Mediale Glaubenskrieger
Die Systemmedien bilden einen argumentativen Schutzwall um die herrschende Ordnung und Politik. Exklusivabdruck aus „Sabotierte Wirklichkeit“. Teil 1/3.
Die „Vierte Gewalt“ im Staat hat sich den drei anderen widerstandslos ergeben. Statt „Checks and Balances“ üben sich die Medien im Wegschauen, um ein bestehendes Ungleichgewicht zu zementieren. Dem Konsumenten wird immer nur ein vorselektierter Pool „erlaubter“ Meinungen präsentiert. Scharmützel zwischen verschiedenen Varianten ein- und derselben Grundüberzeugung hypnotisieren die Betrachter und hindern sie daran, grundsätzliche Fragen zu stellen. Journalismus ist heutzutage großenteils eine Kunst des Siebens. Weglassen, Verschleiern und Schönreden sind die Kardinaltugenden journalisischen Hofschranzentums. Grundsätzliche Medienkritik stößt indes bei den Kritisierten auf eine Mauer beleidigter Abwehr. Das Ganze hat mehr mit einer eingeschworenen Glaubensgemeinschaft zu tun als mit der aufrichtigen Suche nach Wahrheit. Marcus Klöckner bietet in seinem Buch eine glänzende Analyse der „herrschenden“ Verhältnisse in den Medien.
Die Wachhunde der Demokratie sind zu den Lordsiegelbewahrern unserer Zeit mutiert. Ein Journalismus ist entstanden, der sich wie ein Schutzmantel um die politischen Weichensteller legt. Medien haben den von ihnen erzeugten legitimen öffentlichen Diskursraum so weit verkleinert, dass Stimmen, die sich darin im Sinne einer kritischen Öffentlichkeit zu Wort melden wollen, faktisch nahezu ausgeschaltet sind. Die mentale Korruptheit, die das journalistische Feld durchzieht, stellt eine Gefahr für die Demokratie dar. Eine Berichterstattung erfolgt, die vorgibt zu sagen, was ist, aber dabei unaufhörlich sagt, was sein soll.
Ein Journalismus ist entstanden, der die gesellschaftliche und politische Wirklichkeit je nach Notwendigkeit ignoriert, frisiert, verdreht und mitunter gar einfach selbst erfindet. Medien missbrauchen ihre publizistische Macht, um die von ihnen erzeugte „richtige“ Sicht auf die Wirklichkeit vor Irritationen von außen zu schützen. Medien sorgen dafür, dass politische und soziale Realität nicht Teil eines offenen diskursiven Prozesses sind. Stattdessen definieren sie und eine überschaubare Anzahl von ihnen zugewandten Experten Wirklichkeit — die sie dann gemeinsam mit den Entscheidern der Politik als unverhandelbar deklarieren.
Für die Kraft von Argumenten, für ausgangsoffene Diskussionen, bietet dieser Journalismus keinen Platz. Die wertvollen Prinzipien der journalistischen Auswahl und Gewichtung von Informationen werden nach Belieben außer Kraft gesetzt und den dominierenden Weltbildern angepasst. Ein Weltbildjournalismus bestimmt in weiten Teilen der Mainstreammedien die Berichterstattung.
Zwischen Journalisten und Politikern herrscht weitestgehend ein Nichtangriffspakt — Konflikte, die über ein Scharmützel hinausgehen, finden sich allenfalls auf Nebenschauplätzen.
Medien loben wahlweise Merkels „Augenringe des Vertrauens“ (1) oder stimmen — gemeinsam mit einem Teil der Politiker — in den Chor des „Uns-geht-es-doch-gut-Liedes“ ein.
Viele Medien haben sich jeder Fundamentalkritik an ihnen verschlossen. Insbesondere so manche Leitmedien haben eine Demarkationslinie gezogen (2), um sich von einem Teil ihrer Rezipienten, die Kritik an dem gebotenen Journalismus üben, abzugrenzen (3). Die Kritik von außen, also von denjenigen, die Realität anders wahrnehmen und die gesellschaftlichen und politischen Ereignisse anders deuten als die Medien, wird als ein Angriff, als eine Bedrohung aufgefasst.
