Mein Kapital

Die Aussage Alice Weidels, Adolf Hitler sei Kommunist gewesen, hält einer näheren historischen Untersuchung nicht stand.

Das öffentliche Bild des Kommunismus ist inzwischen starken Schwankungen unterworfen. Betrachtet man das Hitler-Bild, das die AfD-Kanzlerkandidatin im Gespräch mit Elon Musk entwarf, dann kann man schon ins Staunen kommen. Hatte der „Führer“ etwa Klassenkampf statt Rassenhass gepredigt? Waren KPD und SPD seine Geldgeber, nicht reiche Kapitalisten? Man lernt ja nie aus. Sicher — in „NSDAP“ steckt das Wort „Arbeiter“ drin. Hitler wollte die breiten arbeitenden Volksmassen für sein Projekt gewinnen. Bald schon zeigt er jedoch sein wahres Gesicht, ließ Leute, die laut Weidel seine Gesinnungsgenossen hätten sein müssen, in die Konzentrationslager sperren und hetzte deutsche Arbeiter in furchtbaren Kriegen gegen französische, polnische und russische. Der Autor knüpft an diesen skurrilen Vorfall facettenreiche Betrachtungen zur aktuellen deutschen und österreichischen Politik.

Vor Kurzem hat einer eine rote Fliege in der braunen Suppe gefunden. Scheinbar wäre es manchen lieber, wenn die Brühe nicht braun, sondern vollkommen rot wäre. Sie meinen, es sei ganz offensichtlich, dass die Nationalsozialisten Sozialisten waren, das sagt ja schon der Name. Inzwischen wissen schon alle, dass Geschichte stets von der Kirche, den Mächtigen und den Siegern geschrieben wurde. Was haben die sich dabei gedacht, dass sie uns Adolf Hitler und seine Nationalsozialisten als rechtsnationale Faschisten verkaufen wollten?

Da packen einige gerne das schöne Wort Framing aus der neuen Werkzeugkiste aus und vermuten eine Schönfärberei. Wir sollten hinters Licht geführt werden und die ganze Hitlerei war eine Aktion der Sozialisten unter falscher Flagge, um uns alle zu beschwindeln. Das Wort Sozialismus ist im Nationalsozialismus deutlich zu lesen.

Glauben die Zweifler wirklich, dass die Erfinder der modernen Massenkommunikation so einfältig und infantil gewesen sind, dass ihnen das nicht aufgefallen wäre? Was bisher historisch bekannt ist, dass die ersten Nationalen Bewegungen aus den Arbeiterparteien entstanden sind. Dort waren die meisten Unzufriedenen zu finden. Dort konnte man viele Stimmen sammeln, die in den nach dem Weltkrieg gegründeten Demokratien für die notwendige Mehrheit bei den kommenden Wahlen sorgen konnten.

Wie der Name NSDAP schon zeigt, nannte sich die neue Partei Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei. So gesehen ist es richtig, dass sich der junge Postkartenmaler nicht sofort und direkt an die Industrie gewandt hätte. Neben dem Wunsch, möglichst viele Stimmen über die Masse der Arbeiter zu erreichen, gab es aber auch noch andere Einflüsse auf diese junge Partei. Diese speisten sich aus rassistischen Quellen und scheinbar vor allem aus dem Bereich des Antisemitismus.

Neben der Antisemiten Partei gab es da noch den sogenannten Hammerbund sowie den Verband gegen die Überhebung des Judentums. Diese alle waren Gegenbewegungen gegen die sogenannte jüdische Emanzipation, die nach der Aufklärung eingesetzt hatte. Diese Gruppierungen waren der Meinung, dass die Emanzipation bereits zu große Fortschritte gemacht hatte. Doch verachtet wurden nicht nur die Juden. Ausgegrenzt sollten alle werden, die eine Gefahr für das reine deutsche Volk der Arier, der Herrenrasse darstellten.

