Kulturdämmerung
Das Absterben des Kunstschaffens in unserer Zeit ist Symptom eines tiefergehenden zivilisatorischen Niedergangs.
Es steht nicht gut um unsere Kunst und Kultur. Wo sie nicht durch rigide Corona-Regeln und De-facto-Auftrittsverbote ganz verhindert wird, zeigt sie sich beliebig, blass, uneindrücklich. Sie ergreift nicht mehr, umgreift nicht mehr das ganze Spektrum vom Himmel in die Hölle und zurück. Die großen Mythen der Vergangenheit beeindrucken noch einige, aber es zeigt sich kaum aufregend Neues. Rücksichten pekuniärer oder meinungskorrekter Art verwässern mögliche Aufbrüche. Viele Menschen verlieren das Interesse an Kultur und haben damit, wenn man sich bestimmte moderne Ausdrucksformen anschaut, nicht einmal Unrecht. Der virusbedingte Kultur-Lockdown war insofern nur äußeres Abbild eines inneren Prozesses, der sich schon länger andeutete. Nur noch verblassende Erinnerungen mahnen uns, was Kunst einmal für viele Menschen sein konnte: alles. Die Eingangspforte zu einer ganzen Welt. Kontrast und Konflikt — zur Harmonie gebracht durch einen großen Geist, uns aufgewühlt und dennoch seltsam getröstet zurücklassend. Gerade die Musik wirkte stets entgrenzend, was sie in einen Interessengegensatz zur Macht brachte, deren Absicht immer in der Einengung des Denk- und Handlungsspektrums lag. Vielleicht liegt hierin auch eine politische Erklärung für den galoppierenden Kulturverfall. Der Autor verfasste eine veritable Elegie auf das verlorene kulturelle Paradies.
In memoriam
Annerose Schmidt,
der brillanten Mittlerin von Musik
und humanistischen Werten
Ein Bekenntnis gleich am Anfang. Ich bin zum einen aus der Zeit gefallen und nun gar nicht einmal unbedingt so, wie es dem Gregor Samsa (bei Oskar Roehler) passierte, als er des Morgens feststellte, dass er nicht mehr linksliberal war. Zum anderen aber bin ich offensichtlich auch aus dem Raum gefallen, einem Raum, der Behausung war, der Tradition noch kannte und Herkunft und Mentalität, der Rahmen gab für Verabredung mit Gültigkeitsstatus, für Geborgenheit, vor allem aber für Leben und Lebendigkeit.
Dieses Lebendigsein bedarf unbedingt der Heimat, die letztlich dafür der Ort ist, sich zu freuen, sich zu (be-)schämen, sich zu lieben. Zur Lebendigkeit gehört es, über Werte zu verfügen wie Wissen, Einstellungen zu pflegen, Überzeugungen zu verteidigen. Die Fallhöhe, um die es also geht, weist somit eine ganz beträchtliche und grundsätzliche Dimension auf: vom Himmel durch die Welt zur Hölle.
Goethes „Faust“ beschreibt Raum und Rahmen, die nun größer nicht mehr gedacht werden können. Die Dimension, die durchmessen werden soll, ist hier benannt. Es ist die Dimension, die in unserem Inneren beschlossen liegt, eine begrenzte Dimension somit trotz aller Größe. In diesem Raum findet sich der Erzählgrund des Lebens, findet sich der Erzählgrund aller Kunst. Von hier nimmt die Macht der Worte, der Bilder, der Töne ihren Ausgang. Von hier aus entfaltet sich die Wirkung ihrer Macht als Impuls, als Euphorikum oder Narkotikum. Unser Inneres bestimmt dann auch die (Nach-)Wirkung. Fallen wir in dumpfe Erstarrung und Ermattung, oder erleben wir ungeahnte, rauschhafte Vergnügungsreisen in das sich auftuende Land unserer Fantasie?
