Kurzer Prozess
Die Eltern von in Frankreich auf Verdacht inhaftierter Jugendlicher wenden sich an die Öffentlichkeit.
In Frankreich wurden drei Jugendliche aus Franken an einer Mautstelle verhaftet und in einem Schnellverfahren zu zwei und drei Monaten Haft in verschiedenen Gefängnissen verurteilt. Von den dreien „gehe eine latente Gefahr“ aus (1). Man könne zwar nichts nachweisen, aber es wäre durchaus möglich, dass die drei Krawall geplant hätten. Man fand immerhin „Aufkleber der extremen Linken“ sowie entsprechende Literatur. Einer war sogar angeblich vorbestraft und der G7-Gipfel in Biarritz stand kurz bevor. Die Eltern wurden von den Behörden nicht kontaktiert (2). So funktioniert das also in Frankreich: Demonstranten mit gelben Westen werden von der Polizei ungestraft zu Krüppeln geschossen, wenn sie gegen die neoliberale Politik der „extremen Mitte“ aufbegehren, das Land verstößt mit seinen Kriegen ebenso ungestraft gegen das Völkerrecht und vermeintliche „Störer“ werden weggesperrt. Nun melden sich die Eltern der drei Jugendlichen in einem offenen Brief, der bisher kaum Beachtung findet, zu Wort. Aber Frankreich gehört ja zu den Guten — das passt dann schon.
„Sehr geehrte Damen und Herren,
wir wenden uns in unserer Verzweiflung an Sie, da unsere Kinder unter rechtsstaatlich fragwürdigen Umständen in Frankreich verschwunden sind.
Unsere Kinder sind am Mittwoch, den 21. August 2019 auf dem Weg ins nordspanische Baskenland verschwunden. Insgesamt waren etwa 10 Personen zu einem gemeinsamen Campingurlaub dort unterwegs. Am 23. August hat uns eine Person aus der Reisegruppe aus dem Zielort in Nordspanien kontaktiert, dass ein Fahrzeug mit unseren Söhnen an Bord nicht am Zielort angekommen sei. Zuerst war die Befürchtung, dass es sich um einen Verkehrsunfall handeln könnte. Jedoch kam eine andere unerwartete Schreckensnachricht: die 3 Personen wurden an einer Autobahnkontrollstelle nach Biarritz festgenommen. Die Polizeiaktion fand im Zuge der Sicherheitsarchitektur des nahenden G7 in Biarritz statt.
Seit dem Vorfall sind nun 12 Tage vergangen — und wir als Eltern haben bislang kaum offizielle Informationen.
Verschiedene Medien (zuerst die Welt, dann Süddeutsche, Spiegel online et cetera) berichteten von dem Vorgang — inklusive Schilderung, dass Waffen (Pfefferspray oder Tränengas — je nach politischer Zuordnung) und linksradikale Literatur aufgefunden wurde; das reicht offensichtlich in Frankreich, um den Vorwurf eines „spontanen Zusammenschlusses einer Gruppe zur Vorbereitung von Gewalttaten“ zu kreieren und die drei daraufhin zu verurteilen.
Fraglich ist, was genau zu dieser Verurteilung zu 2 und 3 Monaten Haft führte, wenn es sich im Gepäck um keinerlei Waffen handelte, von der Anklage des Waffenbesitzes wurden sie nämlich freigesprochen. Bislang haben wir trotz massiver Intervention keinen Zugang zu den Verurteilten.
Es wurde kein Wahlverteidiger bislang zugelassen, sondern ausschließlich Pflichtverteidiger. Einen Tag nach der Verurteilung wurden die drei (18- bis 22-jährige junge Männer) auf drei unterschiedliche Gefängnisse verteilt. Eines der Gefängnisse hat laut Medienberichten katastrophale Bedingungen für die Häftlinge und ist komplett überbelegt.
In eher linken Medien (unter anderem Radio Dreyecksland) wurde die These aufgestellt, dass die drei jungen Männer auf einer „Liste“ des BKA standen und diese an die französische Polizei weitergegeben wurde. Darauf basierend wurde zugegriffen. Wir haben für diese These bislang keine Belege, es passt jedoch ins Bild, dass keine offizielle Stellungnahme von niemanden zu haben ist. Der Redakteur von Radio Dreyecksland war auch auf einer solchen Liste und ist des Landes verwiesen worden.
Die Deutsche Botschaft wiegelte anfangs ab, indem sie uns sagte, es gäbe keine Information beziehungsweise die Inhaftierten wünschten keinen Kontakt, was aber überhaupt nicht belegt wurde. Es sollte doch zur Pflicht der Auslandsvertretung gehören, diese Behauptung selbst zu prüfen durch ein Telefonat mit den Inhaftierten. Mittlerweile wurde auch von Botschaftsseite versucht, Kontakt herzustellen, bisher ohne Erfolg.
Auf eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Sevim Dağdelen versicherte das Auswärtige Amt, Kontakt zu den Inhaftierten herzustellen, was aber scheinbar nur über den Postweg möglich ist und deshalb bis zu drei Wochen dauern kann. Keiner der drei spricht französisch und keiner hat momentan einen Rechtsbeistand. In einem Presseartikel war sogar die Rede davon, dass PolizistInnen als DolmetscherInnen verwendet wurden. Die Inhaftierten durften bisher höchstwahrscheinlich auch nicht telefonieren, da keiner von uns einen Anruf von ihnen bekam. Allein von dem 18-jährigen haben uns Briefe erreicht.
Die Frist zum Widerspruch gegen dieses absurde Urteil läuft am Montag, den 2. September 2019 ab und wir haben keine Möglichkeit, unseren Kindern einen Rechtsbeistand zur Seite zu stellen, da es keinerlei Kontakt gibt und die französischen Behörden nicht kooperieren.
Bitte helfen Sie uns Angehörigen der drei Verschwundenen.“
Christa und Michael Müntnich, Diana und Alexander Kurtz, Angelika Kronawitter und Christof Meder
Quellen und Anmerkungen:
Brief und Berichterstattung auch hier und hier.
(1) https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/zuendfunk/drei-nuernberger-sind-in-frankreich-als-linksextreme-aktivisten-festgenommen-worden100.html
(2) https://www.heise.de/tp/features/Verzweifelte-deutsche-Eltern-der-Verschwundenen-beim-G7-4512103.html