Das bedeutet, dass die junge NSDAP von Beginn an vor allem eine stark rassistische Prägung hatte. Von dieser ist auch das Gesellschaftsbild der Nationalsozialisten in Richtung Nationalismus, Rassismus, Autorität und Hierarchie geprägt. Es ist kaum vorstellbar, dass es da auch nur einige wenige Anknüpfungspunkte zu dem egalitären und internationalen Weltbild der damaligen Sozialisten gegeben hätte.

Bis dahin war Rassismus noch nie als sozialistisches Thema aufgefallen. Selbst wenn das alles stimmt, so findet sich dennoch das Wort Sozialismus im Namen der damals noch jungen Partei. Von Ideen zur Wirtschaft findet man in Adolf Hitlers Oeuvre nur sehr wenig.

Da spricht eher ein Mensch, der genau weiß, wie alles geht und was er erreichen möchte. Was er mag und was er ablehnt. Da geht es einmal um den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich und das Projekt Lebensraum im Osten, was auch immer das sein sollte. Dann geht es um den Antisemitismus und in diesem Zusammenhang auch um die jüdische Weltverschwörung. Mit dieser verbunden sah er den Marxismus vom Juden Karl Marx und ebenfalls den Sozialismus. Auch den Bolschewismus sah er als einen Teil dieser jüdischen Verschwörung an.

Es ist also schwer zu glauben, dass dieser Mensch ganz insgeheim im stillen Kämmerlein ein Sozialist gewesen sein sollte. Zudem erscheint es schwer vorstellbar, dass die NSDAP ihren Führer mit einem geheimen Sozialismus hintergangen und betrogen hätte. Als Höhepunkt seines Hasses unterstellt er den Juden noch, die Prostitution zu fördern mit der Absicht, die Syphilis im deutschen Volk zu verbreiten. Das klingt schon mehr nach einem Scherz, vielleicht auch einem Symptom. Dem nationalen Sozialismus will Adolf Hitler mit dem Slogan „Rassenkampf statt Klassenkampf“ entgegentreten.

Ganz egal ob es nun ein kluges Buch sein mag oder nicht. Ein Werk zur deutschen oder internationalen Nationalökonomie ist es auf jeden Fall nicht. Vergleicht man es mit dem Werk von Karl Marx, so sieht das dort ganz anders aus. Dem ging es sehr wohl um die Befreiung der Arbeiter und des Proletariats von der Ausbeutung durch die Besitzer der Produktionsmittel, also der Kapitalisten.

Vor allem stellte Marx im Kapital eine völlig neue Wirtschaft- und Gesellschaftsordnung vor. Zum Thema Kapitalismus und Industrie findet sich ein interessanter Hinweis in dem kleinen Büchlein von Éric Vuillard „Die Tagesordnung“.

Gute Freunde in der Großindustrie

Auf Einladung des Reichstagspräsidenten Hermann Göring finden sich am 20. Februar 1933 24 prominente Vertreter der Industrie zu einem Treffen mit Adolf Hitler ein. Neben den Größen der Firmen Krupp, Opel, BASF, Bayer, Siemens und Allianz fehlt kaum ein Unternehmen, das damals und manche bis heute in der Deutschen Wirtschaft Rang und Namen hat. Das Thema der Zusammenkunft ist die finanzielle Unterstützung der nationalsozialistischen Politik. Glaubt irgendjemand wirklich, dass sich diese Herren mit einem dahergelaufenen Sozialisten zusammengesetzt hätten?

Mit dem Ergebnis der Gespräche konnte die NSDAP sehr zufrieden sein. Man bedankte sich bei den großzügigen Spendern im weiteren Geschichtsverlauf mit der Zuteilung von Zwangsarbeitern, die diesen dann selbstverständlich kostenlos zur Verfügung standen. Das klingt auch nicht so richtig nach gelebtem Sozialismus. Ich glaube sogar eher, dass sich Sozialisten bei diesem Gedanken der Zwangsarbeit im Grab umdrehen würden. Doch Adolf Hitler hatte nicht nur bei der deutschen Industrie sehr gute Freunde. Henry Ford der Doyen der modernen Auto- und Erfinder der Fließbandproduktion war ebenfalls ein großer Verehrer von ihm.

