Merkels Machtergreifung
Im Spätherbst ihrer Regentschaft versetzt die Kanzlerin der Demokratie in Deutschland den Todesstoß.
Am Ende bekommt jedes Volk die Staatsform, die zu seiner Mentalität passt. Bei den Deutschen scheint das Bedürfnis, sich willig in Knechtschaft zu begeben, tief verwurzelt. Zeitweise hatte es so ausgesehen, als hätten sich die Bundesbürger nach Jahrzehnten mit der Freiheit angefreundet. Falsch gedacht. Sie haben sich der freiheitlichen Demokratie nur unterworfen, weil ihnen diese nach dem Krieg von den westlichen Besatzungsmächten anbefohlen worden war. Sie haben mit ihr gefremdelt, sich aber an sie gewöhnt. Jetzt lassen sie sie leichten Herzens ziehen, da etwas anderes befohlen ist. Der Despotismus kommt hier — auch dies ist sehr deutsch — in einem eher biederen Gewand daher. Und er trägt ein langweiliges, fast einschläferndes Gesicht: das von Angela Merkel. Wer hätte bei ihrem Amtsantritt gedacht, dass es ausgerechnet diese Frau sein würde, die unsere Demokratie zu Grabe trägt?
„Der Deutsche gleicht dem Sklaven, der seinem Herrn gehorcht ohne Fessel, ohne Peitsche, durch das bloße Wort, ja durch einen Blick. Die Knechtschaft ist in ihm selbst, in seiner Seele; schlimmer als die materielle Sklaverei ist die spiritualisierte. Man muß die Deutschen von innen befreien, von außen hilft nichts.“
Diese Sätze stammen von Heinrich Heine und sie sind gerade wieder sehr aktuell. Vor kurzem hat Facebook dieses Zitat eines Nutzers gelöscht. Heinrich Heine verstößt offenbar gegen die Nutzungsbedingungen von Facebook, aber dass er aneckt ist er ja gewohnt und wird sich deshalb vielleicht nur leicht in seinem Grab auf dem Pariser Friedhof Montmartre auf die andere Seite drehen und genüsslich im ewigen Dämmerschlaf zu sich sagen: „Offenbar habe ich immer noch Recht.“
Das muss man erst mal hinbekommen: Heine floh zu Lebzeiten nach Paris, wurde unter den Nazis verboten und wird heute von Facebook zensiert — wegen sogenannter „Hassrede“, dem inzwischen bis zur totalen Lächerlichkeit ausgehöhlten Gummibegriff der hyperkorrekten Machthaber und digitalen Gatekeeper von heute.
Wer hat Angst vor dem freien Wort?
Autoritäre Machthaber fürchteten stets nie mehr als das freie Wort. Deshalb waren Schreibende, Denkende, Dichtende und Singende immer die ersten Opfer von Diktaturen. Sie hatten deren fauligen Modergeruch zuerst in der Nase. Es waren zugleich die kreativ tätigen, die uns mehr über Freiheit zu erzählen wussten, als es Staatsrechtslehrer je können werden. Die Befreiung von Innen, sie ist nur als Hilfe zur Selbsthilfe möglich, wusste schon Heine.
Der Deutsche hingegen wartet darauf, dass jemand von Aussen kommt und ihn befreit — bis das der Fall ist, beschimpft er diejenigen, die nicht stumm zuschauen wollen als Schwurbler und Verschwörungstheoretiker. „Ach Deutschland“, will man darauf halbzynisch mit Georg Herwegh antworten,
„Laß‘ jede Freiheit dir rauben,
Setze dich nicht zur Wehr,
Du behältst ja den christlichen Glauben;
Schlafe, was willst du mehr?“
„Diktaturen leben anfangs davon, dass man ihre Hieroglyphen nicht entziffern kann“, meinte Ernst Jünger einmal. Nun, auf heute übertragen darf man sagen: Man muss gerade wahrlich kein Ägyptologe sein. Es braucht nicht viel an Erkenntnis- und Decodierungsfähigkeit, um zu erkennen, dass die Demokratie in der Bundesrepublik dabei ist, auf eine Toteninsel verfrachtet zu werden.
