Make love, not war

Ein „Teufelsweib“ aus prähistorischen Zeiten mahnt uns Heutige, dass die Weltgeschichte durchaus auch anders hätte verlaufen können.

Kriege hat es schon immer gegeben. Und was es schon immer gegeben hat, das wird sich auch nicht ändern — so jedenfalls die geläufige Meinung. Dieser Annahme folgend, lässt sich die Menschheit geradewegs in einen dritten Weltkrieg hineintreiben und scheint dagegen nichts einzuwenden zu haben. Doch es gibt eine Stimme, die dem Einhalt zu gebieten versucht. Es ist die Stimme einer Frau. Aus lang vergangenen Zeiten klingt sie zu uns herüber und legt Zeugnis ab von einer Epoche, in der es keine Kriege gab, keine Unterdrückung, keine Sklaverei, einer Zeit, in der Frauen und Männer friedlich und gleichberechtigt zusammenlebten.

6.000 Jahre. Etwa so lange ist es her, dass wir Staaten haben, Kriege und eine Schrift, mit der wir eine Geschichte dokumentieren, die von der Angst vor Mangel geprägt ist und von Unterdrückung spricht, von Vertreibung, von Sklaverei und frühem Tod, von Völkerwanderungen und Naturkatastrophen, von Kreuzzügen und Inquisition, von Wirtschaftskrisen, Weltkriegen und der Atombombe. Was in den zweieinhalb Millionen Jahren davor war — so lange gibt es die Gattung Homo —, davon wird nicht viel gesprochen. Wir jagten Mammuts und kritzelten auf Höhlenwände. Das denken wohl die meisten.

Noch etwas geschah vor etwa 6.000 Jahren. Laut jüdischem Kalender ist die Welt vor genau 5.785 Jahren entstanden, nach der Bibel vor 6.028 Jahren. Das Alte Testament erzählt die Geschichte von einer Rippe. Gott schuf den Mann und, damit er nicht allein bliebe, eine Frau, die ihm zu Diensten sein sollte. Auch wenn wir nicht an diese Version der Entstehung der Menschheit glauben — den Mythos von Adam und Eva kennt wohl fast jeder. Er ist der bekannteste der Welt. Mit etwa 33 Prozent sind die meisten Menschen auf dem Planeten Christen, gefolgt von 22,5 Prozent Muslimen und 13,6 Prozent Hindus.

Am Anfang waren Adam und Eva: ein Mann und eine Frau, die ihm unterlegen war. Wie es weiterging, wissen wir: In ihrem Paradies gab es einen Baum, von dem sie auf keinen Fall essen durften. Die Frucht der Erkenntnis war ihnen verboten. Sie sollten unwissend und gehorsam bleiben. So wie heute. Doch Eva war neugierig, ließ sich von der Schlange verführen, nahm den Apfel, gab ihn Adam, und beide flogen aus dem Paradies. Seitdem arbeitet der Mann im Schweiße seines Angesichts. Die Frau bekommt ihre Nachkommen unter Schmerzen und glaubt, dass sie als einziges Lebewesen auf der Erde nicht alleine dazu in der Lage ist, Kinder zu gebären.

Verdrängt

Verantwortlich für die Katastrophe soll die Frau sein. Dafür muss sie bis heute büßen. Nachdem sie 6.000 Jahre lang unterdrückt wurde und geschichtlich vor allem als Hexe bekannt ist, verdient sie heute für dieselbe Arbeit auch in Deutschland etwa zwanzig Prozent weniger als der Mann, leidet am meisten unter der Doppelbelastung Job und Familie, macht vor allem die Arbeiten, die man nur sieht, wenn sie nicht gemacht werden, und wird vom Gender-Mainstreaming und zunehmend auch vom Frauentag verdrängt. Wenn sie sich darüber aufregt, dass in frauengeschützten Räumen Transfrauen mit Bart, Hoden und Penis sitzen, gilt sie als TERF: Trans-Exclusionary Radical Feminist — eine Frau, die Transfrauen diskriminiert und so dumm ist zu denken, es gebe nur zwei Geschlechter.

Die Geschichte, die mit einer Rippe begonnen hat, benachteiligt nicht nur für Frauen. Kinder galten lange als Besitz und werden bis heute als Arbeitssklaven missbraucht. 160 Millionen sind es nach offiziellen Schätzungen. Für das Jahr 2020 verzeichnet die polizeiliche Kriminalstatistik in Deutschland 14.594 den Ermittlungsbehörden bekannt gewordene Straftaten von sexuellem Kindesmissbrauch. Im Mai 2024 senkte der Bundestag die Mindeststrafe für die Verbreitung von Kindesmissbrauch auf sechs Monate (1). Vor allem minderjährige Mädchen fallen pädokriminellen Tätern im Netz zum Opfer. Schulschließungen und Lockdowns haben diese Gefahr noch erhöht.

