Menschen ohne Herrschaft

Anarchie hat vor allem deshalb ein schlechtes Image, weil sie denjenigen, die die Debatten beherrschen, nicht ins Konzept passt. Teil 1 von 2.

Anarchie — „keine Herrschaft“. Vielfach wird der Eindruck erweckt, das sei der schlimmste Zustand, den man sich nur vorstellen kann. Dabei leiden wir alle immer wieder unter der Anmaßung der Mächtigen. Dennoch gibt es kaum vehementere Verteidiger von Hierarchien und Herrschaftsverhältnissen als eben jene, die ihnen unterworfen sind. Sklaven, die gelernt haben, ihre Ketten zu lieben. Wenn Anarchie von einer überwältigenden Mehrheit noch immer als ein „Ding der Unmöglichkeit“ betrachtet wird, so liegt das daran, dass eine Reihe falscher Vorstellungen von ihr kursieren. Es liegt an einem Mangel an Fantasie, die über das allseits Bekannte hinausweist. Und es liegt daran, dass aus der Geschichte keine erfolgreichen Beispiele für eine Gesellschaft bekannt sind, die ohne die Macht von Menschen über Menschen ausgekommen wäre. Auch dafür gibt es aber Gründe. Geschichte wird immer von den Siegern geschrieben, also von jenen, die sich in Machtkämpfen durchgesetzt haben. Und eben jene Personengruppe möchte ihr fragwürdiges Wirken nur zu gern für alle Ewigkeit als alternativlos darstellen.

Anarchie ist das Wort, mit dem die Herrschenden gerne brave Bürger erschrecken. Sie schockieren mit dem Chaos und der unausweichlichen Gewalt, die nach ihren Aussagen mit einem herrschaftslosen Zustand verbunden sind. Das ist leicht zu verstehen da die Herrschenden im Besitz der Macht über die untergeordneten Bürger sind. Es ist ihnen nicht übel zu nehmen, dass sie darüber nachdenken, was geschieht, wenn ihre Herrschaft endet. Da könnte der eine oder andere Bürger die Lust verspüren zurückzuschlagen.

Vielleicht kennen sie die Bedeutung des Wortes Anarchie nicht so genau. Aus dem Griechischen stammend heißt es auf Deutsch nichts anderes als Herrschaftslosigkeit. Das klingt weder schrecklich, noch grausam oder bedrohlich, eigentlich mehr nach Freiheit. Es lässt auch nicht sofort hinter jeder Ecke einen anarchistischen Mörder vermuten. Ich würde sagen für die meisten Bürger klingt das eher erstrebenswert.

Geht man noch einen Schritt weiter und überlegt kurz, wie eine Gesellschaft oder Gemeinschaft ohne Herrschaft funktionieren könnte, dann kommt man schnell drauf, dass dieses Projekt nur mit einer gehörigen Portion Liebe zum Leben und zu den Mitmenschen funktionieren kann. Vermutlich hört sich das für viele Ohren sehr eigenartig an.

Fast niemand hat in der Schule, seinem jungen Leben und seinem Erwachsenwerden wirklich lieben gelernt. Auch ging es in den meisten Leben von Beginn an immer um Wettbewerb und um das Recht des Stärkeren.

Die Langsamen waren stets die Dummen und die Dicken wurden regelmäßig verspottet. Die waren alle nicht fit fürs Überleben. Wer wusste schon als junger Mensch, dass das englische Wort in seiner übersetzten Bedeutung passend oder eben angepasst bedeutet.

In unserer Gesellschaft wurden und werden Kinder und Jugendliche fürs Leben immer fitter gemacht, bis sie wie der fehlende Puzzlestein in jede Art von Herrschaftssystem hineinpassten. Sowohl in unsere scheinbar demokratische Staatsordnung wie auch in die autoritäre Führung der Unternehmen unseres Wirtschaftssystems. Kapitalismus ist eine Wirtschaftsform, die nicht demokratisch funktioniert.

Regeln selbst aufgestellt

Gleichzeitig wurde uns stets erklärt, dass wir bei aller erworbenen Ausbildung und selbst mit weiterer kultureller Bildung einfach zu dumm sind, uns selbst zu organisieren. So mancher erinnert sich vielleicht noch dunkel, dass er als Kind nie ein Problem damit hatte, mit anderen gemeinsam ein neues Spiel zu entdecken und mit Begeisterung zu spielen. Wir brauchten niemanden, der uns ein Spiel erklärt und uns beigebracht hätte, wie es zu spielen wäre.

