im stillen Kämmerlein und können zumindest in dieser Zeit keine größeren Schäden anderswo anrichten“, meint Charlie.
Das Gebet also als etwas, was man eher verschämt im Geheimen tun soll – wie Onanie vor einem Bild von Heidi Klum. Ein weiterer gern erhobener Vorwurf war, ich würde die politische Szene spalten. Allein die Tatsache, dass ich über spirituelle Themen „predigte“, wurde als Ausgrenzung der Atheisten und Agnostiker verstanden. Dabei hätte es genügt, um die missliebigen spirituellen Artikel herum zu lesen und sie als Ausdruck einer abweichenden Meinung innerhalb der systemkritischen Medienszene zu akzeptieren.
Woher kommt es, dass bestimmte Linke in diesem Punkt absolut unversöhnlich sind? Ich muss hier ein bisschen weiter ausholen und die Geschichte der linken Spiritualitätsfeindlichkeit streifen. Ihre Grundlage ist die Interpretation der neueren Sozialgeschichte als Verschwörung von Kapital und kirchlicher Vertröstungstheologie. Diesbezüglich wirkte bei vielen Genossen noch Lenins radikales Verdikt nach:
“Jede Idee von jedem Gott ist die gefährlichste Abscheulichkeit”.
Ebenso natürlich die marxistische Religionskritik vom „Opium des Volkes“. Und natürlich ist an der Kritik was dran. In empörender Weise haben sich Kirchenvertreter über Jahrhunderte mit den jeweiligen Machthabern verbrüdert, haben Widerstandsimpulse unter wolkigen Worten erstickt, haben zu Demut und Obrigkeitstreue aufgefordert, die Waffen gesegnet und die Aufsässigen verflucht, dabei selbst als „Kirchenfürsten“ einem obszönen Wohlleben gefrönt. Religionen als Mietmäuler von Kapital und Obrigkeit – dieser schlechte Ruf ist wohlverdient. Und konsequenterweise gewann Irreligiosität, gewann radikale Diesseitigkeit damit den Nimbus eines ideologischen Gegengifts. „Lasst euch nicht verführen“, beginnt ein Gedicht Brechts. Es endet: „Ihr sterbt mit allen Tieren. Und es kommt nichts nachher.“
Freilich verbietet sich Verallgemeinerung auch hier. Ebenso wie es „solche und solche“ spirituelle Menschen gibt, existierten immer mindestens zwei Richtung der „Linken“. Die einen sind vitale Naturen wie der wackere Pablo Neruda, der das Leben liebte und wunderbare Oden über das Meer, den Wein und die Tomate dichtete. Die anderen halten sich eher an Mao Tse Tung, der, wie seine Biografin Jung Chang berichtet, das Anpflanzen von Blumen als „feudalistisch“ verbot. Linke von diesem Zuschnitt sind durch den Kampf gegen einen zugegebenermaßen gnadenlosen und harten Klassenfeind selbst sehr hart geworden. Ein Robespierre-Typus hat sich herausgebildet, ein asketisch-unlebendiger Typus des Revolutionärs, unbarmherzig gegen sich und andere. Vitale Impuse, Milde und Lebensfreude kämpft dieser Typ konsequent in sich nieder. Boris Pasternak hat den kommunistischen Funktionär, wie er sich während der Revolutionsjahre herausgebildet hat, in „Doktor Schiwago“ treffend beschrieben:
„Von der Revolution zu Göttern erhoben, denen sie alle ihre Gaben und Opfer zu Füßen legte, saßen sie da, schweigsame, strenge Götzenbilder, denen der politische Hochmut alles Lebendige, Menschliche genommen hatte.“
Lenin selbst vertrat diesen Typ wohl in seiner reinsten Form. Wie Maxim Gorki in seinen Erinnerungen beschreibt, hörte Lenin gelegentlich gern klassische Musik und lobte bei einem gemeinsamen Konzertbesuch Beethovens Sonate „Appassionata“: „Eine wunderbare, nicht mehr menschliche Musik.“ Dann aber, so Gorki, habe Lenin die Augen zusammengekniffen und hinzugefügt:
„Aber allzu oft kann ich diese Musik doch nicht hören. Sie wirkt auf die Nerven, man möchte liebe Dummheiten reden und Menschen den Kopf streicheln, die in schmutzigen Höllen leben und trotzdem solche Schönheiten schaffen können. Aber heutzutage darf man niemandem den Kopf streicheln – die Hand wird einem sonst abgebissen. Schlagen muss man auf die Köpfe, unbarmherzig schlagen.“
Interessant ist an diesem Beispiel, dass eine Empfänglichkeit für das Schöne bei Lenin durchaus vorhanden war. Er musste die Blume aufkeimender Seelenweichheit gleichsam in einem Kraftakt zertreten und sich selbst zu „notwendiger“ Unbarmherzigkeit antreiben. Die „Appassionata“ war durch ihren Klang wie schon durch ihren Namen Symbol für alles „Bourgeoise“, alle konterrevolutionäre Innerlichkeit und Seelenaufwühlung, gegen die sich der Klassenkämpfer verwahren musste.