Auch vielen Männern geht es nicht wirklich gut. Viele fühlen sich überfordert, desorientiert und allein. Sie sind deutlich mehr als Frauen von Übergewicht betroffen, leiden zunehmend an Unfruchtbarkeit und erektiler Dysfunktion und haben eine geringere Lebenserwartung als Frauen. Sie begehen doppelt so häufig Suizid und senken ihre Überlebenschancen durch Aggressivität und Gewalt.

So seien nun zwei Fragen gestattet: Finden wir, dass es gut läuft mit uns? Ja, natürlich, anderswo ist es schlimmer. Vor allem in Nordkorea. Und es gibt ja auch Gutes. Doch schauen wir noch einmal hin: Finden wir insgesamt gut, was wir in unserer Welt sehen? Wenn ja, bitte nicht weiterlesen. Wenn nein, die zweite Frage: Meinen wir, dass es anders gehen könnte?

Am Anfang war Lilith

Um eine Antwort zu finden, müssen wir noch einmal zu Adam und Eva zurück. Und jetzt kommt’s: Eva war gar nicht die erste Frau Adams! Vor der Geschichte mit der Rippe gab es eine andere: Lilith. Wie Adam war sie aus Erde gemacht. Aus der Mutter Erde. Beide, Frau und Mann, waren ebenbürtig und gleichberechtigt. Niemand war dem anderen über- oder unterlegen. Das war vor über 6.000 Jahren, also vor der Zeit, als nicht nur Staatenbildung und Kriege begannen und die Schrift erfunden wurde, mit der alles aufgeschrieben werden konnte, sondern auch das Patriarchat entstand. Im Himmel wie auf Erden: Männliche und eifersüchtige Alleinherrscher bestimmten, wo es langgeht.

Davor gab es Hochkulturen, in denen es anders lief. In der Menschheitsgeschichte gab es Zeiten, in denen wir uns nicht gegenseitig bekämpften, sondern friedlich zusammenlebten. Ich spreche hier nicht von mehr oder weniger lang andauernden Waffenruhen, sondern von einer Zeit, in der es überhaupt keine Waffen gab, die die Menschen gegeneinander richteten. Diese Zeit soll sehr lange gedauert haben. Es gibt Forscher wie den Historiker Kai Michel und den Evolutionsbiologen Carel von Schaik (2), die das Gleiche behaupten wie vor ihnen die Historikerin Doris Wolf (3): 99 Prozent der Geschichte der Menschheit verliefen friedlich.

Möglicherweise stimmt es also nicht nur nicht, dass unsere Geschichte wie nach biblischer Auffassung erst 6.000 Jahre alt ist. Es stimmt womöglich auch nicht, dass unsere Evolution sich über ständige Kämpfe in einem Dschungel vollzogen hat, in dem immer der Stärkere gewinnt. Möglicherweise haben beide unrecht, die übereinander die Nase rümpfen: Kreationisten und Evolutionisten. Und möglicherweise müssen wir alle uns noch einmal ganz anders mit unserer Geschichte beschäftigen, um Antwort zu finden.

Fürsorge im Zentrum

Da gab es also eine andere Frau. Lilith. Sie lebte in der Zeit, bevor der Mann die Macht übernahm, eine Zeit, in der anstelle eines himmlischen Vatergottes, der nur seine gehorsamen Kinder liebte, eine irdische Muttergöttin das Leben der Menschen prägte, die alle ihre Kinder liebte. Verehrt wurde nicht eine transzendente Macht irgendwo da oben, sondern eine immanente Macht, die sich in allen Geschöpfen befindet. Blumen, Wolken, Menschen — alles galt als beseelt. Alles hatte Sinn in einem großen und umfassenden Gefüge, aus dem niemand herausfallen konnte.

Die Menschen lebten in überschaubaren Gruppen zusammen und berieten sich in Gesprächskreisen, in denen jeder zu Wort kam. Sie produzierten so viel, wie sie brauchten, und beuteten weder sich selbst noch die Natur aus, denn sie wussten ganz genau, dass das, was sie anderen Lebewesen antaten, zu ihnen zurückkommen würde.

Kein Patriarch war für das materielle Wohl aller verantwortlich, sondern eine Frau. Nicht der Konkurrenzkampf stand in der Mitte des täglichen Lebens, sondern die Fürsorge.

