Letzte Chance für die Meinungsfreiheit
Für die Freilassung von Julian Assange sollten wir jetzt alle auf die Straße gehen.
Über die Auslieferung von Julian Assange wird in wenigen Wochen in England entschieden. Weltweit versammeln sich mehr und mehr Menschen auf der Straße, um ihrem Protest über seine Verhaftung und seine mögliche Auslieferung an die USA Ausdruck zu verleihen. Warum diese Proteste der Zivilgesellschaft unverzichtbar sind und warum „alle“, die die Möglichkeit haben, hingehen sollten, hat die Autorin aus persönlicher Sicht zusammengefasst.
Warum gehe ich auf die Straße? Weil mir das Thema zu wichtig ist, um nicht auf die Straße zu gehen. Und warum ist mir das Thema wichtig? Weil ich davon betroffen bin — genauso wie jeder andere kritisch denkende Mensch auch. Es kommt nur auf den Zeitpunkt an, ab wann diese Betroffenheit schlagend wird.
Es war Martin Niemöller, der sagte:
Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.
In diesem Sinne darf ich nicht schweigen, wenn Menschen wie Julian Assange, Chelsea Manning oder Edward Snowden „geholt werden“. In Niemöllers Sinne „die Kommunisten“.
Als sie die Kommunisten holten …
Julian Assange, einer der Gründer von WikiLeaks, hat unter anderem geholfen, US-Kriegsverbrechen und den Tiefen Staat für den Normalbürger sichtbar zu machen, das ist sein „eigentliches Verbrechen“. Und sein Fall macht deutlich, dass unser Rechtsstaat nicht mehr funktioniert, sondern im Gegenteil kläglich versagt. Er hat versagt, als es um die unrechtmäßige Inhaftierung, sogar um die Folterung eines Journalisten aus Australien ging!
Und das alles geschieht ohne nennenswerten Widerstand innerhalb der Weltgemeinschaft, innerhalb der UNO, innerhalb Europas, der EU? Nein, bald nicht mehr innerhalb der EU. Ab Februar nur noch innerhalb des Commonwealth, innerhalb des angloamerikanischen Einflussbereiches, doch in jedem Fall innerhalb der westlichen Wertegemeinschaft — von der ja ständig geredet wird. Doch welche Werte werden hier vertreten?
Journalismus wird oft als „die vierte Gewalt“ bezeichnet. Das ist falsch, das war nie so gedacht! Der Rechtsstaat ruht auf drei Gewalten: Legislative, Exekutive und Judikative.
Journalismus war immer als außerparlamentarische Opposition gedacht. Nicht als vierte Gewalt, sondern als Korrektiv.
Aber hier hat der Tiefe Staat, auch als militärisch-industrieller Komplex (MIK) bekannt, ganze Arbeit geleistet. Es gibt dieses Korrektiv in der bisherigen Form nicht mehr. Es gibt heute einen militärisch-industriellen Medien-Komplex (MIMK). Dieser hat Julian Assange zum Verbrecher erklärt — und das eigentliche Korrektiv, die Massenmedien, haben ebenso kläglich versagt; sie melden sich erst jetzt kleinlaut zu Wort, nachdem ihr Versagen allzu deutlich wird.
Was ist Assanges Verbrechen? Die USA beziehungsweise deren Tiefer Staat werfen ihm „unerlaubten Erhalt und die Verbreitung geheimer Informationen“ vor. Dieser Journalist macht das, was er gelernt hat und was die Pflicht eines jeden Journalisten wäre: Er schreibt und veröffentlicht das, was nach Meinung der Herrschenden nicht veröffentlicht werden darf. Und dafür soll ihm der Prozess gemacht und ein Exempel an ihm statuiert werden! Er hat gegen die herrschende Meinung verstoßen. Die herrschende Meinung — das ist ja bekanntlich immer die Meinung der Herrschenden.
Das Folgende wird George Orwell zugeschrieben.
