Mistgabeln für Milliardäre

Wenn sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnet, könnte das nicht nur für die Welt als Ganzes, sondern auch für die Superreichen böse enden.

„Warum wollt ihr die Welt nicht ändern, bevor sie kommen?“, fragte Erich Kästner in seiner „Ansprache an Millionäre“. Und malte einen Volksaufstand mit für die Reichen tödlichem Ausgang an die Wand. Heute sind Millionäre eher die kleinen Fische unter den Hochmögenden. Man muss, wenn man über Reichtum spricht, noch ein paar Nullen dranhängen. Der Autor sieht schwere Wetter aufziehen. Denn die Spaltung in sehr arm und sehr reich hat sich seit den Tagen Erich Kästners eher verschärft. Wenn sich diese Entwicklung so fortsetzt, könnte es zum großen Knall kommen. Und noch immer fällt den Absahnern dazu nicht viel mehr ein als steuerlich absetzbare, publicityträchtige Wohltaten als Feigenblatt. Es müsste nicht einmal Edelmut sein, was Milliardäre dazu bewegen könnte, umzudenken. Vielleicht wäre es aber besser, wenn sie es zum Selbstschutz tun. Und möglichst bevor es zu spät ist.

Sagt Ihnen der Name Yvon Chouinard etwas? Nein? Aber Patagonia sagt Ihnen etwas. Auch nicht? Dann fragen Sie irgendeinen Sportbegeisterten in Ihrem Umfeld und er wird Sie aufklären. Patagonia ist eine der erfolgreichsten Sportbekleidungsmarken der Welt und Yvon Chouinard ihr Gründer und Eigentümer. Nun sorgte Yvon Chouinard (87) vor vier Jahren mit einem ungewöhnlichen Schritt nicht nur in der Wirtschaftswelt für Aufsehen. „Ich wollte nie ein Unternehmer sein“, ließ der US-amerikanische Pionier des Bigwall-Kletterns verlauten und verkündete, dass er seine 1972 gegründete Firma an eine gemeinnützige Organisation und eine Stiftung abgegeben hätte.

Sie haben richtig gelesen: Yvon Chouinard verschenkte das gesamte Unternehmen an eine einzigartig strukturierte Stiftung und eine gemeinnützige Organisation, die sämtliche Gewinne des Unternehmens in die Rettung des Planeten steckt. „Ab sofort ist die Erde unser einziger Aktionär“, teilte das Unternehmen mit. Patagonia beschäftigt mehr als 1.500 Mitarbeiter und hat nach Angaben der New York Times einen Wert von rund drei Milliarden US-Dollar. Alle Gewinne, geschätzt etwa 100 Millionen Dollar pro Jahr, die nicht wieder ins Unternehmen investiert werden, fließen in den Umweltschutz.

„Die meisten Milliardäre spenden pro Jahr nur einen sehr kleinen Prozentsatz ihres Vermögens, daher ist das ein bemerkenswertes Ereignis in der Geschichte der US-amerikanischen Philanthropie“, sagt David Callahan, Gründer von Inside Philanthropy. Der von Yvon Chouinard extra gegründete Patagonia Purpose Trust (PPT) setzt jeden erhaltenen Dollar zum Schutz der Natur und der Artenvielfalt ein. Darüber hinaus können Spenden auch in Lobbyarbeit oder an politische Kandidaten fließen. PPT wurde gegründet, um sicherzustellen, dass das Unternehmen seinem Zweck verpflichtet bleibt, nämlich den „Heimatplaneten zu retten“.

Die Motive einiger Milliardäre, große Summen für gemeinnützige Zwecke zu spenden, seien unterschiedlich und längst nicht immer edel, so Callahan. „Manche versuchen mit ihren Spenden, Steuern zu umgehen oder ihren Ruf und Status aufzupolieren.“

Bei Patagonia-Gründer Yvon Chouinard jedoch sind die Beweggründe klar, sein Motto lautet: „Es macht keinen Sinn, als Milliardär zu sterben, wenn man zu Lebzeiten so viel Einfluss auf die Welt haben kann.“ Es scheint fast so, als hätte der Mann meine Maeva-Trilogie gelesen, in der die Protagonistin Maeva die Reichen dieser Welt dazu bewegen will, einen Großteil ihres fast unerschöpflichen Vermögens in die Rettung des Planeten zu investieren, wie zum Beispiel den Multimilliardär Malcom Double U, der durch sein Spiele-Imperium im Internet steinreich geworden ist und dem sie folgenden Brief überbringen ließ:

Lieber Malcom Double U!

