Menschen ohne Herrschaft
Anarchie hat vor allem deshalb ein schlechtes Image, weil sie denjenigen, die die Debatten beherrschen, nicht ins Konzept passt. Teil 2 von 2.
Anarchie — „keine Herrschaft“. Vielfach wird der Eindruck erweckt, das sei der schlimmste Zustand, den man sich nur vorstellen kann. Dabei leiden wir alle immer wieder unter der Anmaßung der Mächtigen. Dennoch gibt es kaum vehementere Verteidiger von Hierarchien und Herrschaftsverhältnissen als eben jene, die ihnen unterworfen sind. Sklaven, die gelernt haben, ihre Ketten zu lieben. Wenn Anarchie von einer überwältigenden Mehrheit noch immer als ein „Ding der Unmöglichkeit“ betrachtet wird, so liegt das daran, dass eine Reihe falscher Vorstellungen von ihr kursieren. Es liegt an einem Mangel an Fantasie, die über das allseits Bekannte hinausweist. Und es liegt daran, dass aus der Geschichte keine erfolgreichen Beispiele für eine Gesellschaft bekannt sind, die ohne die Macht von Menschen über Menschen ausgekommen wäre. Auch dafür gibt es aber Gründe. Geschichte wird immer von den Siegern geschrieben, also von jenen, die sich in Machtkämpfen durchgesetzt haben. Und eben jene Personengruppe möchte ihr fragwürdiges Wirken nur zu gern für alle Ewigkeit als alternativlos darstellen.
Warum hat es noch nie eine funktionierende Anarchie gegeben?
Das ist eine gute Frage. In der neueren beherrschten Zeit ist sie einfach zu beantworten. Immer, wenn sich eine funktionierende Gruppe von Anarchisten gefunden hat, fühlten sich die Machthaber bedroht. Wenn die Anarchisten beweisen können, dass eine herrschaftslose Gesellschaft funktioniert, lebensfähig ist und allen ihren Mitgliedern ein schönes und glückliches Leben bietet, dann kann es sein, dass durch dieses Vorbild die Macht der Herrschenden in Frage gestellt und bedroht wird. Also müssen die ersten Versuche, die ein wenig nach Erfolg aussehen, sofort aus der Welt geschafft werden.
Wenn man mit Säbeln und Messern auf Anarchisten einschlägt oder auf sie schießt, dann sterben sie schnell. Das ist bis heute der einzige „intellektuelle“ Beweis, dass Anarchie nicht funktioniert. Das folgt dem alten Recht des Stärkeren, nach dem der, der seinen Gegner erschlagen kann, vermeintlich auch der Klügere ist. Daran hat auch die abendländische Aufklärung nichts geändert.
Auge um Auge, Zahn um Zahn
Die Bibel hat versucht, die Geschichte mit David und Goliath ein wenig umzukehren. Doch auch in dieser Geschichte ist leider der Tod des Kontrahenten der Beweis für die Schlauheit oder das Geschick des Siegers. Nicht von ungefähr stammt aus dem gleichen Buch das Zitat „Auge um Auge, Zahn um Zahn“. Die Gewalttaten des Alten Testaments und ihre grausamen Folgen werden heute gerne verschwiegen und übergangen.
Doch wer die Geschichte der Christen aufmerksame verfolgt, erkennt, dass der christliche Glaube nur eine vordergründig friedliche Religion ist. Diese passt also perfekt in die Geschichte der 5.000 Jahre der Herrschaft einiger weniger über die Masse der Menschen. Wurden doch ursprünglich alle Kaiser vom Papst oder einem Vertreter der Kirche eingesetzt. Es ist noch gar nicht so lange her, dass der Vatikan auf seinen Anspruch auf die Weltherrschaft offiziell verzichtet hat. Es stellt sich die Frage, wie die Anhänger eines allmächtigen, einzigen Gottes mit einem unfehlbaren irdischen Vertreter als Oberhaupt einer ziemlich strikten und nicht hinterfragbaren Hierarchie gleichzeitig Demokraten sein können.