Journalismus ist es, das zu schreiben, was nicht geschrieben werden darf, das zu drucken, was nicht gedruckt werden darf und das zu veröffentlichen, was nicht veröffentlicht werden darf. Alles andere ist PR!
Heute findet in den Mainstreammedien kaum mehr echter Journalismus statt. Viele der „Spitzenjournalisten“ wurden in transatlantischen NGOs und Thinktanks qualifiziert, und tun oft alles andere als als Opposition zu agieren. Heute gibt es nur noch wenige Herausgeber oder Chefredakteure in den klassischen Medien, die nicht mit einer transatlantischen Organisation in Verbindung gebracht werden können. Und sie tun wenig bis gar nichts, um Kriegsverbrechen der USA und des Wertewestens an die Öffentlichkeit zu bringen.
Stattdessen agieren sie als Hofberichterstatter und NATO-Pressestellen auf transatlantischem Kurs. Berichte über verbrecherische Handlungen der Regierungen passen jedoch nicht in eine Hofberichterstattung. Die Medien berichten nur darüber, wenn sie unbedingt müssen, und dies immer in sehr abgeschwächter Form. Aufgrund der Arbeit von Julian Assange mussten sie handeln. Das haben sie nicht gern getan, doch sie mussten über die US-Kriegsverbrechen im Irak berichten. Und dank seiner Enthüllungen haben sie Schlagzeilen gemacht.
Julian Assange setzt sich für Demokratie ein. Er bringt Kriegsverbrechen und Staatsterror — egal welcher Seite —an die Öffentlichkeit. Terror der Geheimdienste. Terror gegen uns. Abschaffung der Demokratie. Das aufzudecken war und ist Anliegen von Julian Assange. Wir sollten uns an die Worte erinnern, die vermutlich von Voltaire stammen:
„Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass Sie sie äußern dürfen!“
Julian Assange hat uns gezeigt, dass es neben der Meinung der Regierenden — und deren irriger Annahme, sie würden über dem Recht stehen — noch eine andere Meinung gibt, die auf Fakten und Dokumenten basiert und von öffentlichem Interesse ist! Und diese orientiert sich an den Menschenrechten, die wir auch für Julian Assange fordern!
Ein Journalist, der über Staatsverbrechen berichtet, über Verbrechen gegen die Menschlichkeit — und das in ganz großem Stil —, über Verbrechen gegen uns alle, darf nicht in London oder an irgendeinem anderen Platz auf der Welt zu Tode gefoltert werden.
Es muss Schluss sein mit den Torturen des längst überwunden geglaubten Mittelalters. Die Einhaltung der Regeln des Rechtsstaates, den unsere Vorfahren erkämpft haben, muss wieder gesichert sein. Denn wenn Julian Assange im britischen oder US-amerikanischen Gefängnis verreckt, sind danach die Nächsten dran.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten ...
Man hat die Nächsten, „die Sozialisten“ im Niemöller’schen Sinne, bereits in der Mangel. Es hat bereits jetzt namhafte Journalisten in ihrer Existenz getroffen. Hier ein paar Beispiele:
Gerhard Wisnewski — jahrzehntelang Liebling der Dokumentarfilm-Auftraggeber in den öffentlich-rechtlichen Medien — fiel in Ungnade nach seinen Dokumentationen zum 11. September und den Anschlägen der RAF.
Tommy Hansen, verstorben am 18. August 2018, Journalist und Herausgeber von free21, schrieb vor Jahren ebenfalls ein Buch über 09/11 und erhielt anschließend keinerlei Arbeit bei den Medien mehr.
Frieder Wagner bekam keinen Auftrag mehr, nachdem er Filme über abgereichertes Uran wie „Der Arzt und die verstrahlten Kinder von Basra“ oder „Todesstaub“ gemacht hatte.