Sind wir unterwegs zur letzten Ruhestätte der Demokratie? Gemälde: Arnold Böcklin, die Toteninsel
Angela Merkel fungiert seit Beginn ihrer Regentschaft wie ein schwarzes Loch, das alles an Leben aus ihrer Umgebung saugt, von Konkurrenten über Koalitionspartner bis hin zu den Prinzipien Demokratie, Rechtsstaat und Föderalismus. Das Vorläufige wird zum Permanenten, der Ausnahmefall zum Regelfall. Und noch jede Eskalation an Maßnahmen resultierte letztlich in einem Machtgewinn für sie. Nun soll die nächste Fassung des „Bevölkerungsschutzgesetzes“ (schon der Name ist ein Hohn) zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes automatisch drakonische Maßnahmen wie unter anderem Kontaktbeschränkungen und nächtliche Ausgangssperren auslösen. Durchregiert wird dann per zentraler Bundesverordnung, aber nennen Sie es bitte nicht Notverordnungsregime!
Wie praktisch: Ein Rechtsweg direkt gegen Gesetze steht laut Grundgesetz (Art. 19 Abs. 4) nicht zur Verfügung, so erspart man sich in Zukunft auch lästige Einzelfallentscheidungen von Gerichten gegen die bisher auf Basis von Rechtsverordnungen der Länder getroffenen Verwaltungsakte. Und seit geraumer Zeit fragt man sich angesichts der sich auftürmenden Verfassungsbeschwerden: Was machen die Richter in Karlsruhe eigentlich beruflich? In der Stunde der Bewährung haben die höchsten Richter des Landes und Mitglieder eines eigenen Verfassungsorgans offenbar beschlossen, zu einem Schlafmützenclub in florentinischen Roben zu mutieren.
Wenn die Lösung das Problem ist
Rechtsstaat eingedampft, Demokratie und Föderalismus ausgehebelt, dauerhafter Ausnahmezustand. Und das auch noch unter dem Jubel von Eskalationsbeauftragten in den Massenmedien, die immer noch einen draufsetzen wollen.
Niedere und schwache Charaktere fühlten sich im Windschatten der Autoritären eben immer besonders wohl.
Statt (Rest)Diskussion in einem verfassungsrechtlich gar nicht vorgesehenen Gremium, der Ministerpräsidentenkonferenz (lies: einer Art Zoom-Schalte zum Abnicken der kanzlerischen Pläne), soll jetzt die kühle Zahl der Inzidenz regieren bei zeitgleicher Ausweitung der Tests. So funktioniert Technokratie.
In einem Dorf mit 3.000 Einwohnern reichen dann drei positive Tests (wohlgemerkt: nicht Kranke oder nachweislich infektiöse Personen, die man ja eigentlich isolieren könnte), um das Leben für alle zum Erliegen zu bringen und jegliche Planungssicherheit zunichte zu machen. Dabei weiß inzwischen jeder: Mehr Tests bei Gesunden (im Neusprech: Symptomlosen) führen zu mehr falsch-positiven Ergebnissen. Vom PCR-Test und den damit verbundenen Ungereimtheiten ganz zu schweigen.
Zugleich zeigt sich, dass auch durch Impfungen die Zahl der Neuinfektionen steigen kann. Was den Deutschen also als Rettung angepriesen wird („Mehr testen! Schnell alle durchimpfen!“), ist selbst ein Problem. So lässt sich der Lockdown beliebig verlängern und die Regierung surft auf der selbstgeschaffenen Dauerwelle in Richtung absoluter Macht. Starre Inzidenzwerte und ein dynamisches Pandemiegeschehen in den Händen der Politik. Was will der Diktator von morgen mehr?
Diktatur, für alle die es nicht wissen, fühlt sich laut George Orwell so an, als würde jemand permanent mit einem Stiefel auf dem Gesicht stehen. Die Hieroglyphen, mit denen sich die nächste Diktatur ankündigt, hat der italienische Philosoph Giorgio Agamben in den letzten Jahrzehnten deutlich genug skizziert: Permanenter Ausnahmezustand als Regel; die Welt als großes Lager, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt; die Verfügungsgewalt über Gesundheit und das nackte Leben bei den Machthabern eines biopolitischen Dauerexzesses.
Die Politik hat jetzt die finale Möglichkeit, „den Sack zuzumachen“. Alles, was die Bundesregierung seit einem Jahr in Sachen Pandemiepolitik macht, lässt sich von diesem Ende her lesen und verstehen.
