Lügen mit Zahlen
Bestellte Studien missbrauchen die Mathematik, um politische Interessen mit einem scheinwissenschaftlichen Anstrich zu versehen.
Mehrfach durften wir im Zuge der sogenannten Corona-Krise erleben, wie innerhalb weniger Wochen etabliertes, sehr wohl begründetes Wissen zugeschüttet und durch „neueste Erkenntnisse“ ersetzt wurde. Erkenntnisse die auf unwissenschaftlichen Arbeiten beruhen, auf willkürlich erstellten Konstrukten. Auf Modellen, die man dann nach Lust und Laune mit Daten fütterte. Das wurde umgehend durch die Massenmedien in die Öffentlichkeit geblasen und weltweit von Politikern als Basis für irrsinnige politische Entscheidungen genutzt.
Notstandsverordnungen und die weltweite Gängelung der Menschen mit Ausgangssperren, Quarantänen, Maskenpflicht und Zwangsuntersuchungen beruhen sämtlich auf Modellen, „passenden Modellen“, weil mit der Ausgabe gewünschter Resultate verbunden. Aber Modelle sind nun einmal Abstraktionen und können beliebig wirklichkeitsfremd konstruiert werden. Darum kümmern sich etablierte, aber zunehmend aus dritter Hand finanzierte Forschungseinrichtungen. Manche dieser Einrichtungen waren auch schon von je her vorrangig privaten Interessen verpflichtet, wie zum Beispiel das Imperial College of London.
Die Menschen dieser Einrichtungen sind ihren Auftraggebern verpflichtet, von diesen abhängig. Das hat schwerwiegende Konsequenzen, weil das privaten Interessen dienende College auf politische Entscheidungen Einfluss ausübt. In einem zweiteiligen Artikel wird uns dieser brisante Aspekt aus verschiedenen Sichten durch Sebastian Domschke näher gebracht; hier der erste Teil:
Vor einigen Wochen ging eine Schlagzeile durchs Land. 3,1 Millionen Tote seien vermieden worden, durch die Maßnahmen der Regierungen in insgesamt 11 Ländern Europas — beglaubigt durch irgendeine Studie aus London. Gemäß dem Motto, was wichtig ist, kommt wieder, ignoriere ich so etwas gerne. Man glaubt ja auch nicht alles, was US-amerikanische Forscher so herausbekommen, wenn sie jemanden finden, der ihnen ihre Studien finanziert. Zwei Wochen später kam das Thema wieder über einen Bericht vom Rubikon, und dann kam noch einer (1, 2).
Beide Berichte handeln in „Kürze“ sehr gut ab, was man von dem Inhalt einer Studie des Imperial College of London halten darf, die Nature am 08.06.2020 als Accelerated Article Preview, also eine beschleunigte Vorabveröffentlichung online gestellt hat (3). Der erste Artikel vom Rubikon liefert eine Menge Begründungen zum — und Einblicke in den Bericht, und ein Bild direkt aus dem Bericht (b1):
Als jemand der sich mit Statistiken gerne und intensiv beschäftigt, war mein erster Gedanke: „So ein Schwachsinn.“ Ich konnte nicht nachvollziehen, wie man auf so ein Diagramm kommen kann. Also habe ich mir die Quelle vorgenommen, den Nature-Artikel geladen, und selbst gelesen. Kann ja immer sein, dass da doch was dran ist. Und was in diesem Artikel, beziehungsweise in der Studie steht, das ist so abenteuerlich, so an den Haaren herbeigezogen, so kriminell, das ich als allererstes noch einmal eine Prüfung machen musste:
„This is a PDF file of a peer-reviewed paper that has been accepted for publication“ (3).
