Macht macht Kriege
In ihrem Song „War Pigs“ fragen die britischen Heavy-Metal-Pioniere Black Sabbath nach den Urhebern von Kriegen: Stets sind es Politiker, die den Hass säen, für den andere sterben müssen.
Wie konnte es dazu kommen, dass heute wieder Menschen — darunter leider auch Midlifer, die einst den Kriegsdienst verweigert haben — so leichtfertig und unreflektiert über Krieg und die Notwendigkeit von Rüstung und Waffenlieferungen schwadronieren, als gehe es um das Schicksal eines Fußballvereins? Wer oder was hat ihre Köpfe so vermint, dass sie das Naheliegende nicht zu denken wagen? Wer kann überhaupt ein Interesse an Kriegstüchtigkeit und Krieg haben? Analog-Menschen sicher nicht. Sie sind die künftigen Schlachtopfer. Wo bleibt also der Widerstand? Es gab andere Zeiten: Künstler, allen voran Musiker, engagierten sich gegen die faschistoiden Großmachtambitionen der USA, die Lateinamerika, Ostasien und den Nahen Osten ins Chaos stürzten. In den späten 60er- und frühen 70er-Jahren erzeugten Protestsongs die Schallwellen, auf denen die Friedensbewegung surfte. Black Sabbaths Song „War Pigs“ erinnert daran, wer Kriege will und wer sie ausbadet. Eine Friedensnote von Jonny Rieder.
Eitelkeit, Imperialismus, Anti-Kommunismus, Macht, Geopolitik, Gier … Viele Wege führen zum Krieg. Die Sorge um Menschenrechte war allerdings noch nie dabei — wäre auch absurd: Menschenrechte zu verletzen, um Menschenrechte zu schützen. Trotzdem werden sie immer wieder angeführt. Und immer wieder gehen schlichte Gemüter den Propaganda-Märchen auf den Leim, erkennen offenbar nicht den Widerspruch in dieser Argumentation. Weder beim Überfall der NATO auf Jugoslawien 1999 ging es um Menschenrechte, noch beim Überfall der USA auf den Irak 2003. Erst recht nicht im Zweiten Weltkrieg oder im Vietnamkrieg. Stets ging es hier um die globale Vorherrschaft, um den Einfluss des Wertewestens, dem keine Mittel zu brutal, zu menschenverachtend sind, um diese „Werte“ durchzusetzen.
Kein anderes Land war seit Mitte des 20. Jahrhunderts so versessen darauf, die Welt mit den Werten und Vorstellungen seiner monetären Eliten heimzusuchen wie die USA. Kein nach oben geputschter Herrscher war Uncle Sam zu korrupt oder zu grausam, um ihm die gebotene Unterstützung zu gewähren, solange er brav als Uncle Sams verlängerter Arm diente, Ausbeutung förderte und den Reichtum US-amerikanischer Geldsäcke mehrte.
Am 16. März 1968 metzelten US-Soldaten im vietnamesischen Dorf Mỹ Lai über 500 Menschen. Frauen, Kinder und Senioren, darunter kein einziger Soldat, der womöglich so etwas wie „Notwehr“ gerechtfertigt hätte. Einige Frauen wurden vergewaltigt, bevor sie ermordet wurden. Offenbar zählt auch das zu den „westlichen Werten“, die unbedingt gegen das Reich des Bösen verteidigt werden müssen.
Zumindest fällt es amerikanischen Präsidenten leichter, eigene Kriegsverbrecher zu begnadigen als Menschen, die nichts weiter getan haben, als darüber zu berichten.
Julian Assange lässt grüßen. Dass dieses Massaker überhaupt in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde, verdanken wir unter anderem dem Armeereporter Ron Haeberle und dem Journalisten Seymour Hersh.
Der Vietnamkrieg war zugleich ein „Body Count“-Contest zwischen den amerikanischen Einheiten. Sieger war, wer die meisten Fremdleichen generierte. Search and destroy. Nachzulesen in Bernd Greiners Buch „Krieg ohne Fronten — Die USA in Vietnam“, das 2007 erschien.
Soldaten mögen vergewaltigen, morden und massakrieren. Doch selten beginnen sie Kriege. Dafür braucht es Politiker. Sie schüren den Hass auf andere Menschen und Kulturen.