Andrej Nekrasov — Grimmepreisträger und umworbener Filmemacher, der unter anderem durch seinen Film über das Sterben von seinem Freund Sascha Litvinienko durch Poloniumvergiftung bekannt wurde — ist beruflich fast tot, nachdem seine Dokumentation zum Fall Magnitzki das Gegenteil dessen zu Tage förderte, was sein Auftraggeber, der superreiche US-Amerikaner Bill Browder, kolportiert und erwartet hatte: „Der Russe“ — namentlich „der böse Putin“ — war es nämlich nicht.
Leslie Franke und Herdolor Lorenz sind mit ihren Dokumentationen über das neoliberale Wirtschaftssystem auch an die unsichtbare Grenze des Sagbaren im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gestoßen und können nur noch crowdfinanziert arbeiten.
Karin Leukefeld, eine der fundiertesten Expertinnen zum Thema Syrien, findet man heute auch nur noch in alternativen Medien wie Weltnetz TV oder RT. Sie kommt im ÖR nicht mehr zu Wort — vermutlich, weil sie sich immer wieder vor Ort aufhält, echte Fakten sachlich berichtet und nicht das kolportiert, was „man“ hören möchte.
Oder erinnert sich jemand daran, die Russlandexpertin, Journalistin und Professorin Gabriele Krone-Schmalz in der letzten Zeit im Fernsehen gesehen zu haben? Die bekennende „Russlandversteherin“, die jahre-, wenn nicht jahrzehntelang aus Russland berichtet hat, wird offensichtlich nicht mehr zu Talkshows eingeladen …
„Mr. Dax“ Dirk Müller, Börsenexperte und Kenner des Finanzsystems von innen ist in TV-Sendungen auch nicht mehr so willkommen wie früher, seit er diese Strukturen, die er wirklich genau kennt, fundiert kritisiert.
Es gibt noch zahlreiche weitere — Christoph Hörstel, Ken Jebsen, Bodo Schickentanz, Dirk Pohlmann, Matthias Bröckers, Michael Lüders, Gabi Weber und viele mehr —, die aus den verschiedensten Gründen in die Kritik geraten sind, ihre Mainstreamjobs verloren haben oder mittels übelster Schmähungen diffamiert werden.
Wie man sieht — diese „Sozialisten“ im Sinne von Niemöller sind auch schon dran!
Als sie die Gewerkschafter holten ...
Ohne anmaßend sein zu wollen: Menschen wie ich gehören wohl zu „den Gewerkschaftern“. Wir, die Dritten, die laut Niemöller betroffen sind, werden früher oder später auch in den Fokus kommen. Noch werden Leute wie ich nur gemäßigt in ihrer Arbeit behindert. Ein bisschen Zensur auf Facebook durch Reichweitenbeschneidung und Shadow-Banning tut nicht weh, ist aber deutlich erkennbar. Die dritte Reihe — Aktivisten, die auf der Straße sind oder in alternativen Medien publizieren — fliegen noch unter dem Radar.
Aber wir werden sicher schon von den Argusaugen des Tiefen Staates beobachtet.
Da gebe ich mich keiner Illusion hin. Eine SEO-Managerin (SEO: Search engine optimization) berichtete, dass Google 2019 zweimal die Algorithmen geändert hat und dadurch alternative Medien und missliebige Blogs eine Schlechterreihung und somit weniger Aufrufe erhalten.
Als sie mich — pardon dich — holten ...
Und ja — danach sind alle anderen dran. Also alle, die bislang nur zuhören und sich informieren, aber selbst und kritisch denken. Machen wir uns nichts vor: Früher oder später sind alle kritischen Geister unerwünscht, wenn sie heute Julian Assange fertig machen dürfen.
Und darum gehe ich auf die Mahnwache für Julian Assange. Aus reinem Egoismus. Darum sollten noch viel mehr Menschen auf die Straße gehen!
Auf Candle4 Assange findet man die Mahnwache in der eigenen Region — oder kann die eigene Mahnwache melden, damit mehr Leute den Mut fassen und laut und deutlich sagen:
Free Julian Assange. Free Chelsea Manning. Free Edward Snowden!