Diese Studie hat also tatsächlich bei Nature den Peer-Review-Prozess durchlaufen. Was das bedeutet, möchte ich im Folgenden etwas ausführen. Aber weil die Details zahlreich, technisch und für die meisten von uns ziemlich langweilig sind, müssen wir zuerst klären, warum eine Studie des Imperial College zu London überhaupt so wichtig ist, dass man damit Lebenszeit, die man auch für sinnvolle Dinge aufwenden könnte, sozusagen verschwenden muss. Dafür ist ein Blick in die Vergangenheit sinnvoll.
In Deutschland haben wir mit der Nazi-Ära eine dunkle Epoche erlebt. Diese Epoche war auch für alle anderen eine sehr dunkle Zeit. Aber weil wir in Deutschland den Nachgang dieser Zeit als offiziell Schuldige erlebt haben, haben wir uns anders mit dieser Vergangenheit auseinandersetzen müssen. Man könnte auch sagen „können“. Deutsche haben sich in der Folge mit der Nazivergangenheit ihrer Großeltern beschäftigen müssen. Sie mussten sich der Frage stellen, ob sie selbst nicht vielleicht auch nur Mitläufer gewesen wären. Diese Fragen sind unbequem, und der Regelfall ist, sich ihnen bequem zu entziehen. Das gilt auch für Deutschland.
Aber überall sonst geht es viel bequemer. Polen, Ungarn, Ukraine: In diesen Ländern werden heute lokale Nazikollaborateure verehrt. Die eigenen, verhängnisvollen Entscheidungen, wie die Rolle Polens bei der Aufteilung der Tschechoslowakei nur zu gerne vergessen.
Als US-Amerikaner ist es unglaublich schwer, im Taumel der Identität als vermeintlicher Befreier der westlichen Welt vor dem Naziterror, überhaupt nur ein hilfreiches Bild von den Geschehnissen der Zeit zu entwerfen. Es geht. Aber es ist noch viel schwerer als hier. Und es ist auch in Deutschland schwer.
Wir lernen hier im Geschichtsunterricht nichts über den zentralen Konflikt um 1900 zwischen den Großmächten Großbritannien und Russland auf dem Eurasischen Kontinent (4). Wir lernen hier nichts über die ökonomischen Bedingungen in den USA, die zu Versailles führten. Wir schauen gebannt, wie das Kaninchen auf die Schlange, auf Frankreich und Großbritannien, aber niemals darauf, warum die USA diesen „Waffenstillstand auf 20 Jahre“ (wie sich ein französischer General ausdrückte) angenommen hat (5).
Schon Keynes tat das in seiner Schlussinterpretation nicht (6). Und dabei wäre das Keynes Metier gewesen, denn die Rolle der USA ist ohne Kenntnis der Situation ihrer Banken nicht ernsthaft zu verstehen. Das Wort „Bank“ kommt aber zum Beispiel im Wikipedia-Artikel zum Vertrag von Versaille gar nicht vor. Nichts über die Bank of England, nichts über die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), nichts über die damals mächtigste, international politisch Einfluss nehmende Privatbank JP Morgan, nichts darüber, wie ein Krieg der aus Geldmangel und fehlender Kreditwürdigkeit eigentlich 1916 hätte enden müssen, dann aber ab 1917 von den USA als Staat weiter finanziert wurde. Nichts darüber, wer diese Finanzierung übernahm, wie das Geld an die Europäischen Großmächte weiterverteilt wurde, und wie die Finanzierung schließlich über den Versailler Vertrag gesichert wurde (7). Die Position der USA wird dort sowieso eher von „Menschenrechten“ dominiert.
Und wir erfahren auch nichts darüber, woher die gesellschaftlichen und politischen Narrative kamen, die sich im Dritten Reich zu einer Mordideologie vereinigten. All das muss man auch als Deutscher selbst herausfinden, nachdem man die Schule verlassen hat.
Ein ganz wesentlicher Teil dieser Mordideologie war ein exzessives Gesundheitsbewusstsein, sowohl des einzelnen als auch des „Volkskörpers“.
