Meinungsmache durch Meinungsforschung
Wie Forsa beim Manipulieren einer Umfrage gegen die neue SPD-Führung erwischt wurde.
Meinungsforschung sollte die Fakten wiedergeben und nicht selbst Fakten schaffen. Gerade Forsa, mit ihrem mitteilsamen Chef Manfred Güllner, versucht immer wieder durch seine von den Mainstream-Medien fleißig abgefragten Deutungen eigener Umfrageergebnissen zu manipulieren. Zum Beispiel versucht Güllner über Jahre zu suggerieren, der Niedergang der SPD habe nichts mit deren Abkehr von sozialer Politik seit Schröder zu tun. Eine weitgehend unentdeckte Quelle von Manipulation besteht auch in der Formulierung der Fragen, auf die ein „repräsentativer Querschnitt“ der Bürger anworten soll. Hier werden Befragte durch das „Wording“ in eine bestimmte Richtung gedrängt. Ein „ideologischer Linkskurs“ erweckt weniger Vertrauen als ein „pragmatisch-rationaler Mitte-Kurs“. Das Dumme für Forsa: Diesmal ist das Institut bei einem allzu offenkundigen Manipulationsversuch erwischt worden. Ziel der Operation: die neue SPD-Führung von Anfang an madig zu machen.
Am 7. Dezember, parallel zum SPD-Parteitag, lieferte das Institut Forsa mit einem spektakulären Umfrageergebnis einen medialen Tiefschlag für das neue, vom Establishment sehr ungeliebte Führungsduo Esken/Walter-Borjahns. Nur noch 11 Prozent würden danach SPD wählen. Dumm nur für Forsa, dass versehentlich unschöne Details zu den Methoden öffentlich wurden, die diesem Ergebnis zugrunde liegen.
Auch andere Ergebnisse der Umfrage gingen durch die Medien, etwa dass nur noch 3 Prozent der SPD zutrauen würden, am besten mit den Problemen in Deutschland fertig zu werden. Wenn bei einer solchen Frage 57 Prozent keine Partei angeben, dann ist die Frage offenkundig anders gemeint, als sie verstanden wird. Gefragt wurde ja nicht nach „gut“, sondern „am besten“, was implizit „am wenigsten schlecht“ einschließt. Hier hätte ein Pretest (Vortest) genutzt werden können, um die Frage zu verbessern. Aber bei Forsa dienen Pretests offenbar anderen Zwecken, wie wir noch sehen werden.
Der SPD-Kommunalpolitiker Jan Beyer bekam von einem Bekannten, der in einem Online-Umfragepanel von Forsa ist, eine Frage geschickt, die dieser hatte beantworten sollen:
„Esken und Walter-Borjahns wollen wie die Jungsozialisten der SPD eine Linkswende verordnen, um damit wieder neue Wähler zu gewinnen. Andere in der SPD halten einen Linksschwenk für falsch, weil die SPD vor allem Wähler aus der politischen Mitte verloren hat. Wie schätzen Sie das ein, gewinnt die SPD eher mit einem ideologischen Linkskurs oder eher mit einem pragmatisch-rationalen Mitte-Kurs wieder neues Vertrauen bei den Wählern?“
Beyer veröffentlichte einen Screenshot der Frage via Twitter, garniert mit dem Hinweis, dass er sich doch sehr über die Art wundere, wie Forsa zu seinen Ergebnissen kommt. Dieser Tweet ging viral.
Von Forsa gibt es zwar soweit mir bekannt keine direkte öffentliche Stellungnahme dazu. Aber dem ZDF-Hauptstadtkorrespondenten Florian Neuhann gegenüber bestätigte man die Echtheit des Screenshots. Die Frage sei allerdings nur bei einem „Pretest“ verwendet worden, nicht bei der eigentlichen Umfrage. Bei dieser sei ohne die wertenden Attribute „ideologisch“ und „pragmatisch-rational“ nur gefragt worden, ob man eher einen „Linkskurs“ oder einen „Mitte-Kurs“ für erfolgversprechend halte. Meine Anfrage dazu wurde von Forsa bisher nicht beantwortet.
