Mit aller Gewalt
In seiner Spätphase konzentriert sich der Kapitalismus auf die Organisation schöpferischer Zerstörung — sie macht auch vor der menschlichen Seele nicht Halt. Teil 1 von 4.
Eine Besonderheit der Ökonomie ist der anhaltende Prozess der schöpferischen Zerstörung. Durch technische Innovationen und die Kombination von existierenden Produktionsfaktoren entstehen ständig neue und verbesserte Verfahren. Sie lösen alte Produktionsformen ab und werden selbst von Innovationen verdrängt. Im 21. Jahrhundert hat die schöpferische Zerstörung alle Wirtschafts- und Lebensbereiche erfasst. Nichts ist mehr von Dauer, alles zerfließt. Die Gesellschaften rennen in den Wahnsinn hinein und der Gewalt entgegen. Es ist das letzte große Geschäft des Kapitals, das seinen Sinn verloren hat.
In der vierten industriellen Revolution, die den wirtschaftlich denkenden und handelnden Homo oeconomicus in den ich-bezogenen und antisozialen Homo digitalis verwandelte, stirbt das Lebendige ab. Die Angst führt Regie. Die mentale Verfassung der Menschheit ist auf ein bedenkliches Niveau gesunken. Psychische Erkrankungen nehmen kontinuierlich zu. In der angeordneten Pandemie, die die Weltwirtschaft künstlich zum Stillstand brachte, um den Kollaps des Finanzkapitalismus zu verhindern, sind sie explodiert. Die Welt fliegt über das Kuckucksnest.
Das ist doch irre
Gerhard Kugler, Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie (DGVT) sowie der Gesellschaft für kontextuelle Verhaltenswissenschaften (DGKV), stellte 2018 in seinem Essay „Das ist doch irre“ die Frage in den Raum, ob man im herrschenden System mit seinen sozialen und ökonomischen Zwängen überhaupt noch psychisch gesund sein kann. Die banale Antwort lautet: Nein.
Es ist bekannt, dass ungefähr jeder zweite Mensch einmal in seinem Leben an einer psychischen Störung erkrankt. In der Regel handelt es sich um eine zeitlich begrenzte Erscheinung, die sich überwinden lässt. Eine emotionale Erschöpfung zum Beispiel oder das Gefühl ständiger Überforderung und andauernder Stress. Verfestigt sich eine psychische Störung, und darum geht es hier, hat es langfristige Auswirkungen für den Betroffenen, sein soziales Umfeld und die Gesellschaft insgesamt.
Die Feststellung einer psychischen Erkrankung, schreibt Kugler, sei in der aufgeklärten Gesellschaft sozial-, arbeits- und strafrechtlich zwar ein Fortschritt gegenüber der in der Vergangenheit üblichen pauschalen Ächtung oder Wegsperrung der „Unnormalen“, aber keine Lösung.
„Die soziokulturell inzwischen weit entwickelte Individualisierung, diese völlig übertriebene Vereinzelung, verdammt die Menschen dazu, alles mit sich selbst auszumachen und zwingt sie förmlich, Schwächen zu überdecken. Nicht nur vor anderen, sondern, und hier liegt eine Dramatik, auch vor sich selbst. Dies geschieht oft bis zum Zusammenbruch. Das dann unterstellte ‚Tief-Drinnen‘ ist eine optimale, weil gelungene ideologische Ablenkung vom unzureichenden Miteinander.“
Die destruktiven Auswüchse der Vereinzelung, ökonomisch angetrieben und politisch ganz offensichtlich gewollt, wurden 2019 ausgerechnet von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum Thema gemacht. Die WHO wies darauf hin, dass weltweit rund eine Milliarde Menschen mit einer psychischen Krankheit leben. Die reale Psycho-Pandemie führte aber nicht zur Ausrufung einer internationalen Gesundheitsnotlage.
Im Januar 2020 zeigte die WHO mehr Beweglichkeit: Corona wurde genutzt, um die Menschheit in Angst zu versetzen und die Welt einzufrieren. Warum? Der Kapitalismus stand am Rande des Zusammenbruchs.
Fabio Vighi, Professor für Kritische Theorie an der Universität Cardiff (Großbritannien), hat die ausweglose Lage in seinem Buch „Covid-19 und die Pandemie als Amoklauf des Finanzkapitals“ (1) akribisch beschrieben.
Der Amoklauf des Kapitalismus
Infolge des eskalierenden technologischen Fortschritts gelingt es dem Kapital immer weniger, aus der menschlichen Arbeit, der Grundlage der Gesellschaft und des auf Schulden errichteten ökonomischen Systems, Mehrwert zu schöpfen. Ähnlich wie beim Bankencrash 2008 befand sich die Weltwirtschaft in der Zeit zwischen Juni 2019 und März 2020 am Rande eines kolossalen Zusammenbruchs.
