Lebensabschnittsgefährten
Durch die politischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre haben wir alte Freunde verloren und dafür neue gewonnen. Anstatt damit zu hadern, können wir den Erneuerungsprozess begrüßen!
Im Grunde können wir Corona dankbar sein. Der Umbruch, den diese Jahre massiver Angriffe auf unsere Freiheit ausgelöst haben, war zwar teilweise schmerzhaft, er hat uns aber auch geholfen, uns selbst besser kennenzulernen. Ebenso auch die Menschen, die uns umgaben. Plötzlich wurden wir von Freunden angefeindet, derer Gehirne offenbar durch eine weitgehend gleichgeschaltete mediale Waschanlage gegangen waren. Und Personen, die wir zuvor als politische Gegner eingeordnet hatten, zeigten erstaunlich positive Einsichten oder erwiesen sich als menschlich integer. Unser weltanschauliches Koordinatensystem wurde kräftig durcheinandergewirbelt. Wir wurden enttäuscht — und das ist gut so, denn wär es besser gewesen, weiter in der Täuschung zu verharren? Die Risse, die es im Leben des Autors gegeben hat, haben es möglich gemacht, dass Licht einfiel. In diesem angesichts der Lage erstaunlich optimistischen Beitrag empfiehlt er Humor, Geduld und gelassenes Einverstandensein mit dem, was geschehen ist.
Wir leben in aufregenden Zeiten. Die Bühnen verändern sich, das Publikum auch. Die Protagonisten, die Antagonisten, die Mitstreiter — alles anders. Von der persönlichen Bühne ist viel Gutes zu berichten. Ich stehe zwar gerade mit meiner Frau auf der Autobahn, Motorschaden, es regnet, als ob es kein Morgen gäbe. Aber trotz rauchendem Motor und wenig Hoffnung, dass der Wagen noch zu retten ist, sitzen wir gut gelaunt in unserem Yeti auf seiner wahrscheinlich letzten Reise. Wir sind auf Tour durch Bayern, zu Besuch bei Gleichgesinnten. Morgen ist das erste Konzert in einer neuen Spielstätte, die alten buchen uns ja nicht mehr, seitdem wir gegen die verlogene Corona-Politik auf die Straße gegangen sind und uns mit Songs und Essays für die Grundrechte eingesetzt haben.
Das macht aber nichts. Es sind viele neue Auftrittsorte dazu gekommen, die es bis 2020 nicht gab, von Leuten ins Leben gerufen, die sich eigentlich nie als Veranstalter verstanden hätten. Darüber hinaus veranstalten wir Solidaritäts- und Friedenskonzerte und sind dadurch umgeben von Menschen, die sich ernsthaft für Frieden und Freiheit einsetzen, das stärkt enorm.
Auf der Weltbühne ordnet sich alles neu. Die BRICS-Staaten haben den wirtschaftlichen Umbruch eingeleitet, weg von der USA geführten unipolaren Ordnung, hin zu einer multipolaren Welt mit Handelspartnern auf Augenhöhe. Ob ihnen das gelingen wird oder ob sie ähnliche Fehler machen wie einst die G7-Staaten, wird sich zeigen. Aber je mehr sich der moralisch und wirtschaftlich vom Untergang bedrohte Westen mit aller noch verbliebenen Macht gegen den Wandel stemmt, umso mehr wird sich die Liste der BRICS-Aufnahmekandidaten verlängern. Auch die Türkei, immerhin Mitglied der NATO, hat schon Interesse angemeldet — eine schallende Ohrfeige für den selbsternannten Werte-Westen.
Kein Wunder, denn genau der verrät alles, was ihm angeblich heilig war. Das Ringen um die beste Lösung ist Vergangenheit. Der Zugang zu allen relevanten Informationen, um sich selbst ein Bild zu den jeweiligen Sachthemen machen zu können, wird systematisch eingeschränkt. Zensur findet statt, und das in großem Stil.
Der chinesische Künstler Ai Weiwei sagte vor kurzem in einem Interview, im Westen ist es schlimmer als in China, denn Europa und die USA tun so, als ob sie offen und frei sind, zensieren aber ebenfalls und treten die „freie Rede“ und den offenen Diskurs mit Füßen.
Linke Prinzipien gelten als rechts, Regierungskritik ist unpopulär, gar staatsdelegitimierend. Umweltschutz? Vernachlässigbar, solange man der CO2-Bilanz gerecht wird. Krieg ist en vogue, Frieden ist out. Diplomatie? Die Waffe der ewig Gestrigen. Aufrüstung hingegen das Mittel der Gerechten, mit dem man Russland auf dem Schlachtfeld besiegen will.
Man könnte verrückt werden, möchte dem Irrsinn entfliehen, sich die Decke über den Kopf ziehen und sagen: Leckt mich doch alle. Das ist aber keine Option, wenn man Kinder hat.