Die Regeln haben wir selbst gemacht und wenn sie sich nicht bewährten, wurden sie geändert. Wenn wir am Strand Burgen gebaut haben oder einen kleinen Bach aufstauen wollten, um dann im Staubecken zu baden, brauchten wir keinen Architekten oder Baumeister. Jeder fand von allein den Platz, wo er anpackte. Jedes Mal waren wir stolz auf unser Bauwerk. Es war auch kein Problem, wenn einer von uns meinte, wir sollten die Türme unserer Burg höher oder breiter bauen. Wenn es uns gefiel, haben wir es einfach gemacht.

Jetzt werden manche sagen, das waren doch nur Spiele. Das stimmt. Auch meine Eltern haben derartige Betätigungen von mir nur als Spiele gesehen. Doch ich kann mich sehr gut daran erinnern, mit welchem Eifer und mit welchem Ernst ich mich diesen Aufgaben widmete. Es war keine Frage, dass wir alle die schönste Burg oder den besten Damm bauen wollten, den wir zustande bringen konnten.

Ich kann mich nicht erinnern, dass die Ergebnisse unserer Arbeit einem von uns Kindern egal waren. Schließlich wurden wir erzogen. Es wurde uns erklärt, dass alles, was wir bis dahin gemacht hatten, nur Spielerei und eigentlich nichts wert war. Wie oft hörten wir den schönen Satz, dass für jeden einmal der Ernst des Lebens beginnt. Ich mache meinen Eltern keinen Vorwurf. Sie kamen so frei wie ich auf die Welt, bis auch für sie eines Tages der Ernst des Lebens begann. Dann wurden sie ebenfalls erzogen und herangebildet zu wertvollen Mitgliedern einer Gesellschaft, die sowohl von politischer, wie auch wirtschaftlicher Macht gesteuert wird.

Unhinterfragbare Glaubenssätze

Wenn das so ist, dann können nur diejenigen wertvolle Mitglieder unserer Gesellschaft sein, die diese Struktur lieben und sich dem System vollkommen hingeben. Das heißt, wir müssen alles glauben, was uns die Herrschenden erzählen. Dabei ist es egal, ob diese Glaubenssätze in irgendein religiöses oder ein wirtschaftliches oder ideologisches Gewand gehüllt sind. Wir müssen immer wieder daran erinnert werden, dass es ohne Herrschaft nicht geht. Dass wir immer ein oben brauchen, damit wir uns hier herunten wohl fühlen können.

Irgendjemand hat einmal behauptet, dass die Freiheit für die Sklaven erst dann beginnen kann, wenn sie anfangen, ihre Ketten zu lieben. Das ist der Grund, warum unser Bildungssystem heute so aussieht.

Friedrich der Große und nach ihm Maria Theresia haben die allgemeine Schulpflicht eingeführt. Das Ziel war nicht, die Bürger zu bilden, sondern einzig und allein gut ausgebildete Soldaten zu haben. Wir erkennen das heute noch an der Architektur der Schulen, die den Kasernen nachempfunden sind. Die Glocken, die wie in einer Fabrik den Arbeitsbeginn und das Ende kundtun. Lehrer auf den Gängen, die sich nicht mit ihren Schülern beschäftigen, sondern Gangaufsicht machen. Mit anderen Worten: für Zucht und Ordnung sorgen.

Haben wir diese Jugendlager dann endlich überstanden, folgt für einige noch das Studium. Herrschte dort früher noch ein gewisses Quäntchen an Freiheit und Liebe zur Wahrheit, so sind diese Einrichtungen inzwischen auch zu Erwachsenenschulen verkommen. Damit die Professoren dort nicht einfach unterrichten, was ihnen interessant erscheint, wurden die Universitäten finanziell unter Druck gesetzt. Sie müssen Drittmittel einwerben.

Das bedeutet: Sie müssen sich um Aufträge aus der Industrie und der freien Wirtschaft bemühen. Jeder wird verstehen, dass man da nicht mehr so einfach frei vor sich hin forschen kann. Die Wirtschaft will Ergebnisse, sonst ist sie nicht bereit, weiteres Geld zur Verfügung zu stellen. Dass unter diesen Bedingungen nicht mehr die Wahrheit das oberste Ziel der Wissenschaft darstellt, sollte jedem klar sein. So lernen die jungen Akademiker heute schon rechtzeitig, ihr Denken und Handeln am Geld der Wirtschaft und der Industrie auszurichten. Gab es früher an den Universitäten und Akademien Fächer- und Wissensvielfalt, so werden die Wissensgebiete heute in immer kleinere einzelne Fachgebiete unterteilt.