Die Juden, die damals verfolgt wurden, wurden zumindest der Propaganda nach, im ganzen als Volksseuche verfolgt, im einzelnen als Überträger von Krankheiten, wie der Syphilis (und natürlich als Diebe und Halsabschneider — kurz als Bankiers). Es ging also, der Propaganda nach, bei der Judenverfolgung auch schlicht um eine fragwürdige Art von „Gesundheitsschutz“.
Das war mehr oder weniger ein Teil der eugenischen Bewegung dieser Zeit, die ihrerseits keineswegs eine rein deutsche Erfindung war, sondern eher so etwas wie ein gesamteuropäischer Re-import aus den USA, wo diese Bewegung in den höheren Kreisen bereits um die Jahrhundertwende voll zur Entfaltung gekommen war (8).
Und es gab viele namhafte Wissenschaftler, die damals ihren Ruf und ihre akademische Glaubwürdigkeit zugunsten der Nazis einsetzten, um zum Beispiel die Rassentheorie wissenschaftlich immer wieder zu bestätigen. Heute begreifen wir die Rassentheorie als einen fatalen Irrtum, als Ideologie, die mit Wissenschaft nichts zu tun hat. Und wir meinen, dass die Wissenschaft heute besser organisiert ist, und sich so etwas nicht wiederholen kann.
Aber ist dieser Glauben gerechtfertigt?
Es gibt ernste Zweifel — zum Beispiel vorgetragen auf dem CCC (Chaos Computer Club, 9 bis 11). Es gibt auch ernste Zweifel aus der Wissenschaft (12) — ich verweise auf John P. A. Ioannidis, einfach weil er in der aktuellen Debatte ebenfalls auftaucht (13).
Um einfach mal ein Bild davon zu geben, wie grundlegend, wie alt und auch wie tradiert sich Probleme durch die Jahrzehnte ziehen, möchte ich kurz eine eigene, kleine Recherche teilen. Die kommt aus der Physik, genauer gesagt der Astronomie. Von großen Kontroversen in der Astronomie, speziell mit Blick auf die Kosmologie hört man derzeit nicht mehr viel. Es gab den Urknall, alles fliegt von uns weg, je weiter es weg ist, desto schneller und alles ist dementsprechend rotverschoben, und auch die Hintergrundstrahlung beweist, dass es nur so sein kann, wie es in den Lehrbüchern steht.
Aber es gibt auch andere Stimmen. Nach einem Hinweis habe ich mir ein Buch besorgt, das Halton Arp, ein amerikanischer Astronom über die Beobachtungen geschrieben hat, die er selbst als Astronom gemacht, oder deren Auftauchen in der wissenschaftlichen Literatur er miterlebt hat. Eingewoben ist dies immer wieder in Anekdoten aus der jeweiligen Zeit — den ausklingenden 50ern bis Anfang der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Veröffentlicht wurde das Buch im Jahre 1984 (14).
Da uns die Kontroverse um die Kosmologie an dieser Stelle nicht interessieren soll, hier nur aus den Anekdoten: Arp berichtet zum Beispiel von wissenschaftlichen Artikeln über astronomische Beobachtungen (!), die nicht oder nur stark verzögert veröffentlicht werden. Und während das Journal sich ziert oder die Peer-Reviewer mauscheln, erscheinen schon Gegendarstellungen die aufzeigen, dass die gefundenen Beobachtungen nicht wichtig sind, keine Grundlage bilden oder sonst irgend etwas fehlt, um am gegenwärtigen Weltbild zu zweifeln. Es werden also Gegendarstellungen über die Originalbeobachtungen geschrieben, obwohl die noch gar nicht veröffentlicht sind. Das ist eine interessante Praxis.