Neben diesem allgemein bekannten Industriellen gab es noch weitere amerikanische Unternehmer, die den deutschen Führer nicht nur sehr schätzten, sondern auch gerne bereit waren, ihn finanziell zu unterstützen.

Wenn man weiß, dass die Amerikaner als Nation eine fast heilige und auch panische Angst vor dem Kommunismus und auch dem Sozialismus hatten und bis heute haben, dann ist dieses Verhalten von prominenten Wirtschaftsführern doch sehr eigenartig, wenn die Vermutung stimmen sollte, dass die Nationalsozialisten verkappte Sozialisten waren.

Die Amerikaner fürchten den Sozialismus vor allem deshalb, weil sie Angst haben, dass dieser ihr Wirtschaftssystem und damit ihren Privatbesitz auflösen würde. Henry Ford hätte wahrscheinlich händeringend die Flucht ergriffen. Es ist wenig bekannt, dass die Amerikaner Adolf Hitler während des Zweiten Weltkriegs mit Erdöl belieferten. Ohne diesen wesentlichen Rohstoff hätte der Führer den Krieg gar nicht so lange und in diesem Ausmaß bestreiten können. Die Lieferungen wurden erst Anfang Juni 1944 eingestellt. Immerhin landeten die alliierten Truppen am 6. Juni des gleichen Jahres in der Normandie und eröffneten dort die Westfront. Da war es sehr günstig, dass den Deutschen langsam der Sprit ausging. Diese doppelseitige Haltung der Amerikaner forderte manche späteren Historiker zu der boshaften Bemerkung heraus: Nur die deutschen Faschisten hätten verloren. Der Faschismus war nicht besiegt.

Nach dem Krieg fanden die Nürnberger Prozesse statt, in denen einige kleinere Figuren als Bauernopfer verurteilt wurden. Alle wichtigen Angeklagten wurden zwar direkt im Prozess schuldig gesprochen, aber schon bald nach diesem Spruch wieder begnadigt oder durften mit Hafterleichterungen oder Erlassungen rechnen. Viele wurden gar nicht angeklagt. Immerhin waren die Alliierten und an ihrer Spitze die Amerikaner an einigen spezifischen Wissenschaftlern hoch interessiert. Waren diese einmal nach Amerika übersiedelt, fragte keiner mehr nach ihrer Vergangenheit.

Ehemalige Nazis in Führungspositionen

In Deutschland wurde Konrad Adenauer von der CIA als Bundeskanzler eingesetzt. Er wählte Hans Globke als Chef und engsten Vertrauten seines Kanzleramtes, der in der Zeit des Nationalsozialismus im Reichsinnenministerium tätig war. Dies führte anfänglich zu einigem Widerstand und auch einer Aufforderung an Adenauer, diesen Mann zu entlassen, da er schließlich ein prominenter Nazi war. Das beantwortete der erste CDU-Kanzler nach dem Zweiten Weltkrieg damit, dass er im Fall einer solchen Kündigung auch seine Position als Kanzler zur Verfügung stellen würde. Globke war auch für die Personalpolitik des Kanzleramtes und der Parteiführung der CDU zuständig. Es erscheint kaum glaubwürdig noch wahrscheinlich, dass ein CDU-Politiker sich einen Sozialisten in eine derart prominente Position in Deutschland und seiner Partei holte.

Betrachtet man die Parteien, die sich nach dem Weltkrieg in Deutschland und Österreich gründeten, dann waren vor allem bei den konservativen Gruppierungen ehemalige Nationalsozialisten zu finden. Immerhin wurden Sozialisten und Kommunisten im 1000-jährigen Reich als Staatsfeinde angesehen, gefangen genommen und einige von ihnen ins KZ gebracht. Aus allen diesen und vielen anderen Gründen erscheint es höchst unwahrscheinlich, dass die Nationalsozilisten keine Rechten beziehungsweise Konservativen, sondern in Wahrheit Sozialisten waren.