Frauen wurden nicht rechtlich dem Vieh gleichgesetzt, für ihr medizinisches Wissen auf Scheiterhaufen verbrannt oder in Minijobs ausgebeutet. Sie wurden verehrt. Denn sie sind es, die das Leben auf die Welt bringen. In ihnen wächst das Kind heran. Sie nähren es mit ihrer Brust und stärken sein Immunsystem für ein ganzes Leben. Die Rolle der Männer war, sie dabei zu unterstützen und das Leben zu schützen. Die biologische Vaterschaft war hierbei unerheblich. Sie wurde erst viel später und wahrscheinlich erst mit der Sesshaftwerdung entdeckt.

Zur Sache, Schätzchen

Den Männern wurde nicht die Last des Ernährers aufgebürdet. Er kam nicht abends abgearbeitet nach Hause und zeichnete sich vor allem durch eines aus: Abwesenheit. Die Frauen fühlten sich nicht dadurch gestraft, die Gebärenden zu sein. Sie gehörten nicht als alleinerziehende Mütter zu den benachteiligsten Mitgliedern der Gesellschaft. Männer und Frauen bürdeten sich nicht gegenseitig ihre Bedürftigkeiten und Defizite auf und erwarteten vom jeweils anderen, sie glücklich zu machen.

Zu Liliths Zeiten hatten die Frauen keine Ehemänner, sondern Liebhaber. So wie jedes Säugetierweibchen suchten sie sich ihre Männer selbst aus und bestimmten selbst den Akt der Liebe. Sie liebten frei, ungehemmt und wild, wie sie es wollten und wann sie es wollten. Der Penis war nicht Zepter der Welt und die Vulva nicht als so hässlich angesehen, dass sogar der Teufel vor ihr erschrak.

Ihre Aggressionen verwandelten sie in sexuelle Lust, die sich im Orgasmus entlud. Ihr Ungestüm löste sich im Liebesspiel. Frauen und Männer waren frei und konnten sich frei bewegen. Die Frauen hatten keine traumatisierten und verstümmelten Soldaten im Bett, keine Ochsen, die sich unters Joch spannen und keine Ackergäule, die sich ausnutzen ließen, sondern potente Liebhaber.

Sie brauchten keine Kriege. Ihre Lust wurde nicht pervertiert. Sie musste sich keine Ventile suchen. Es gab keine vergewaltigten Frauen, keine traumatisierten Kinder, keine Sklaven, die die ganze Arbeit machten. Die Eroberungen fanden im Liebeslager statt, im sinnlichen Spiel der Verführung. Die Energien entluden sich im Fluss des gegenseitigen Gebens und Nehmens, in der Begegnung der Körper, in der sich Härte und Weichheit, Irdisches und Himmlisches, Animalisches und Göttliches miteinander verbanden.

Die Widerspenstige ist nicht gezähmt

Doch Adam wollte oben liegen. So erzählt es der Mythos. Damit änderte sich alles. Als Adam versuchte, Lilith in die Missionarsstellung zu zwingen, verließ sie ihn. Adam rief Jahwe an, der damals noch ein einfacher Berg- und Wettergott war, damit er sie ihm zurückbringe. Lilith aber blieb widerspenstig, obwohl die Engel Gottes ihr androhten, täglich hundert ihrer Kinder zu töten. Für ihren Ungehorsam wurde sie verbannt, verflucht, diffamiert und dämonisiert. Die schlimmsten Attribute haften ihr seitdem an.

Männer verführe sie zu unkeuschen Träumereien und nächtlichen Samenergüssen, Frauen und Neugeborene töte sie im Kindbett. Als Femme fatale wird sie dargestellt, als Vamp, als Hure, als zügellose Verführerin und Königin der Unreinen. Bis heute gibt es Amulette, die vor ihrer bösen Macht schützen sollen. Rittlings soll sie die Männer nehmen und mit ihren Samen ihre geifernden Höllenwesen erschaffen. Als Sirene soll sie Odysseus bedroht haben, als Dalila Samson seiner Kraft beraubt, als Judith den Holfernes enthauptet und als Salome den Kopf des Täufers gefordert.

Dabei wollte Lilith vor allem eines: guten Sex. Adam jedoch wählte eine Frau, die ihm unterlegen war und, wenn sie überhaupt Spaß bei der Sache hatte, ihrer Lust mit einem diskreten Seufzer Ausdruck gab. So nahm das Unglück seinen Lauf. Und so kann es auch wieder rückgängig gemacht werden. Nur eines steht dem im Wege: die Stimmen, die behaupten, es habe schon immer Krieg gegeben.