Der Hass auf die Bourgeoisie als der unterdrückenden Klasse hatte in ihrem Gefolge für Kommunisten eine radikale Verneinung aller Zutaten des bürgerlichen Lebensstils. Alles Schöne konnte da als Kind mit dem Bade bürgerlicher Oberschichtenkultur ausgeschüttet werden. Weichheit, Herzlichkeit, Innerlichkeit, Dinge, die wir heute gerade in der „kulturell kreativen“ Szene für wichtig halten. Jede Art von Verfeinerung des Seelenlebens ohnehin. Franz Josef Degenhardt, der aufrechte linke Liedermacher der ersten Stunde, sang: „Zwischentöne sind bloß Krampf im Klassenkampf“. Entsprechend holzschnittartig zeigten sich zwar nicht die meisten Degenhardt-Lieder, wohl aber Teile der linken Diskussionskultur. Die freiwillige und zielgerichtete Verödung des eigenen Seelenlebens um der Funktionstüchtigkeit im Klassenkampf willen ist psychodynamisch eine wichtige Basis linker Religionskritik.
Wilhelm Reich, Freud-Schüler und Vater der bioenergetischen Körperpsychotherapie, ging eine vorübergehende Mesalliance mit den Sowjet-Machthabern ein. Überzeugt, dass Freiheit und Gesundheit ein und dasselbe seien und dass politische wie energetische Befreiung Hand in Hand gehen müssten, gründete er 1931 den „Deutschen Reichsverband für Proletarische Sexualpolitik“. Ernüchtert wurde Reich später durch die ideologisch bedingte Entsexualisierung, die das Stalin-Regime in Russland betrieb. Sexuelle Repression hatte der Therapeut speziell als ein destruktives Merkmal des Kapitalismus gebrandmarkt. Nun holten ihn ähnliche Konzepte – lediglich unter veränderten Vorzeichen – bei den Genossen ein. „Im Verlauf der letzten Jahre“, schrieb er 1935, „häuften sich reaktionäre sexual- und kulturpolitische Nachrichten aus Sowjetrussland, die alle Hoffnungen enttäuschten.“ Reich zählte auf, was 1934 geschehen war:
„Der Homosexualitätsparagraph wieder eingeführt.“ Die Abtreibung wurde „immer mehr bekämpft“.
Es wurde „die Zwangsfamilie wieder hochgehalten“. Insgesamt „nimmt die Askeseideologie immer schärfere Formen an.“ Es scheint, als ob es Obrigkeiten generell nicht so mit der Lust haben. „Weil man Frierende besser regieren kann“, sang Konstantin Wecker.
In der Tat ist gerade Konstantin Wecker, der nicht umsonst politisch dem antikapitalistischen Lager zugerechnet wird, ein Beispiel für begründete Linkenkritik von links. Speziell in den 70er-Jahren waren lustbetonte und poetische Titel wie „Wenn der Sommer nicht mehr weit ist“ für ihn weit typischer als gesungene Polit-Statements à la „Willy“. Konstantin Wecker schreibt in seinem Buch „Mönch und Krieger“:
„Gerade die linken Kritiker, von denen man ja annehmen müsste, dass sie mir nahe standen, haben mich dafür in der Luft zerrissen. Man warf mir ‚Innerlichkeit’ vor, so als sei es ein Qualitätsmerkmal, äußerliche Lieder zu schreiben. (…) Als ob der Sommer, die Lust und die Sonne Werkzeuge der Konterrevolution wären.“
In der „Geniephase“ seiner ersten bedeutenden Musikaufnahmen verstand sich Wecker eher als Anarchist, und auch dies eher aus einem vitalen Instinkt heraus, der keine Schranken duldete. Die gestrengen Jakobiner der organisierten Linken hatten damit so ihre Probleme.