Was tun?
Dieser kurze Beitrag soll nicht all das wiederholen, was wir sowieso schon wissen. Selbst der kurze Abriss am Anfang dieses Artikels war im besten Fall unnötig, da die Leserinnen und Leser dieses Magazins wahrscheinlich über die geopolitischen Zusammenhänge fern des Regierungsnarratives gut informiert sind. Aber falls der eine oder andere, der bis jetzt den Konzernmedien folgte, auf diese Plattform gestoßen ist, mag es ihm eventuell den Einstieg in den Hinterfragungsprozess erleichtern oder ihn zumindest begleiten.
Ich möchte mit diesem Artikel ein wenig für Hoffnung und Zuversicht werben, denn so merkwürdig es klingen mag — ich bin Corona dankbar. Es hat Menschen aus meinem Leben katapultiert, die da schon lange nicht mehr hingehörten, andere wiederum in mein Leben gebracht, denen ich offensichtlich begegnen sollte.
Natürlich sind ein paar Freunde aus der Zeit vor 2020 geblieben, und das ist gut so. Im Großen und Ganzen ist aber vieles anders, neu, und oft viel ehrlicher. Und nein, ich idealisiere die Freiheits- und Friedensbewegung nicht, denn auch da musste man sich, nach einem kurzen gemeinsamen Weg, von dem einen oder anderen wieder trennen. So ist das halt. Wir sind alle Lebensabschnittsgefährten. Denn egal ob es um den Sandkastenfreund geht oder die fremde Gestalt aus einer unvergesslichen Nacht, um die eigenen Kinder oder die Eltern — es gab immer eine Zeit, in der man sich nicht kannte. Wie lange man einen Weg gemeinsam geht, bleibt stets ungewiss.
Wenn man sich mal genau überlegt, um was es in der kurzen Zeit, die man zur Verfügung hat, wirklich geht, kommt man schnell zu dem Schluss, dass vieles, was wir für notwendig hielten, oft scheißegal war. Ein Freund sagte einmal, es ist immer gut zu unterscheiden, was wichtig und was dringend ist. Dem gerecht zu werden, ist schon schwierig genug. Ich kenne kaum einen Menschen, der sich nicht eingestehen muss, dass er sich an Dinge, die er für unglaublich wichtig hielt, nur ein paar Tage später kaum noch erinnern konnte.
Ein bisschen mehr Gelassenheit würde uns allen manchmal guttun. Das Älterwerden bringt viel Gutes mit sich, so auch das Bewusstsein über die Tatsache, daß Endlichkeit real ist. Ich weiß, über den Tod spricht man nicht gern, aber warum ist das eigentlich so? Er ist das Einzige, was uns gewiss ist, was uns alle eint, egal ob wir als Heilige, Arschlöcher, beides oder keines von beiden durch unser Leben reisen.
Wenn wir dieses so wundervolle wie furchtbare Leben mit Würde bestehen wollen, dann empfehle ich uns, dem Irrsinn, der uns täglich um die Ohren fliegt, angstfrei und mit Humor die Stirn zu bieten. Gewiss, das lässt sich leicht sagen, wenn man nicht in einem Kriegsgebiet wohnt, in dem man um das nackte Überleben kämpft. Aber wie schnell sich das ändern kann und ein vermeintlich sicherer Ort zum Kriegsschauplatz wird, erleben wir immer wieder.
Wie groß die Gefahr ist, dass sich ein Konflikt ausbreitet, wissen wir auch. Nicht weil Putin Berlin erobern will, sondern weil die kriegsbesoffene Ampel alles dafür tut, dass ein vertrauensvolles Verhältnis zu Russland immer unwahrscheinlicher wird.
Wenn uns eine Horrornachricht, egal zu welchem Thema, erreicht, können wir in Betroffenheit ersaufen — oder mit einem Lächeln im Gesicht darüber staunen, was hier für eine Show abgezogen wird. Ein Beispiel dazu. Die Präsidentin der Europäischen Kommission und Mutter von sieben Kindern steht vor Gericht. Jetzt darf man sich darüber aufregen, wie es sein kann, dass es — trotz des geheimen Pfizer-Deals, der Intransparenz ihrer Politik, Korruptionsvorwürfen und dem Frontalangriff auf die freie Rede — die Option einer zweiten Amtszeit überhaupt geben kann. Die Europäische Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Ursula von der Leyen, sie wurde trotzdem wieder gewählt. Absurd, ungeheuerlich, skandalös! Oder man denkt sich „What a fucking freak show“ und vertraut darauf, dass sie damit — zumindest langfristig — nicht durchkommen wird. Gestehen wir uns ein, dass wir nicht alles selber richten können.