Arp widmet ein ganzes Kapitel, nämlich das vorletzte 10. Kapitel der Soziologie der Kontroverse. Einen Teil davon möchte ich hier wiedergeben:
„Das Carnegie Institut in Washington (15) leitete den Bau großer Teleskope überall auf der Welt ein. Das 60-Zoll-Teleskop, gefolgt vom 100-Zoll-[Teleskop] auf dem Mount Wilson ermöglichten Edwin Hubble und anderen Mitarbeitern des Carnegie Institut viele ihrer frühen, fundamentalen Ergebnisse in der extragalaktischen und stellaren Astronomie. Als die selben Astronomen in den 1930ern Pläne für das 200-Zoll-Teleskop auf dem Mount Palomar fassten, kam der Großteil der Finanzierung nur durch die Rockefeller Stiftung zustande. Aber anstatt das Geld dem Carnegie Institut zur Verfügung zu stellen, übertrug die Stiftung tatsächlich die Eigentumsrechte des Observatoriums an Caltech. Caltech hatte zu jener Zeit gar keine astronomische Fakultät, und so war es also die Carnegie-Seite, die die Astronomen stellte, und das Observatorium wurde unter einem joint-agreemant zwischen dem Carnegie Institut und Caltech geführt.“
Um gar nicht erst in die Details zu gehen, möchte ich es dabei belassen, und einige grundsätzliche Anmerkungen und Fragen stellen. Daran dass Stiftungen wesentliche Aspekte des Gemeinwohls und speziell der Forschung finanzieren, haben wir uns heute natürlich gewöhnt. Aber aus welchem Grund, und mit welchem Selbstverständnis betrieb eigentlich die Rockefeller Stiftung hier Wissenschaftspolitik? Welche Möglichkeiten ergeben sich, wenn man ein neues Institut auf diese Weise aufbaut, und wie wurden sie genutzt. Wer hat beispielsweise das Personal für das neue Institut ausgesucht?
Arp wurden 1984 alle Möglichkeiten entzogen, am 200 Zoll Teleskop in Palomar zu beobachten. Das ist, als würde man einen Bibliothekar anstellen, und ihm dann den Zugang zur Bibliothek verwehren und — heute gewöhnlich als Form von Mobbing zu finden — um unliebsame Mitarbeiter loszuwerden, die man nicht einfach kündigen kann.
Wie agiert heute zum Beispiel im Vergleich die Bill & Melinda Gates Foundation, die sich weltweit für das Impfen stark macht? Wir halten fest, das Grundthema um das es dieser Stiftung vorgeblich geht, ist natürlich Gesundheit.
Die Impfdebatte taucht dabei immer wieder in den Medien auf. In aller Regel in der Form einer Abwertung von Aktivisten als Spinner, Verschwörungstheoretiker oder noch schlimmeren. Manchmal auch als Werbeformat für die Ansichten von Bill Gates; vorneweg betrieben durch die öffentlichen-rechtlichen Sendeanstalten (16, 17). Dem Impfen und den hinter diesem stehenden Interessengruppen widmet sich der Film „Vaxxed: Die schockierende Wahrheit“ (18). Man sollte sich von dem Titel nicht abschrecken lassen, denn dieser gehorcht den ganz normalen Gesetzen US-amerikanischer Aufmerksamkeitsökonomie (ii). Warum nun kann uns dieser Film interessieren?
1998 veröffentlichte Dr. Andrew Wakefield im Lancet eine Fallstudie (vergleiche 10), die in 12 Einzelfällen einen Zusammenhang zwischen MMR-Impfungen (19) und der Entwicklung eines autistischen Syndroms nahelegte. Sechs Jahre später fand der britische Investigativreporter Brian Deer heraus, dass Wakefield Drittmittel von Anwälten erhalten hatte, die autistische Kinder vertraten (20 bis 22). Nach weiteren Vorwürfen im Jahre 2006 und anschließenden Kontroversen wurde Wakefield 2010 schließlich die Zulassung als Arzt entzogen und seine Studie vom Lancet zurückgezogen.