Grafik: Oliver Sperl
Ist die nationale Ebene der Entscheidungsfindung erst einmal erlahmt, lässt sich zudem bestens und gemütlich von oben durchregieren, sei es durch die EU oder durch demokratisch noch weniger legitimierte oder nennenswert rechenschaftspflichtige Institutionen, wie die WHO. Letztere lobte nicht nur die Lockdownpolitik der KPCh und setzte damit einen Präzedenzfall für die Welt, sie bestimmt auch, wie auf Social Media, YouTube & Co. über die Pandemie gesprochen werden darf. Machen wir uns nichts vor: Das Ausknipsen demokratischer Prozesse auf Ebene der Nationalstaaten wird zwangsläufig einen weiteren Machtgewinn für höhere Entscheidungsebenen, für Hinterzimmer und informelle Gremien bedeuten.
Das Rückgrat der Republik
Mutationen und Metamorphosen also, wohin man blickt. Die Bundesregierung ist zu einer geriatrischen Abteilung von Apparatschiks mutiert, die sich in Selbstisolation vor dem Bürger und einer echten demokratischen Kontrolle versteckt. Alle auf Abstand, bitte keine Gespräche! Die Nomenklatura ist die eigentliche Risikogruppe geworden und erklärt jeden, der ihr zu nah kommt zur Gefahr. Mein Gott, was ist das eigentlich für ein lächerlicher Fuck-up?!
Wir befinden uns zunehmend in einer Situation, die Ernst Jünger in seinem Buch „Der Waldgang“ beschrieben hat: In einer Zeit, in der Institutionen selbst anrüchig geworden sind, geht die Verantwortung auf das ungebrochene Individuum über.
Es wird dieser letzte harte Kern von Menschen sein, die unter keinen Umständen zu einem Verzicht auf Freiheit bereit sind, die das Schicksal der vielen verstummten, apathisch sich wegduckenden, feigen Untertanen auf ihren Schultern tragen. Sie sind das echte Rückgrat der Republik und kein Parlament, kein Gericht oder Medium dieser Welt.
Die innere Verfasstheit einer Nation entscheidet über ihr Schicksal und das Schicksal ihrer Werte, wie Freiheit, Demokratie, Rechtsstaat und Föderalismus.
Die Geschichte lehrt uns: Es waren die zu ihrer Zeit offiziell verfemten Köpfe wie Heine, Herwegh und einige mehr, welche die Fackel in dunklen Zeiten hochgehalten haben und dafür heftig zensiert, bekämpft und verbannt wurden. Auf ihren Schultern ist die heutige, bisherige Ordnung gebaut. Sie befanden sich im offenen Widerstand zu ihrer Zeit und wagten es, „nein“ zu sagen. Laut Tucholsky der höchste Ausdruck von Charakter. Einem von ihnen verdanken wir heute den Text der Nationalhymne.
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben kostete ein Gedichtband die Professur an der Universität sowie die Staatsangehörigkeit, er wurde von der Polizei bespitzelt und 39 Mal ausgewiesen, darunter dreimal aus seinem Heimatort Fallersleben. Er hinterließ uns unter anderem das Gedicht mit dem Titel „Deutsche Verzweiflung“, entstanden zwei Jahre nach der Märzrevolution von 1848.
Man kann es als Mahnung lesen darüber, ob es wirklich erst den ganz ganz harten Aufprall braucht, bis dieses Land zur Vernunft kommt. Oder ob es auch ohne geht.
Deutsche Verzweiflung
In Angst und bürgerlichem Leben
wurde nie eine Kette gesprengt.
Hier muß man schon mehr geben,
die Freiheit wird nicht geschenkt.
Es sind die glücklichen Sklaven
der Freiheit größter Feind,
drum sollt Ihr Unglück haben
und spüren jedes Leid.
Nicht Mord, nicht Brand, nicht Kerker,
nicht Standrecht obendrein;
es muß noch kommen stärker,
wenn‘s soll von Wirkung sein!
Ihr müßt zu Bettlern werden,
müßt hungern allesamt,
zu Mühen und Beschwerden
verflucht sein und verdammt.
Euch muß das bißchen Leben
so gründlich sein verhaßt,
daß Ihr es fort wollt geben
wie eine Qual und Last.
Erst dann vielleicht erwacht noch
in Euch ein bess‘rer Geist,
der Geist, der über Nacht noch
Euch hin zur Freiheit reißt!“
Redaktionelle Anmerkung: Der Artikel erschien zuerst unter dem Titel „Merkels finale Machtergreifung“ auf miloszmatuschek.substack.com und ist hier auch auf Englisch abrufbar. Er wurde von Howard Steen übersetzt.
Der Autor dankt der Leserin Edith Salmen herzlich für die inspirierende dichterische Handreichung der zwölf gesellschaftskritischen Gedichte aus fünf Jahrhunderten, die Sie hier abrufen können.