Mit dem Rad gegen Atomwaffen

Verfassungs- und Völkerrechtsfragen der deutschen nuklearen Teilhabe müssen endlich ernst genommen werden.

Dienst am Weltfrieden in der Präambel des Grundgesetzes? Verstößt die Drohung mit Massenvernichtungswaffen nicht grundsätzlich gegen Artikel 1 „Die Würde des Menschen ist unantastbar“? Sind deutsch-US-amerikanische Nuklearbomben mit dem 1969 unterzeichneten Atomwaffensperrvertrag vereinbar? Das Bundesverfassungsgericht (BVG) in Karlsruhe und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg halten diese Fragen für verzichtbar: 25 letztinstanzliche Beschwerden von Aktivistinnen und Aktivisten des zivilen Ungehorsams am Fliegerhorst Büchel wurden seit 1997 noch nicht zur Prüfung angenommen. Grund für fünf Klägerinnen und Kläger und die Menschen, die sie unterstützt haben, nun der Erinnerung der beiden Gerichte auf die Sprünge zu helfen — mit Megafon, Theater und auf dem Fahrrad.

Bekanntlich lagern etwa 20 US-amerikanische Atombomben auf dem Bundeswehr-Luftwaffenstützpunkt Büchel (Eifel). Friedensbewegte sahen sich immer wieder genötigt, zu dem Mittel des zivilen Ungehorsams zu greifen. Ihre Go-in-Aktionen, teils mit Besetzung der Startbahn oder eines Atombunkers, stehen in direktem Zusammenhang mit den Verfassungsbeschwerden. Die Beschwerdeführenden hatten gegen ihre Verurteilungen Klagen eingereicht, unter anderem weil die Vorgerichte die Kriterien des rechtfertigenden Notstands, § 34 Strafgesetzbuch (StGB), und die Argumentationen zur Völkerrechtswidrigkeit der Atomwaffenstationierung nicht hinreichend geprüft hätten.

Foto: Stefanie Intveen (Performance „Justitia aufwecken“ am EGMR Straßburg, 25. September 2023 )


Stattdessen verurteilten sie nach den Paragrafen zu Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung. Irrelevant war beispielsweise:

Deutschland ist laut Atomwaffen-Nichtverbreitungsvertrag unter anderem verpflichtet, Atomwaffen weder mittelbar noch unmittelbar anzunehmen.

Und die durch unsere Regierungen praktizierte Atomwaffenstationierung bedroht unser aller Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2+3 der Europäischen Menschenrechtskonvention).

Foto: Stefanie Intveen (Übergabe der Beschwerde Lies Welkers an das BVG Karlsruhe, 21. September 2023)



Zwar hatte das Bundesverfassungsgericht noch nie eine der Beschwerden zur Behandlung angenommen. Das hinderte Lies Welker am 21. September 2023 aber nicht daran, auch wegen ihrer Verurteilung eine Beschwerde einzureichen. Dieses tat Lies genau einen Tag vor dem Protest aller BeschwerdeführerInnen „20 Verfassungsbeschwerden gegen 20 Atombomben“, womit das BVG wieder die Chance hat, sich doch noch mit dem Thema der Grundgesetz- und Völkerrechtswidrigkeit der nuklearen Teilhabe zu beschäftigen. Lies performte am Freitag die goldene Justitia gegenüber dem Haupteingang des BVG, mit der das Gericht aufgeweckt werden sollte.

Am Montag, 25. September, wurde auch vor dem EGMR im 80 Kilometer entfernten Straßburg „Justitia aufwecken“ aufgeführt, da dieses Gericht sich ebenfalls noch nicht gerührt hatte. Seitdem gab es wenigstens eine Eingangsbestätigung an einen der Kläger aus den USA. Bereits 2021 hatten zwei vom BVG ignorierte BeschwerdeführerInnen Klage gegen die Nichtbehandlung eingelegt. Bis heute kamen zwei weitere hinzu; zusätzlich bereiten zwei KlägerInnen einen Appell an das Gericht des Europarats vor.

Zur rechtlichen Situation der Atomwaffenstationierung und zu den Verfahren sprachen von den BeschwerdeführerInnen die US-amerikanischen Aktiven John LaForge und — in einem Grußwort — Susan Crane, weiter die Sprecherin der Kampagne „atomwaffenfrei.jetzt“ und Klägerin Marion Küpker sowie mit einem schriftlichen Beitrag die Rechtsanwältin Anna Busl. Keine Großdemo, aber ein weiterer Schritt der Bewusstwerdung: 30 TeilnehmerInnen sowie Passanten hörten zu.

