Lernziel Pazifismus
Europa muss seine Abgestumpftheit überwinden und sich die Gefahren eines Krieges wieder klar vor Augen führen. Teil 3 von 4.
Angesichts der Panzer, die per Bundesbahn an die neue, alte deutsche „Front“ gen Osten transportiert werden, sei ihr klar geworden, schreibt Antje Vollmer (1943 bis 2023) in ihrem letzten von ihr veröffentlichen Text, dass alles, wofür sie ihr Leben lang gekämpft hat, „eine einzige riesige Niederlage war.“ Doch die überzeugte Pazifistin und evangelische Theologin, die „Grande Dame“ aus der ersten Generation der grünen Partei, deren politische Karriere in der vieljährigen Vize-Präsidentschaft des Deutschen Bundestages gipfelte, verbreitete auch Zuversicht: Denn, so schreibt sie, „Europa steht kurz vor der Phase einer großen Ernüchterung, die das eigene Selbstbild tief erschüttern wird“. Und genau darin sah sie auch die Chance, dass es selbst dem Westen gelingen könnte, in eine tatsächlich gerechtere und endlich friedliche Welt aufzubrechen. Die Artikelserie soll dazu beitragen, wie von Vollmer erhofft, „den Krieg zu verlernen“ und den Pazifismus zu lernen.
„Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg, bis ich herausfand, dass es welche gibt, die dafür sind, besonders die, die nicht hingehen müssen“ (1). Diese zu selten zitierte Erkenntnis des vor allem durch seinen Antikriegsroman „Im Westen nichts Neues“ international bekannt gewordenen Schriftstellers Erich Maria Remarque (1898 bis 1970) scheint heute in Deutschland besonders auf die „grüne“ Partei zuzutreffen, das heißt, vor allem der zweite Halbsatz. So fallen, wie Clare Daly sagt, „die Grünen in Deutschland im Europäischen Parlament (als) die größten Kriegstreiber in Europa (auf). Sie verraten ihre Geschichte“ (2).
Auch Antje Vollmer, die, zuerst noch parteilos, von Beginn an aber der Grünen-Fraktion angehörte, als diese 1983 erstmals in den Deutschen Bundestag einzog, war entsetzt über die Entwicklung „ihrer“ Partei. „Wir wollten in den 1980er-Jahren eine neue blockübergreifende Friedensordnung in Europa. (…) Damals war die pazifistische Idee ein Kern der Grünen und auch mehrheitsfähig. Erst in der Ukrainekrise haben ausgerechnet Grüne als erste Putin zum Feindbild erklärt,“ sagte die Pazifistin, evangelische Theologin und von 1994 bis 2004 Bundestags-Vizepräsidentin bei ihrem letzten Interview mit dem Chefredakteur der Berliner Zeitung Michael Maier.
Vollmer, die sich ab 2005 vermehrt als freie Publizistin betätigt hatte, erinnerte auch daran, dass der Pazifismus der SPD aus dem 19. Jahrhundert kommt und international ausgerichtet war.
„Die Arbeiter wollten sich nicht gegenseitig aufhetzen lassen. Sie wollten dem kapitalistischen Krieg nicht ihre Söhne opfern. Wenn die Sozialdemokratie diesen Kurs durchgehalten hätte, wäre das 20. Jahrhundert wirklich das Jahrhundert der Sozialdemokratie geworden. Viele Katastrophen wären uns erspart geblieben“ (3).
Soldaten sind Mörder
Der eigentliche Bruch innerhalb der Partei erfolgte, so Vollmer, mit dem „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO gegen Belgrad“ und der anschließenden „völkerrechtswidrige(n) Anerkennung des Kosovo als selbstständiger Staat“.