„Lockdowns und die weltweite Aussetzung wirtschaftlicher Transaktionen sollten es der US-Zentralbank FED ermöglichen, die angeschlagenen Finanzmärkte mit frisch gedrucktem Geld zu überschwemmen, um eine Hyperinflation zu vermeiden. (…) Die Massenimpfprogramme und Gesundheitspässe sollten als Säulen eines neo-feudalen Regimes der weiteren kapitalistischen Akkumulation installiert werden. Das Virus bildete die letzte Überlebenschance des angeschlagenen Finanzkapitalismus, indem es die Voraussetzung schuf für den ‚Paradigmenwechsel vom Liberalismus zum oligarchischen Autoritarismus‘.“
Der künstliche Ausnahmezustand blieb nicht ohne Folgen. Bereits im Juni 2022 meldete die WHO, dass die Erkrankungen der Psyche massiv zugenommen haben. Depressionen und Angststörungen sind herausragend.
Dass sich die Lebenserwartung bei schweren psychischen Erkrankungen um bis 20 Jahre verkürzt, ist erwähnenswert. Ebenso, dass in den ärmsten Bevölkerungsschichten das Risiko einer psychischen Erkrankung deutlich erhöht ist. Als Ursachen nennt die WHO Schikane, Missbrauch, Mobbing, Gewalt, Überforderung, anhaltenden Stress et cetera (2).
Als verantwortlich wird aber nicht die strukturelle und organisierte Gewalt gesehen, die die im März 2020 ausgerufene „Corona-Pandemie“ orchestrierte, sondern das Virus. Als hätte dieses „Etwas“ die Menschen persönlich in Lockdowns geschickt, sie medial terrorisiert, schikaniert, sie mit Strafe bedroht und zum Tragen von Staubmasken und der Einhaltung von „Social Distancing“ genötigt.
Die Folgen der strukturellen Gewalt hallen weltweit nach. Frankreich, Belgien, Japan, Spanien … Bis auf wenige Ausnahmen hat die Zahl psychischer Erkrankungen zugenommen. Auch in Deutschland ist die Psyche der Bevölkerung schwer angeschlagen. Laut dem Mental Health Report 2024, eine von der AXA-Versicherung beauftragte bevölkerungsrepräsentative Umfrage durch das Meinungsforschungsinstitut Ipsos, sagen 31 Prozent der Befragten, dass sie aktuell unter Depressionen, Angststörungen, Essstörungen, Zwangsstörungen oder anderen psychischen Erkrankungen leiden. 49 Prozent der befragten Frauen gaben an, in einer schlechten bis sehr schlechten psychischen Verfassung zu sein. Unter den unter 25-Jährigen sind es 41 Prozent. Pessimismus zieht sich durch alle Altersklassen. „Nur eine Minderheit von 42 Prozent der Deutschen blickt insgesamt optimistisch in die Zukunft.“ Bei den 18- bis 24-Jährigen sind es lediglich 39 Prozent (3).
Der Weg in den Gewaltmarkt
Eine dringende Verlangsamung aller Abläufe, um der Zunahme der psychischen Erkrankungen Herr zu werden, bleibt aus. Es ist keine Überraschung, dass die WHO anregt, den Zustand in die gesellschaftliche Normalität zu integrieren und in die Behandlung der Betroffenen zu investieren. Hier schließt sich der Kreislauf aus Ökonomie und Herrschaft: Die psychischen Probleme, entstanden durch die Gewalteinwirkung des Systems gegen die Psyche, werden zu einem Geschäftsfeld umgeformt. Die Auswirkungen, die sich unter anderem in einer Zunahme der Gewaltkriminalität manifestieren, dienen als Begründung, um das Gewaltmonopol des Staates auszudehnen, also noch mehr Gewalt zu erschaffen.
Sind die damit verbundenen Ziele erkennbar? Sicher nur bedingt. Der technische Fortschritt fordert seinen Tribut. Zwischen unzähligen Apps und Medien, die darauf spezialisiert sind, die Menschen zu unterhalten und ihnen möglichst viel kostbare Lebenszeit zu stehlen, wird die individuelle Fähigkeit, die verfügbaren Ressourcen des Bewusstseins über einen längeren Zeitraum auf bestimmte Reize der Umwelt und ausgewählte Inhalte zu konzentrieren und durch Selektion die eigene Informationsverarbeitung zu moderieren, auf eine harte Probe gestellt.
Grauenhaftes wird rezipiert, dupliziert, kommentiert und vom nächsten Grauen gejagt. Durch das anhaltende Echo in Blogs, Zeitungen, TV und Radio, auf Telegram, Facebook, WhatsApp, TikTok und so weiter, wird der Effekt verstärkt. Der gesunde Menschenverstand bleibt auf der Strecke.
Das Bedürfnis nach „Sicherheit“ nimmt zu und das gesamtgesellschaftliche Verständnis für die Realität ab: Wer darüber bestimmt, wovor man Angst haben soll und gleichzeitig Erlösung von der Angst verspricht, ist kein Messias. Es ist der Eine, der die Welt in einen gigantischen Gewaltmarkt verwandelt: der Finanzkapitalismus im Endstadium.