Vertrauen wir darauf, dass sich die Wahrheit durchsetzen wird und Lügen kurze Beine haben. Wir können vorleben, dass es sich lohnt, sich einzusetzen, sich zu engagieren, aber wir müssen darauf vorbereitet sein, immer wieder zwei Schritte vor und einen zurück zu gehen. Wir sollten uns nicht dem Irrglauben hingeben, dass wir unsere Demokratie retten, indem wir alle vier Jahre ein Kreuzchen machen und darauf hoffen, dass sich dadurch irgendetwas ändern wird. Wir sind als Souverän in der Verantwortung, da stimme ich Kayvan Soufi-Siavash völlig zu, zu überprüfen, ob die Volksvertreter — nichts anderes sind sie — das umsetzen, wofür sie angetreten sind, und zwar ständig. Solange wir uns darauf reduzieren, Politiker vier Jahre unbeobachtet agieren zu lassen, können wir nur scheitern.
Wenn die Menschen ihr Recht, an wichtigen Entscheidungen beteiligt zu werden, nicht einfordern, ist die Wahl alle vier Jahre nichts anderes als eine Farce.
Neue Parteien werden daran nichts ändern, weil das Parteiensystem in seiner bestehenden Struktur überholt und dysfunktional ist. „Die Piraten“ verschwanden so schnell wie sie gekommen sind, auch hier war die Presse nicht unbeteiligt. „Die Basis“ ist eine großartige Bürgerbewegung, die völlig zu Unrecht als rechts geframt wird. Als Partei konnte sie aber die Erwartung, 20 Prozent der ungeimpften Bevölkerung zu bündeln, nicht erfüllen. Das BSW ist schon vor seiner Gründung zu einem Personenkult geworden. In der Chefetage sitzen Impfpflichtbefürworter und 2G-Hardliner, die sich von ihren Fehleinschätzungen nie öffentlich distanziert haben. Außerdem denkt man beim BSW schon wieder über Brandmauern zu anderen Parteien nach.
Auch die AfD wird die politische Landschaft nicht verändern. Zu lang ist sie schon Teil des Parteiensystems — und hat die innere Logik des Systems verstanden und bedient. Die AfD hat zwar Direktdemokratie in ihrem Wahlprogramm, aber um Mehrheiten zu schaffen, muss man Kompromisse eingehen. Ganz schnell werden dann die Kernpunkte mit Verweis auf die starre Haltung des Koalitionspartners über Bord geworfen. Um die neu gewonnene Macht nicht wieder zu verlieren, weicht man die Eckpfeiler der eigenen Identität auf und beschwert sich medienwirksam mit der Ausrede: „Wir wollten, die nicht.“ Zu oft haben wir genau das in der Vergangenheit immer wieder erlebt, was uns dann als notweniger Kompromiss zur Bildung von stabilen Regierungen verkauft wurde.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, welche Punkte denn bei einer Regierungsbeteiligung der AfD zur Abstimmung kommen würden: die des eigenen Wahlprogramms, bei denen man sich einer Mehrheit gewiss ist — Aufklärung der North-Stream-Sprengung, Verschärfung der Einwanderungsbestimmungen, Neugestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, keine Bargeldabschaffung —, oder auch die, zu denen man als Partei ganz anders steht: ein Ende des Genozides in Gaza, ein freies Palästina, verbunden mit einer Abkehr von der rechtsradikalen, rassistischen, israelischen Regierung.
Zu Minderheitsregierungen, bei denen man zu Sachthemen immer wieder neue Mehrheiten suchen muss, fehlt der deutschen Politik Phantasie und Mut. Ich bezweifle, dass sich im Parlament mit der jetzigen Struktur jemals etwas ändern wird. Wir müssen uns selbst um direkte Demokratie bemühen.
Viele von uns haben sich jahrelang für die Freilassung von Julian Assange eingesetzt, Solidaritätskonzerte organisiert, Geld gesammelt, Sample-CDs produziert — und genau zu dem Zeitpunkt, als ich dachte, die Entlassung aus Belmarsh wird immer unwahrscheinlicher, kam er frei. Menschen auf der ganzen Welt, seine Frau Stella Assange und sein Vater John Shipton, aber eben auch all die mutigen Kämpferinnen und Kämpfer für eine freie Presse, haben sich auf unzähligen Mahnwachen unermüdlich dafür eingesetzt, dass der Fall Assange nicht vergessen wird und er nicht in unmenschlicher Isolationshaft versauert. Jetzt ist er frei. Ob der Druck der Straße zu 10 oder 90 Prozent dazu beigetragen hat, ist dabei völlig nebensächlich. Wichtig ist, dass der Druck da war.