Wenn die Meinungsführer im Journalismus mit den Missständen konfrontiert werden, bedienen sie sich gerne ehrenwerter Größen, die als Legitimationsstrategien zur Durchsetzung ihres Journalismus zu identifizieren sind und zugleich implizit sehr viel von ihrem immer wieder beanspruchten Deutungsmonopol erkennen lassen. Medien führen die „Wahrheit“ ins Feld, der sie unaufhörlich vorgeben zu dienen, und verknüpfen diesen edlen Anspruch mit einer scheinbaren Fürsorge gegenüber den Mediennutzern, die man bekanntlich vor „Fake News“ beschützen und aus der „Filterblase“ befreien muss. So versuchen sie unter anderem, die Besitzansprüche auf das Weltdeutungsmonopol zu legitimieren und zu untermauern.
Ein Rezipient, der das nicht akzeptiert, wird von den Medien nicht respektiert. Der Mediennutzer wurde über lange Zeit als Statist wahrgenommen, der sich gefälligst mit der Rolle, die das Mediensystem ihm zuschreibt, abzufinden hat. Er darf die Medien reichlich nutzen, er darf ihren Journalismus gerne loben, er darf sicherlich auch Kritik üben, etwa in Form eines Leserbriefs, aber er hat gefälligst zu akzeptieren, dass er nicht das letzte Wort hat.
Über viele Jahre haben Medien geradezu mit Nachdruck jede Grundsatzkritik an der Berichterstattung ignoriert. Jede grundsätzliche Bemängelung an den Auslese- und Bewertungskriterien der Redaktionen werden sogar als schwerer und völlig ungerechtfertigter Angriff betrachtet.
Wenn das Publikum Medienvertreter auf die schweren Bruchstellen und Schieflagen in der Berichterstattung hinweist, dann sind „Fehler“ — und das nur unter Zähneknirschen — das Maximale, was Medien eingestehen. Fehler, so lautet der Tenor, unterliefen bedauerlicherweise nun einmal auch den Qualitätsmedien. Allerdings sei man sehr bemüht darum, Fehler grundsätzlich zu vermeiden.
Die Reaktionen von bekannten Medienvertretern auf die Medienkritik sind bemerkenswert. Elmar Theveßen, der Nachrichtenchef des ZDF, deutet sie vor einiger Zeit als das Ergebnis einer Emotionalisierung der Mediennutzer durch die Ukraine-Krise um.
„Es gibt eine Reihe von Leuten, die durch die Krise so emotionalisiert sind, dass sie uns Fehler in einer extrem harten und beleidigenden Form vorwerfen, vor allem aber ein System dahinter unterstellen. Das ist natürlich völliger Blödsinn.“
Der damalige ARD-Chefredakteur Thomas Baumann weist eine Kritik des Programmbeirats zurück, und das gleich auch noch „energisch“ (5). Auch der Intendant der ARD Tom Buhrow weist ebenfalls zurück und bringt gleich noch eine emotional stark aufgeladene Ebene mit in die Diskussion, nämlich die der Ehre:
„Unsere Kolleginnen und Kollegen leisten exzellente Arbeit (…) Das geht an die journalistische Ehre“ (6).
Einem Mantra gleich wiederholen Vertreter von Leitmedien, dass sich der Leser, der Zuschauer mit seiner Kritik an ihnen irrt, dass die eigenen Analysen die richtigen sind, dass der Leser, wenn er um ein breites Meinungsspektrum geradezu bettelt, sich täuscht und nicht erkennt, dass es doch eine „Vielfalt“ an Meinungen in dem jeweiligen Medium gibt. Ein Verhalten wird sichtbar, das längst jeden Betrieb, jedes Geschäft, das im Servicebereich angesiedelt ist, in den Ruin getrieben hätte.
