Migration als Waffe
Massenwanderungen sind geeignet, sowohl die Ursprungsländer als auch die aufnehmenden Gesellschaften zu destabilisieren — nicht immer sind solche Entwicklungen reiner Zufall.
„Migration als Waffe“ — so lautete eine Überschrift in der Süddeutschen Zeitung vom 3. März 2016. Damals war das noch kein Sakrileg, waren die Folgen massiver Zuwanderung noch nicht ganz so offensichtlich. Jetzt aber ist Samuel Huntingtons „Kampf der Kulturen“ traurige Realität. Und anstatt dass die Ursachen dieser Situation zielführend untersucht würden, dominieren Wirtshausparolen den Diskurs. Ein zivilisatorisches Trauerspiel — denn von Chaos profitiert weder die einheimische noch die migrierte Bevölkerung.
Es ist ganz einfach. Trotzdem, und obwohl ich es an anderer Stelle schon mehrfach kundgetan habe, muss ich es wiederholen: Es gibt für mich nur zwei Sorten von Menschen — gute und schlechte. That’s it! Das war’s.
Wer andere Kategorien aufmacht, wer Menschen in irgendwelche Schubladen steckt, sie nach Ethnie, Religion, Herkunft, Hautfarbe, Besitzstand, Ernährungsgewohnheiten, visuellen Charakteristika oder sexueller Orientierung bewertet, sollte dringend die eigene Weltsicht hinterfragen. Denn sie ist mittelalterlich.
„Jeder hat das Recht, zu glauben, was er will. Und alle anderen haben das Recht, zu glauben, dass diese Überzeugungen verdammt lächerlich sind“ (Ricky Gervais, 9. August 2024).
Genauso ist es.
Alle Menschen haben qua Geburt die gleichen Rechte und den gleichen Anspruch auf Freiheit. Und Freiheit bedeutet in diesem Kontext nicht, dass man tun und lassen kann, was man will, sondern dass man nicht tun muss, was man nicht will.
Das ist Basis einer voluntaristischen Weltsicht. Mir ist egal, was andere Menschen glauben, sagen oder tun — solange sie nicht versuchen, mir ihren Willen aufzuzwingen.
So weit aber scheinen viele Zeitgenossen nicht zu denken. Vor allem das sogenannte konservative Lager. Dabei erschien bereits 1996 das Buch „Kampf der Kulturen“ des US-Politikwissenschaftlers Samuel P. Huntington, eine Fortsetzung seines gleichnamigen, bereits im Sommer 1993 veröffentlichten Beitrags in Foreign Affairs, der Hauspostille des Council on Foreign Relations (CFR, Rat für auswärtige Beziehungen). Untertitel: „Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert“. Huntington vertrat damals die These, dass es in absehbarer Zeit zu Konflikten zwischen den verschiedenen Kulturräumen kommen würde, da sich vor allem der chinesische und der islamische Kulturraum nicht mit den Werten des Westens identifizierten. Diese Konflikte würden sich aufgrund des mit brachialer Gewalt durchgesetzten Hegemonialanspruchs der NATO-Mächte intensivieren und schlussendlich zu einer Neuordnung der Welt führen. Auf Seite 68 schreibt er damals:
„Der Westen eroberte die Welt nicht durch die Überlegenheit seiner Ideen oder Werte oder seiner Religion (zu der sich nur wenige Angehörige anderer Kulturen bekehren ließen), sondern vielmehr durch seine Überlegenheit bei der Anwendung von organisierter Gewalt. Oftmals vergessen Westler diese Tatsache; Nichtwestler vergessen sie niemals.“
Huntingtons Buch erfuhr seinerzeit heftige Kritik. Seine Prognose, die Macht des Westens werde verblassen, sei wissenschaftlich nicht ausreichend belegt und ventiliere eine grob vereinfachende Weltformel. Knapp zwanzig Jahre später zeigt sich allerdings: Huntington hatte recht. Vermutlich halfen ihm seine exzellenten Kontakte zu US-Eliteuniversitäten, Politik und Geheimdiensten, eine belastbare Prognose zu Papier zu bringen. Schließlich begann er seine Karriere in den 1960ern als Berater des wenig zimperlichen Apartheid-Geheimdienstes (CCB) von Pieter Willem Botha in Südafrika und galt laut Frankfurter Rundschau „als einflussreichster Politikprofessor der USA nach Henry Kissinger“. Huntingtons Ableben im Dezember 2008 muss also nicht unbedingt als Verlust gewertet werden.