Die Auskunft von Forsa via Neuhann wirkt wie eine Ausflucht, denn sie ist auf vielerlei Weise unbefriedigend und ungeeignet, die entstandenen Zweifel an der Seriosität von Forsa auszuräumen.
Schon die Einführung der Frage mit dem „verordneten“ Linkskurs, dem eine Gegenposition mit gefälliger Begründung gegenübergestellt wird, lenkt die Befragten stark in Richtung „Mitte-Kurs“, auch ohne die wertenden Attribute in der eigentlichen Frage.
Bei der Präsentation der Umfrageergebnisse taucht das angeblich in der Umfrage nicht verwendete, wertende Attribut „pragmatisch“ auf. Die Umfrage wurde im Auftrag von RTL/ntv durchgeführt und die hier interessierende Frage wurde dort als Überschrift und Unterzeile der entsprechenden Balkengrafik so wiedergegeben:
„Neues Vertrauen gewinnt die SPD mit einem ‚Linkskurs‘/pragmatischen ‚Mitte-Kurs‘.“
Das rechtfertigt große Zweifel an der Korrektheit der Auskunft von Forsa via Neuhann.
Der angebliche Pretest fand offenbar zeitlich parallel zur eigentlichen Umfrage statt. Die Umfrage von Forsa fand von 2. bis 4. Dezember statt, die Frage des angeblichen Pretests stammt laut Beyer auf Twitter vom 2. Dezember. Normalerweise macht man einen Pretest vor der eigentlichen Umfrage, nicht parallel. Die kurze Befragungszeit spricht eher gegen die Möglichkeit, dass die Umfrage erst spät am 2. Dezember, nach dem Pretest, gestartet wurde. Aber das sind zugegeben nur Indizien.
Es ist kein legitimer Grund erkennbar, eine derartige Holzhammer-Suggestivfrage zu testen. Es sind aber unseriöse Motive für ein solches Vorgehen vorstellbar.
ZDF-Korrespondent Neuhann bekam auf Nachfrage von Forsa die schriftliche Erläuterung, man habe einen Pretest mit und ohne die wertenden Attribute vor „Linkskurs“ und „Mitte-Kurs“ durchgeführt. Die Ergebnisse hätten sich aber nicht unterschieden. In der Hauptumfrage habe man die Attribute dann weggelassen. Auf die zusätzlich gestellte Teilfrage nach Sinn und Zweck der sonderbaren Pretest-Frage bekam Neuhann keine Antwort. Meine eigene Anfrage zu diesem Aspekt wurde – bisher – auch nicht beantwortet. Einer Antwort am nächsten kommt ein Klammerzusatz von Forsa in der Antwort an Neuhann:
„(Diesen Gegensatz (von ideologisch versus pragmatisch-rational, Anmerkung des Autors) haben ja auch einige führende Grünen-Politiker für ihre Partei in letzter Zeit in der Diskussion geprägt.)“
Es erscheint kaum angezeigt für ein seröses Umfrageinstitut in Fragen zur Positionierung der SPD die Charakterisierung der Alternativen durch eine Konkurrenzpartei zu verwenden. Nach dem, was ich über Pretests in einer kurzen Internetrecherche gefunden habe, unter anderem hier und hier, dienen diese dazu die Verständlichkeit von Fragen, die Vollständigkeit der angebotenen Antwortalternativen und Ähnliches zu testen. Nichts, was ich gefunden habe, passt auf das, was Forsa gemacht hat. Andererseits kann sich ein misstrauischer Zeitgenosse leicht vorstellen, dass ein Institut, das ein Ergebnis im Sinne des Auftraggebers oder des Inhabers bekommen will, per Pretest ausprobiert, wie viel Suggestion in der Fragestellung dafür nötig ist.