Man stelle sich folgende Situation vor: Chefredakteur X geht mit Redaktionsleiter Y in ein Restaurant. Die beiden bestellen sich Steak, Bratkartoffeln und einen Salat. Schnell stellen beide fest: Das Steak ist zäh und trocken, die Bratkartoffeln sind viel zu fettig und der Salat ist voller Essig. Was wäre, wenn auf die Beschwerde beim Kellner der Kellner den Chefkoch, der Chefkoch den Restaurantbesitzer und der Restaurantbesitzer den Rest der Mannschaft zusammenrufen würden und dann alle, quasi im Chor, erklärten: Das Steak ist nicht zäh, die Bratkartoffeln sind die besten, die man sich als Gast wünschen kann, und das, was als zu viel Essig wahrgenommen wird, ist in Wirklichkeit ein preisgekröntes Salatdressing, das im Übrigen allen anderen Gästen im Restaurant schmeckt.
Der Chefkoch empfiehlt zudem den sich beschwerenden Gästen, noch einmal in sich zu gehen und nachzudenken, ob die eigene Beurteilung des Gerichtes nicht doch völlig falsch sein könnte, und gibt den Ratschlag, sich demnächst einmal ein Buch über gute Küche zu besorgen, so dass man ein Verständnis für die vorzügliche Speise, die hier serviert wurde, bekommt. In solch einem Falle würden Chefredakteur X und Redaktionsleiter Y aufstehen und mit ziemlicher Sicherheit nie mehr in dieses Restaurant gehen — und zwar zu Recht.
Dieses Beispiel ist nicht weit von der Realität entfernt. Wir haben es mit einer Berichterstattung zu tun, die von einem schier unerschütterlichen Glauben getragen ist, die einzig wahre Einschätzung der Weltereignisse zu liefern. Journalismus, so gilt es festzustellen, scheint, zumindest in den Zentren der diskursbestimmenden Medien, zu einer Glaubenslehre geworden zu sein.
Im Zentrum dieses Glaubens steht aber nicht ein Gott, sondern eine alles überragende Intelligenz, über die die Anhänger dieses Glaubenssystems selbst verfügen — zumindest ist das ihre Überzeugung. Die Apologeten gehen davon aus, dass sie selbst dank einer gegenüber dem „normalen Bürger“ überlegenen Fähigkeit, soziale und politische Realität zu erfassen, einzuordnen, zu analysieren und zu erklären, im Besitz der reinen Wahrheit sind.
Doch warum unterscheiden sich die Weltanschauungen innerhalb des journalistischen Feldes so oft von den Weltanschauungen vieler Bürger? Wie kommt es, dass die großen Medien oft in nahezu geschlossener Formation bestimmte gesellschaftliche und politische Sachverhalte einheitlich wahrnehmen, während Teile der Mediennutzer eine andere Realität erkennen? Warum reagieren gerade leitende Akteure aus dem journalistischen Feld so emotional auf die Kritik an ihrer Arbeit? Warum gelingt es den kritisierten Medien nicht, die Kritik an ihrer Arbeit anzunehmen und sie konstruktiv in ihrem, aber auch im Sinne der Mediennutzer und vor allem: der Demokratie, zu verarbeiten?
Mit diesen Fragen und Ausführungen ist der Rahmen für dieses Buch gesetzt. Wir werden im Folgenden die Medien genauer betrachten, um einige zentrale Schwachstellen, die im journalistischen Feld auszumachen sind, kenntlich zu machen.
Zuerst wird es darum gehen zu erkennen, dass Zensur in unserem Mediensystem nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist. Wir werden eine spezielle Form der Zensur kennenlernen, die sich zwar in manchem von einer staatlichen, einer von oben verordneten politischen Zensur unterscheidet, aber ihr in ihrer Auswirkung kaum nachsteht. Es handelt sich dabei um eine Zensur, die tief in unser Mediensystem eingeschrieben ist. In den Medien ist das zu erkennen, was wir als eine sozialstrukturell ausgeformte Zensur sprachlich erfassen wollen. Um ihr beizukommen, gilt es zu verstehen, welche sozialen Kräfte innerhalb des journalistischen Feldes wirken und warum sie wirken, wie sie wirken.