„Damals wurden unsere beiden heiligsten Güter gegeneinander ausgespielt. Wir sollten entscheiden zwischen Menschenrechten und Friedenspolitik.“
Heute, so folgerte sie in ihrem letzten, in der Berliner Zeitung vom 25./26. Februar 2023 veröffentlichten Beitrag, dem „Vermächtnis einer Pazifistin“, „gibt es einen Menschenrechts-Bellizismus, dem geht es nicht um Menschenrechte, sondern um ‚Regime Change‘.“
Ihren durch Krankheit bedingten nahenden Tod bereits vor Augen, resümierte die Pazifistin:
„Meine ganz persönliche Niederlage wird mich die letzten Tage begleiten. Gerade die Grünen, meine Partei, hatte einmal alle Schlüssel in der Hand zu einer wirklich neuen Ordnung einer gerechteren Welt. Sie war durch glückliche Umstände dieser Botschaft viel näher als alle anderen Parteien. Wir hatten einen echten Schatz zu hüten: Wir waren nicht eingebunden in die machtpolitische Blocklogik des Kalten Krieges. (…) Wer die Welt retten wollte, musste ein festes Bündnis zwischen Friedens- und Umweltbewegung anstrebten. Das war eine klare historische Notwendigkeit, die wir lebten. Wir hatten dieses Zukunftsbündnis greifbar in den Händen.“
Und so fragte sie am Ende, erschüttert über die gegenteilige Entwicklung und den Verrat der heute machtpolitisch korrumpierten „grünen“ Partei an den Idealen ihrer Gründer:
„Was hat die heutigen Grünen verführt, all das aufzugeben für das bloße Ziel, mitzuspielen beim großen geopolitischen Machtpoker, und dabei ihre wertvollsten Wurzeln als lautstarke Antipazifisten verächtlich zu machen?“ (4).
Dem Kriegsgehetze der Antipazifisten und die Kriegstreiberei der Herrschenden und Profiteure trat vor mehr als 90 Jahren auch der Autor und Pazifist Kurt Tucholsky (1890 bis 1935) mit gleicher „Waffe“ wie Vollmer, mit dem Wort, entgegen. Er machte bewusst, was Kriege und was Soldatentum in Wirklichkeit sind: Mord und „Soldaten sind Mörder!“.
Mit dieser Schlüsselerkenntnis erregt der seinerzeit unter seinem Pseudonym Ignaz Wrobel veröffentlichte Text Tucholskys noch heute die Gemüter, schreibt der Publizist Michael Hepp (1949 bis 2003) in seinem Essay „‚Jede Zeit hat den Satiriker, den sie verdient‘ oder: Kurt Tucholsky und die beleidigte Reichswehr“. Tucholskys „Marginale“ wertet der Rezensent als Ergänzung zu „ihrer Friedensnummer vom 4. August 1931“, in der die Weltbühne die „Exhortation“ von Papst Benedikt XV. vom Juli 1915 in voller Länge und neuer Übersetzung dieser leidenschaftlichen Verdammung des Krieges veröffentlichte. Das Oberhaupt der katholischen Kirche hatte den damals tobenden Ersten Weltkrieg eine „grauenhafte Schlächterei“, die „Europa entehrt“, genannt. Diese Fassung der Erklärung des Papstes hatten, so Hepp, zuvor die „deutschen Bischöfen allerdings nur in einer verfälschten und abgemilderten Form veröffentlicht“.
Wenige Seiten später in dieser Weltbühne- Ausgabe stand Tucholskys „Glosse ‚Der bewachte Kriegsschauplatz‘, (…) durch die sich die Reichswehr verunglimpft und beleidigt sah“. Der Schriftsteller „beschäftigte sich darin mit der Feldpolizei, die den Kriegsschauplatz abgesperrt und darüber gewacht hätte, daß ‚vorn richtig gestorben wurde‘. Besonders betroffen fühlte sich die Reichswehrführung“, Hepp zufolge, „jedoch durch einen kleinen Abschnitt, dessen Schlußsatz bis heute für Aufregung sorgt: ‚Da gab es vier Jahre lang ganze Quadratmeilen Landes, auf denen war der Mord obligatorisch, während er eine halbe Stunde davon entfernt ebenso streng verboten war. Sagte ich: Mord? Natürlich Mord. Soldaten sind Mörder. (…)‘“ (5).
Von Ossietzky — schon zu Lebzeiten eine Symbolfigur für den Pazifismus
Wie Sabrina Ebitsch in ihrer Diplomarbeit von 2004 zum Titel „Kurt Tucholskys Journalistenkritik — Kritik als Berufsstörung“ ergänzt, für die sie insbesondere auch Briefe des Autoren, veröffentlichte autobiografische Reflexionen sowie dessen Autobiografie einbezieht, schämte sich der politische Publizist später für seine Kriegsbeteiligung. „Ich bedaure, daß ich nicht, wie der große Karl Liebknecht, den Mut aufgebracht habe, Nein zu sagen und den Heeresdienst zu verweigern.“ Zu seiner Zeit als Soldat schreibt er:
„Ich habe mich dreieinhalb Jahre im Krieg gedrückt, wo ich nur konnte. (…) So tat ich, was ziemlich allgemein getan wurde: Ich wandte viele Mittel an, um nicht erschossen zu werden und um nicht zu schießen.“
Die Diplomandin schließt aus Tucholskys eingestandener Reue: „Wie bei seiner Auseinandersetzung mit dem Bürgertum richten sich auch hier viele Angriffe gegen das Militär letztlich gegen ihn selbst. Und vielleicht wollte er gerade mit seinem pazifistischen Engagement Abbitte leisten für das, was er sich auch selbst vorwarf“ (6). Ich sehe in seinen Selbstreflexionen vor allem auch die Suche des Autors nach Wahrheit im Sinne des Postulats von Platon: „Erkenne dich selbst!“.