„Marx bezeichnete ja die ästhetische Kultur als ‚Blumen an der Kette’. Diese Ideologie mag meine Kritiker damals noch beeinflusst haben. Alles Schöne erschien demgemäß verdächtig, weil sein Genuss die revolutionäre Entschlossenheit des Proletariats zu untergraben drohte.“
Bis heute wird in Diskussionen der Vorwurf laut, Spiritualität sei durch historische Gräuel negativ vorbelastet und insofern für anständige Menschen heute nicht mehr akzeptabel. Wer sich als spirituell outet, muss nach Meinung von Kritikern auch noch die Heilige Inquisition, den Ablasshandel, den islamischen Gottesstaat, Genitalverstümmelungen, die Thule-Gesellschaft und die rechte Esoterik eines Jan van Helsing auf sein Gewissen nehmen. Unfair ist dabei nicht nur, dass eine Teilmenge des Bereichs Spiritualität für das Ganze genommen wird; unfair ist es auch, wenn Kritiker – meist ja Sozialisten – den Eindruck erwecken, ihre eigene Weltanschauung sei historisch nicht belastet.
Berüchtigt für ihre Gift sprühende Jagd auf spirituelle Menschen ist die ehemalige Sprecherin der Grünen, Jutta Ditfurth. Ich erinnere mich noch gut, wie ich – durchaus guten Willens, mich über rechte Esoterik zu informieren – ihr Buch „Entspannt in die Barbarei“ erwarb. Ich erwartete, ernsthaft über van Helsing, Trutz Hardo und andere, für Antisemitismus-Skandale bekannt gewordene Esoteriker informiert zu werden. Stattdessen fand ich, als „Rechte“ gebrandmarkt, in Ditfurths Buch ein paar alte Bekannte: Barbara Rütting, Franz Alt, Margrit Kennedy, Silvio Gesell und den Dalai Lama. Sogar die spirituelle Ökologie wurde als „völkisch“ abgekanzelt. Mit einigen dieser „Barbaren“ – Rütting, Alt und Kennedy – hatte ich schon persönlich Kontakt gehabt, fand sie sympathisch. Musste ich mir also nach Jahren der antifaschistischen Arbeit eingestehen, selbst ein verkappter „Rechter“ zu sein? War ich es nicht schon durch meine Nähe zu „der Esoterik-Szene“?
Jutta Ditfurth setzt vielfach bei richtigen Beobachtungen an, die aber sehr im Pauschalen bleiben:
„Faschismus kommt theoretisch ohne Esoterik aus, aber esoterische Ideologie enthält eine Vielzahl von Elementen, die mit faschistischer Ideologie kompatibel sind.“
Versucht Ditfurth konkret zu werden, verfällt sie leicht in eine ihrer berüchtigten Diffamierungstiraden, in denen sie Un- und Halbwahrheiten mit Kontaktschuldthesen vermengt. So zum Beispiel, wenn dem „Vollkornpapst“ Max Otto Bruker Kontakte zur rechtsextremen Szene vorgeworfen werden. Auf seinen Veranstaltungen träfe sich das „gnadenlos nur an seinen eigenen Wehwehchen interessierte Bürgertum“, als sei es ein Zeichen revolutionärer Gesinnung, besonders hart mit sich selbst umzugehen.
Nachdem Ditfurth also bei Bruker eine rechte Gesinnung konstatiert hat, räumt sie gleich noch dessen ganzes Kontaktumfeld ab:
„Er ist Gastgeber und Mittler für den chronisch lächelnden Antisemiten Franz Alt, bei dessen Reden die allgegenwärtige Mitläuferin, Brotbäckerin und Tierschützerin Barbara Rütting von Anfang bis Ende vor Rührung weint. Bruker würde dem antisemitischen Eugeniker Silvio Gesell am liebsten noch ein ganzes weiteres Lebenswerk widmen. Ohne Reinkarnation wird das dem nunmehr 85jährigen wohl nicht gelingen.“
Interessant ist hierbei der Tonfall des Hohns für jede weichere Seelenregung. Zwischen lauter „Antisemiten“ eingebettet, sieht sich Barbara Rütting sogar noch mit ihren Tränen bloßgestellt.