Foto: Stefanie Intveen (5 KlägerInnen nahmen an der Friedenstour teil, hier Johanna Adickes vor dem BVG Karlsruhe, 22. September 2023)



Bereits am Donnerstag hatten die Beschwerdeführer zu einer Informationsveranstaltung im Internationalen Begegnungszentrum Karlsruhe eingeladen. Die einzelnen AktivistInnen erzählten ihre Geschichten, zeigten Bilder von den Go-in-Aktionen und berichteten, was sie dazu motivierte, diese durchzuführen. Die Beiträge umrahmte der Sänger und Liedermacher Gerd Schinkel (Köln) gekonnt musikalisch, auch mit einem eigens für diesen Anlass komponierten Lied Justitia.

Herzlichen Dank auch an die Karlsruher Friedensbewegung, die die dortigen Aktionen tatkräftig unterstützte, insbesondere die örtliche Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) mit viel Organisationsarbeit und anderem mehr. Menschen aus dem Wohnprojekt MiKa brachten die FriedensaktivistInnen privat unter und stellten in ihrem Kulturhaus die Besprechungs- und Verpflegungsmöglichkeiten bereit.

Foto: Stefanie Intveen (Pause am Schloss Rastatt, 23. September 2023)



Am Samstag fuhren dann endlich die 11 FahrradfahrerInnen los. Weitere BeschwerdeführerInnen nahmen an der Aktion im Begleitfahrzeug teil. Sicher geführt von der 18-jährigen Amelie, radelten wir erst nach Wörth am Rhein, querten bei Lauterbourg die Grenze zu Frankreich und später den Rhein bei Seltz. Das Schloss in Rastatt bekam noch für ein Fotoshooting einen Besuch, bevor die Übernachtung in Rheinmünster erreicht wurde.

Am Sonntag war die erste Station das Friedenskreuz in Bühl. Dort stieß Klaus aus Offenburg zu uns, der die Radgruppe auf landschaftlich reizvollen — wenn auch verspätungsfördernden — Wegen in seine Heimatstadt führte. Hier hatte die DFG-VK sich toll ins Zeug gelegt, um eine kleine, aber feine Kundgebung samt Infostand und Grußwort der Stadt auf die Beine zu stellen. Gerd Schinkel gestaltete mit seinen Beiträgen wieder einmal den musikalischen Part der Friedensfahrradtour.

Dort wurde an die 13 „Forderungen des Volkes“ erinnert, die im September 1847 im Salmen zu Offenburg beschlossen worden waren. Ein weiterer aktueller Artikel 14 zur Friedenserhaltung und Abschaffung aller Atomwaffen wurde proklamiert, wenn auch nicht wie geplant an der gleichen historischen Stätte, da der Salmen kurzfristig anderweitig genutzt wurde.

Foto: Stefanie Intveen (Vorstellung der 14. „Forderung des Volkes“, Offenburg, 23. September 2023)



Am Montag standen zwar nur 8 Kilometer auf dem Programm, aber durch die Straßenzüge einer unbekannten Stadt. Wieder brachte uns Amelie pünktlich zum Ziel, dem EGMR in Straßburg. Die Demo, auf Französisch „manifestation“, war ähnlich wie in Karlsruhe, konnte aber — wie von den Anmeldern mittels elektronischer Hilfsmittel vermutet — nicht auf dem weiten Platz am Menschenrechts-Gerichtshof stattfinden, sondern nur vor dem vergitterten Haupteingang an der recht ruhigen Hauptstraße.

Jedoch kamen viele Beamte auf ihrem Weg von der Mittagspause oder nach Hause vorbei, und einige nahmen sich unser Flugblatt mit, redeten sogar ein paar Worte. Ob unser Anliegen bis zu einer mit den Klagen befassten Richterin vorgedrungen ist?

Die üblichen Herausforderungen einer Friedensfahrradtour wie die spontane Verweigerung des gebuchten Leihanhängers oder die Erkrankung des Begleitfahrers konnten einen Meister der Improvisation wie Michael Sünner nicht aus der Ruhe bringen. Dank gebührt auch heimischen Tourenleitern des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) für ihre Routenvorschläge. Oder Patrick aus Lunéville für seine Hinweise zum Anmeldeprozedere einer Manifestation in Frankreich. Auch allen TeilnehmerInnen, die sich aktiv in die Gestaltung der Friedensfahrradtour eingebracht haben. Und vor allem der Kampagne „atomwaffenfrei.jetzt“ für die Idee und monatelange Vorbereitung.

Genauere Informationen zu den Verfassungs- und Menschenrechtsbeschwerden, den Aktionen gewaltfreien Widerstands und dem juristischen Ablauf können nachgelesen werden auf: atomwaffenfrei.de und buechel-atombombenfrei.de, dort besonders Hintergrund/Studie zur nuklearen Teilhabe.