Unmittelbar nach Ende des Ersten Weltkrieges gründete Tucholsky zusammen mit Carl von Ossietzky (1889 bis 1938), der 1916 noch als Infanterist zur „Westfront“ eingezogen worden war, und weiteren Pazifisten den „Friedensbund der Kriegsteilnehmer“ (7).
Von Ossietzky war bis zu seiner Verhaftung 1933 durch das Nazi-Terrorregime, die für ihn in Vernichtungsgefangenschaft endete, Herausgeber und Chefredakteur der im zunehmend totalitären Dritten Reich sofort verbotenen Weltbühne. Für die von Siegfried Jakobsohn (1881 bis 1926) zuerst unter dem Titel Schaubühne als feuilletonistische Theaterzeitung in Berlin gegründete Zeitschrift, die bald in die Wochenschrift für Politik, Kunst, Wirtschaft weiterentwickelt wurde, hatte auch Kurt Tucholsky geschrieben und sie übergangsweise nach dem Tod des Gründers auch geleitet.
Bereits in der Weimarer Republik wurde Ossietzky als verantwortlicher Redakteur wegen angeblichen militärischen Geheimnisverrats verurteilt und musste eine 18-monatige Haftstrafe verbüßen, aus der er aufgrund einer Generalamnestie Ende 1932 vorzeitig entlassen wurde. Im fast zeitgleichen, von der Reichswehr-Führung angestrebten Prozess wegen des als Beleidigung empfundenen Aphorismus „Soldaten sind Mörder“ hingegen wurde die Weltbühne-Redaktion freigesprochen (8).
Willy Brandt verneigt sich vor dem Pazifisten
1936 erhielt der Pazifist den Friedensnobelpreis (von 1935). Dafür und zuvor schon für seine Freilassung aus dem Gefängnis und aus der KZ-Haft hatten sich weltweit Intellektuelle, Wissenschaftler, Diplomaten und Politiker eingesetzt, darunter Albert Einstein, Sigmund Freud, Karl Barth und emigrierte Schriftsteller-Kollegen wie Heinrich und Thomas Mann und Kurt Tucholsky, der bereits 1930 nach Schweden übergesiedelt war. Ossietzky wurde massiv von der Nazi-Führung, so auch von Hermann Göring persönlich, bedrängt, die Auszeichnung nicht anzunehmen, was der Publizist standhaft ablehnte. Eine Ausreise nach Schweden zur Entgegennahme der Auszeichnung war dem „Gefangenen“ vom Regime verboten. Anschließend hatte Hitler erlassen, dass kein Deutscher einen Nobelpreis mehr annehmen dürfe (9).
Über den Friedensnobelpreisträger schreibt die Journalistin Moira Lenz in ihrem am 4. Mai 2013 — zu seinem 75. Todestag — vom Norddeutschen Rundfunk ausgestrahlten Feature „Carl von Ossietzky: Ein mutiger Pazifist“:
„Dem Hamburger Journalisten und Herausgeber der Weltbühne wurde rückwirkend der Friedensnobelpreis zuerkannt.“
Die Journalistin zitiert zugleich den späteren deutschen Friedensnobelpreisträger Willy Brandt:
„‚Mit seiner scharfen Feder stritt er gegen Militarismus und Nationalismus. Von ihm forderte die Zeit mehr als Zivilcourage, sie forderte von ihm das Leben.‘ Mit diesen Worten erinnerte der damalige Bundeskanzler Willy Brandt 1971, als er den Friedensnobelpreis erhält, an den früheren Preisträger Carl von Ossietzky.“
Lenz führt weiter aus: „Der Hamburger Journalist setzte sich stets unbeirrbar für Frieden, Demokratie und Völkerverständigung ein.“ Ossietzky starb am 4. Mai 1938 an den Folgen seiner KZ-Haft: „Bereits zu Lebzeiten war er eine Symbolfigur des Pazifismus“ (10).