Nicht nur „Esoteriker“ sind jedoch auf Jutta Ditfurths Abschussliste. Die selbst ernannte „Rechts-Expertin“ hat nämlich just in dem Moment auf die Nachdenkseiten eingeprügelt, als diese durch den Weggang von Wolfgang Lieb und einen negativen NDR-Bericht geschwächt schienen. Ohne jede Fairness und ohne jedes Augenmaß warf sie Albrecht Müller und seinen Mitstreitern vor, Rechte "sozialarbeiterisch" verstehen zu wollen. „Anpassung und Unterwerfung an dieses Milieu“, unterstellte Ditfurth den Journalisten um Albrecht Müller:
„Sie fühlen dem braunen Zeitgeist hinterher“.
Da sich die Autorin irgendwelcher Belege geflissentlich enthält, fällt es mir schwer, auch nur ansatzweise nachzuvollziehen, worauf sie anspielt. Vielleicht auf die Anregung von Jens Berger, mit Pegida-Leuten erst mal zu reden, bevor man sie ausgrenzt – nicht, weil man ihnen nahe steht, sondern weil dies die einzige Chance sein könnte, sie von einer menschlicheren Haltung zu überzeugen.
Leider zeigte diese im Timing sehr auffällige Attacke Ditfurths, dass sich der kapitalismusfromme Mainstream auf die „streitbare Ex-Grüne“ immer verlassen kann. Sie flankiert und ergänzt die Diffamierungskampagnen der Leitmedien durch ihre Interventionen im linken Lager. Und sie tut es mit ihren erprobten Mitteln: Selektion, Übertreibung, Über- und Fehlinterpretation sowie der fatalen Kontaktschuldlogik („Jemand, der mit einem Rechten spricht, muss selbst ein Rechter sein“.) Ich möchte an dieser Stelle auch klarstellen, dass es mir nicht so sehr um die Person Ditfurth geht. Eher um eine ganze Denk- und Aktionsrichtung, von der man in Anlehnung an Goethes Faust sagen könnte:
„Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Linke will und stets das Kapitalistische schafft.“
Es besteht eine Art Arbeitsteilung zwischen neoliberaler Machterhaltungspropaganda und den "Antideutschen", die auf die Ausschaltung aller kreativen, für das System gefährlichen politischen Ansätze abseits des scharflinken Rechtgläubigkeitsanspruchs abzielt. Die Piratenpartei, Occupy, die Regionalgeldbewegung oder zuletzt die Neue Friedensbewegung wurden mit dieser Methode als politische Kräfte erheblich geschwächt. Die letztere übrigens – die Montags-Mahnwachen – ist sicher nicht frei von Verirrungen; sie pauschal als völkische, neurechte Bewegung zu bezeichnen, ist allerdings eine böswillige Verdrehung. Sie dient lediglich jenen, die schon immer wussten, dass Friedensliebe naiv und Krieg alternativlos ist. Wenn man die Liste der Personen und Gruppen, die sich bestimmter „Nazi-Vorwürfe“ erwehren mussten, noch ein Stück erweitert, dann stößt man auf ein bestimmtes Muster: Teile der Tierschutzbewegung, der Lafontaine-Wagenknecht-Flügel der Linken, Xavier Naidoo, Günter Grass, Diether Dehm und „Weltnetz TV“, die „Nachdenkseiten“, Daniele Ganser, natürlich auch Ken Jebsen und „KenFM“ – es sind Kräfte und Personen, die das herrschende System des Finanzkapitalismus, die Menschenverwertungslogik der Konzerne, die globale Dominanz der US-amerikanischen Kriegsindustrie frontal angreifen und nach grundlegenden Systemalternativen suchen.
Diese Menschen und Gruppierungen sind fehlbar und haben auch Fehler gemacht, nicht mit allem, was sie gesagt und getan haben, stimme ich überein; ich werde jedoch den Eindruck nicht los: Wenn jemand es wagt, den genannten Machtblock anzugreifen, sucht man den Splitter in seinen Augen, während man den Balken in so manchem anderen Auge geflissentlich übersieht. „Antideutsche“ mögen sich nicht bewusst „in den Dienst“ dieser links/neoliberalen Querfront stellen, faktisch spielen sie jedoch brav den für sie vorgesehenen Part in diesem üblen Spiel. Sie bedienen gerade die anti-rechten Reflexe jenes rigoros antikapitalistischen Milieus, zu dem die Mainstream-Medien keinen Zugang haben, und dienen damit den Interessen von Großkapital und Kriegstreibern auf geradezu lächerlich offensichtliche Weise.