Ich habe vorhin neue Erkenntnisse von Archäologen und auch Anthropologen erwähnt. Bei ihnen finden wir einige Ansätze dafür, dass es vor 5.000 Jahren schon einige Gesellschaft gegeben hat, die egalitär und damit vielleicht auch anarchisch organisiert waren. So soll es Städte gegeben haben, in denen bis an die hunderttausend Menschen gemeinsam als Gleiche unter Gleichen gelebt haben.
Ausgrabungen solcher Orte können keine Anzeichen irgendeiner Herrschaft nachweisen, denn alle Behausungen sind annähernd gleich groß und auch ähnlich strukturiert. Zudem gibt es keine Ehrengräber, die auf Herrscher oder Könige hinweisen. Bei dem noch jungen Grabungsprojekt Göbekli Tepe in der Türkei erlebten die Forscher eine große Überraschung. Sie fanden weder vor Ort noch in der weiteren Umgebung dieses Projektes Anzeichen für eine Herrschaft. Das bedeutet, dass Menschen damals in der Lage waren, größere Gemeinschaftsbauten mit durchaus hohem kulturellem Anspruch ohne hierarchische Struktur zu errichten. Da reden wir von einer Zeit, die 10.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung liegt.
In vielen Gesprächen behaupten Menschen gerne, dass es auf unserer Erde Matriarchate noch nie gegeben hätte. Das ist nun ähnlich wie mit den Helden und Herrschern. Uns soll vorgemacht werden, dass die Männer schon immer die Führungsrolle in jeder Gesellschaft einnahmen, also auch in unserer. Zudem liegen hierzu neuere Erkenntnisse vor, beispielsweise von einem Krieger, der vor nicht allzu langer Zeit gefunden wurde. Eine moderne DNA-Analyse ergab, dass die gefundenen Gebeine des mit Waffen und Jagdutensilien begrabenen Körpers nicht einem Mann, sondern einer Frau gehörten.
Konsequenterweise sollten wir mit der Interpretation unserer Funde vorsichtiger sein und dürfen nicht zu rasch in die Schubladen unserer 5.000-jährigen Vorurteile fallen. Betrachtet man einige Funde der Vergangenheit genauer und ist bereit, deren Interpretation zu hinterfragen, so erscheint es gar nicht so unwahrscheinlich, dass einige Matriarchate bereits in grauer Vorzeit existierten. In diesen waren die Frauen die Träger der Blutsverwandtschaft, unter denen sich sogenannte Verwandtschaftsclans bildeten. Diese wurden gemeinschaftlich mit einstimmigen Entscheidungen geführt und kannten außer der Anerkennung der Clanmutter keine Hierarchie.
Das Märchen der letzten 5.000 Jahre
Wie sich zeigt, funktioniert die einfache Gegenüberstellung von Patriarchat und Matriarchat nicht so, wie üblicherweise gedacht. Während Patriarchate ausschließlich auf Macht, Gewalt und Hierarchie ausgerichtet sind, stellen Matriarchate egalitäre Gesellschaften dar. In allen diesen Bereichen gibt es sicher noch vieles zu erforschen.
Was wir aber heute schon sagen können ist, dass wir in der Menschheitsgeschichte der letzten 5.000 Jahre ein Märchen über die grundsätzliche Natur des Menschen erzählt bekamen: Die einen seien zur Herrschaft und die anderen zur Unterwerfung geboren. Doch Anthropologen waren nicht untätig in dieser Zeit. Sie haben in Afrika und auch am Amazonas und anderen Gebieten der Erde Volksgruppen besucht, die heute noch so ähnlich wie die frühen Jäger und Sammler leben. Auch diese Gruppen sind nach egalitären Gesichtspunkten strukturiert.