Das genaue Gegenteil zu Willy Brandts Ehrerbietung gegenüber dem von Ossietzky verkörperten Pazifismus erfahren wir im wieder verrohten Deutschland rund 50 Jahre später nach der Verleihung des Friedensnobelpreises durch den amtierenden Bundeskanzler Olaf Scholz. Als wäre dieser persönlichkeitsgespalten — oder fremdgesteuert —, verhöhnt der anerkannte Kriegsdienstverweigerer Friedensfreunde, die nach dem Willen der Verfassungsväter und -mütter dem Buchstaben des von ihnen verfassten Grundgesetzes der Bundesrepublik folgen und für den Frieden in der Welt eintreten, als „gefallene Engel aus der Hölle“. So geschehen bei einer Friedenskundgebung während des SPD Wahlkampfauftakts zur Landtagswahl in München Mitte August 2023.
Konsequente Kritik gegen die Verunglimpfung von „Jesu Anhängerschaft“ übten die evangelischen Pfarrer außer Diensten Hanns-Martin Hager und Jürgen Fliege, bekannt durch frühere eigene Fernsehsendungen: „Wir können nicht wortenlos zuschauen, wenn Sie in Ihrem Amt und in Ihrer Machtfülle nach all denen treten, die sich in ihrer Friedens- und Feindesliebe ausdrücklich auf den Zimmermann aus Nazareth berufen“, begründen die Autoren ihr Eingreifen in ihrem öffentlichen Brief an Scholz:
„Ihre Worte bilden den Höhepunkt aller aktuellen propagandistischen Umwertung unser traditionellen Werte und Wertvorstellungen: ‚Frieden schaffen‘ heißt nun ‚Krieg führen‘. Und ‚Mehr Krieg führen mit mehr Waffen‘ heißt nun ‚Frieden schaffen‘! Das ertragen wir nicht“ (11).
Einsam sterben durch Coronamaßnahmen
Die beiden Theologen erinnern in ihrem Brief auch an die erlebten Umwertungen während der wie in keinem anderen Land der Welt auf ganze drei Jahre ausgedehnten „Coronakrise“, wo die Bevölkerung mit autoritärsten und restriktivsten Verordnungen und Maßnahmen des Staates ihrer bürgerlichen Freiheitsrechte beraubt wurden. Nicht einmal die Sterbenden in Hospitälern und Pflegestätten durften in der Zeit der systematisch erzeugten Panik und Hysterie von ihren Nächsten besucht werden. Mehr als 300.000 alte und kranke Menschen mussten wegen der ihnen vom übergriffigen Coronaregime aufgezwungenen Isolation ohne Begleitung und Trost durch ihnen vertraute Personen einsam sterben, und ihre Freunde und Verwandten durften sich von den Sterbenden nicht menschenwürdig verabschieden (12).
Großdemo am 1. August 2020 in Berlin gegen die Corona-Politik
Ich gehe davon aus, dass sich keine Bevölkerung eines anderen Landes ein solches Maß an Menschenverachtung und Empathielosigkeit von ihrer Obrigkeit hätte gefallen lassen.
Um derartige Eingriffe des Staates in intimste Persönlichkeitsrechte, die bis zum Verbot von Sterbebegleitung durch geliebte Menschen reichen, zu erdulden, muss die Nation eine auf beispiellosen Gehorsam getrimmte, faschistische Vergangenheit durchlaufen haben.
Tatsächlich meine ich, dass sich in Deutschland das Trauma des von vielen Mitläufern zugelassenen und von ebenso vielen begeisterten Anhängern unterstützten Nazi-Totalitarismus über Generationen tief eingebrannt hat und noch bis heute wirkt, da es zumindest in der alten Bundesrepublik nicht aufgearbeitet, sondern lediglich verdrängt und übertüncht ist (13). Wie auch anders — in der BRD herrscht noch immer „braunes Erbe“ (14).
Der Wiederholungszwang Deutschlands, der zunehmend von ausländischen Beobachtern registriert wird, kommt besonders auch dadurch zum Ausdruck, dass sich Kontrollorgane zu reinen Ausführungsinstrumenten ihrer Regierenden degradieren lassen. So titelte The Defender, das Presseorgan der von dem neuen US-amerikanischen Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. gegründeten Gesundheitsorganisation „Children’s Health Defense“, über die Vereinnahmung von Behörden in seiner deutsch übersetzten Ausgabe vom Juli 2024:
„Sogar wenn es um Kinder ging, ignorierte die deutsche Regierung ihre eigenen Wissenschaftler, um strenge COVID-Impf- und Maskenpflichten durchzusetzen.“
Zu dem Zeitpunkt hatte das Onlinemagazin Multipolar die Freigabe der Protokolle des beim Robert Koch-Institut (RKI) eingerichteten Corona-Krisenstabs erfolgreich eingeklagt, in denen zunächst noch viele Passagen geschwärzt, schließlich aber in geleakten Fassungen vollständig einsehbar waren (15).