Alles bildliche, malerische, musikalische Erzählen aber ist nicht voraussetzungslos, ihm wohnt Vorverständliches inne, es unterliegt der Begrenzung. Allein im begrenzten Raum können traditionelle Symbole und Codes dann überhaupt bedeutsam werden. Nur in solcher Einhegung erwächst den Zeichen eine Bedeutung, vermag Kunst dann überhaupt zur Kunst werden, kann Dämonisches als dämonisch empfunden werden. Um noch sinnvoll sein zu können, bedarf auch Fantastisches der Begrenzung.
Die Höhe — oder: Der Himmel
Erinnern Sie sich noch? An einen magischen Konzertabend etwa? Ich erinnere mich noch sehr gut. Ein kleines Dorf in Nordthüringen — Oberbösa. Eine Scheune inmitten des Dorfes. Sommerglut an diesem Abend und manches Schmunzeln, denn das „Wohltemperierte Klavier“ steht auf dem Programm. Ein ganz Großer der Musik, Johann Sebastian Bach, will an diesem Sommerabend zu uns sprechen, interpretiert von einem Großen an seinem Instrument, dem Pianisten Martin Stadtfeld.
Aufwühlung. Auch schnattern ein paar Gänse noch, und Vögel zwitschern aufgeregt. Etwas umgreift, ein Flirren. Ein Ansturm dann von Tönen, fesselt, bindet — gänzlich wortlos. Wir sind unvorbereitet, wie so oft. Benommenheit. Taumel. Ohnmächtiges Gefühl der Überwältigung. Wohin es uns treibt, ist noch ungewiss. Ist ein Gegenüber, hilft vielleicht der fragende Blick ins andere Auge. Ein verträumtes Lächeln dazu — man lebte tatsächlich maskenlos in jener Zeit. So mag sich Beruhigung einstellen. Der Töneansturm, das unablässige Drängen in uns mag sich dann bändigen lassen. Kein Muss jedoch. Beunruhigung wie auch Ohnmacht können sich durchaus gemeinsam vollziehen. Behutsames Tasten, zartes Berühren, sanftes Drücken, dann als probates Mittel, der Verunsicherung — durch Musik — Einhalt zu gebieten.
Ist jedoch kein Gegenüber, bleibt nur das Selbst-Aushalten, der Selbst-Behalt dieses unbestimmten, eigenartigen, lust- oder schmerzvollen Empfindens. Ein Empfinden, das uns hineindrängt und hineinzwingt in eine Welt, die so anders ist, die uns nicht alltäglich ist. Unsicherheit allenthalben.
Wir spüren die geheimnisvolle Macht der Musik. Töne, die nicht mehr loslassen, die Preisgaben erfordern, die in ihrem Widerhall, wenn wir uns auf ihn einlassen — und weshalb ginge man sonst in ein Konzert? —, nicht mehr beherrschbar sind. Erschütterung. Woher diese Anfälligkeit?
Zumessungen. Musik ist Macht. Musik ist Verführung. Musik ist Zauber. Das spürte einst der junge Johann Sebastian. Das spürte ein Goethe, der Musik als ungeheuere Gewalt ausweist. Für Schopenhauer ist Musik die Sprache des Willens, und Nietzsche ist sie unmittelbare Idee des Lebens. Er wollte auch keinen Unterschied mehr machen zwischen den Tränen und der Musik. Entäußerungen eben. Doch dazu gehört Vertrautheit, pure Intimität. Ein Auf- und Abtauchen von längst vergessen geglaubten Erinnerungen durchströmt uns, eine sagenhafte Urflut bemächtigt sich unseres Inneren. Wortlosigkeit wiederum.
Vereinnahmung vollzieht sich, vielleicht ekstatisch, vielleicht bedrückend, vielleicht umschmeichelnd, vielleicht umspielend. Verstörend jedenfalls genug und einzigartig, wir sind das nicht gewohnt. Nicht mehr gewohnt, unsere Hörgewohnheiten sind zumeist sehr andere. Wir leben — inzwischen weltweit — mehr oder minder unter gleichen Bedingungen fortschreitender Digitalisierung, das Ereignishafte entzieht sich einer Chronologie. Denn was uns geschieht, könnte so überall geschehen.