Ich verstehe nicht, was sich Menschen davon versprechen, die mit solchen Erkenntnissen versuchen, Aufmerksamkeit zu erregen. Wollen sie damit rechte Parteien ein für alle Mal aus der rechten Ecke herausholen? Oder versuchen sie damit eine Schuldumkehr für historische Ereignisse?

Was wird an unserer Vergangenheit besser oder an den Fakten, die durch die NSDAP und Hitler geschaffen wurden, wenn diese Leute keine rechtskonservativen Faschisten waren, sondern vielleicht Sozialisten oder Kommunisten?

Was ändert sich, wenn sie nur Rassisten aber keine Konservativen waren? Konservative waren sie sicher, wenn man sich den Germanenkult ansieht, den diese Partei mit ihren Symbolen und Ritualen überall zelebriert hat. Dabei erscheint mir die Vorstellung von konservativen Sozialisten ein Thema fürs Kabarett zu sein. Vielleicht ist es aus aktuellem Anlass gerade modern.

Von Volksvertretern betrogen

Deutsche befinden uns heute in sehr bewegten, teils überraschenden Zeiten. Überall werden Faschisten ausgemacht. Wie so manche Demonstrationen und Aktionen zeigen, verhalten sich die Antifaschisten von heute oft ebenso faschistisch, wie man das früher nur von den historischen Faschisten gekannt hat. In den letzten Jahren fühlen sich viele Wähler von linken Ideologien und Parteien betrogen, da die regierenden Personen offensichtlich ihre Rollen als Vertreter des Volkes nicht wahrnehmen wollen. Sie folgen einer für die Wähler völlig unverständlichen Agenda. Auf jeden Fall einer, die nicht zu einem erlebbaren Wachstum des Wohlstandes beiträgt. Die Regierenden der letzten Jahre haben für ihre Völker mehr Verschlechterung als Besserung herbeigeführt. Daher entscheiden sich die Menschen für andere Parteien, die ihre Interessen in Zukunft eindeutiger vertreten sollen.

Das hoffen die Wähler zumindest. Kaum ist so eine Wahl geschlagen, melden sich dann die Verlierer und deuten mit dem Finger auf die sogenannten Rechtsextremen oder auch Faschisten. Dabei genügen heute viele bisher unverdächtige Dinge, um als Faschist bezeichnet zu werden. Impfgegner gehören dazu, Corona-, Klimaleugner oder irgendwelche Schwurbler, die schon wieder anderer Meinung sind oder für die falsche Partei eintreten. Ich weiß gar nicht, was Corona- oder Klimaleugner sind. Vielleicht ist bald jemand, der vor Entsetzen die Luft anhält, ein Atmungsleugner. Dabei gab es doch eine Bewegung, die uns über das Thema Vielfalt und Diversität hätte verkauft werden sollen. Aber das habe ich sicher falsch verstanden. Vielfalt bei den Geschlechtern ist gut, bei den Meinungen ist es ein eindeutiges Zeichen von Faschismus.

Kraft der Mitte

Was ich besonders heiter finde, ist die Entwicklung bei uns in Österreich. Da gab es vor einigen Jahren einen jungen Messias, der unser konservatives Schwergewicht, die ÖVP, retten sollte. Das gelang ihm auch mit einer Politik, die weit rechts von der FPÖ angesiedelt war. Die war im Übrigen damals schon als rechtsextrem bekannt. Schließlich war es sein Ziel, dieser die Wähler wegzunehmen. So gesehen war er und seine ÖVP zu dieser Zeit XXX-Rechtsextrem. Heute ist die gleiche Partei zwar stolz auf die Erfolge des kleinen Messias, den sie aber nicht mehr als Kanzler hat. Jetzt möchte sie auf einmal eine Kraft der Mitte sein. Wie bei einer wunderbaren Rochade im Schach ziehen sie vom rechtsextremen, äußerst rechten Rand in die Mitte. Sie tun so, als ob sie sich gar nicht erinnern könnten.

