Messer, Gabel, Schere, Licht
Über die möglichen Folgen eines übertriebenen Schutzes der Kinder.
Beinahe alle Eltern wollen nur das Beste für ihr/e Kind/er. Aber schon bei der Frage, was als das Beste anzusehen ist, scheiden sich die Geister. Das gilt auch für alle Bemühungen, die eigenen Kinder nicht in gefährliche Situationen geraten zu lassen. Wer es in dieser Hinsicht übertreibt, erweist seinem Nachwuchs keinen echten Gefallen und trägt langfristig außerdem zur Zerstörung der uns noch verbliebenen demokratischen Elemente bei.
Ältere Leser/innen kennen vielleicht noch den früher häufig zu hörenden Spruch: Messer, Gabel, Schere, Licht sind für kleine Kinder nicht! Trotz des eher holprig klingenden Reims war uns Kindern der Sinn dieser Ermahnung immer klar: Lasst die Finger von den genannten Dingen! Konkret konnte das beispielsweise heißen: Fuchtelt nicht mit dem Besteck herum, weil das im wahrsten Sinne des Wortes ins Auge gehen könnte. Kommt nicht auf die Idee, unbeaufsichtigt mit einer spitzen Schere zu hantieren und lasst euch erst recht nicht einfallen, heimlich mit Streichhölzern oder brennenden Kerzen zu spielen.
Heutzutage dürfte mehr von Feuerzeugen als von Streichhölzern die Rede sein, aber der Versuch, die eigenen Kinder vor Schaden zu bewahren, hat nichts von seiner Aktualität verloren. Ganz im Gegenteil!
Viele Eltern sind inzwischen so ängstlich geworden, dass sie ihre Kinder gleich von allem fernhalten, was auch nur ein bisschen gefährlich sein bzw. werden könnte. Konsequenterweise werden viele Dinge von vornherein rigoros weggeschlossen, kommen nur noch an den Ecken abgerundete Möbel in die Wohnung und Kindersicherungen aller Art werden eifrig angeschafft bzw. installiert.
Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich ist es geboten, kleine Kinder vor möglicherweise tödlichen Gefahren zu schützen, aber alles, was darüber hinausgeht, kommt dem Versuch gleich, den Kindern ihr Recht auf das Sammeln eigenständiger – und manchmal eben auch schmerzhafter – Erfahrungen zu verwehren. Noch bedenklicher ist es, wenn sich das übertriebene Schutzbedürfnis mit der Vorstellung verbindet, dass Kinder möglichst lückenlos kontrolliert und vor belastenden Auseinandersetzungen mit den im Leben nun einmal auftretenden Problemen bewahrt werden müssten.
Damit wären wir bei den sogenannten Helikopter-Eltern angelangt, die ihre Kinder per Handyortung überwachen oder diese noch als Jugendliche mit dem Auto zur Schule bringen. Dieses Phänomen lässt sich mittlerweile weltweit beobachten und hat zur Folge, dass die dermaßen von allen eigenen Lebenserfahrungen abgeschnittenen Kinder gar nicht mehr in der Lage sind, ihr Leben selbstständig organisieren zu können.
Spätestens dann zeigt sich, dass aus der wohlgemeinten elterlichen Fürsorge eine umfassende Entmündigung geworden ist, die das Gegenteil dessen bewirkt, was vermutlich eigentlich erreicht werden sollte: An die Stelle des erhofften Zugewinns an Sicherheit tritt eine nun erst recht mit hohen Risiken verbundene Lebensuntauglichkeit, die sich nicht zuletzt in Form eines häufigen Scheiterns von (Liebes-)Beziehungen äußern kann.
Die "private Entmündigung" geht einher mit der im Bildungswesen durchgesetzten Entmündigung: Es wird gelehrt, was OECD und andere "wirtschaftsnahe" Institutionen für nützlich halten und sich zudem gut überprüfen bzw. kontrollieren lässt.
Deshalb steht zu befürchten, dass wir es zunehmend mit jungen Erwachsenen zu tun haben werden, die kaum zu einem selbstständigen Denken und Handeln in der Lage sind, dafür aber keine Probleme mit permanenter Überwachung haben.
Mit ziemlicher Sicherheit werden sich derart "sozialisierte" Menschen nicht gegen den fortschreitenden Abbau freiheitlicher Grundrechte wehren, sondern diesen eher noch befördern. Im Endeffekt ist dann sogar eine weltweite Etablierung von Diktaturen mit "mehr oder weniger demokratischem Anstrich" vorstellbar.