Ich hoffe weiterhin, auch wenn es in diesen Tagen aussichtslos erscheint, dass die Tragödie im Nahen Osten, mit all dem Leid, den die palästinensische Zivilbevölkerung seit der Nakba 1948 und nach 75 Jahren Apartheidpolitik immer noch ertragen muss, irgendwann beendet wird und sich die Menschen in einem vereinten Palästina auf Augenhöhe begegnen werden. Ein Staat, der ein Teil seiner Bevölkerung über den anderen erhebt, kann keinen Frieden finden. Jede Straftat, egal ob Mord oder Korruption, muss von ein und derselben Rechtsprechung, die für Juden, Muslime, Christen und Atheisten gleichermaßen gilt, beurteilt und verurteilt werden. Auch wenn es uns Deutschen auf Grund unserer furchtbaren Geschichte schwerfällt, gerade in diesem speziellen Fall genau hinzusehen und Kritik an der israelischen Regierung zu üben, wäre genau das so bitter nötig und längst überfällig. Die zionistische Idee des „Judenstaates“ (Theodor Herzl) ist gescheitert.
Dieses Projekt, weltweit einmalig in seiner Art, ist krachend an die Wand gefahren. „Entweder hat man Zionismus oder Demokratie — beides zusammen ist unmöglich.“ (Rabbi Shapiro). Unzählige ermordete Kinder, durch eine der brutalsten Militäroperationen der IDF-Armee, die nichts anderes als ethnische Säuberung bedeutet, sind das traurige Ergebnis. Jetzt breitet Israel seinen Angriff auch noch auf den Libanon aus, ein Flächenbrand wird immer warscheinlicher. Aber nur weil es die letzten Jahre so war, muss es nicht so bleiben. Immer wieder überrascht uns der Mensch, im Guten wie im Schlechten. Deshalb: Alles, was die Botschaft des Friedens in die Welt trägt, was klar zeigt, wir machen bei eurem Kriegsspiel nicht mit, hilft — ob auf Demos, mit Songs oder durch friedlichen Widerstand. Wer Friedensaktivistinnen und -aktivisten als „gefallene Engel aus der Hölle“ (Olaf Scholz) oder „Putin-Trolle“ (Anton Hofreiter) beschimpft, hat jeden Bezug zur Realität verloren und sollte ganz schnell in den Vorruhestand versetzt werden. Ein Aufenthalt in einer Klinik mit Kriegsopfern oder ein Nachmittag bei einer Familie, die ihre Kinder an der Front verloren hat, würde den besagten Herrschaften eventuell dabei helfen, ihr Säbelrasseln zu überdenken.
Call me naive, I don’t care. Leben ist aus Träumen gemacht. Das Beispiel Julian Assange zeigt uns, dass es sich lohnt, das scheinbar Unmögliche zu verlangen, das Unmachbare zu versuchen und nach den Sternen zu greifen — denn dafür sind sie da.
FAZIT: Ob wir eine ungeheuerliche Nachricht, Grenzüberschreitung eines Vorgesetzten, das völlige Fehlverhalten einflussreicher Personen als Affront ansehen, ist unsere Entscheidung. Im Mikrokosmos der Familie oder dem engsten Freundeskreis klarzukommen, ist schon eine Herkulesaufgabe. Jeder, der Kinder hat, weiß, wovon ich spreche. Wie oft werde ich, als vermeintlich erfahrener Teil der Familie, in einem Konflikt von meinen klugen Töchtern zu Recht in die Schranken gewiesen. Unsere Fehlbarkeit macht uns angreifbar, und doch befreit sie uns. Seitdem ich mir bewusst darüber bin, dass ich bei dem Versuch, alles richtig zu machen, täglich scheitere, lebt es sich leichter, unverkrampfter.
Alle, die sich in den letzten Jahren für die Wiederherstellung der Grundrechte, die Aufarbeitung der Corona-Jahre, für Demokratie und die Einhaltung der Menschenrechte eingesetzt haben und nach wie vor engagieren, haben durch den Prozess sicherlich eines lernen müssen — sich in Geduld zu üben.
Bis 2020 fiel es mir schwer, anzuerkennen, dass die Geschwindigkeit mancher Prozesse nicht unter meinem Einfluss steht. Auch dafür bin ich Corona dankbar — lernen zu dürfen, den Marathonlauf genauso zu schätzen wie den Sprint.
Wir sollten uns Schritt für Schritt der Manipulation entziehen und unregierbar werden. Eine gute dezentrale Vernetzung, zugewandt im Miteinander, ein angstfreies Leben, in dem man sich dem Panikorchesters der jeweiligen Regierung entzieht, friedlicher ziviler Widerstand und Humor werden uns dabei helfen. Die eigene Fehlbarkeit immer vor Augen, die Endlichkeit auch. Denn selbst wenn wir 100 werden, ist es dann vorbei.