Missbrauchte Wissenschaft
Facebook poliert mithilfe der TU München und einem manipulierten Ethikinstitut sein Image auf.
Facebook hat Imageprobleme in Deutschland: Robert Habeck löscht öffentlich demonstrativ sein Facebook-Account und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel — über Facebook gehackt — hat dies mittlerweile getan. Die Nutzer wollen nicht mehr recht an die integre Datenverwendung von Facebook glauben — ein Konzern mit Umsatzsorgen wegen Datenmissbrauchs. Was tun? Am besten Deep Marketing über renommierte, unabhängige Institutionen, am besten über eine bekannte Universität, die über alle Zweifel erhaben ist. Dies trifft besonders auf die TU München zu, die nach außen einen sehr guten Ruf hat und nur Insidern als sehr industrienah bekannt ist. Man nimmt aus der Facebook-Marketing-Abteilung 6,5 Millionen Euro — das sind für Facebook angesichts eines Marketing-Etats von etwa 4,7 Milliarden Dollar im Jahr Peanuts — und poliert damit sein Image: So stiftete der Internet-Riese ein „Institute for Ethics in Artificial Intelligence“, ein Institut für ethische Forschung. Damit schlägt er gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe — gut angelegtes Geld mit hoher Rendite.
Zum einen erscheint die Nachricht sofort in allen deutschen Leitmedien, und zwar nicht unter der Rubrik „Werbung“, wo sie eigentlich hingehörte, sondern im redaktionellen Teil. Der Fernsehgucker und Leser denkt: TU München ist seriös, dann muss ja auch Facebook irgendwie seriös sein, also alles mit dem Datenmissbrauch nicht so schlimm, sonst würden die sich ja gar nicht trauen, ein Ethikinstitut zu installieren, sonst käme das ja ans Tageslicht. Gut fürs Facebook-Geschäft.
Zweitens Deep Marketing: Falls der Institutsleiter ein nicht gar so industriekritischer Geist ist, werden im Laufe der nächsten Jahre immer wieder unkritische und beschwichtigende Berichte zu Daten, Internet und Facebook aus erster akademischer Quelle erscheinen. Damit wird eine wissenschaftlich fundierte Theorie zur Nutzung von künstlicher Intelligenz im Sinne der Gewinnmaximierung der Großkonzerne erarbeitet. Es erfolgt weichenstellende, grundlegende, scheinbar unabhängige Wissenschaftsarbeit für die intellektuelle Diskussion und entsprechende Einflussnahme — im Sinne der Großkonzerne.
In drei Jahren erinnert sich keine Menschenseele mehr daran, wer eigentlich hinter dem Ethikinstitut steckt. Noch besser fürs Facebook-Geschäft.
Wie erfolgreich das Facebook-Ethikinstitut langfristig die Weichen zu Gunsten von Facebook stellen kann, steht und fällt mit dem Leiter des neuen, 6,5 Millionen schweren Instituts. Das wird Prof. Dr. Christoph Lütge sein, in der Tat kein gar so industriekritischer Geist. Ein kurzes Zitat aus seinem jüngsten Buch von 2018 mit dem Titel „Wirtschaftsethik“ sagt vielleicht mehr als tausend Worte. Auf Seite 33 steht:
„Man kann das Eigeninteresse — innerhalb der geeigneten Rahmenordnung — gewissermaßen als eine ‚moderne Form der Nächstenliebe‘ begreifen (…) Es gilt also nicht mehr der traditionelle Gegensatz zwischen gutem, altruistischen Verhalten und schlechtem Egoismus.“
Kurz: Jesus würde also heute Eigenliebe predigen. Interessante Aussage eines Ethikers. Nächstenliebe ist out, Eigeninteresse ist in, das ist unsere neue Ethik. Lütge hebt damit alle Ethik auf, das Kernproblem des Egoismus verschwindet, alles gut, was die Industrie macht, der Markt wird’s schon regeln. Absolute Freiheit für die Industrie und ihre Manager.
Lütge ist der ideale Mann für Facebook, ein waschechter Markt-„Fundi“. Ein vehementer Fundamental-Vertreter der neoliberalen Doktrin, dass die „unsichtbare Hand“ des Marktes alles gut macht, allen Egoismus auf geheimnisvolle Weise in Altruismus, in das Wohl aller verwandelt. Diese 250 Jahre alte Aussage von Adam Smith ist mit Blick auf die Finanzkrise von 2007/08 und die heutigen Umweltprobleme, Kinderarbeit, Plastikmüllberge, sozialen Schieflagen und so weiter und so fort nicht mehr wirklich zeitgemäß, sondern erinnert eher an ein strammes Dogma.