Viele merken schon lange, dass unserer Gesellschaft die Universalisten ausgehen und es nur noch wenige Menschen gibt, die eine gewisse Form von Überblick über unsere Welt und ihre Bewohner haben.

Ja, und so werden die Menschen, die wir gerne als die Bildungselite ansehen würden, noch einige Jahre ihres Lebens weiter darin unterwiesen, wie sie sich optimal an das System anpassen können. So lange diese Absolventen noch in einer verständlichen Sprache kommunizieren konnten, haben ihnen auch einige zugehört. Die haben sich gedacht, die oder der hat viel mehr gelernt als ich und wenn der das sagt, dann wird das wahrscheinlich stimmen.

Heute da jeder gerne seine eigene Fachsprache spricht, kommt das nicht mehr so oft vor. Vor allem, wenn wir dann erleben, dass diese Menschen in ihrem erwachsenen Alter nicht einmal einen Nagel einschlagen können, geschweige denn einen Besen halten, dann kommen Zweifel auf, ob die wirklich wissen, wovon sie reden. Es kommt zu so lustigen Auswüchsen, dass wir zum Beispiel berühmte Maler darum bitten, ein Haus zu entwerfen. Auf die Idee, dass wir uns von einem Künstler operieren lassen möchten, kommen wir dann doch nicht.

Woher kommt Herrschaft?

Sie war doch schon immer da. Was wir gerne als das Zeitalter der Menschheit und daher als unser „immer“ bezeichnen, sind erst runde 5.000 Jahre. Die Meinungen gehen darüber auseinander, wie lange es schon Menschen auf unserer Erde gibt. Vor allem heute, in einer Zeit, in der die Archäologen weltweit fast täglich neue noch ältere Entdeckungen machen.

Nehmen wir einmal an, es gab menschenähnliche Wesen bereits vor 30 Millionen Jahren. Dann ist das, was wir heute so gerne als die Zeit des Menschengedenkens heraufbeschwören, gerade einmal 0,02 Prozent der Zeit, die Menschen bereits auf dieser Erde herumlaufen. Wie haben diese vor unserer Zeit gelebt? Immerhin haben sie sich auch schon vermehrt und Gemeinschaften gepflegt. Ziemlich sicher aber andere, als wir das heute tun. Ja, es stimmt in der Geschichte dieser 5.000 Jahre gibt es immer Herrschaft. Das liegt schon allein daran, dass wir uns nur an die aufgezeichnete Geschichte als greifbare Wahrheit halten. Mündliche Überlieferungen erachten wir als nicht zuverlässig. Für uns beginnt die Menschheit somit erst mit der Erfindung der Schrift.

Erstaunlich auch, dass fast jeder von uns den Ausspruch kennt, dass die Geschichte immer von den Mächtigen oder eben den Siegern geschrieben wird. Somit ist unsere Geschichte ausschließlich eine Erzählung der Macht und keine objektive Betrachtung der Ereignisse.

Vielleicht sind einige dieser Erzählungen auch bewusste Fälschungen. Eine der ersten Niederschriften in diesen 5.000 Jahren ist das Gilgamesch Epos. Es wird auf rund 2.600 Jahre vor unserer Zeitrechnung datiert. Berichtet wird darin von Herrschern und Machtkämpfen und der Macht von Familien. Das setzt sich dann durch die Jahrhunderte und Jahrtausende fort.

Sicher erinnern sich alle noch daran, wie wir in der Schule die unterschiedlichen Weltreiche und ihre Herrscher und deren Kriege und die passenden Jahreszahlen lernen mussten. Wie das einfache Volk gelebt hat, das erfahren wir nicht, wissen es zum Teil gar nicht. Warum sollen Mächtige und Sieger auch über das einfache Volk schreiben? So wurden wir vollgestopft mit Dschingis Khan und Attila, Alexander dem Großen und Hannibal, Cäsar und Friedrich Barbarossa bis hin zu Napoleon. Ja, sie wurden uns als Helden vorgestellt. Unerwähnt blieb, dass sie alle Massenmörder waren bis herauf zu den Helden der beiden Weltkriege.

Die Siegermächte haben ihre Bürger im Krieg genauso sterben lassen wie Deutschland und seine Verbündeten. Nicht nur Adolf Hitler, auch Josef Stalin, Winston Churchill und Franklin D. Roosevelt waren nicht an der Front.