Geschichte geht uns verloren, dafür überall nun erfahrbar nahezu identische Lebensführung, Daseinsgestaltung und Weltanschauung. Und dennoch: Es bleibt diese inselhafte, gleichsam rätselhafte Erinnerung aus einer längst vergangenen und eben vergessenen Zeit. Gewinnen wir dadurch die Zeit einer Nacherwartung? Die Unsicherheit bleibt. Denn erlebbar wird: Musik beschränkt nicht trotz aller Einbettung, öffnet Räume, lässt Reisen unserer Fantasie neu aufnehmen, mit jedem Wieder-Hören, egal ob im Konzertsaal oder durch heimische Technik. Unser bohrendes Fragen nach diesem Unvergleichlichen und Dämonischen findet nur keine Antwort.
Mit einem Schulterzucken könnte man die Frage freilich abschneiden oder sich eben mit Goethes Antwort bescheiden, der lapidar erklärt: „Das Dämonische ist dasjenige, was durch Verstand und Vernunft nicht aufzulösen ist.“ Die menschliche Neugier entzieht sich zumeist dieser Abkürzung, sie ist märchengleich den Kindern, die dorthin gehen wollten, wo Himmel und Erde sich begegnen. Ebenso wie der Himmel zurückwich, als die Kinder ihm näherzukommen vermeinten, so bleibt auch nach längster Wegstrecke die gleiche, uralte Frage noch.
Andere Künste besitzen diese Beschränkungslosigkeit nicht. Bilder und Skulpturen schaffen zwar gleichsam neue Welten. Sie unterliegen aber der engeren Begrenzung, einer Begrenzung durch den physischen Raum. Will der Künstler, dass viele an ihnen teilhaben können, so muss er loslassen, sich von den Kunstwerken trennen. Ihm bliebe bestenfalls das Kopieren als Ersatzbehalt. Der Musiker braucht das nicht. Er kann sich verschenken und zugleich doch behalten, kann gehört werden von Millionen und im selben Augenblick doch bei sich sein. Freiheit jedenfalls und unablässiges Spiel. Vielleicht sind Literaten und Philosophen noch dem Musiker hierin gleich. Auch sie können endlos verschenken und doch behalten, können neu schreiben und trotzdem bewahren, können ändern.
Die Unsicherheit bleibt aber auch hier. Ist es also diese Unsicherheit, die die Unlust zur Kunst, zur Kultur auslöst bei grünem, rotem, neuerdings auch schwarzem Zeitgeist?
Denn die Unsicherheit realen Erlebens und Erinnerns steht den maßgeblichen Traumkoordinaten jenes Zeitgeistes entgegen, die da heißen Gleichheitsutopie und Machbarkeitswahn. Sie steht entgegen dem Traum romantischen Weltparadieses und einer Sehnsucht nach Homogenität, nach einem spannungsfreien wie herrschaftsfreien Zustand, nach einer gendergerechten, geschlechter- und klassenlosen Gesellschaft.
Der Traum - des Überwindens aller Gegensätze und Unterschiede, die sich eben finden lassen zwischen Nationen, Kulturen, Religionen, zwischen Individuen, Individuellem, Geschlechtern -, der letztlich Sehnsucht nach einem toten Zustand ist, fürchtet die Konkurrenz des Traumes der Kunst mit seinem Ausdruck des Einzigartigen, Schönen, Feinen, Originellen, des Emotionalen auch, des eben Ungewöhnlichen.
Welch Unterschied somit zwischen den Träumen einer Luxemburg, einer Baerbock, einer Göring-Eckardt und den Träumen einer Schumann, einer Hensel Mendelssohn, einer Maron.
Der Fall — oder: Die Welt
Es ist Zeit, das obige Bekenntnis zu wiederholen: Ich bin aus Zeit und Raum gefallen. Eine Verstörung geht mit dem Fallen einher. Ich bin aus meinem barocken Lebensgefühl geschleudert worden. Mein tief barockes Empfinden (carpe diem — memento mori —vanitas) wird zerstört. Üppigkeit, Pracht, Harmonie, Sehnsucht und lustvolles Erleben — die eine Seite des barocken Seins wird per Handstreich (= Infektionsschutzgesetz) mir verboten. Zurückgeworfen werde ich durch Staatswillkür auf die andere Seite barocken Fühlens, auf das „Barock-Gefühl für die Vergeblichkeit von allem“ (Botho Strauß), dem da nur bleibt „ein schnöder Schein“ und bestenfalls „ein Blitz bei schwarzgewölkter Nacht“.