Interessant an diesen Gemeinschaften erscheint, dass sie alle Mechanismen haben, die einen schleichenden Machtzuwachs verhindern. So lacht die Gruppe Jäger mit ihrer Beute regelmäßig für ihr Jagdergebnis aus, damit sie nicht übermütig werden. Die Beute wird selbstverständlich unter allen geteilt. Außerdem zählt nicht nur, wer den tödlichen Wurf oder Stoß vollführt hat. Es zählt auch, wer die Waffe hergestellt hat. Auf Befehle reagieren die Menschen mit Gelächter, nur auf Bitten reagieren sie positiv und sind bereit zu helfen.
Über die Jäger und Sammler wurden uns wunderliche Geschichten erzählt. Frühere Wissenschaftler meinten, dass die Menschen jener Zeit den ganzen Tag mit Nahrungssuche verbracht hätten und gar nicht so selten hungern mussten. Genaue Zeitmessungen von Anthropolgen ergaben: Die Mitglieder solcher Volksgruppen verbringen höchstens 15 bis 20 Stunden wöchentlich mit Nahrungssuche. Dabei ist die Arbeit des Jagens und Sammelns ziemlich gerecht auf Männer, Frauen und Kinder aufgeteilt. Die restliche Zeit beschäftigen sie sich mit der Herstellung von Jagdwaffen und anderen Geräten. Die meiste Zeit spielen sie gerne miteinander.
In einem Gebiet im südlichen Afrika gab es in der Nähe eines solchen Volkes in den zivilisierteren Regionen wegen eines Ernteausfalls eine Hungersnot. Von dieser haben die Jäger und Sammler gar nichts mitbekommen. Da stellt sich die Frage, ob unsere sogenannte zivilisierte und hierarchische Ordnung uns so viel mehr Sicherheit bietet. In den 5.000 Jahren unserer Geschichte gab es schon einige Versuche, eine anarchistische Gemeinschaft aufzubauen. Interessanterweise hatte der südamerikanische Kontinent da einiges zu bieten. In Europa sind die Beispiele eher weniger und wurden auch viel rascher und rigoroser beendet.
Ich glaube, es lohnt sich immer mehr, über alles nachzudenken, was wir in den letzten Jahren so gehört haben. Ich erinnere mich noch an den Aufschrei, als in den 1968er Jahren die antiautoritäre Schule von Summerhill bekannt wurde. Das hat lange gedauert, denn Alexander S. Neill hatte sie bereits im Jahr 1921 gegründet. In seinem erstaunlichenVersuch der Selbstverwaltung wurden die Kinder noch viel ernster genommen als in den meisten freien Schulen heutzutage. Doch was wird aus diesen Kindern, wenn sie nach ihrer Schulzeit dann in unserer von Herrschaft und Hierarchie dominierten Gesellschaft ankommen?
Inzwischen ist es auch den Eliten, Regierungen und allen Bildungseinrichtungen erfolgreich gelungen, die Idee Neills an den Rand zu drängen und das Gras des Schweigens über die antiautoritäre Erziehung wachsen zu lassen. Wir erleben im Großen wie im Kleinen, wie viel in unserer Gesellschaft täglich falsch läuft. Eine Lieblingsvokabel, die in den letzten 15 bis 20 Jahren modern geworden ist, lautet „alternativlos“. Das in einer Zeit, in der sich die Industrie, die Medien und auch einige Politiker gar nicht oft und laut genug über Innovation und Kreativität auslassen. Doch was heißt alternativlos? Nichts anderes als: Es fällt uns nichts dazu ein. Dieses Nichts soll dann für ein paar mehrstündige Reden, Pressekonferenzen oder zweiseitige Zeitungsberichte herhalten.
Wir brauchen uns doch nur ans Mittelalter zu erinnern. Damals gab es Fürstentümer und Grafschaften und auch schon ein paar König- oder Kaiserreiche. Wenn den Bürgern die Herrschaft eines Grafen nicht passte, konnten sie alles zusammenpacken und zu einem anderen Herrscher gehen. Erst sehr spät, so gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstand die Idee der Nationalstaaten.