Inzwischen haben sie einiges vermurkst und auch nicht wirklich etwas zusammengebracht. Sie sind eben Mitte, Durchschnitt also so lala und jetzt ist die FPÖ wieder eine gefährliche rechtsextreme Partei. Unvorstellbar, dass eine derartige politische Kraft einer Regierung vorsteht. Das durfte damals nur der Messias und sonst keiner. Die FPÖ hat jetzt auch wieder Stimmen gewonnen, weil die Wähler zu ihr zurückgekehrt sind. Jetzt kann man aber keine Koalition mit ihr bilden, weil sie rechtsextrem ist. Josef Taus, ein ehemaliger ÖVP-Obmann, hat zum Thema Wahlen einmal ein gutes Statement abgegeben. Als ihm ein Journalist vorhalten wollte, dass er gegen Bruno Kreisky nicht gewonnen habe, meinte er. „Junger Mann: Wahlen werden nie gewonnen. Wahlen werden immer verloren. Kaum einer wählt eine Partei, weil sie so großartig ist oder so lieb oder schön. Die meisten Menschen wählen eine Oppositionspartei, weil sie von den Regierungsparteien enttäuscht sind.“

So viel zum Thema, das heute so beliebt ist, dass alle Wähler der AfD oder der FPÖ Faschisten sein sollen. Umberto Ecco hat das in seinem Büchlein über den Faschismus sehr schön zum Ausdruck gebracht: „Wir leben in einer Zeit, in der jeder glaubt, dass wenn er als erster Faschist ruft, er gewonnen hätte.“

Simone Weil hat vor rund 80 Jahren ein wunderbares kleines Büchlein zu diesem Thema geschrieben. Sie nennt es: „Anmerkung zur generellen Abschaffung der politischen Parteien“. Dieses Werk erschien kurz nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Zeit, als die neu gegründeten Parteien und ihre Vertreter durchaus noch als ehrenhafte Männer, damals noch nicht Frauen, angesehen wurden. Simone Weil stellte fest, dass eine repräsentative Demokratie mit einer Vertretung durch politische Parteien gar nicht möglich ist. Denn jede Partei muss schließlich in erster Linie sich selbst vertreten und da ist dann für eine Vertretung der Bürger gar kein Platz mehr. Bei Abstimmungen muss Clubzwang herrschen.

Abweichler, die sich öffentlich gegen die Grundhaltung der Partei äußern, müssen ausgeschlossen werden. In der Partei muss eine autoritäre Hierarchie herrschen, was natürlich für eine demokratische Partei ideologisch schwierig sein sollte. Doch in allen so gehandhabt wird. Diese klare und einfache Erkenntnis macht es verständlich, warum Koalitionsverhandlungen und die Umsetzung von Koalitionen so schwierig sind. Es stellt sich schließlich immer an erster Stelle die Frage, was gut für die Partei ist.

Der deutsche Wirtschaftsminister hat von Beginn an immer wieder betont, dass er mit Deutschland gar nichts anzufangen weiß. Jetzt am Ende seiner Regierungstätigkeit stellt sich auch heraus, dass er damit vollkommen recht hatte.

Auch Annalena Baerbock meinte, dass ihr die Stimmen ihrer Wähler völlig egal seien. Es geht also nicht um die Wähler und auch nicht um das Volk, es geht ausschließlich um das Wohlergehen der Parteien. Das trifft nun zum Schaden der Wähler leider auf alle Parteien zu. Eben auch auf die, die jetzt verstärkt gewählt werden in der Hoffnung, dass sie etwas anderes machen werden. Doch auch bei ihnen hat die eigene Partei die oberste Priorität.

Keine Filter der Volksmeinung

Wenn wir etwas verändern wollen, dann müssen wir uns alle mehr um die Politik kümmern und allen undemokratischen Verhaltensweisen und auch Gesetzen entschlossen entgegentreten. Dabei haben wir auch hier das Paradoxon, dass heute der jeweils andere der Feind der Demokratie ist. Die Wähler, weil sie die Falschen wählen, und die Parteien, weil sie die Wahlen nicht ernst nehmen wollen und sich an der Macht festhalten. Einige von uns müssen bereit sein, sich dem politischen Prozess zu widmen. Ja und dann sollte es eben keine Parteien mehr geben, die den Filter für die Volksmeinung darstellen. Das Parlament sollte ausschließlich mit vom Volk gewählten parteifreien Abgeordneten besetzt werden. Diese können dann Regierungsvertreter vorschlagen, die wiederum vom Volk gewählt werden sollten.