Jutta Ditfurth und Konsorten haben nicht immer Unrecht. Manche Äußerungen von ihnen sind beachtenswert. Gerade in ihrer selbst gewählten Lieblingsrolle als Entlarver von Antisemiten und Rechten aller Art richten „Antideutsche“ jedoch seit langem mehr Schaden als Nutzen an. Denn so sehr Nazis und Antisemiten auch weiterhin bekämpft werden müssen – zu einer wirksamen Auseinandersetzung gehört auch eine gewisse Treffsicherheit, Integrität und Fairness. Man darf auf dem sensiblen Terrain des Antifaschismus nicht mit der Schrotflinte feuern, vielmehr braucht es ein Präzisionsgewehr.
Es ist eben mitnichten so, dass jemand ein umso besserer Antifaschist wäre, je mehr Personen er mit dem Faschismusvorwurf überzieht. Falsche, ungerechte und schikanöse Vorwürfe beleidigen Unschuldige, bagatellisieren mitunter den Faschismus als etwas "Normales", weil Allgegenwärtiges und treiben Schwankende schnell wieder in die Arme von Rechten aller Art zurück. Warum? Erstens, weil sie sich vom linken Lager verachtet, missverstanden und ausgegrenzt fühlen, was Trotzreaktionen hervorruft. Zweitens, weil man, einmal von „Antideutschen“ mit deren schikanöser Rhetorik gequält, keinesfalls einem Lager angehören möchte, dem sie zugehören.
Die fatalste Wirkung hat jedoch der von Ditfurth und anderen errichtete argumentative Schutzwall um das Finanzkapital. Dessen verbrecherische Akteure können sich immer darauf verlassen, dass Kritik an ihnen wahrheitsunabhängig als "antisemitisch" abgekanzelt wird – und zwar von Akteuren innerhalb der Linken. So haben es "antideutsche" Sinnverdreher vermocht, in geradezu Orwellscher Manier, die Begriffe zu vertauschen: "Links ist rechts". Wer gegen die internationale Banken- und Konzernmacht aufbegehrt, sich also gegen Ausbeutung, Unmenschlichkeit und Entdemokratisierung einsetzt (links), ist Antisemit (rechts). Nach dieser Logik ist jemand umso "linker", je wirksamer er das Kapital vor Kritik abschirmt. Nicht alle Linke freilich gehören der „antideutschen“ Denkrichtung an. Ein Mann wie der Berlin Kultursenator Klaus Lederer bemüht sich jedoch nach Kräften, dass beide Strömungen zur Deckung kommen und unterwirft sich vollständig „antideutscher“ Denk- und Diffamierungslogik – zum Schaden der Meinungsfreiheit und der Glaubwürdigkeit seiner Partei.
Wir dürfen bei allem berechtigten Ärger über ungerechte Antisemitismusvorwürfe niemals vergessen, dass der Antisemitismus nach wie vor ein großes Übel ist. Dass Rechtsradikale und Rechtspopulisten aller Art gerade dabei sind, die Menschlichkeit in diesem Land auf das ihren engen Herzen entsprechende Maß herunter zu dimmen – wenn sie etwa gegen Flüchtlinge und Muslime hetzen und immer die schärfste Abschottung, die brutalste Abschreckung für das Gebotene halten. Bei derartigen Abendlandverteidigern geht die Sonne der Vernunft und Humanität tatsächlich unter. Wir müssen wachsam bleiben. Aber „Wächtern“, die ständig Fehlalarm verursachen, glaubt man irgendwann nicht einmal mehr dann, wenn sie von wirklicher Gefahr künden. Gerade damit der Kampf gegen Rechts wirksam und glaubwürdig bleibt, muss er zumindest eine Mindestanforderung stets erfüllen: er muss sich tatsächlich gegen Rechte richten. Wem schon die Nachdenkseiten verdächtig erscheinen, der macht sich selbst verdächtig, entweder – keine Ahnung davon zu haben, was "rechts" eigentlich bedeutet, oder das Geschäft derer zu betreiben, gegen die sich linke Projekte der Gesellschaftsveränderung am dringlichsten zur Wehr setzen müssen.
Jetzt gilt's! Auf zur Demo nach Berlin: Für Demokratie und Meinungsfreiheit!