Was ist da schon ein kleiner anarchistischer Königsmörder gegen diese Herren, die Millionen Menschenleben auf dem Gewissen haben? Der Anarchist versucht lediglich die noch Lebenden zu retten vor weiteren Kriegen und Morden. Die Bürger und Steuerzahler sind für die großen Kriegsherren gestorben. Wie ist es nur so weit gekommen? Auch dieses Prinzip kennen wir gut aus einem anderen Bereich. Wir stellen dazu aber nur ungern eine gedankliche Verbindung her. Ob nun die Raubritter damit begonnen haben oder bereits die Hunnen oder die Normannen oder die Wikinger. Alle waren immer auf die Hilfe von Menschen angewiesen, die sie mit Nachschub, Lebensmitteln, Wasser und zum Teil auch frischen Pferden und anderem versorgt haben.

So ist diese alte Methode entstanden, die wir heute gerne ausschließlich der Mafia zuschreiben. Das Geschäft lautet: Wenn ihr uns helft, dann tun wir euch nichts. Später hieß es dann Schutzgeld. Anfangs waren es vielleicht nur Waren. So haben die Krieger Menschen um sich versammelt, denen sie für ihre Leistungen Schutz und Sicherheit versprochen haben. Dasselbe haben dann die ersten Fürsten und Grafen ebenfalls getan bis schließlich hinauf zu den Königen und Kaisern. Verspricht uns heute der Staat nicht auch Schutz und Sicherheit, Recht und Ordnung und verlangt dafür Steuern? Wir sehen schon, es gibt nach unserem Zeitverständnis eine Spanne von rund 5.000 Jahren, in denen es immer ein Oben und Unten, also immer eine herrschende und eine untere Schicht gab. Interessant nur, dass verschiedene Religionen ihren Gläubigen erklären, dass die Menschen vor ihren Göttern alle gleich wären. Sollen vor dem Gesetz nicht auch alle gleich sein?

Und als die Amerikaner ihre Unabhängigkeit von England erreichten und ihre großartige Mogelpackung von Demokratie in die Welt brachten, da wurden die allgemeinen Menschenrechte beschlossen und unterzeichnet. Diese wurden dann im Zuge der französischen Revolution und der sogenannten Aufklärung nochmals gemeinschaftlich unterschrieben. In denen weist der erste Artikel darauf hin, dass alle Menschen frei geboren und gleich sind. Das konnten damals auch noch einige Sklavenhalter gut unterschreiben. Denn schließlich bestimmten ja die neuen Demokraten, wer Menschen waren und wer nicht. Sklaven, die wie leblose Dinge be- und gehandelt wurden, konnten da sicher nicht gemeint sein. Im Übrigen: Frauen erhielten auch erst einige Zeit später den Menschen-Status.

Eine Mogelpackung?

Die erste und älteste Demokratie der Welt in der Neuzeit soll eine Mogenpackung sein? Wie kann man so etwas behaupten. Erstaunlicherweise gab es nicht überall auf der Welt zu allen Zeiten und gleichzeitig Herrschaft der parasitären Eliten über das gemeine Volk. Wie Rainer Mausfeld in seinem wunderbaren Buch „Hybris und Nemesis“ schreibt, begann die Athenische Demokratie mit Solon.

594 Jahre vor unserer Zeitrechnung wurde Solon, ein Sohn aristokratischer Abstammung, in eines der höchsten Ämter in Athen berufen. Er formulierte seine „Eunomia-Elegie“, in der er die gesellschaftlichen Missstände Athens anprangerte. In dieser wirft er den Reichen und Mächtigen vor, dass sie sich durch „ungerechten Erwerb“ Reichtum verschafft haben und sich mit „rechtlosem Sinn“ am Gut der Gemeinschaft vergreifen und „alles von überall stehlen und raffen“. So haben sie die Bürger zu Knechten gemacht. Vor seinen Augen sah er, wie wir heute sagen würden, den Gesellschaftsvertrag zerfallen. Er ahnte, dass dies nur in allgemeiner Gewalt und Bürgerkrieg enden konnte, und so legte er den gedanklichen Grundstein für eine freie Demokratie in Athen. Ganz bewusst wählte er als Titel für seine Elegie den Begriff Eunomia, der zu Deutsch Ordnung bedeutet.