In einem weiteren Kapitel werden wir uns mit der Medienwirklichkeit auseinandersetzen und anhand von zahlreichen Beispielen veranschaulichen, dass Schieflagen in der Berichterstattung nicht einfach nur durch Fehler bei der journalistischen Arbeit entstehen — die menschlich sind und jedem passieren können und dürfen —, sondern auf Wirklichkeitsentgleisungen mit Ansage zurückzuführen sind. Wir werden sehen, wie schwer und folgenreich die Wirklichkeitsbrüche in der Berichterstattung sind, und verstehen, dass wir gut daran tun, uns eine alte Erkenntnis des deutschen Soziologen Niklas Luhmann in Erinnerung zu rufen. In seiner berühmt gewordenen Auseinandersetzung zur Realität der Massenmedien sagt Luhmann gleich zum Anfang: „Andererseits wissen wir so viel über die Massenmedien, daß wir diesen Quellen nicht trauen können“ (7).
Recht hat er. In weiteren Kapiteln fokussieren wir auf die Beziehungen zwischen Journalisten und Politikern und betrachten, was es bedeutet, wenn Journalisten über die Macht verfügen, Rederecht abzusprechen oder anzuerkennen.
In diesem Buch wird es in erster Linie darum gehen, die Oberfläche der Medienkritik zu durchdringen, um die mehr oder weniger verschleierten sozialen Wirkprinzipien offenzulegen, die für eine Berichterstattung mitverantwortlich sind, die dazu führen, dass viele Mediennutzer glauben, die Medien müssten von irgendeiner verborgenen Macht gesteuert werden.
Andere Faktoren, die natürlich auch eine Rolle spielen, wie etwa die Besitzverhältnisse in den Medien, die Pressekonzentration, teilweise hochproblematische Arbeitsbedingungen — armselig geringe Honorare für nicht wenige freie Journalisten, enormer Zeitdruck, fehlende Möglichkeiten für investigative Recherchen und vieles mehr —, Einwirkungen durch Interessengruppen lassen wir weitestgehend außen vor. Das soll aber nicht heißen, dass wir die Auswirkungen, die sich aus den Gesamtproduktionsbedingungen oder aus den real vorhandenen Herrschaftseinflüssen auf die Medien ergeben, kleinreden.
Eine wirklich umfassende Medienanalyse müsste diese Aspekte mit jenen sozialen Faktoren, die Gegenstand dieses Buches sind, zusammenfassend betrachten, sodass die Wechselwirkungen sichtbar werden — was den Rahmen, der hier zur Verfügung steht, aber völlig sprengen würde. Um an dieser Stelle wenigstens ein Beispiel anzuführen, das uns eine Ahnung von den äußeren Einwirkungen und Einflussversuchen auf die Medien vor Augen führt, sei hier ein Auszug aus einem Artikel der Süddeutschen Zeitung angeführt. Dort war vor einiger Zeit Folgendes zu lesen:
„Ein paar Monate zuvor, am 8. Oktober 2008, hatte es ein sonderbares Treffen gegeben, das in diesem Zusammenhang Erwähnung finden soll. Die Bundeskanzlerin hatte an jenem Tag die bedeutenden Chefredakteure der bedeutenden Medien eingeladen. Es war die Zeit, in die der Ausbruch der großen Finanzkrise fiel. Man findet keinen ausführlichen Bericht über dieses Treffen, der veröffentlicht worden wäre, und überhaupt nur wenige Erwähnungen in den Archiven, nur hin und wieder einen Nebensatz, eine knappe Bemerkung. An einer Stelle liest man in dürren Worten, worum es an diesem Abend im Kanzleramt ging: Merkel bat die Journalisten, zurückhaltend über die Krise zu berichten und keine Panik zu schüren“ (8).