Mit ihnen war nicht nur das Herrschaftsgebiet genau abgesteckt, jetzt gehörten auch die Bürger nur noch einem König und nicht mehr nur die Leibeigenen. Die damals aufkeimende Industrie konnte auf ausreichend Arbeiter im Staatsgebiet zurückgreifen und mit der Einführung der Staatssprache konnte man sich darauf verlassen, dass man mit allen dieselbe Sprache sprechen konnte. Den Bürgern wurden Recht und Ordnung versprochen gegen die neue Schutzgebühr, die man Steuern nannte. Mit denen machte der Kaiser dann, was er wollte.
Nach den Weltkriegen wurde mit diesen Geldern das Land wieder aufgebaut. Aktuell machen die Volksvertreter mit ihren Bürgern wieder, was sie oder andere wollen. Jetzt haben manche Menschen Angst davor, dass man uns diesen wunderbaren Nationalstaat und damit unsere verbriefte Knechtschaft wieder abnimmt. So ähnlich, wie sich Deutsche vor ein paar Jahren davor gefürchtet haben, dass Trump mit dem Abzug von amerikanischen Soldaten die deutsche Besatzung langsam beendet. Ich habe manchmal das Gefühl, dass viele in zahlreichen Bereichen nicht mehr klar denken können, weil ihnen selbst das Sinnloseste völlig verständlich und normal erscheint.
Grundlegende Fragen klären
Die Frage, die wir uns stellen sollten, ist doch die, wie wir mit unseren Familien und unseren Kindern und Freunden leben wollen. Mit ein wenig Verstand sehen wir sofort, dass das nur gemeinsam funktionieren kann, wenn jeder zufrieden ist und sich auf die gemeinsame Zukunft freut. Wie uns der Staat bei dieser einfachen Aufgabe helfen soll, ist schwer zu beantworten. Im Alltag erleben wir eher, dass er uns daran hindert, unsere Ziele zu erreichen.
Wir benötigen für die Paar Schuhe und die Kleidung, die wir alle brauchen, keine Massenproduktion, sodass die Reste dann irgendwo ins Meer gekippt werden. Wir müssten uns nur darauf einigen, wer was macht und in welchen Bereichen wir uns mehr anstrengen und wo weniger. Ja, wir müssen sicher auch ein paar Bekannten helfen. Das können und werden wir sicher tun, denn diese werden ebenfalls für uns etwas erledigen, mit unseren Kindern spielen oder an unserem Bett sitzen, wenn wir krank sind. Jeder von uns lebt an einem Ort, den er sein Zuhause nennt. Wenn dort die Welt in Ordnung sein soll, dann müssen die dafür sorgen, die dort leben. Wir brauchen niemanden in der Landes- oder Bundeshauptstadt, der meint, er wüsste genau, wie wir leben sollen. Gemeinsam erwirtschaften wir das, was wir zu Stande bringen, und der meiste Teil dieses Profits sollte uns gehören.
Natürlich kann man alles, was existiert, auch verwalten. Notwendig ist das aber in einem viel geringeren Ausmaß, als es heute geschieht. Wenn jede Gemeinschaft in unserem Land sich selbst organisiert und darüber hinaus gehende Projekte mit anderen Gemeinschaften besprochen und durchgeführt werden können, brauchen wir viel weniger Organisation, als das heute der Fall ist. Vor allem brauchen wir weder den Bezirkshauptmann noch den Landeshauptmann noch die Bundesregierung. Wenn wir uns in gewachsenen Regionen organisieren, geht alles viel rascher, einfacher und schneller. Wir könnten alle einem Beruf nachgehen, der unserer Gemeinschaft nützt, uns daher auch Spaß macht und vor allem Anerkennung bringt. Wir brauchen nur die Betriebe, die für unser Wohl notwendig sind, und die sollten der Mittelpunkt unseres Lebensinteresses sein.