Er wollte eine neue Ordnung schaffen, in der alle Bürger von Athen gerecht und gleichwertig behandelt werden. Er wollte die gesellschaftliche Ordnung wieder herstellen. Solon brachte allerdings nur den Gedanken einer gerechten und damit friedlichen Gemeinschaft auf die Welt und schaffte keine gesellschaftlichen Institutionen, die dieses Zusammenleben garantieren sollten. So setzten sich die unruhigen und auch kriegerischen Zeiten fort, bis Kleisthenes die Kämpfe der verfeindeten Adelsgeschlechter gewann und die Führung der Stadt übernahm. Er schaffte schließlich die institutionalisierte Gegenmacht des Volkes. Der Beginn der Athenischen Demokratie wird ungefähr in das Jahr 462 vor unserer Zeitrechnung datiert. Diese hatte rund 150 Jahre Bestand, in denen Athen einen kreativen und kulturellen Höhepunkt erlebte.

Kleisthenes hatte die perfekte Form gefunden, um die Macht der Herrschenden zu beschränken und dem Volk die wesentliche Stimme zu verschaffen. Im Vergleich zu dem, was wir heute Demokratie nennen, handelte es sich um eine radikale Form der Demokratie. Es gab kein Gesetz, das nicht vom Volk direkt beschlossen worden wäre. Kein Wunder, dass es bereits damals und auch in all den Zeiten danach Menschen diese Form der Volksherrschaft ablehnten, da sie auf ihre eigenen Machtvorstellungen verzichten mussten.

Auch Aristoteles äußerte sich kritisch über diese Regierungsform. Er brachte schon damals das Argument vor, dass die Masse zu unberechenbar und chaotisch wäre, um der Demokratie eine längerfristige Beständigkeit zu sichern.

So kam es auch schon während der 150 Jahre ihrer Existenz zu den ersten Verwässerungen der absoluten und eben radikalen Volksherrschaft. Die ersten machthungrigen Menschen versuchten, die Athener mit schönen Worten einzulullen, und erklärten ihnen, wie einfach es doch wäre, sich von kundigen, politischen Köpfen in der schwierigen Aufgabe der politischen Entscheidungen vertreten zu lassen. Dies führte zwar dort oder da zu einigen Veränderungen, doch im Grunde blieb die starke Volksherrschaft bestehen. Doch wie bekannt, siegte schließlich der Machthunger der Herrschenden und Athen musste den ersten Versuch einer Demokratie wieder aufgeben.

Manche Länder griffen allerdings auf diese Regierungsform zurück. So war Venedig in seiner Blütezeit als Handelsstadt eine aufrechte Demokratie, in der alle Bürger aus den unterschiedlichsten Ländern die Geschicke ihrer Stadt mitbestimmen konnten. Ja und schließlich standen die Amerikaner vor dem Problem, dass sie den englischen König ablehnen und keinen eigenen König haben wollten. Auch war bereits eine bestehende Oligarchie vorhanden. Würde aus der Mitte der unterschiedlichen Familien ein König gewählt, so käme es unweigerlich zu erheblichen und auch gewalttätigen Auseinandersetzungen. Außerdem gab es 13 freie Staaten, die sich ebenfalls keine Adelsherrschaft wünschten. James Madison stand vor dem Problem, eine Herrschafts- oder freundlicher Regierungsform zu entwickeln, die möglichst viel Freiheit für alle ermöglichte oder ihnen zumindest versprach. Gleichzeitig musste aber auch darauf geachtet werden, dass die ärmere Bevölkerung die bereits vorhandenen Besitzenden nicht daran hindert, weiter ihre Profite zu machen. Eine Demokratie sollte es werden, denn das verbanden alle mit einer noch nie gekannten Freiheit. Was war also zu tun?

Eine radikale Demokratie nach Athenischem Vorbild konnte es auf keinen Fall werden. Denn das war für die Besitzenden in den 13 Staaten viel zu gefährlich. Außerdem war allen bewusst, dass eine radikale Demokratie mit dem damals bereits eingeschlagenen Weg des Kapitalismus nicht vereinbar war. So erfand man die liberale Demokratie, in der von der Athenischen eigentlich nur noch die Wahl der Repräsentanten übrigblieb. Die repräsentative Demokratie sollte dafür sorgen, dass das Volk keinen zu direkten Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen konnte. Damit war die erste liberale und auch repräsentative Demokratie geboren, in der das Volk alle paar Jahre die Möglichkeit hatte, ihre Vertreter aus dem Angebot der Oligarchen zu wählen.

Am 29. Mai 1790 stimmte Rhode Island, der letzte der 13 Staaten, zu, allerdings nur mit einer Stimmenmehrheit von 52 Prozent. Nur drei der 13 Staaten fanden die Verfassung zu 100 Prozent perfekt, und zwar Delaware, New Jersey und Georgia. In den bald 250 Jahren ist es auf der ganzen Welt und auch in Amerika selbst fast noch niemandem aufgefallen, dass in dieser wunderbaren, ersten und ältesten Demokratie der Neuzeit ausschließlich Millionäre das passive Wahlrecht besitzen. Bis heute hat sich noch keiner etwas dazu gedacht und auch jetzt wird das Thema nicht angesprochen.