Das Volk sollte nicht mehr bei jeder Wahl vor die Aufgabe gestellt werden, das geringste Übel zu wählen, das sich nach der Wahl als das größte Problem darstellt.

Der Vorteil in dieser Vielfalt an Personen und Meinungen liegt darin, dass so viele unterschiedliche Menschen viel schwerer zu korrumpieren sind. In Österreich müsste sich jeder Lobbyist mit 183 Nationalratsabgeordneten auseinandersetzen. In Deutschland mit 733 einzelnen Bundestagsabgeordneten. Das ist heute mit totalitären demokratischen Parteien wesentlich einfacher. Da genügt es, die Spitzen der drei oder fünf wichtigsten Parteien zu erreichen. Und schon folgen deren Mitglieder auf Befehl von oben. Wir können nur in eine echte demokratische Ordnung eintreten, wenn wir eine vollkommene und gelebte Demokratie einfordern. Da wird es dann auch egal, ob ein Vorschlag von der einen oder anderen Partei kommt. Jeder Vorschlag kommt von einem vom Volk gewählten Abgeordneten und sollte daher mit dem gebührenden Ernst und Respekt behandelt werden.

Vielleicht meint jetzt so mancher, das würde alles viel zu lange dauern. In der Blütezeit Venedigs und seiner venezianischen Demokratie dauerten die Legislaturperioden nur zwei Jahre. Die agierenden Mandatare mussten sich auch um keine Wahlkämpfe kümmern, denn sie waren für die folgende Legislaturperiode gesperrt. Für die übernächste Amtszeit zu kandidieren, lohnte sich nur für Bürger, die in ihrer letzten Amtsperiode Erfolge vorweisen konnten. Es gibt viele Modelle von Demokratien, über die wir wenig erfahren, da unser bestehendes Demokratiespiel den Vergleich vermeiden muss.

Nach den beiden Weltkriegen gab es bei uns in Österreich zwei Lager. Die ÖVP warnte vor der „Roten Gefahr“ durch die Sozialisten und die SPÖ warnte vor „Der Schwarzen Zukunft“ mit der ÖVP. Beide Lager waren so indoktriniert, dass es nicht möglich war, über die Parteigrenzen hinweg zu diskutieren. Viele waren direkte Parteimitglieder. Doch auch als Nicht-Mitglied konnte man durch eine unvorsichtige Äußerung sehr rasch dem einen oder anderen Lager zugeteilt werden und damit war das Gespräch dann beendet. Wir sollten uns etwas weiterentwickelt haben und dieses Lagerdenken langsam ablegen.

Wie wir es gerade erleben, geht es um unser aller Wohlergehen, dass gerade auf dem politischen Spieltisch verzockt wird. Daher geht es nicht mehr darum, wer welche Farbe vertritt oder sich damit bemalt. Wir sollten uns für die entscheiden, die die besseren Vorschläge für unsere Zukunft haben. Eine gute Idee für das Volk wird nicht besser oder schlechter, ob sie von rot, grün, schwarz, blau, gelb oder lila kommt. Es geht um die Taten und die Handlungen, und nicht um die Farben. Insofern müssen wir auch keine historische Partei nach 80 Jahren umfärben. Dadurch wird heute nichts besser.

Legen wir den politischen Malkasten zur Seite und versuchen wir, eine gute Lösung für unsere Zukunft und die unserer Kinder und Enkel zu finden. Dazu brauchen wir Menschen, denen das ein Anliegen ist. Menschen, die unsere aktuelle Realität wahrnehmen können. Vor allem aber Menschen, die in der Lage sind, gemeinsam mit Spezialisten die richtigen Entscheidungen zu treffen. In unserer neuen Demokratie sollte der Wille des Volkes über allem stehen, was von den Vertretern des Volkes anzustreben ist.