Wie teuer die Tomaten in Japan sind, kann uns ziemlich egal sein, wenn in unseren Gärten genügend wachsen. Wir brauchen keine Volksvertreter, die nichts von dem umsetzen, was uns für unser Steuergeld sinnvoll erscheint. Wir brauchen auch keine, die uns Angst machen, um uns in unser nächstes Unglück zu führen. Ebenso brauchen wir auch keine sogenannten Geldeliten, die nicht nur nicht von uns gewählt sind, sondern zuerst alle ihre Mitarbeiter ausbeuten und dann in keinem Land Steuern bezahlen.
Aktuell werden unsere Steuergelder vergeudet für Waffen, Medikamente oder andere Dinge, die sie uns aufzwingen möchten ausgegeben. Es wird gerne über die Sozialschmarotzer gewettert. Beziffert man den Schaden, der daraus entsteht, so kommt man vielleicht auf hundert oder zweihundert Millionen im Jahr. Nimmt man alle Steuervermeidungsmethoden der Wirtschaft, des Handels und der Industrie zusammen, dann ergibt sich daraus ein jährlicher Steuerfehlbetrag von um die 50 Milliarden allein im kleinen Österreich. Doch über die schimpfen wir nicht. Wir hören ihnen zu, wenn sie wieder irgendwo über weniger Staat philosophieren. In Wahrheit meinen sie damit, dass die Staaten für ihre Bürger gar nichts mehr tun, sondern ihnen die Steuern direkt überweisen sollten, damit sie diese dann in einem Steuerparadies anlegen können. Gründlicher kann man einen Ast, auf dem man sitzt, nicht absägen. Doch weil sie reich sind, halten die meisten Menschen sie für klug.
Eine Gemeinschaft aus Gleichgesinnten
Lösen wir unsere Augen von diesen selbsternannten Vorbildern und sehen wir uns endlich wieder gegenseitig in die Augen. Wir werden erkennen, dass wir die da oben alle nicht brauchen. Nein, sie brauchen uns mehr als wir sie. Deshalb werden sie auch mit allen Mitteln versuchen, uns zurückzuhalten und an sich zu binden.
Leider werden einige von uns auf ihre neuen Versprechungen noch einmal hereinfallen. Doch wir sollten in Blickkontakt bleiben und uns gemeinsam auf das konzentrieren, was uns gut tut. Eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten, die stets das Wohl aller ihrer Mitglieder bedenkt und auch jede Stimme ernst nimmt. Wenn wir ein Krankenhaus brauchen, dann bauen wir eines, doch dann ist das sicher eines, in dem Schulmediziner mit Fachleuten der Heilkunde zusammenarbeiten müssen. Wenn wir unsere Kinder unterrichten wollen, dann werden wir es so machen, dass wir sie zuerst zu glücklichen Menschen heranbilden.
Gemeinsam werden wir in allen Bereichen die Lösung finden, die für uns alle passt. In meiner bisherigen Suche nach einem guten Weg habe ich gelernt, dass nur einstimmige Entscheidungen wirklich gute sind. Sie sind die einzigen, bei denen es keine Verlierer gibt. Wie gut soll eine Demokratie funktionieren, wenn nur noch knapp die Hälfte wählen geht und dann die Regierungspartei diejenigen Wähler bedient, die sie gewählt haben? Die vertreten nur knapp 30 Prozent der Gesamtbevölkerung. Deshalb Schluss mit der Heuchelei und den ständigen Lügen.
In den letzten Jahren kann ich mich an keine politische Partei erinnern, die nach der Wahl umgesetzt hätte, was sie vor der Wahl versprochen hat. Trotzdem ist es einigen gelungen, etwas völlig anderes zu tun, als sie vorher angedeutet haben. Wir wissen das und lassen es uns trotzdem gefallen. Hören wir einfach auf und gestalten wir selbst unsere Gemeinschaft und unser Leben. Vor allem sollten wir uns mit den Menschen verbinden und verbünden, mit denen wir die gleiche Heimat teilen. Gemeinsam können wir diese sicher noch schöner machen als sie heute schon ist.