Aus Zusammenkünften wie diesen sollte man nicht den Schluss ziehen, dass Medien zwangsläufig dann auch den Bitten von Politikern nachkommen, aber es wäre auch ziemlich naiv anzunehmen, dass alle Beeinflussungsversuche von Seiten der Herrschenden grundsätzlich ohne Erfolg bleiben.
An dieser Stelle kommt auch der Grund zum Vorschein, warum wir in diesem Buch weniger den Fokus auf die direkten Herrschaftseinflüsse und ihre Auswirkungen richten und stattdessen die soziologische Dimension in den Vordergrund stellen. Was in diskreten Zusammenkünften wie der angeführten sich abspielt oder auch nicht, lässt sich kaum präzise und fundiert sagen.
War man nicht selbst als teilnehmender Beobachter dabei oder kann auf Aufzeichnungen und verlässliche Aussagen zugreifen, kommt man zwangsläufig in den spekulativen Bereich. Manche hochkarätige Treffen der Eliten und Machteliten mögen harmlos sein — obwohl es mir einigermaßen schwerfällt zu glauben, dass machtelitäre Treffen überhaupt „harmlos“ sein können —, andere nicht.
Bei einer Auseinandersetzung mit den Herrschaftseinflüssen auf die Medien bleibt dem kritischen Betrachter zwangsläufig oft kaum etwas anderes übrig, als zu vermuten.
Eine Medienkritik, die sich auf die inneren Einflüsse und Zusammenhänge konzentriert, hat es, zumindest vergleichsweise, einfacher.
Das vorliegende Buch wird die Medien genauer betrachten und ihr Sein und einige ihre Funktionsweisen vor allem aus einem kritisch soziologischen Blickwinkel betrachten. Das mag auf den ein oder anderen Leser vielleicht abschreckend wirken, denn: Ja, es wird etwas komplex. Wir können nicht mit dem thesenhaften Stakkato auf den ersten Seiten dieser Einleitung weitermachen. Aber: Da sich das Buch in erster Linie an eine Leserschaft richtet, die nicht aus der Wissenschaft kommt, die aber dennoch Interesse an einer fundierten Medienkritik hat, werden wir wissenschaftliche Theorien, Gedanken und Erkenntnisse, auf die wir zugreifen, so weit herunterbrechen, dass sie auch dem Laien zugänglich werden.
An den Stellen, wo es im Rahmen dieser Auseinandersetzung mit den Medien notwendig erscheint, die Analysekraft einer kritischen Soziologie zu nutzen, um tieferliegende Zusammenhänge sichtbar oder sichtbarer zu machen, werden wir also die Tür zu dem ein oder anderen soziologischen Gedankengebäude aufstoßen, um uns in ihm zu bewegen. Aber, liebe Leserinnen und liebe Leser: Keine Sorge, alles, was Sie benötigen, um in diesen Gebäuden unterwegs zu sein, werden Sie in Griffweite finden. Wichtig ist nur die Bereitschaft, sich ein klein wenig auf Ihnen vielleicht unbekannte Begriffe und Analysen einzulassen.
Das Vorgehen in diesem Buch hat Vor-, aber auch Nachteile. Die Nachteile sind offensichtlich. Wenn wir sozialwissenschaftliche Theorien nur holzschnittartig hervorheben, um damit vielschichtige Zusammenhänge so weit herunterbrechen, dass sie einem breiten Lesekreis zugänglich gemacht werden können, entstehen Reibungsverluste. Wichtige theoretische Erkenntnisse, die für ein tieferes Verständnis notwendig wären, müssen ausgeblendet werden, wodurch es auch zu theoretischen Unschärfen kommen wird. Außerdem: Manches von dem, was in dem Buch zu lesen ist, bedarf grundsätzlich eigenständiger, weitreichender wissenschaftlicher Analysen, die wir hier natürlich nicht leisten können. Von daher werden Thesen und Schlussfolgerungen angreifbar sein. Das sei aber in Kauf genommen.
