Kulturkampf im Oval Office

Hat der US-amerikanische dem ukrainischen Präsidenten vor laufender Kamera die Würde genommen? Wer das behauptet, der verkennt: Würde ist in Zeiten des Krieges ein Konjunktiv.

Im kreisrunden Office des US-Präsidenten eckte Wolodymyr Selenskyj an. So gewaltig, dass sein Aufeinandertreffen mit Donald Trump wohl in die Geschichte eingehen wird. Zumindest der Teil des Geschehens, welcher in das eurozentrisch-westliche Bild passt und, wie auch schon beim Ukrainekrieg, die Vorgeschichte weglässt. Vermittelt wurde nämlich der Eindruck, Donald Trump hätte mal wieder einen seiner Ausbrüche gehabt und damit das politische Parkett in nie dagewesener Weise zerkratzt. Dabei war es der ehemalige Comedian und jetzige Präsident Selenskyj, der diplomatische Gepflogenheiten über Bord warf, sich ausfallend äußerte und die Diplomatiebereitschaft Putins leugnete. Während anschließend im Blätterwald geraunt wurde, die Würde des ukrainischen Präsidenten sei verletzt worden, sterben gleichzeitig weitere Soldaten an der ukrainischen Front — würdelos.

Es gibt Augenblicke, denen wohnt man bei und man weiß bereits eines ganz klar: Das jetzt Erlebte, jetzt Gesehene ist ein historisches Ereignis — darüber wird man auch noch in Jahrzehnten sprechen. Ein solcher Moment ereignete sich am 28. Februar 2025, letzten Freitagabend mitteleuropäischer Zeit. Lokaltermin: Washington, Pennsylvania Avenue 1600, Oval Office. Der Raum gerammelt voll. Zentral sitzen der US-Präsident und sein Vize. Und der Präsident der Ukraine. Um sie herum stehen Politiker und Funktionäre — und vor allem Journalisten. Und dann geschieht etwas, was sicherlich hinter verschlossenen Türen regelmäßig, öffentlich aber so gut wie nie stattfindet: Wir sehen Politiker streiten — und Selenskyj bekommt eine gewaschene Abfuhr von den höchsten Vertretern der Vereinigten Staaten.

Für die deutsche Presse war danach klar, was sich hier ereignete hatte: Donald Trump sei wieder mal ausgerastet. Jetzt aber in einer ungeahnten Art und Weise, er habe gewissermaßen die Diplomatie abgeschafft — für Journalisten aus einem Land, das eine Außenministerin in die Welt entsandte, die regelmäßig die Amtsträger anderer Länder rüde abkanzelte, schon eine verwegene Einschätzung. Insbesondere die Würde habe man dem Präsidenten der Ukraine genommen. Da kam einen recht schnell wieder jene Szene in den Sinn, in der Selenskyj mit seinem Glied Klavier spielte. Das war freilich vor seiner Präsidentschaft, als er noch Comedian war. So einen Clown haben die Ukrainer zu ihrem Staatsoberhaupt gewählt — und ihn abzuwählen ist nicht mehr möglich, denn während des Krieges sind in dem osteuropäischen Land die Wahlen ausgesetzt.

Selenskyjs Diplomatie-Bashing

Es fällt also weitestgehend schwer, das Wort Würde mit der Person des Wolodymyr Selenskyj zusammenzubringen. Zumal dann, wenn man die Runde im Oval Office in voller Länge betrachtet — es war der Ukrainer, der im Weißen Haus der Diplomatie eine Abfuhr erteilte.

Man muss sich das mal vorstellen: Da fliegt Selenskyj nach Washington, weil er sich weitere Hilfe für sein Land sichern will, lässt diejenigen, die ihm ihre helfende Hand reichen, aber auf halber Strecke verhungern, indem er deren Bedingungen gewissermaßen links liegen lässt. Die Vereinigten Staaten unter Trump machen weitere Hilfen an Friedensverhandlungen und an den Zugriff auf Ressourcen abhängig.

