Lügenpresse light?

Bernhard Pörksen und das „System-Vertrauen“.

Der mediale Mainstream, aufgeschreckt durch „Lügenpresse“-Vorwürfe, inszeniert sich seit einiger Zeit als Hüter und Retter der Wahrheit. Er tritt „Fake News“-Kampagnen gegen unliebsame Konkurrenten los und betreibt angebliche „Faktenchecks“ – ein Kampf um Deutungshoheit. In den USA, die uns immer ein wenig voraus sind, tobt der Streit noch um einiges heftiger. Bislang ist unklar, wohin genau die Reise gehen wird. Aber schon jetzt kann man mit ziemlicher Sicherheit sagen, wohin sie nicht gehen wird: nicht in eine offenere Gesellschaft, nicht hin zu mehr Liberalität.

Und die Medienwissenschaft? Was sagt sie dazu? Der Fachvertreter Bernhard Pörksen hat sich dieser Tage unter dem Titel „Das gefährliche Raunen“ in der ZEIT zu Wort gemeldet und den Blick auf Deutschland gerichtet. Oberflächlich betrachtet, handelt es sich bei seinem Beitrag um den Versuch, die Wogen zu glätten und die Kontroverse zurück in „vernünftige“ Bahnen zu lenken.

Pörksen ist voller Sorge, hat er doch feststellen müssen, dass sich dezidierte Medienkritik längst vom rechten oder linken Rand (wo es sie schon immer gab und wo sie nicht weiter auffiel, also nicht gefährlich wurde) „in die Mitte der Gesellschaft“ bewegt. Das sei ein „Polarisierungsschub“, sagt er, „ein Stimmungswandel in Richtung des großen Verdachts“.

„Großer Verdacht“? Was ist damit wohl gemeint?

Folgt man dem Autor, dann ist Medienkritik als solche durchaus legitim. Aber sie soll sich offenbar in einem eher eng gesteckten Rahmen halten, gewisse Grenzen nicht überschreiten. Medienkritik, so verstehe ich Pörksen, müsse stets darauf achten, nicht übers Ziel hinaus zu schießen, „Wer nun – womöglich mit guten Gründen und der gebotenen Schärfe – Journalisten kritisiert, Grenzüberschreitungen und Fehltritte, Vorurteile und Übertreibungen sichtbar macht, der wird sich irgendwann überlegen, ob er dadurch zum Parteigänger wird.“ Soll heißen: Zum Parteigänger derer, die übers Ziel hinausschließen.

Pörksen spricht in diesem Zusammenhang von „Pauschalismus“. Und er unterscheidet zwischen einem „begründeten Spezial-Misstrauen“ und einem „pauschalen System-Misstrauen“. Das Spezial-Misstrauen ist gut und konstruktiv, das System-Misstrauen ist schlecht und destruktiv.

In einem Punkt hat der Autor zweifellos Recht. Das „System-Misstrauen“ ist tatsächlich in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Nachdem ich mein Buch Lückenpresse veröffentlicht hatte, bin ich zu zahlreichen Veranstaltungen eingeladen worden. Diese Einladungen kamen ganz überwiegend „aus der Mitte“. Vergangenen Oktober zum Beispiel war ich Gast der FDP in Meerbusch, kurz danach trat ich bei der Evangelischen Stadtakademie in Aachen auf. Anfang Dezember werde ich auf Einladung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Frankfurt sein.

In allen von mir absolvierten „Mitte“-Veranstaltungen stieß ich nicht nur auf jede Menge „Spezial-Misstrauen“, auch das „System-Misstrauen“ war stets präsent. Doch es war nie, wie Pörksen unterstellt, „pauschal“, sondern wohlbegründet und reflektiert, vorgetragen von Menschen, die im Hinblick auf den medialen Mainstream dieses Landes zutiefst verunsichert und verstört sind und sich ganz grundlegende Fragen stellen.

Solche Befunde mögen Bernhard Pörksen nicht gefallen. Gehört er doch offenbar zu jenen (immer noch zahlreichen) Zeitgenossen, die allzu grundlegenden Fragen lieber aus dem Weg gehen. Vor einiger Zeit diskutierte er im Deutschlandfunk über das Thema „Verschwörungstheorien“. Als man von ihm wissen wollte, warum er selbst denn nicht anfällig für Verschwörungstheorien sei, gab er die entwaffnende Antwort: „Mein System-Vertrauen ist letztlich größer.“

Niemand will Pörksen sein „System-Vertrauen“ ausreden. Aber er sollte zur Kenntnis nehmen, dass System-Vertrauen und System-Misstrauen gleichermaßen legitim sind. Und er sollte es unterlassen, legitime Kritik zu de-legitimieren.