Nun zu den Vorteilen: Die veranschlagte Vorgehensweise erlaubt es dem Leser, an komplexe wissenschaftliche Theorien heranzutreten und ein Verständnis für sie zu entwickeln, ohne dass er sie sich in ihrer Breite und Vielschichtigkeit erarbeiten muss. Das Medienverständnis kann schnell geschärft werden. Außerdem: Diese Vorgehensweise erlaubt dem Verfasser, einzelne Theorien nicht mit all ihren Untiefen durchfahren zu müssen; vielmehr kann direkt auf zentrale Erkenntnisse zugegriffen werden.
Das erscheint insofern sinnvoll, als auf diese Weise rasch einige der Gründe, die für die schweren Verwerfungen im journalistischen Feld verantwortlich sind, anschaulich gemacht werden können. Und das ist dringend nötig. Die Schäden an unserem demokratischen System, die durch Medien verursacht werden, die weitestgehend ihrer Wächterfunktion nicht mehr nachkommen, sind bereits gewaltig.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Hensel, Jana: „Mein Angela-Merkel-Gefühl“ Die Zeit, Nr. 45/2018 (Zugriff: 10. März 2019).
(2) Man denke an die Schließung von Leserforen beziehungsweise die Einschränkung der Kommentarfunktion bei diversen Medien.
(3) Zwar gibt es durchaus auch Medien, wie etwa Der Spiegel und DIE ZEIT, die den Dialog mit ihren Lesern führen („Leserkonferenz“ bei Spiegel, „Freunde der ZEIT“), allerdings ist hier zu fragen: Worum geht es bei solchen Begegnungen mit den Lesern? Auf Telepolis ist zur Leserkonferenz des Spiegels Folgendes zu lesen: „Insgesamt entstand der Eindruck, einem Ritual beizuwohnen, einer symbolischen Zeremonie, die man feierlich begeht und deren Rahmen und Regeln auch peinlich genau beachtet werden. Doch an den Sinn eines echten Dialoges schien kaum einer der teilnehmenden Redakteure wirklich zu glauben. Zu sehr war man von der Richtigkeit der eigenen Ansichten überzeugt. Respektvoll zuhören, das ja, aber Dinge ernsthaft in Frage stellen — das dann doch eher nicht. Schließlich erklärte man, so der unausgesprochene Tenor im Raum, immer noch den Lesern die Welt — und nicht umgekehrt.“ Schreyer, Paul: „Inszenierte Offenheit: Der Spiegel im Dialog mit seinen Lesern“ Telepolis, 23. Juni 2018. (Zugriff: 12. Mai 2019). Außerdem: Auf Übermedien findet sich eine Auseinandersetzung zum „Tag des Journalismus“, zu dem der Stern seine Leser eingeladen hat („Blicken Sie hinter die Kulissen der stern-Redaktion und des wichtigsten deutschen Journalistenpreises.“). Darin wird deutlich, wie weit die Selbstkritik bei dem Medium tatsächlich geht. Rosenkranz, Boris: „Tag des Journalismus“ — Tag der versuchten Selbstkritik beim „Stern“ Übermedien, 26. Mai 2019. (Zugriff: 27. Mai 2019).
(4) Mühlberger, Sarah: „[Journalisten Leser. Beziehungsstatus: Es ist kompliziert“. (Zugriff: 12. Mai 2019).
(5) Danijluk, Malte: „Ukraine-Konflikt: ARD-Programmbeirat bestätigt Publikumskritik“ Telepolis. 18. September 2014. (Zugriff: 10. März 2019).
(6) Meedia.de: „WDR-Intendant Buhrow wehrt sich gegen Kritik an Ukraine-Berichterstattung“ 24. September 2014. (Zugriff: 10. März 2019).
(7) Luhmann, Niklas: Die Realität der Massenmedien, 2. Erweiterte Auflage. Opladen 1996, Seite 9.
(8) Augstein, Jakob: „Das ist nicht Ihr Journalismus!“ Süddeutsche Zeitung. 22. Juli 2010. (Zugriff: 10. Juni 2019).