Sie vergiften die gehirngewaschenen Köpfe, wie es bei Black Sabbath heißt: Poisoning their brainwashed minds. Politiker trichtern Soldaten den Schwachsinn ein, sie würden irgendeine Freiheit verteidigen, indem sie andere abschlachten. Dabei haben Menschen, die bereit sind, sich in eine Uniform stecken zu lassen, sowohl ihre Freiheit als auch ihre Würde spätestens in diesem Moment verloren.
Wie kein zweites Ereignis bewegte der Vietnamkrieg die damals noch junge Rock- und Folkmusik-Szene zum Widerstand gegen das Establishment. Und nicht nur in Amerika. Mit ihrem Song War Pigs von 1970 lenkte die englische Hard-Rock-Band Black Sabbath den Blick auf die Verantwortlichen. Sie sitzen in bequemen Sesseln, gehätschelt von einer blutrünstigen Medienmeute, die als Sprachrohr dient, und riskieren nicht die kleinste Schramme. Krepieren, das ist die Aufgabe des gemeinen Volkes, des Pöbels, des Abschaums. Born to die on demand.
Politicians hide themselves away
They only started the war
Why should they go out to fight?
They leave that all to the poor, yeah
Die Politiker verstecken sich
Sie haben den Krieg nur angefangen
Warum sollten sie rausgehen und kämpfen?
Diesen Job überlassen sie den Armen, klar
War Pigs dauert fast acht Minuten — zu hören auf Black Sabbaths zweitem Album Paranoid. Der Song ist eingehüllt in den düsteren, schleppenden Sound, mit dem die Band schon auf ihrem ersten Album die gefühlten Nebelschwaden zwischen den Grabsteinen versoundtrackte. Dazu die gequälte Friedhofsstimme des damals 22-jährigen Ozzy Osbourne. Referenzen an den ursprünglichen Songtitel Walpurgis finden sich gleich am Anfang:
Generals gathered in their masses
Just like witches at black masses
Evil minds that plot destruction
Sorcerer of death's construction
Generäle versammelt in Massen
wie Hexen bei schwarzen Messen
Böse Geister, die Zerstörung planen
Magier, die den Tod errichten
Black Sabbath küren Krieg und seine Anheizer zum ultimativen Bösen. Das passt zur okkulten Schwermetall-Attitüde der Band aus der einstigen englischen Industriestadt Birmingham.
Zugleich ist es ein maximaler Kontrast zur heroischen Selbstgerechtigkeit, die bis heute die Köpfe kriegstüchtiger Politiker besiedelt und sich gegen jegliche Kritik immun erweist.
In der letzten Strophe stehen diese Politiker, die War Pigs, überraschend vor dem Jüngsten Gericht:
Day of Judgment, God is calling
On their knees, the war pigs crawling
Begging mercies for their sins
Satan, laughing, spreads his wings
Der Jüngste Tag, Gott ruft
Auf den Knien kriechen die War Pigs
Flehen um Gnade für ihre Sünden
Satan lacht, breitet seine Flügel aus
Das klingt schon fast ironisch. Denn die USA, das sind die Untouchable States of America. Weltgesetzgeber, Weltpolizei, Weltrichter und Weltmedien in einem. Die Aussicht auf ein irdisches Gericht, das diese War Pigs verurteilen könnte, ist noch naiver als zu glauben, irgendein Gott oder das Universum würden für Gerechtigkeit sorgen.
Welcher US-Präsident wurde jemals belangt für den Terror, mit dem er andere Länder überzog?
Kennedy? Johnson? Nixon? Ford? Reagan? Bush? Clinton? Obama? Biden? Die Antwort kann sich jeder selbst geben. Der Historiker und Kritiker maroder Systeme Karlheinz Deschner schrieb 1992 in seinem Buch Der Moloch über die Geschichte der USA:
„Das einzige, was mich beim Niederschreiben dieser Chronik (…) etwas weniger trostlos stimmt, ist der Gedanke, dass eines Tages von Washington und New York, von all den Städten des Westens und Ostens, des Nordens und Südens, dass von dieser ganzen grauenhaften Geschichte (…) nichts mehr da sein wird als Einsamkeit, als Wind, darunter nichts als Sauerampfer oder Macchia, als Gras.“