Die Hilfsbereiten aus Übersee sind keine Gönner, sie verfolgen lediglich nationale Interessen. Der Frieden mit Russland ist ein nationales Interesse — jedenfalls der Trump-Administration. Was das demokratische Kabinett von Ex-Präsident Joe Biden nicht sah, scheint den Republikanern unter Trump nun bewusst zu sein: Ein Stellvertreterkrieg gegen Russland erhöht die Gefahr eines Dritten Weltkrieges. Trump warf das Selenskyj im Oval Office auch an den Kopf: Er spiele mit einem solchen Szenario. Und mit dem Leben der Ukrainerinnen und Ukrainer. Und zwar, weil er eine Haltung an den Tag lege, die Verhandlungen unmöglich mache. An Diplomatie mit Wladimir Putin glaube er nicht, ließ der ukrainische Präsident Trump und Vance wissen. Diese anti-diplomatische Aussage erfolgte gleich zu Beginn des epischen Streites vor laufender Kamera.

Mehr als drei Jahre erzählen die Medien den Menschen nun, es sei der russische Präsident, der nicht verhandeln wolle. Nun sieht man, wie sich der Vertreter seines kriegsgebeutelten Landes wehrt und den Krieg im Grunde weiterlaufen lassen will — dabei galt als ausgemacht: „Unsere Seite“ wäre jederzeit bereit, sich an den Verhandlungstisch zu setzen.

Das sei jedoch unsinnig, denn man bliebe alleine dort sitzen, die Russen schickten ganz sicher keinen Emissär, denn für eine diplomatische Lösung des Konfliktes seien sie nicht zu haben. Selenskyj, als Präsident eines Landes, das den Krieg und viele Menschenleben verloren hat, stellt das jetzt richtig: Selbst jetzt noch will er keine diplomatische Annäherung. Das hätte man aufgreifen müssen im Blätterwald des deutschen Mainstreams. Tat aber — wie zu erwarten — niemand.

Es war an der Zeit

Ob Selenskyj bei seinen Reisen in andere Länder des Westens wohl genauso auftrat? Auszugehen ist davon. Man stelle sich vor, wie er in Berlin ankommt, ins Kanzleramt gefahren und dort bei Olaf Scholz vorstellig wird. Friedenskanzler wollte er auf seinen letzten Metern werden — und immerhin, ganz großes Gerät wurde aus Deutschland nicht nach Kiew geliefert, weil der Bundeskanzler im Wege steht. Das wird sich kurzfristig ändern, Friedrich Merz schießt momentan aus allen Löchern. Er will nicht nur die Ukraine zum Sieg führen, sondern sich auch als Gegenspieler von Donald Trump positionieren.

Doch man stelle sich vor, dass Scholz nach jenem stark kritisierten Telefonat mit Wladimir Putin auf Selenskyj zuging und ihm Verhandlungen anriet — alles hinter verschlossenen Türen. Nun wissen wir, wie der ukrainische Präsident auf solche Anwandlungen reagiert haben muss: Nicht gesprächsbereit.

Da kristallisiert sich ein Bild heraus: Selenskyj greift überall Hilfen ab. Nimmt Gelder und Gerät, während seine geflüchteten Landsleute im europäischen Ausland versorgt werden, lässt sich aber keine Bedingungen diktieren. Es war an der Zeit, dass der Öffentlichkeit genau das einmal gezeigt wird:

Maßgeblich Selenskyj ist ein Hindernis auf dem Weg zum Ende dieses Krieges.

Deutsche Medien nennen das Opfer-Täter-Umkehr. Als sei der Präsident jenes Landes, auf dem der Krieg stattfindet, für die Friedensfrage gar nicht zuständig — als entscheide das Putin alleine.

Sonst machten Medien und Politik Putin für seine einsamen Entscheidungen verantwortlich. Auch was den Weg zum Frieden betrifft, soll es Putin sein, der eine einsame Entscheidung treffen soll — der Präsident auf der anderen Seite der Front wird aus der Gleichung herausgenommen, als gehe es ihn nichts an.

Das Gerede um die Verkehrung von Opfer und Täter zeigt letztlich nur eines ganz deutlich: In der veröffentlichen Meinung im Lande ist der moralische Impetus noch immer viel zu stark ausgeprägt. Es geht doch in der Frage nach dem Ende des Waffenganges nicht mehr um den Tathergang, nicht mehr um die Klärung der finalen Frage, wer wann welche Schuld auf sich geladen hat. Darüber sollte man im Sinne einer Lösung hinaus sein.