In jedem politischen System, auch in einer Demokratie, gibt es Herrschaft, Macht und Interessen. Medien sind immer Teil solcher Herrschafts-, Macht- und Interessengefüge. Sie agieren nicht im luftleeren Raum. Sie sind viel zu wichtig, als dass man sie sich selbst überlassen könnte. Über weite Strecken widerspiegeln sie die in Rede stehenden Machtverhältnisse. Viele Bürgerinnen und Bürger haben das begriffen; manche Sozialwissenschaftler, unter ihnen Pörksen, tun sich offenbar schwer mit solchen Einsichten.

Kein Wunder, dass er eine alte, schon leicht angestaubte Diskussion wieder aufwärmt: darüber, ob es etwa „Anweisungen“ der Politik an die Medien gebe, so und nicht anders zu berichten. Er zitiert einige journalistische Zeugen, die solcherlei Einflussnahme bestreiten. Wie glaubwürdig diese Zeugen sind, sei dahingestellt, zumal es andere Journalisten gibt, die genau solche Einmischungen in innermediale Angelegenheiten beklagen. Egal. Der wesentliche Punkt ist ein anderer. Zitat aus der Lückenpresse:

„Selbstverständlich sagt Claus Kleber die Wahrheit, wenn er versichert, dass niemand ihm irgendwelche Vorschriften mache. Aber er übersieht etwas: Claus Kleber ist dort, wo er ist, weil er so denkt und spricht, wie er denkt und spricht. Würde er anders denken und sprechen, wäre er woanders. Würde Kleber plötzlich vom Paulus zum Saulus mutieren, würde er sich also vom erklärten Obama-Freund zum erklärten Putin-Freund wandeln, wäre es sicherlich schnell vorbei mit seiner Herrlichkeit.“

Soweit er sich mit Kritikern auseinandersetzt, sucht sich Pörksen eher die leichten Opfer. Und er suggeriert, dass Medienkritik vor allem von rechts komme. Die gegenwärtig wohl umfassendste Dokumentation linker Medienkritik, Jens Wernickes Kompendium „Lügen die Medien?“, spielt in seinen Betrachtungen keine Rolle. Obwohl er sicher auch die dort vertretenen Autoren im Visier hat, wenn er behauptet, es habe sich ein diffuses „Lügenpresse-light-Milieu“ herausgebildet.

Ein hübscher Begriff! Aber was will er uns sagen? Wo genau liegt der Unterschied zwischen „Lügenpresse“ und „Lügenpresse light“? Pörksen gibt sich wenig Mühe, uns über die Feinheiten aufzuklären. Warum auch? Ob jemand starken Tobak raucht oder zur Light-Zigarette greift – in den Augen des Gesundheitsapostels ist beides schädlich.

Schwer erträglich ist Pörksens Schlussfanfare: „Die gegenwärtig kursierenden Theorien der Entmündigung und der Manipulation, Chiffren eines antiliberalen Denkens und einer heimlichen Sehnsucht nach der Revolte, helfen niemand.“ Habe ich richtig gelesen? „Chiffren eines antiliberalen Denkens“? Was, bitte, ist an der gegenwärtig vorgetragenen radikalen Medienkritik „illiberal“?

Ich selbst bin so was von liberal, dass es für meine Mitmenschen manchmal kaum zu ertragen ist. Und ich kann mich nicht erinnern, dass Volker Bräutigam, Walter van Rossum, Jens Wernicke oder Ihresgleichen je gefordert hätten, Claus Kleber einen Maulkorb umzuhängen und Ken Jebsen zum Moderator des „heute-journals“ zu befördern. Ihnen allen geht es darum, das als viel zu eng empfundene Meinungs- und Berichterstattungsspektrum zu erweitern, nicht jedoch darum, die eine Ausgrenzung durch eine andere zu ersetzen. Seit wann ist es illiberal, mehr Liberalität zu fordern? Seit wann undemokratisch, mehr Demokratie zu wagen?

Weist der Vorwurf der Illiberalität nicht vielmehr auf Pörksen selbst zurück? Ist es nicht er, der Warn-, Stopp- und Verbotsschilder aufstellt und die Mediendebatte derart kanalisieren will, dass sie niemandem ernstlich wehtut (insbesondere nicht „dem System“)? Damit befände er sich in schönstem Einklang mit den etablierten Medien selbst, die nicht begreifen wollen oder können oder dürfen, dass sie ihrer derzeitigen Misere – wenn überhaupt – nur durch rückhaltlose Öffnung entrinnen können.


Mehr zur Lügenpresse in:

Lückenpresse