Wenn man genau liest, steht in der Wikipedia ausschließlich, dass ihm unethisches Verhalten im Zusammenhang mit den Drittmitteln, also Parteilichkeit, vorgeworfen wird. Zitat: „(dass …) seine Ergebnisse in ‚unehrliche‘ und ‚unverantwortlicher‘ Weise präsentiert worden seien. Seine Ergebnisse seien falsch und die Zeitschrift getäuscht worden“ (20i). Darüber hinaus wird Wakefield immer wieder vorgeworfen, dass er seine Studie gefälscht habe. Die Wikipedia belegt aber nur die unklaren Finanzierungen und die Reaktionen darauf. Der Vorwurf der Fälschung selbst bleibt unbelegt.
2010 darf sich nun anlässlich des „Jahres des Impfens“ Bill Gates in einem Interview zu Wort melden, das auszugsweise in Film Vaxxed Eingang findet (Minute 9). Bill Gates Statement ist dieses:
„Dr. Wakefield wurde überführt, völlig gefälschte Daten zu verwenden. Er hatte ein finanzielles Interesse an einigen Zivilklagen, er schrieb ein Fakepaper, das Journal veröffentlichte. All die anderen Studien, die gemacht wurden, zeigten keine wie auch immer geartete Verbindung, und das wieder und wieder und wieder. Es ist also eine völlige Lüge, die Tausenden Kindern das Leben kostete“ (17i).
Bill Gates beginnt also mit einer Behauptung. Dann erzeugt er das Narrativ, finanzielle Verflechtungen führen zum Fakepaper. Dann bringt er ein Argument für seine ursprüngliche Behauptung, das leider keines ist. Denn quantitative (statistische) Studien können Einzelfallstudien nicht als Fälschung entlarven, sondern allenfalls nahelegen, dass deren Schlussfolgerungen nicht nachprüfbar sind (vergleiche 10). Weil Gates seine Behauptung mitnichten belegen kann, erfüllt er damit den Tatbestand der Verleumdung. Abschließend stellt Bill Gates eine ziemlich steile, gleichermaßen verleumdende These auf, die wieder auf die Emotionen abzielt — Tausende tote Kinder. Damit ist er nicht allein, auch Brian Deer, der Investigativreporter (siehe weiter oben) schlägt in diese Kerbe, und gibt dabei ein eindrückliches Beispiel, wie man Statistiken nicht aufbereiten sollte (23).
Das fängt bei der schrillen Farbgebung an, geht mit der abgesägten y-Achse (jener der Zustimmungswerte) weiter, die optisch einen stärkeren Zusammenhang suggeriert, als er tatsächlich gegeben ist, und endet mit der schon ziemlich üblen Beschriftung “% mothers confident” (Anteil der dem Mediziner vertrauenden Mütter). Natürlich passt es zum Stil, zum Beispiel der Sunday Times, Mütter als naive Wesen hinzustellen, die arglistig getäuscht wurden.
Bill Gates bezieht sich im Interview auf Keuchhusten und Masern-Impfungen, die zurück gegangen seien. Mangels öffentlicher Daten aus Großbritannien und den USA nutze ich mal deutsche Daten, um die Behauptung zu prüfen. Von Masern weiß ich noch aus der Impfdebatte um die Masernpflichtimpfungen, dass man jährlich Todeszahlen im einstelligen Bereich beobachtet. Die Durchimpfungsrate für Masern bewegte sich in Deutschland irgendwo oberhalb von 80 Prozent (24 bis 26). Für Keuchhusten musste ich nachlesen und bin nach einigem Suchen fündig geworden, in einem RKI-Bericht (27).