Warum sollen wir uns solche Mühe machen?
Bisher hat doch alles wunderbar funktioniert. Diejenigen von uns, die nach wie vor der Meinung sind, dass wir heute noch in der schönsten und besten aller Welten leben, werden, glaube ich, immer weniger. Aber sicher gibt es auch sie. Die müssen nichts tun, wenn sie das nicht wollen. Sollten sie allerdings Sorge haben, dass sie mit den heutigen Eliten langsam den Bach hinunter schwimmen, dann können sie selbstverständlich mithelfen. Vielleicht müssen wir auch das erst lernen. Eine herrschaftslose Gesellschaft kennt keine Befehle. Niemand muss auch nur irgendetwas tun. Jeder kann, wenn er will. Wenn ich Hilfe brauche, dann kann ich darum bitten.
Ziemlich sicher wird mir jemand helfen. Vor allem dann, wenn ich als hilfsbereit bekannt bin. Es wird einiger Übung bedürfen, uns von unseren alten Gewohnheiten zu verabschieden. Wir müssen nicht mehr besser oder stärker oder klüger sein als unsere Mitmenschen. Wir können einander zuhören und aus allen unseren Ideen die besten aussuchen, um sie gemeinsam umzusetzen. Wir müssen niemanden belehren, auch niemanden heruntermachen. Wir können uns ganz einfach alle wohlwollend in die Arme nehmen und ein gemeinsames glückliches Leben beginnen.
Vielleicht können wir uns auch gegenseitig helfen, wenn wir in unsere alten Muster zurückfallen. „Das haben wir nicht mehr notwendig“, kann ein freundlicher Hinweis in einem solchen Fall sein. Warum sollen wir alles über den Haufen werfen und wieder ganz von vorne anfangen? Das Gilgamesch Epos enthält die ersten schriftlichen Aufzeichnungen von Machtkämpfen und Mord und Totschlag. So verläuft die gesamte Geschichte bis zum heutigen Tag. Vor ungefähr 25 oder 30 Jahren haben wir über das Vereinigte Europa abgestimmt. Ein Friedensprojekt sollte es werden. Heute haben wir in Europa einen Krieg, der bereits zwei Jahre dauert und schon unzählige Todesopfer gefordert hat. Trotzdem ist dieses „Friedensprojekt Europa“ nicht bereit, über einen Frieden zu verhandeln. Das Friedensprojekt hat sich in ein Kriegsprojekt verwandelt. Bei Ehescheidungen hören wir immer den Satz, an der Situation sei sicher nicht nur der eine Teil schuld.
Das scheinen Politiker und sogenannte Möchtegern-Diplomaten bis heute noch nicht verstanden zu haben. Aus ihrer Sicht ist an einem Krieg immer nur einer Schuld und der muss vernichtet werden. Wir haben noch nicht einmal gelernt, dass es noch nie gelungen ist, einen Gegner völlig zu vernichten. Da gibt es dann Menschen, die Bücher schreiben mit so wunderbaren Titeln: „Warum wir Menschen immer Kriege wollen.“ Mag schon sein, dass einige Wenige freudig in die Kriege gezogen sind. Das einfache Volk, der kleine Soldat hat noch nie einem Land den Krieg erklärt. Das waren meist die Männer an der Macht, die nach noch mehr Macht oder Geld oder Einfluss strebten. Das Volk musste für Kaiser und Vaterland und in den letzten rund 100 Jahren für die Nation auf dem Schlachtfeld sterben.