Gerade in jüngster Zeit kommt es zu eigenartigen Entwicklungen. Wolodymyr Selenskyj sagt die Wahlen ab, weil sich die Ukraine im Krieg befindet. Er selbst bleibt aber Präsident, auch ohne demokratische Wahlen.

Vielleicht kommt Netanjahu auch auf diese Idee. Beide stehen an der Spitze von sogenannten Demokratien, die sie jetzt unter dem Vorwand des Krieges in Geiselhaft nehmen. In den letzten Jahren haben die Regierungen vieler westlicher Länder die Grundrechte ihrer Bürger über Gebühr eingeschränkt. Wie der Name Grundrechte schon sagt, sind das Rechte, die jedem Staatsbürger von Geburt an zustehen. Die also nicht von irgendeiner Leistung oder einem besonderen Wohlverhalten abhängig sind. Menschen, die diese Entwicklung kritisieren, werden heute gerne als rechtsextrem und vor allem als Feinde der Demokratie bezeichnet.

Das bedeutet nichts anderes, als dass gerade denjenigen, die heute Wert auf ihre demokratischen Rechte legen, unterstellt wird, sie wollten die Demokratie abschaffen. Die Volksvertreter sind nicht bereit, ihr Fehlverhalten einzusehen, und wollen sich mit allen Kräften ihren Platz an der Macht sichern. Das führt zu der verwirrenden Situation, dass gerade diejenigen, die die Demokratie zugunsten ihres Machterhalts abschaffen wollen, die Bürger, die ihre demokratischen Rechte einfordern, als Demokratie-Feinde und -Zerstörer bezeichnen. Jeder kennt die Tatsache, dass Macht korrumpiert. In diesem Fall ist es so weit gekommen, dass die demokratisch gewählten Volksvertreter meinen, sie wären die Herrscher über das Volk und nicht mehr dessen Vertreter. Es wird also Zeit, die Dinge wieder zurecht zu rücken.

Kann denn eine herrschaftslose Gesellschaft funktionieren?

Nach 5.000 Jahren Machtindoktrination ist diese Frage schwer zu beantworten. Wie die neuesten Funde der Archäologen zeigen, hat es solche Gemeinschaften schon einmal gegeben. Allerdings war das lange vor unserer Zeit. Wir haben keine schriftlichen Aufzeichnungen und können nur vermuten. In 5.000 Jahren gab es jedoch einige anarchische Versuche von Gemeinschaften. Diese haben die Herrschenden stets mittels Polizei- und Militärgewalt brutal zu Ende gebracht.

Seltsam, wenn man eine anarchistische Gruppe gemeinsam inhaftiert oder auch erschießt, kann man damit beweisen, dass eine herrschaftslose Gemeinschaft nicht existenzfähig ist?

Oder beweist man damit nur, dass der Stärkere immer recht hat? Natürlich gab es auch viele berechtigte, aber auch unberechtigte Verunglimpfungen solcher Gemeinschaften, wie zum Beispiel den Vorwurf des Kommunismus oder die Geschichte mit der freien Liebe.

Nachdem sich die Sowjetunion aufgelöst hat, feierte der Westen den Untergang des Kommunismus. Manche haben sogar behauptet, der Kapitalismus hätte gewonnen. Das hat er nicht. Er hat nur überlebt, durch eines seiner Hauptmerkmale: die Korruption. Ich finde es interessant, dass viele Menschen vor allen „Ismen“ warnen. Da kommen der Islamismus und der Kommunismus, der Konsumismus und der Sozialismus häufig vor. In den Aufzählungen wird aber der Kapitalismus ganz selten genannt. Ist das der einzige „Ismus“, der völlig ungefährlich ist? Die Ausnahme von der Regel? Das glaube ich nicht. Es sieht im Augenblick eher so aus, als ob sich der Kapitalismus gerade selbst besiegen würde. Oder sagen wir, dass die Gier nach Macht und Geld unseren Planeten und unsere Gesellschaft schließlich endgültig zerstören wird.

Wahrscheinlich denken jetzt einige, dass dies ein Plädoyer für den Kommunismus werden soll. Nicht alles, was allen Menschen dient und nicht nur kleinen parasitären Gruppen, ist gleich Kommunismus. Für mich ist eine für alle verträgliche Gemeinwirtschaft oder eine egalitäre und gemeinsame Wohlstandsgesellschaft ein erstrebenswertes Ziel. Wohlstand für alle bedeutet noch lange keinen Kommunismus.