Das resultierende Umfrageergebnis für die SPD weicht stark nach unten ab von allen anderen Umfragen, auch zur vorangegangenen von Forsa selbst. In der vorangegangenen Forsa-Umfrage hatte die SPD noch drei Prozentpunkte mehr bekommen als in der hier diskutierten vom 7. Dezember, in der es nur noch 11 Prozent waren. Emnid veröffentlichte am gleichen Tag einen Anstieg für die SPD von 13,5 auf 14 Prozent. Zwei Tage später kam Insa mit einer Umfrage, die einen Anstieg von 15 auf 16 Prozent ergab. Die Unterschiede der aktuellen Forsa-Umfrage mit der vorangegangenen und zu den anderen Instituten sind nur bei der SPD so groß. Die fehlenden Stimmen der SPD kommen bei Forsa den Sonstigen und teilweise den Grünen zugute. (Link zu einer Umfrageübersicht)
Forsa zeigt kaum das absolute Minimum an Transparenz. Wenn jemand sich zu Vorwürfen äußern muss, er habe geschummelt, wird er das in den seltensten Fällen frei heraus zugeben. Erst recht nicht, wenn das die eigene Geschäftsgrundlage gefährden würde.
Man muss mit Ausflüchten oder gar Lügen rechnen. Deshalb lohnt sich eine Fallunterscheidung.
- Er hat geschummelt.
- Er hat nicht geschummelt und kann das aufklären.
Möglichkeit 1 lässt sich noch unterscheiden in 1a) Er hat in der ihm vorgeworfenen Weise geschummelt oder 1b) es liegt anders, aber er kann das nicht aufklären, weil er auf andere Weise Dreck am Stecken hat. Die indirekte, widersprüchliche, wenig transparente und wenig überzeugende Stellungnahme von Forsa ist mit Möglichkeit 2 kaum vereinbar. Bleiben 1a und 1b. Für mich sieht es nach einer Mischung aus beidem aus: Es ist nicht ganz so, wie es auf den ersten Blick aussieht, aber Forsa kann das nicht aufklären, weil es auf eine andere Weise schlimm ist.
Pikant ist auch, was Beyer auf Twitter im Nachgang zu der Angelegenheit zu der aus seiner Sicht nicht sinnvollen kontextlosen Frage nach Mitte vs. Links kommentiert und berichtet:
„Natürlich verorten sich die meisten Menschen in der politischen und gesellschaftlichen Mitte. Wenn man ihnen wirtschafts- und sozialpolitische Fragen stellt, bekommt man allerdings scheinbar ein völlig anderes Bild: 80 % der BürgerInnen sind der Meinung, dass in den letzten Jahren zu viele öff. Leistungen privatisiert wurden, 87 % sind für mehr staatl. Investitionen für Bildung, Klimaschutz & Mobilität, 56 % von ihnen dafür, diese mit Krediten oder höheren Steuern und Abgaben zu finanzieren.
80 % der BürgerInnen sind ‚eher‘ oder ‚voll und ganz‘ dafür, dass die Regierung Betroffene stärker schützen soll, wenn ihnen infolge von Digitalisierung oder Globalisierung ein Verlust des Arbeitsplatzes droht. 87 % glauben, dass die zunehmende Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen den sozialen Zusammenhalt bedrohen. All diese Themen wurden mehr oder weniger deutlich von Esken und Walter-Borjahns angesprochen oder auf dem SPD-Parteitag in konkrete Beschlüsse gegossen, sind also Teil des im Pretest implizit als ‚irrational‘ bezeichneten Linkskurses, den laut Forsa 48 % der BürgerInnen ablehnen. Woher ich die Zahlen habe? Das Forum New Economy hatte dazu erst kürzlich eine Umfrage in Auftrag gegeben. Durchgeführt von: — Trommelwirbel — Forsa.“
Die von Beyer angesprochenen Forsa-Ergebnisse wurden am 30. Oktober veröffentlicht.
Resümee
Durch die Unsitte deutscher Meinungsforschungsinstitute, ihre Ergebnisse zu veröffentlichen, ohne die Fragebögen und die Methodik offenzulegen, und durch die Unsitte der Medien, nicht nachprüfbare Ergebnisse wie Fakten zu veröffentlichen, ist Manipulation Tür und Tor geöffnet.
Wenn die Institute dem nicht von selbst abhelfen, um ihren zunehmend ramponierten Ruf zu reparieren, sollten die Medien ans Ende ihrer einschlägigen Berichte einen Satz setzten wie:
„Wir können nicht beurteilen, wie neutral die Fragen formuliert waren, weil wir auch auf Nachfrage den kompletten Fragebogen nicht zu sehen bekamen.“
Dann würden die Institute sich schnell eines Besseren besinnen.