Wir alle wissen, dass der Zusammenbruch der zivilisierten Welt nicht mehr aufzuhalten ist. Vor diesem Hintergrund wächst aber auch die Chance, auf unseren Rettungsinseln, als die ich die URP-Regionen (1) gerne bezeichne, ein neues Bewusstsein zur Blüte zu bringen, auf das die Erde so lange vergeblich gewartet hat. Dazu bedarf es sowohl wissenschaftlicher als auch spiritueller Hilfe. Vor wenigen Wochen erst hatten wir auf Tahiti 188 Schamanen und Weise unserer Zeit zu Gast, die sich mir gegenüber dazu verpflichtet haben, ihr Wissen unseren Regionen zur Verfügung zu stellen, wann und wo immer es benötigt wird. Das alles lässt sich gut an. Woran es der URP mangelt, ist ein gesundes Finanzpolster, das es erlauben würde, schnell und unbürokratisch dort zu helfen, wo Hilfe dringend erforderlich ist. Wäre es möglich, unter den Milliardären dieser Welt, von denen Ihnen ja viele persönlich bekannt sind, die Bereitschaft zu wecken, der URP finanzielle Unterstützung zu gewähren? Ich schätze Ihr persönliches Engagement über alle Maßen. Und ich traue Ihnen zu, dass Sie in der Lage sind, den maßlos Wohlhabenden zu erklären, worin der wirkliche Gewinn des Lebens besteht ...
In Liebe
Maeva

Ein Jahr, nachdem mein Roman erschienen war, geschah das Ungeheuerliche. Endlich, möchte man sagen, endlich war einer dieser superreichen Säcke (sorry) zur Besinnung gekommen. Im März 2012 hielt der Multimilliardär Nick Hanauer bei TED TV einen Vortrag (2), der allerdings nicht gesendet wurde. Zur Rechtfertigung der Nichtausstrahlung führte TED TV aus, dass Hanauers Vortrag „deutlich parteiisch“ gewesen sei. Als Reaktion hat Hanauer einen offenen Brief an Amerikas Geldelite verfasst, der weltweit für Aufsehen sorgte. Ich gebe diesen Brief hier in Auszügen wieder. Bitte sehr:

„Offener Brief an meine reichen Freunde

Sie kennen mich wahrscheinlich nicht, aber ich bin einer dieser 0,01 Prozent uneinsichtigen Kapitalisten. Ich habe etwa 30 Unternehmen in unterschiedlichen Branchen mitbegründet und finanziert. Vom Nachtklub bis zu Amazon.com. Ich bin der Gründer des Internet-Werbeunternehmens AQuantive, welches im Jahr 2007 von dem Softwarehersteller Microsoft für etwa sechs Milliarden (!) US-Dollar übernommen wurde. In bar.

Meine Freunde und ich besitzen eine Bank. Ich sage Ihnen das, weil ich in vielerlei Hinsicht nicht anders bin als Sie. Für meinen Erfolg führe ich ein Leben, von dem 99,9 Prozent der Amerikaner nicht einmal zu träumen wagen. Lassen Sie uns offen sprechen.

Ich bin nicht der intelligenteste Mensch oder der am schwersten Arbeitende. Was mich von anderen unterscheidet, ist wohl die Eigenschaft, zu sehen, wo die Reise hingeht und was in der Zukunft passieren wird. Und was sehe ich in in unserer Zukunft? Ich sehe Mistgabeln!