Demnach hat das RKI bei Keuchhusten in den Jahren 2013 einen Todesfall bei einem 84-jährigen und 2016 immerhin 3 Todesfälle bei Säuglingen ermittelt (S. 193 nach interner Dokumenten-Numerierung). Das ergibt — auf ganz Deutschland bezogen — vier Tote in vier Jahren, drei davon Kinder. Darüber hinaus finden sich im selben Bericht Informationen über den Impfstatus (26i, S. 194 unten). Wir hatten in Deutschland in dieser Zeit Impfraten von grob 50 Prozent in den östlichen und 30 Prozent in den westlichen Bundesländern, insoweit wir nur die Kinder betrachten und die Säuglinge außen vor lassen.
Das sind keine wahnsinnig beeindruckenden Impfraten, und trotzdem fehlen die Todesfälle. Selbst wenn wir unterstellen, Bill Gates meinte einen Zeitraum von 1998 bis 2010, also 12 Jahre statt vier, und wir betrachten die Bevölkerung der USA und Großbritanniens und nicht die Deutschlands, stellt sich die Frage, woher die Tausenden toten Kinder kommen sollten; sicherlich nicht von Masern und Keuchhusten. Man könnte unken, Bill Gates sollte sich vielleicht mal für eine Impfung gegen Schusswaffenbesitz einsetzen.
Man könnte aber auch einen Satz aus seinem Eingangsstatement im Interview lesen. In diesem sagt er über das Impfen (Übersetzung durch Autor):
„[...] wir brauchen nur 6 oder 7 [Impfstoffe] mehr — und dann hätte man alle Werkzeuge, um die Kindersterblichkeit zu senken, das Bevölkerungswachstum zu senken, und alle — die Stabilität, die Umwelt — hätten einen Nutzen davon“ (17ii).
Es bleibt der Finanzierungsvorbehalt. Wakefield hat nachweislich nicht unabhängig geforscht. In einer idealen Welt wäre das natürlich sehr problematisch. Nur: Sieht es denn auf der Gegenseite anders aus? Wenn nämlich ein Bill Gates dem Mediziner diese Verstrickung vorwirft — was er ja tut —, dann ist das eine ganz bemerkenswerte Projektion. Schließlich finanzieren Tausende Wissenschaftler ihre Forschungen wesentlich mit den Geldern des „Philanthropen“ und den eng mit seiner Stiftung zusammenwirkenden Pharmakonzernen.
Studien, welche die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Medikamenten und Behandlungsmethoden prüfen, werden von den — sich selbst so bezeichnenden — „forschenden Pharmaunternehmen“ (28) in Auftrag gegeben und finanziert. Die Universitäten sind zwingend auf Drittmittel angewiesen, seitdem die Staaten sich mehr und mehr aus deren Finanzierung zurückziehen. Stiftungen hängen immer an großen Geldgebern, und damit an Unternehmen — die bedeutenden an global agierenden Unternehmen — wie zum Beispiel die Bill & Melinda Gates Foundation, die wiederum ohne Microsoft schlicht nicht denkbar wäre.
Und selbst staatliche Behörden, wie Medikamentenzulassungsstellen geben keine eigenen Studien in Auftrag, sondern lassen sich von den Herstellern die Studien, die nötig sind, um Medikamentensicherheit zu beurteilen, gleich mitliefern.
Das ist die wissenschaftliche Realität, in der wir leben. Unabhängigkeit in Forschung und Lehre existiert eigentlich nicht mehr, und Halton Arp macht uns darauf aufmerksam, dass das schon 1930 so eine Sache war …
Aber ist das so ein großes Problem? Arbeiten denn die Pharmaindustrie nicht nach streng wissenschaftlichen Kriterien? Lassen sich die Staatenlenker nicht von unabhängigen Beratern die Sachverhalte nahebringen, die sie selbst nicht mehr verstehen können?
Das wäre genau die Frage. Und genau hier setzen wir an, wenn wir uns im Folgeteil mit besagter Studie des Imperial College auseinandersetzen. Denn es ist ein Beispiel einer ‘wissenschaftlichen’ Arbeit, die einerseits ganz klar eingesetzt wird, um Politik zu machen, oder wenigstens zu beeinflussen. Und andererseits genießt diese Studie das Unabhängigkeits-Siegel: mit freundlicher Unterstützung der Bill & Melinda Gates Foundation.