Er stand mit seinen Prognosen nicht allein. Auch die Vereinten Nationen (UN) rechnen seit geraumer Zeit mit einem „Kampf der Kulturen“. Nicht umsonst veranstaltet das supranationale Herrschaftskonglomerat seit 1954 die Weltbevölkerungskonferenzen, wo genau dieses Thema zentral diskutiert und koordiniert wird. Welche Szenarien diesbezüglich eruiert und forciert werden, veranschaulicht eine am 21. März 2000 veröffentlichte Studie der UN. Titel: „Replacement Migration: Is it A Solution to Declining and Ageing Populations?“ Zu Deutsch: Ersatzmigration: Ist sie eine Lösung für schrumpfende und alternde Bevölkerungen? Das Dokument belegt, dass die massiven Migrationsbewegungen der Gegenwart kein Zufall, sondern Resultat einer wohlkalkulierten Strategie sind. Siehe Seiten 31 bis 33:
„Abbildung 1 zeigt einen standardisierten Vergleich der Zuwanderungsströme pro Million Einwohner (Stand: 2000). Aus diesem Vergleich geht hervor, dass im Verhältnis zur Landesgröße die Zahl der Einwanderer, die im Zeitraum 2000 bis 2050 pro Jahr benötigt wird, um den Bestand der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zu erhalten (Szenario IV), mit 6.500 Einwanderern auf eine Million Einwohner in Italien am höchsten ist, gefolgt von Deutschland mit 6.000 Einwanderern pro Jahr auf eine Million Einwohner.
Von den in diesem Bericht untersuchten Ländern und Regionen benötigten die Vereinigten Staaten mit etwa 1.300 Einwanderern auf eine Million Einwohner die geringste Zahl von Einwanderern, um einen Rückgang ihrer Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zu verhindern. (…) In Szenario IV, das darauf abzielt, die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15 bis 64 Jahre) konstant zu halten, ist die Zahl der Einwanderer sogar noch höher als in Szenario III. So läge beispielsweise in Deutschland die Gesamtzahl der Einwanderer nach Szenario IV bei 24 Millionen (bzw. 487.000 pro Jahr) gegenüber 17 Millionen (bzw. 344.000 pro Jahr) nach Szenario III. (…)
Die Zahl der Einwanderer, die notwendig ist, um ein Schrumpfen der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter auszugleichen, übersteigt diejenige, die einen Rückgang der Gesamtbevölkerung ausgleichen würde, um ein Erhebliches. Ob solche höheren Einwanderungszahlen zu den Optionen gehören, die den Regierungen zur Verfügung stehen, hängt zum großen Teil von den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen des jeweiligen Landes beziehungsweise der jeweiligen Region ab.“
Dass es dabei nicht nur um die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse in dem Land geht, das die Zuwanderer aufnehmen soll, dürfte jedem klar sein, der sich ein wenig mit Geopolitik beschäftigt hat.
Dementsprechend haben Destabilisierungskriege und Neokolonialismus des Wertewestens nicht nur den Zweck, missliebige Regierungen zu stürzen, um der Finanzindustrie und Rohstoffe eines Landes habhaft zu werden — wenn Demokratie abgeworfen wird, geht es dabei stets auch um die strategischen Ziele globaler Bevölkerungspolitik.
Um Eugenik — heutzutage angepriesen unter pseudoprogressiven Labels wie Bioethik, biosoziale Forschung, biodigitale Konvergenz, Familienplanung oder Entwicklungshilfe im Bereich der Empfängnisverhütung.
„Deutschland muss von außen eingehegt und innen durch Zustrom heterogenisiert, quasi ‚verdünnt‘ werden“, schrieb Mariam Lau am 7. Februar 2005 für DIE WELT, als sie Joschka Fischers Buch „Risiko Deutschland“ kommentierte. Seither wird das Zitat oft Fischer selbst in den Mund gelegt, obwohl es in seinem Buch so nicht vorkommt. Vom „Verdünnen“ der deutschen Bevölkerung zugunsten einer transatlantisch bewegten Risikominimierung spricht Fischer aber durchaus. Siehe die von Lau gesetzten Anführungszeichen.