Während Menschen wie du und ich von der Plutokratie (Herrschaft des Geldes) träumen, liegt der Rest des Landes, die 99,9 Prozent, am Boden. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer schlimmer. Aber das Problem ist nicht die Ungleichheit an sich. Diese ist immer untrennbar mit jeder kapitalistischen Wirtschaft verbunden. Das Problem ist, dass diese Ungleichheit auf einem historischen Hoch angelangt ist und von Tag zu Tag schlimmer wird. Wenn sich unsere Politik nicht dramatisch ändert, wird die Mittelschicht verschwinden, und wir werden wieder im späten 18. Jahrhundert in Frankreich sein. Vor der Revolution.

Und so habe ich eine Botschaft für meine steinreichen Kollegen und Kolleginnen und alle, die in dieser Blase leben:

Wachen Sie auf! Wenn wir nicht bald etwas tun, um die eklatanten Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft zu beheben, werden die Mistgabeln zu uns kommen.

Am Anfang geraten wir in einen Polizeistaat, dann kommen die Aufstände. Plötzlich setzt jemand etwas in Brand, und dann gehen Hundertausende auf die Straßen. Bevor man sich versieht, steht das ganze Land in Flammen. Wir werden keine Zeit mehr haben, um uns in den SUV zu setzen, zum Flughafen zu fahren und nach Neuseeland zu fliegen.

Ich habe erkannt, dass ich meine isolierte Welt der Superreichen verlassen und mich einmischen muss. Während der letzten drei Jahrzehnte wuchsen die Abfindungen für Manager 127-mal schneller als die der Arbeitnehmer. Manager verdienen das 500-Fache des Durchschnittseinkommens. Doch kein Unternehmen hat seine Führungskräfte beseitigt oder nach China ausgelagert oder ihre Arbeitsplätze automatisiert.

Vergessen Sie das Argument, Amerika sei so groß, weil es von Menschen wie dir und mir und Steve Jobs gemacht wurde. Sie kennen die Wahrheit, auch wenn Sie es nicht zugeben: Wäre einer von uns in Somalia oder im Kongo geboren, wären wir vielleicht nur ein barfüßiger Kerl, der an einem Feldweg Obst verkauft.

Viele unserer Mitbürger beginnen zu glauben, dass der Kapitalismus die Wurzel allen Übels ist. Ich glaube das nicht, und ich bin sicher, Sie auch nicht.

Kapitalismus ist die größte Sozialtechnologie, die jemals erfunden wurde, um den Wohlstand der menschlichen Gesellschaften zu erschaffen. Aber wenn im Kapitalismus nicht gegengesteuert wird, neigt er zu Konzentration und Kollaps.

Er kann auf zwei Arten verwaltet werden: dass wenige kurzzeitig oder viele langfristig profitieren. Wir können uns natürlich weiterhin zurücklehnen, nichts tun, unsere Yachten genießen und auf die Mistgabeln warten.“

Das große Erwachen der globalen Geldelite, auf das wir nach Douglas Tompkins (3), Nick Hanauer und Yvon Chouinard gehofft hatten, bleibt bis heute aus. Dabei verfügen allein die vier gewichtigsten XXL-Milliardäre über Vermögen, mit denen sie sich die meisten Staaten dieser Erde bequem in die Tasche stecken könnten. Das Vermögen von Elon Musk wird auf 427,5 Milliarden USD geschätzt, das von Amazon-Gründer Jeff Bezos auf 247,7 Milliarden USD, das von Larry Ellison (Gründer des US-Softwarekonzerns Oracle) auf 229,1 Milliarden USD, und Facebook-Gründer Mark Zuckerberg verfügt immerhin noch über bescheidene 215,5 Milliarden USD. Zum Vergleich: Bis Ende November 2024 betrugen die Ausgaben des Bundes rund 416,8 Milliarden Euro, die Einnahmen betrugen im gleichen Zeitraum 366,3 Milliarden Euro. Somit ergibt sich für Ende November ein Finanzierungsdefizit von circa 50,5 Milliarden Euro. Man kann nur hoffen, dass auch diese Herrschaften demnächst die Mistgabeln kommen sehen …