Da hat Facebook einen wirklich genialen Marketing-Mann gewonnen, der nun ein ganzes Institut zusätzlich bekommt: einen echten Freien-Markt-Fundamentalisten, der da sagt: Auch Mutter Theresa ist ein nutzenmaximierender Homo Oeconomicus (kein Witz, steht auf S. 81 des Buches „Wirtschaftsethik“), genauso wie nutzenmaximierende Manager von Monsanto und VW. Egoismus ist nicht schlecht, Altruismus ist nicht gut, freie Bahn für den freien Markt. Und Facebook agiert doch im freien Markt, nicht wahr?
Und die TU München unter Präsident Herrmann? Bei der Besetzung von Instituten an staatlichen Hochschulen sollten nach Art. 33 II Grundgesetz diejenigen Bewerber zum Zuge kommen, die für solche Stellen am besten geeignet sind. Wer das ist, ermittelt man normalerweise durch öffentliche Stellenausschreibungen, Bewerbungsverfahren und anschließender Auswahl der am besten geeigneten Person durch ein unabhängiges Expertengremium, beispielsweise eine unabhängige Berufungskommission.
Im Falle der Besetzung des neu gegründeten „TUM Institute for Ethics in Artificial Intelligence” hat man ein solches Auswahlverfahren aber vermieden und lieber gleich per Handschlag und im wohlwollenden Einvernehmen mit dem Geldgeber Facebook den oben geschilderten Ökonomismus-Ethiker Lütge eingesetzt.
Dadurch hatten leider andere ausgewiesene Ethikexperten, die beispielsweise der Denkrichtung der „integrativen Wirtschaftsethik“ angehören, keine Chance, sich auf diese Stelle zu bewerben. Andererseits muss man zugeben, dass Vertreter dieser Denkrichtung für Facebook äußerst unangenehme Ethiker gewesen wären, ziemlich kritische Köpfe. Die wollte man dem spendablen US-Konzern seitens der TU München möglicherweise lieber ersparen — sonst hätte Facebook schlimmstenfalls die Taschen doch nicht aufgemacht — und hat daher lieber gleich den konzernwohlwollenden Christoph Lütge zum Institutsleiter ernannt.
Lütge ist grundsätzlich starker Anhänger von Wettbewerb und Konkurrenz — nur bitte nicht um seine eigene Stelle. Er vertritt beispielsweise die Ansicht, dass durch die Kräfte des Marktes „die Bündelung von Macht systematisch verhindert wird“. Solche Aussagen dürften dem Quasimonopolisten Facebook sehr gelegen kommen — und das dürfte auch der eigentliche Grund für seine Ernennung zum Institutsleiter sein. Auf der Strecke bleibt leider nur — ein faires, freies Bewerbungsverfahren und damit die freie Wissenschaft. Postenschacher als Gefälligkeit für den Geldgeber Facebook statt Auswahl der Fähigsten an der TU München. Das entspricht aber leider nicht guten Ethikregeln guter Wissenschaft. Das neue Ethikinstitut beginnt mit einem Ethikbruch. Kein gelungener Start. Aber ganz in der Tradition von Facebook, Ethikregeln ständig zu brechen.
Wie tief will die TU München eigentlich noch fallen? Das erinnert schwer an Prostitution: Ethische Zweifel werden durch viel Geld beschwichtigt, die Tore der Wissenschaft werden bereitwillig geöffnet, wenn die Zahlung stimmt.
Wie glaubwürdig kann solche Wissenschaft noch sein? Ruiniert Präsident Herrmann dadurch nicht die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft?
Aufs ganze Land hochgerechnet: Wenn das Beispiel Facebook/TU München Schule macht, könnte künftige Hochschulpolitik so aussehen: Große nationale und internationale Konzerne suchen sich die am meisten mit industrienahen Aussagen auffallenden und der Industrie besonders nahe stehenden, sagen wir, zunächst 1000 Professoren an deutschen staatlichen Hochschulen aus. Sie beschließen, jedem von diesen Professoren ein paar Dutzend Millionen zur Verfügung zu stellen, ohne Ausschreibung oder Wettbewerb um das Geld, wie bei TU München/Facebook, zur völlig freien Verwendung der ausgewählten Personen, ohne jede Einflussnahme — denn die ist ja gar nicht nötig. Gängeln oder knebeln muss man ja nur Andersdenkende.
Die öffentliche Hand kann dann ihre eigenen Mittel weiter zurückfahren und sich zuletzt kostenoptimierend fast ganz zurückziehen, denn das übernehmen ja nun die spendablen Großunternehmen — und das in der Hochschulbildung eingesparte Geld können wir dann für andere wichtige gesellschaftliche Zwecke verwenden. So können wir unsere Bildungspolitik ganz beruhigt in die Hände von Facebook & Co. legen und alles wird gut.