Wir leben in einer Zeit der Überproduktion und gleichzeitig sollen die Menschen mehr und länger arbeiten, als sie das jemals auf diesem Planeten getan haben. Nachdem sich die Entlohnung dieser gestiegenen Arbeitszeit „angeblich“ niemand leisten kann, driften wir in ein modernes Sklaventum.

Gleichzeitig schwimmen alte Kleider im Meer, weil sie niemand kaufen wollte oder konnte, und es werden Lebensmittel vernichtet, um die Preise zu stützen. Manche Lebensmittel werden zu Treibstoff verarbeitet, entweder um bessere Preise für die Landwirtschaft zu erzielen oder um unabhängiger vom Erdöl zu werden. Wobei die Energie und auch die Umweltbilanz dadurch um nichts besser werden. Gleichzeitig sollen wir dann in unserem Gebäck in Zukunft Insekten als Streckungsmittel akzeptieren.

In den Medien treten Milliardäre auf, die uns über ihre abstrusen Ideen und Pläne informieren dürfen, diese zum Teil auch durchziehen und dafür trotz strafbarer Äußerungen und Handlungen nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Mag schon sein, dass es hinter allen diesen vordergründigen Widersprüchen einen tieferen Sinn gibt. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht ist es nur blanker und offen gelebter Kapitalismus. Inzwischen hat alles seinen Preis und gleichzeitig kaum noch etwas einen Wert. Was bedeutet ein Menschenleben, wenn es um die Bodenschätze der Ukraine geht? Was sind schon ein paar Impf-Tote, wenn die Hersteller mit einer neuen Impfung in einem Jahr hunderte Milliarden verdienen können?

Dabei finde ich es sehr interessant, dass derzeit die Bürger und Steuerzahler so vieles begleichen müssen: Sie zahlen Medikamente, die ihnen mehr schaden als nutzen, und auch die Waffen, mit denen angebliche „Feinde“ und zum Teil auch sie selbst getötet werden. Sehr zukunftsorientiert scheint die kapitalistische Logik nicht zu sein.

Wenn der letzte Steuerzahler unsere Erde verlassen hat, haben die sogenannten Philanthropen ihr Wirkungsfeld endgültig verloren. Sowohl das ihrer fragwürdigen Menschenliebe als auch das, mit dem sie ihre Oligarchie aufrechterhalten können. Das scheint genau ihr Ziel zu sein.

Mit einer Form von Demokratie oder Volksherrschaft hat diese Situation nur sehr wenig gemeinsam. Wir müssen uns miteinander darauf besinnen, was wir Menschen können. Es wird die Herrschenden nicht sehr freuen, dass wir inzwischen wissen, dass Wettbewerb kein Naturgesetz ist. Den hatten sie schließlich nur für uns vorgesehen, um uns darin umkommen zu lassen. Sie selbst laben sich lieber an Monopolen, die zwar in einer Demokratie verboten sind, nur eben für sie nicht.

Die Evolution basiert auf Kooperation. Könnte einer von uns existieren, wenn unsere einzelnen Zellen nicht miteinander kooperieren? Wer herrscht in unserem Körper? Das Gehirn? Das Herz? Die Leber oder der Magen? Jedes Organ und jede Zelle tut das, was sie kann, und jede Einzelne ist unersetzbar, ohne die friedliche Zusammenarbeit unserer Zellen könnten wir nicht leben. Auch dann nicht, wenn uns die immer verblendetere Schulmedizin vorgaukeln möchte, dass unser Körper gerne gegen sich selbst Krieg führt. Bis hin zu dem Feind, gegen den sie bis heute gerne das Senfgas einsetzen, das nach dem Ersten Weltkrieg verboten wurde. Allerdings nur in der militärischen Kriegsführung.

Krebs ist ein erstaunliches Phänomen. Nach 100 Jahren wissenschaftlicher Forschung liegt bis heute kein befriedigendes Ergebnis vor, warum er entsteht und wie er erfolgreich behandelt werden kann. Gleichzeitig erfolgt seine Behandlung unter anderem mit einem Wirkstoff, der bald 90 oder mehr Jahre alt ist. Fehlentwicklungen in der Zusammenarbeit unserer Zellen nennen wir Krankheiten. An diesem Punkt ist zurzeit auch unsere Gesellschaft angelangt. Es ist höchste Zeit, mit der Heilung zu beginnen. Die über uns Herrschenden haben uns und unsere Welt auf den Abgrund zugetrieben. Jetzt versuchen sie, uns als erste über die Klippen zu werfen, in der Hoffnung, dass sie selbst dann weicher fallen würden. Wir sollten zur Seite gehen und ihnen den Vortritt lassen und unser Leben und das unserer Gemeinschaft wieder selbst in die Hand nehmen. So schwer ist das gar nicht.