In keinem Geschichtsbuch steht, dass wir alle diese Kriege und dieses sinnlose Morden und Sterben nur der unstillbaren Machtgier einiger weniger Menschen und meist auch Psychopathen zu verdanken haben. Es ist uns in den 5.000 Jahren so „wunderbar“ gegangen, dass ein Krieg auf den nächsten folgte. Ein verwirrter Geist behauptete sogar, der Krieg sei der Vater aller Dinge. Wir alle wissen, dass Väter keine Kinder gebären können. Kinder ermorden, das können sie! Das ist aus meiner Sicht ein guter Grund, der uns zu dem Gedanken der Gesellschaft von gleichwertigen Menschen führen kann. Einem Gleichen muss ich weder durch Gewalt noch durch List beweisen, dass ich noch gleichwertiger bin als er.
Kommen wir noch einmal zurück zu den Archäologen, die Städte mit egalitären Gesellschaften gefunden haben. Dort haben die Forscher entdeckt, dass es bei einigen dieser Gesellschaften im Zeitraum von 1.000 bis 1.200 Jahren keine Anzeichen kriegerischer Auseinandersetzungen gab. 1.000 Jahre Frieden, wäre das nicht etwas? Wir brauchen uns nur die Königsdramen von William Shakespeare anzusehen, um zu erfahren, wie krank, verwirrt, grausam und unmenschlich die Hölle der Macht ist. Es gibt viele Lippenbekenntnisse für den Frieden.
Solange wir an den bestehenden Herrschaftsverhältnissen festhalten, wird es immer Kriege geben. Entweder, weil einer wichtiger sein will als der andere. Oder ein anderer möchte die Bodenschätze besitzen, die ihm nicht gehören. Es gibt auch Gründe, warum die „großartige“ Vorzeigedemokratie USA noch in keinem Land, in dem sie in den letzten Jahren mit Bomben militärisch eingegriffen hat, nach erfolgreicher Zerstörung eine Demokratie gegründet hat. Militärdiktaturen haben meist nur einen Anführer und mit dem allein wird man schneller fertig. Solange wir uns nicht um egalitäre Gesellschaften bemühen, so lange wird es keinen Frieden auf der Welt geben.
Ich gehöre einer Generation an, die bisher sehr viel Glück hatte. Wir haben bis vor Kurzem keinen Krieg in Mitteleuropa erlebt. Der Krieg in Jugoslawien und jetzt in der Ukraine erfasste bisher keine weitere europäische Nation. Meinen Kindern und Enkeln möchte ich ein ebenso großes Glück wünschen und wenn ich kann, möchte ich auch etwas dafür tun. Das kann nur gelingen, wenn wir gemeinsam mit einigen Freunden Wege finden, unsere Gesellschaft auf neue friedlichere Beine zu stellen. Die Gleichheit scheint da die große Alternative zu sein, die die Alternativlosen wahrscheinlich nicht sehen werden. Wir brauchen niemanden um Erlaubnis zu fragen. Wir können einfach damit beginnen. Vielleicht wird es so ein Weg, wie in Mahatma Ghandi einst begonnen und lange Zeit auch sehr erfolgreich gegangen ist.
Schließlich wurde auch er getötet, weil jemand auf seine Macht nicht verzichten wollte. Dem können wir entgehen, wenn wir aufhören, einem anderen zu folgen, sondern wenn jeder von uns ein Ghandi wird. Sicher wird es auch auf diesem Weg Menschen geben, die sich uns entgegenstellen. Doch gegen alle von uns haben sie keine Chance. Ich glaube, dass es den Versuch wert ist, um der Todesspirale des Kriegs, der Kämpfe und dem Morden zu entkommen. Liebe Freunde und Freundinnen lasst euch umarmen. Helfen wir uns gemeinsam auf dem Weg in ein neues besseres Leben für uns und unsere Kinder, Enkel und Nachfahren. Wenn wir Menschen wieder zu uns und unserer liebenden Gemeinschaft finden, dann wird auch die Erde wieder blühen und gedeihen. Das Paradies auf dieser Erde ist möglich, wenn wir lernen, es endlich mit aller Kraft zu wollen. Das Paradies ist wie der Frieden. Wir können beide nicht mit Gewalt erzwingen. Wir können sie nur gemeinsam wollen.