Nicht nur der kriegsaffine Fischer, der sich im Dezember 2023 dafür aussprach, dass „die EU eine eigene atomare Abschreckung brauche“, machte sich Gedanken, wie Zuwanderung sich auf die hiesige Bevölkerung auswirkt. Das Thema ist seit jeher ein politisches Werkzeug, das im Rahmen geopolitischer Verschiebungen in die Waagschale geworfen wird. Siehe das 1984 publizierte Buch „The Transfer Agreement“, das von den geheimen Absprachen des Dritten Reiches mit Zionisten in puncto Kolonialisierung Palästinas berichtet. Oder die 2010 erschienene, 360 Seiten starke Abhandlung von Kelly M. Greenhill mit dem Titel „Weapons of Mass Migration: Forced Displacement, Coercion, and Foreign Policy“ — Massenvernichtungswaffe Migration: Vertreibung, Zwang und Außenpolitik.
Auch in den Leitmedien war das Thema bis vor wenigen Jahren kein Tabu. Siehe SPIEGEL vom 16. Februar 2016, SZ vom 3. März 2016 oder Daily Mail vom 5. März 2016. Überall schrieben sie von „Migration als Waffe“. Von „Flüchtlingen als Waffe“. Vom aufziehenden Kampf der Kulturen und der marodierenden Wirkung nichtintegrativer Zuwanderung.
Gebracht hat es nichts.
Denn die vom Nachhaltigkeitskorporatismus der UN usurpierte Bundespolitik hatte einen anderen Auftrag. Die Grenzen blieben offen, der Kostenrahmen elastisch und die Anreize für Neuankömmlinge hoch. Das insinuierte Paradies der bunten Gesellschaft von morgen entstand aber offenkundig nicht.
Aus der Merkel’schen „Willkommenskultur“ wurde bald „der Islam gehört nicht zu Deutschland“. Aus „Wir schaffen das!“ wurde „Wir brauchen Remigration“. Als wäre Religion das Kernproblem.
Scheinbar hat man im Wertwesten verdrängt, dass alle monotheistischen Religionen sich konzeptionell gegenüber der Konkurrenz abgrenzen. Anhänger des jüdischen Glaubens bezeichnen Nichtjuden gerne pejorativ als Gojim. Das Christentum nennt die Abweichler Ketzer — und ermordete im Blutrausch der Kreuzzüge bis zu 22 Millionen von ihnen. Und auch der vom Mythos absoluter Friedfertigkeit umwehte Buddhismus kennt Gewalt.
Es ist also mehr als naiv, nun den Islam — der schon als Sündenbock für den auf Lügen fußenden „War on Terror“ herhalten musste — mit plumpen Generalismen zu verteufeln. Die Schriften aller Weltreligionen lassen sich absolutistisch interpretieren, um damit Gewalt gegen Andersdenkende zu rechtfertigen.
Folglich muss auch jedweder Extremismus verurteilt werden — aber ohne dabei die Religionsfreiheit von Artgenossen einzuschränken.
Unterkomplexe Erklärungen und Wirtshausparolen wie „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ helfen also kaum dabei, die fraglos brisante Situation zu entschärfen. Nötig wären interreligiöser Dialog, integrative Gesellschaftsstrukturen und eine offene, informierte Debatte über die tatsächlichen Auslöser von Flüchtlingsströmen, Gewalt und Parallelgesellschaften. Denn versänken die Heimatländer der Geflüchteten nicht in Chaos, Krieg und Armut, würden vermutlich auch weniger Menschen die lange Reise nach Europa antreten.
So bleibt nur zu fordern: Stoppt die Gewalt! Denn wenn uns die Geschichte der letzten tausend Jahre etwas gelehrt haben sollte, ist es, dass von einem „Kampf der Kulturen“ immer nur jene profitieren, denen Kultur, Moral und Menschenleben komplett gleichgültig sind.