Bitte bleiben Sie schön aufmerksam.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text wurde von Sebastian Domschke verfasst und erschien unter dem Titel „Bill Gates und das Imperial College of London (1)“ zuerst auf dem Blog Peds Ansichten von Rubikon-Autor Peter Frey.
Quellen und Anmerkungen:
(i) 1 Zoll sind etwa 2,5 cm, es handelt sich also um ein 1,5m-Teleskop, ein 2,5m-Teleskop und ein 5m-Teleskop. Das sind Anlagen, die man sich nicht mehr einfach in den Vorgarten stellen kann und die viel Geld kosten.
(ii) Ich kann den Film persönlich im Ganzen nicht empfehlen. Das hat vor allem mit der Aufmerksamkeitsökonomie zu tun, und damit dass die Fälle die beschrieben werden, so entsetzlich sind, dass eine Alterseinschränkung sinnvoll scheint. Mich persönlich überfordert der Film emotional. Und es gibt eigentlich nur zwei Möglichkeiten damit umzugehen — entweder man lehnt den Inhalt komplett ab, oder man lässt diese Emotionen zu, was es fast unmöglich macht, die Sichtweise des Films abzulehnen (man vergleiche mit Gerald Hüther zum Thema Lernen und Emotionen). Beides macht eine unvoreingenommene Haltung praktisch unmöglich, und zieht eine emotionale Trennwand zwischen den beiden Haltungen, was der Sache nicht dienlich ist. Dienlich wäre eine Einzelfallstudie, aber die wurde ja vom Lancet zurückgezogen.
(1) 23.06.2020; Rubikon; Betram Burian; Propagandistische Selbstbeweihräucherung; https://www.rubikon.news/artikel/propagandistische-selbstbeweihraucherung
(2) 26.06.2020; Rubikon; Rainer Johannes Klement; die Fehlprognosen; https://www.rubikon.news/artikel/die-fehlprognosen
(3) 08.06.2020; nature; Seth Flaxman, Swapniel Mishra, Axel Gandy und weitere (Imperial College of London); Estimating the effects of non-pharmaceutical interventions on COVID-19 in Europe; https://www.nature.com/articles/s41586-020-2405-7_reference.pdf; beziehungsweise: https://www.nature.com/articles/s41586-020-2405-7
(4) https://en.wikipedia.org/wiki/A_Peace_to_End_All_Peace; abgerufen: 07.08.2020;
(5) https://de.wikipedia.org/wiki/Friedensvertrag_von_Versailles; abgerufen: 07.08.2020
(6) Perlentaucher; Krieg und Frieden (John Maynard Keynes); https://www.perlentaucher.de/buch/john-maynard-keynes/krieg-und-frieden-die-wirtschaftlichen-folgen-des-vertrags-von-versailles-2014.html; abgerufen: 07.08.2020
(7) 19.08.2018; Nachdenkseiten; Thomas Trares; Zum Buch Finanzimperialismus von Michael Hudson; https://www.nachdenkseiten.de/?p=45532
(8) 05.01.2018; Hermann Ploppa; Vortrag zum Buch „Hitlers amerikanische Lehrer“; https://www.youtube.com/watch?v=V1Im_bQLKDc
(9) 28.12.2018; https://media.ccc.de/v/35c3-9744-inside_the_fake_science_factories
(10) 29.12.2018; Die dreckige Empirie — Kann man empirischen Studien trauen?; https://media.ccc.de/v/35c3-9686-die_dreckige_empirie
(11) 27.12.2018; Science is broken; https://media.ccc.de/v/34c3-9055-science_is_broken
(12) 30.08.2005; PLOS MEDICINE; John P. A. Ioannidis; Why Most Published Research Findings Are False; https://journals.plos.org/plosmedicine/article?id=10.1371/journal.pmed.0020124