Dass Selenskyj sich mit so einer Nüchternheit schwer tut, kann man nachvollziehen — aber seine Alliierten sollten ihm nicht einreden, dass die Moralisierung des Konfliktes noch zeitgemäß sei. Was hilft alle Empörung, wenn weiter Menschen sterben müssen? Im Grunde ist es das, was Trump und Vance dem Ukrainer im Weißen Haus vorwarfen. Mit so einer Einstellung, ließ Trump die versammelten Journalisten wissen, werde es schwierig, eine Lösung zu finden.

Es wird Zeit für mehr Amoralität

Anders gesagt: Anders als die Mainstream-Medien berichteten, hat die neue US-Administration nicht etwa die Diplomatie mit ihrem Streit lächerlich gemacht.

Nein, sie hat den ukrainischen Präsidenten angehalten, endlich diplomatisch zu denken und die Empörungsschiene zu verlassen, weil man damit bei der Klärung der jetzt drängenden Frage nicht weiterkommt: Von der Ukraine zu retten, was noch zu retten ist.

Dabei tritt Washington aber nicht moralisierend auf, sondern knüpfte die Befriedung an wirtschaftliche Bedingungen — sehr zum Leidwesen der Europäer, die ihre Hilfe ohne Gegenleistung zur Verfügung stellten. Besonders Deutschland betonte gerne, dass als Gegenleistung ein Sieg über Russland und damit „unsere Werte“ zu betrachten seien — ein fiktiver Gedankengang, der Deutschland mehr schaden als nutzen würde. Der aber im deutschen Drang, die Welt moralisch aufzuladen, begründet sein mag. Nationale Interessen spielen dabei keine Rolle — In Deutschland scheinen als einzigem Land der Erde Politiker zu regieren, die so etwas wie nationale Interessen gerne von sich weisen.

Beim Schlagwort nationaler Interessen stellen sich in dieser Republik manchem die Nackenhaare hoch: Nationalismus ist hierzulande verpönt — aus Gründen deutscher Geschichte. Und dann beinhalten diese Interessen ja etwas, was man sich nicht eingestehen will: Sie sind amoralisch — und häufig sogar unmoralisch. Und dennoch haben sie ihre Berechtigung und sollten exekutiert werden. Friedensschlüsse geschehen beispielsweise nicht, weil beide Parteien eine moralische Erleuchtung erlebten, sondern weil Sachzwänge ein Ende des Krieges notwendig machen. Und so ist es aktuell in der Ukraine: Während die USA den Sachzwang betonen, halten Europa und Deutschland moralisch dagegen.

Was sich im Weißen Haus also abspielte, kann man als Kulturkampf der Diplomatie bezeichnen. Die US-Regierung spricht dem eher amoralisch geprägten Interessensausgleich das Wort, während Selenskyj mit europäischem Rückhalt eine Diplomatie vertritt, die mit Haltung und Empörung haushält — und damit leider gar nichts erreicht. Dass es ausgerechnet Donald Trump sein wird, der nüchterne und damit von Moral befreite Verhandlung zwischen zwei verfeindeten Staaten anstrebt, während sich Europa in eine Befindlichkeitsdiplomatie begibt und so die Gefahr vor der eigenen Haustür weiter brodeln lässt, hätte wohl auch kaum jemand für möglich gehalten.

Die Europäer sprechen von der Würde des Präsidenten Selenskyj, als ob das zielführende Debatten in Zeiten sind, da Menschen an Fronten verbluten.

Nein, das sei zum Abschluss noch betont, dieser Donald Trump ist kein Heiliger, er wird — wenn er seinen Willen bekommt — ukrainische Rohstoffe ausbeuten lassen. Aus Gründen nationalen Interesses. Besonders Deutschland sollte sich zu mehr Amoralität durchringen im internationalen Händel — denn erst kommt das Fressen, dann die Moral. Offenbar kennt Trump Bertolt Brecht …