Denken wir nur daran, dass jeder von uns als freier Mensch geboren ist. Ja, jeder ist anders, aber wir haben alle die gleichen Rechte und auch die gleichen Aufgabe: Unser Leben so zu führen, dass auch unsere Mitmenschen ihr Leben so führen können, dass sie zufrieden und glücklich mit ihren Familien leben können. Jeder unserer Mitmenschen hat ein Recht darauf, zu leben und in seinem Leben glücklich zu sein.

Unser Glück wird nicht kleiner, wenn auch andere glücklich sind. Im Gegenteil, wir ersparen uns den Anblick trauriger Menschen und vermeiden Handlungen, die ausschließlich aus Verzweiflung erfolgen.

An diesem Punkt muss allerdings auch erwähnt werden, dass es nicht nur die bösen Herrscher und parasitären Machteliten waren, die uns in diese Lage gebracht haben. Wir haben leider diese ganze Entwicklung einfach geschehen lassen, ohne uns zu wehren. Wir hätten die Argumente der Demokratie schon viel früher für uns nutzen können. Allerdings war uns unser Ego zu wichtig und wir dachten, wir würden schon auf der Leiter nach oben kommen. Vielleicht haben wir auch den einen oder anderen nach unten gedrückt, um selbst früher oben zu sein. Damit wir endlich dazugehören, zu den Reichen, Vermögenden und Mächtigen. Heute wissen wir, dass das nur ein Spiel der Herrschenden war. Sie haben uns lachend zugesehen, wie wir uns bemühen, ein unerreichbares Ziel anzustreben. Sie wussten immer schon, wie weit sie uns gewähren lassen. Inzwischen ist es offensichtlich. Es gibt also keinen Grund mehr, ihr Spiel mitzuspielen. Wir können uns auf uns und unsere Gemeinschaft besinnen. Wenn wir unserem Nachbarn und unserem Kollegen helfen, haben wir selbst am meisten davon.

Wir hören heute immer wieder den Spruch: „Wir sind viele“. Das sind wir aber nur, wenn wir auch zusammenhalten und uns unsere eigene neue Welt schaffen.

Die alte haben die Herrschenden verspielt und sie verdienen unser Mitleid nicht. Jeder von uns hat Fähigkeiten, die wir in einer guten Gemeinschaft brauchen. Wir brauchen kein Kommando und keine Parasiten, die uns erklären, was wir für sie zu tun hätten. Wir müssen unseren Freunden, Nachbarn und unseren Kollegen helfen und sie werden das Gleiche mit uns tun. Wir müssen auch niemanden dafür bezahlen, damit er das Gegenteil von dem tut, was wir uns wünschen. Setzen wir uns einfach zusammen und diskutieren wir darüber, was wir von unserem Leben erwarten. Gemeinsam werden wir schnell erkennen, dass wir für unser Glück viel weniger brauchen, als wir derzeit glauben. Vor allem erreichen wir gemeinsam sicher mehr als jeder für sich allein. Ich weiß nicht, wer das gesagt hat, aber es gefällt mir nach wie vor.

„Ich lebe lieber in einem Land, in dem man sich vor Verbrechern fürchtet, als in einem, in dem man sich vor der Polizei fürchten muss.“

Stell dir vor, du wirst von allen Menschen geachtet und geehrt. Und zwar deshalb, weil auch du alle anderen achtest und ehrst. Es wird immer Menschen geben, die das eine oder andere besser können, so kann jeder einen Beitrag zur Gemeinschaft leisten. Um eine friedliche Welt mit zufriedenen und glücklichen Menschen zu erreichen, braucht es jeden von uns. Jeder sollte seinen Platz haben. Das funktioniert ohne Macht und Herrschaft, Eitelkeit und Gier, Neid und Eifersucht. Wir müssen nur unsere Ziele verändern. Diese sollten nicht Macht und Geld sein. Wir sollten dem folgen, von dem wir spüren, dass es uns jetzt schon glücklich macht. Wir sollten immer daran denken, dass Liebe die einzige Sache auf der Welt ist, die immer mehr wird, je mehr du sie verschenkst.