Eingerichtet sind unterschiedliche Gewalten verfassungstheoretisch dafür, dass sie nicht nur schmückend auf dem Papier eines anzustrebenden Systems der „Checks and Balances“ stehen, sondern real ein Gegengewicht zu einem allzu selbstherrlichen Durchregieren bilden und dieses, da mit genügend eigener Macht ausgestattet, auch stoppen können.
Von mindestens schlechtem Stil und wenig Demokratieverständnis zeugt meiner Meinung nach, wenn sich Verfassungsrichter vor wichtigen Kabinettsentscheidungen und wegweisenden Gesetzesentwürfen, die zur Abstimmung im Parlament anstehen, zum gemeinsamen Speisen von den Spitzen der Exekutive einladen lassen (16).
Erfahren wurde in Deutschland auch, so die beiden Pfarrer Hager und Fliege, „dass Denunziantentum für Solidarität stand und auch stehen sollte. Und dass Kontaktverbot für Nächstenliebe steht und dass der Mensch krank ist, der gesund ist, weil er des Arztes nicht bedarf“. Und sie warnen:
„Der politische Sturm, der mit Lust alles umwirft und umwertet und richtet, erfasst alle und alles. Und die Lust zu lieben verfliegt“ (17).
Dank Corona neuer Reichtum in Billionenhöhe
Neben dem Potenzial, das die Ausrufung eines Pandemie-Alarms über die Word Health Organisation (WHO) (18) zur Einhegung und Lenkung der „Herde“ (Alexandra Kollontai) (19) den Herrschende bietet (20), erwies sich die „Corona-Premiere“ für die von den öffentlichen Finanzhaushalten alimentierten und subventionierten Industrien und Unternehmen als Riesengeschäft. Und die Kluft zwischen Arm und Reich hat sich damit weltweit weiter vergrößert.
„Allein Deutschland hat Corona monetär knapp 440 Milliarden Euro gekostet“, schreibt Marc Friedrich in seinem Manova-Beitrag „Beschleunigte Evolution“ vom Februar 2024. Dabei, so der Bestsellerautor, seien „die volkswirtschaftlichen Schäden und Spätschäden bei den Menschen noch gar nicht berücksichtigt“. Im Weltmaßstab wurden sogar „21 Billionen US-Dollar hastig von den Staaten und Notenbanken ins System geworfen, um die Coronakrise zu bekämpfen“. Diese wertet Friedrich als einen letzten Versuch, das endgültige Aus des seit der Finanzkrise 2008 trudelnden Finanzsystems nochmals hinauszuschieben. Corona, so der Autor, war der gravierende Einschnitt, der die „Krisen der letzten Jahre, die mit einem verzweifelten Notenbankexperiment des billigen Geldes und der tiefen Zinsen notdürftig gekittet worden waren, deutlich offenbart und wieder aufbrechen lassen“ hat (21).
In seinem Beitrag vom Dezember 2020 in der von ihm viele Jahre geleiteten Zeitschrift Lunapark21 beschreibt Winfried Wolf (1949 bis 2023) mit dem gleichlautenden Titel, „Wie Reichtum und Macht in der Coronakrise vermehrt werden“. Wir erleben seit zwei Jahrzehnten „einen Prozess der Akkumulation von individuellem Reichtum, wie es ihn auf globaler Ebene noch nie gab“, so Wolf.
„Das addierte Vermögen der Milliardäre — derzeit ein Kreis von 2.200 Personen — lag laut Berechnungen der Großbank UBS in den Jahren 1998 bis 2002 nahe einer Billion.“
Deren Reichtum, stieg „ausgerechnet im Corona-Jahr 2020 (…) nochmals auf aktuell rund zehn Billionen Dollar an“. Wolf bezieht sich auf Angaben von Oxfam, wonach diese Milliardäre weltweit „inzwischen so viel wie 60 Prozent der Weltbevölkerung“ besitzen. Deren Reichtumsvermehrung, so der Autor, steht „in einem krassen Widerspruch zur anhaltenden Armut in großen Teilen der Welt und zu dem wachsenden Heer von prekär Lebenden in der westlichen Welt“ (22).