(13) 19.03.2020; Coronavirus disease 2019: The harms of exaggerated information and non‐evidence‐based measures; John P. A. Ioannidis; https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/eci.13222
(14) https://en.wikipedia.org/wiki/Quasars,_Redshifts_and_Controversies; abgerufen: 07.08.2020
(15) https://de.wikipedia.org/wiki/Carnegie_Institution_for_Science; abgerufen: 07.08.2020
(16) 12.04.2020; ARD-Tagesschau; Es braucht eine globale Anstrengung; https://www.tagesschau.de/ausland/gates-corona-101.html
(17 bis17ii) 04.02.2011; CNN; Danielle Delorto; Bill Gates: Vaccine-autism link „an absolute lie“; http://edition.cnn.com/2011/HEALTH/02/03/gupta.gates.vaccines.world.health/index.html
(18) 08.03.2019; BitChute; Vaxxed; vollständige Version des Filmes (in englisch); https://www.bitchute.com/video/AhuaJ6c0moG9/
(19) Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung; Masern-Impfung bei Kindern; https://www.impfen-info.de/impfempfehlungen/fuer-kinder-0-12-jahre/masern.html; abgerufen: 06.08.2020
(20,20i) https://de.wikipedia.org/wiki/Andrew_Wakefield; abgerufen: 07.08.2020
(21) Brian Deer; Andrew Wakefield: the fraud investigation; https://briandeer.com/mmr/lancet-summary.htm; abgerufen: 07.08.2020
(22) 2017; Spielfilm.de; Vaxxed — Die schockierende Wahrheit!?; https://www.spielfilm.de/filme/3004540/vaxxed-die-schockierende-wahrheit
(23,23i) https://briandeer.com/mmr/uptake-stats.htm
(24) WHO; Durchimpfungsraten für die erste und zweite Masernimpfung (MCV1, MCV2) in Deutschland seit 1980; https://apps.who.int/immunization_monitoring/globalsummary/estimates?c=DEU; abgerufen: 07.08.2020
(25) 31.07.2020; impf-info.de; Faktencheck Masern und Masernimpfung nach Bundesländern; https://www.impf-info.de/die-impfentscheidung/die-diskussion-%C3%BCber-die-impfpflicht/279-faktencheck-masern-und-masernimpfung-nach-bundesl%C3%A4ndern.html
(26) „Nach Angaben der WHO liegt in entwickelten Ländern die Letalität der Masernerkrankung zwischen 0,01% und 0,1%. In Ländern mit verbreiteter Mangelernährung und hohen Inzidenzen weiterer Infektionen oder bei Personen mit Immundefizienz kann sie bedeutend höher sein. Daten der Todesursachenstatistik (die im Gegensatz zu den IfSG-Meldedaten zum Beispiel auch die Todesfälle nach SSPE berücksichtigt, die bis einschl. 2019 nicht meldepflichtig gemäß IfSG waren) weisen für Deutschland insgesamt 42 Todesfälle aufgrund von Masern bzw. SSPE im Zeitraum 2007 bis 2015 aus. Das entspricht insgesamt etwa 3-7 Masern-assoziierten Todesfällen pro Jahr in Deutschland.“; 24.04.2020; Masern RKI-Ratgeber; https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Masern.html
(27) https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2017/Ausgaben/21_17.pdf?__blob=publicationFile
(28) Wirtschaftsverband der forschenden Pharmaunternehmen; https://www.vfa.de/standortkarte/?gclid=EAIaIQobChMIqdzJnOCI6wIVh7PtCh3huQKmEAAYASAAEgJJuvD_BwE; abgerufen: 07.08.2020
(b1) Grafik aus Studie des Imperial College of London; https://www.rubikon.news/media/images/7cb1d7192c5327fdbe336a6306d27a09.jpg