Erziehung zum regelbasierten Kapitalismus
Wobei der Kapitalismus gerade durch das sich gegenseitig bedingende Gegensatzpaar Arm und Reich charakterisiert ist, denn jeder Reichtum, nimmt man einen möglichen Lotteriegewinn aus, gründet sich auf Kosten der Armen durch Ausbeutung, Übervorteilung oder direkt durch Raub.
Diesen Tatbestand verdichtete die frühere Ökonomie-Professorin der SPD-Parteischule und Revolutionärin Rosa Luxemburg (1871 bis 1919, ermordet durch einen Freikorps-Trupp unter dem Kommando des späteren Rheinmetall-Direktors Waldemar Pabst) zu der Formel: „Die ‚wissenschaftlichen‘ Verteidiger der besten Welt, in der wir leben, (…erklären) den kapitalistischen Reichtum durch eine ganze Reihe mehr oder minder plausibler Rechtfertigungsgründe und schlauer Manipulationen“, doch am Ende bleibt ihnen nur, „den Reichtum der einen, also auch die Armut der anderen“ als „etwas ‚Gerechtes‘, mithin Unabänderliches“ hinzustellen (23).
Erich Mühsam (1878 bis 1934, zu Tode gefoltert im KZ Oranienburg) entwickelte aus der gleichen Erkenntnis sein Gedicht „Erziehung“ (hier als Auszug) (24):
„Erziehung
(…) Und sprichst du, Vater: Es ist schwer.
Wo nehm ich Geld und Reichtum her?
So merk: Sei deines Nächsten Gast!
Pump von ihm, was du nötig hast!
Sei’s selbst sein letzter Kerzenstumpen –
Besinn dich nicht, auch den zu pumpen.
Vom Pumpen lebt die ganze Welt.
Glück ist und Ruhm auf Pump gestellt. (…)
Was andere schufen, nenne dein!
Was andere haben, steck dir ein!
Greif zu, greif zu! Gott wird’s dir lohnen.
Hoch wirst du ob der Menschheit thronen!“
Und so schreibt das Oxford Committee for Famine Relief, Oxfam Deutschland, in seiner Pressemitteilung vom Januar 2024 zu seinem aktuellen „Bericht zur sozialen Ungleichheit“:
„Die fünf reichsten Männer haben ihr Vermögen seit 2020 verdoppelt, fünf Milliarden Menschen sind ärmer geworden. Superreiche und Konzerne profitieren von Inflation, Kriegen und Pandemie, während die meisten Menschen unter den Folgen leiden.“
Zu dem „Sockel“ von rund 600 Millionen hungernden Menschen in der Welt, die meisten von ihnen Kinder, deren Schicksal das christliche Abendland ausblendet oder an das es sich gewöhnt hat, sind wegen der synchronisierten und katastrophalen Coronapolitik weitere 160 Millionen Menschen hinzugekommen, die in absolute Armut fielen und von denen viele verhungerten (25).
„Corona“ erwies sich als die Krone der Ungerechtigkeit. Aber, so Friedrich: „Die neu gemachten Schulden, die offensichtliche Inkompetenz, historische Fehlentscheidungen gepaart gar mit Lügen der Staaten und Politik haben die Fragilität des Systems demaskiert und haben das Vertrauen der Menschen in die Politik und den Staat weiter erodieren lassen“ (26).
Die angebahnte, von Antje Vollmer erwartete und herbeigesehnte Erschütterung birgt anschließend die Chance des Aufbruchs in eine „lebenswerte Zukunft“, in der Kriege verlernt sind. „Was Europa immer wieder zu lernen hatte und historisch meist verfehlte“, schreibt Vollmer, „ist die Kunst der Selbstbegrenzung, der friedlichen Nachbarschaft, der Fairness, der Wahrung gegenseitiger Interessen und des Respekts voreinander. Was Europa endlich verlernen muss, ist das ständige Verteilen von Ketzerhüten, das Ausmachen von Achsen des Bösen und von immer neuen Schurkenstaaten“ (27).
Um diese Feindbilder, die für Herrschende nötig sind, um ihre Untertanen in Kriege zu hetzen und ihr Vermögen in Hochrüstung und Militär zu verschleudern, vor allem aber um Möglichkeiten, diese Kriegstreiberei zu überwinden, soll es schwerpunktmäßig in meinem nächsten Beitrag in der Serie zum angestrebten „Lernziel Pazifismus“ gehen.