So verkümmert mein und jedes Menschsein zum „Wohnhaus grimmer Schmerzen“. Das Leben ist überhaupt von Stund an nur noch ein „Schauplatz herber Angst besetzt mit scharfem Leid“. Kein Entrinnen dieses Schauplatzes, seit vorgebliche Demokraten beschlossen haben, dass Diktat um Diktat alternativlos sei. Spielplatz politischer Hybris sind länger nun schon die Welt und Deutschland geworden, und langsam dämmert dem Zeitgenossen und häufig sogar manchem Freund des Zeitgeistes, was übrig bleibt, es könnte sein alleiniges „Vergehn, wie Rauch von starken Winden“. Es stinkt zum Himmel im urbanen schwarz-rot-grünen Milieu.
Kulturlose Zeiten, die immer Zeiten auch der Kunstlosigkeit sind, waren und sind Zeiten des Niedergangs. Denn wer der Kultur, mithin der Kunst, beraubt ist, trägt als gebremster oder verhinderter Mensch bald einen Einheitscharakter.
Und mit diesem Einheitscharakter wird er „ein schön gemäßigtes Wesen, bis er eines Tages seine ursprüngliche Art vergessen hat oder schreit vor Schmerz oder stirbt“. Und schlimmer noch:
„(…) niemand wird die Kinder mehr ermutigen, mit der Welt zu spielen (…) Ihre Lust wird getilgt durch maßvolle Regelung des Essens, des Spiels, des Lernens. Sie lernen Vernunft, ohne je unvernünftig verwesen zu sein. Armselige kretinöse Geschöpfe werden heranwachsen, und die schöpferischen unter ihnen werden eine unbestimmte Trauer empfinden und eine Sehnsucht nach Lebendigem. Verrückte, Spinner, Unverbesserliche. Du bist zu lebendig, wird man so einem sagen als schlimmsten Vorwurf“ (Monika Maron).
Die Kulturgesellschaft befindet sich in ungebremster Auflösung, die zivilisierte Gesellschaft hat übernommen und sorgt ungebremst fortschrittsoptimistisch für die Aufhebung der Zeiten, alles steht nebeneinander. Daher mag unsere Unruhe erklärbar werden, wir spüren die völlige Entbundenheit von allem Bisherigen. Der Künstler früherer Tage war eingebettet in dieses Bisherige; wollte er neue Akzente setzen, blieb ihm nichts weiter übrig, als in die Historie einzutauchen. Denken und Geschichte waren unlöslich amalgamiert. Gibt es nun aber durch das technische Wesen der zivilen Gesellschaft keine Chronologie mehr, sind — künstlerische — Gedanken nicht mehr abhängig voneinander, die direkte Verbindung zu ihrer Zeit ist abgerissen.
Eindrucksvoll mag dies der Blick auf die Popmusik oder die Neue Klassik zeigen. War Letztere ohnehin nur verkommen zu einem dekonstruktivistischen Experiment, unter Umgehung des Anspruchs, genussvolle und genießbare Kunst sein zu wollen, so zeigt die Popmusik seit gut zwanzig Jahren keinerlei wirkliche Entwicklung mehr. Es bleibt seit Jahren beim Vermischen und Bearbeiten des vorhandenen Materials. Wie originär zeigte sich indessen das 20. Jahrhundert noch: Swing und Jazz wurden in den 1920er-Jahren en vogue, Rock‘n‘Roll dann in den späten Vierzigerjahren. Die klassische Rockmusik wurde in den 1960er-Jahren zum neuen Stil, in den 70er-Jahren folgten Disco Sound, Heavy Metal und Punk. Die 1980er-Jahre kannten bald Elektro- oder Synthiepop, Gothic, Rap, New Romantic, am Ende des Jahrhunderts traten noch Techno und Grunge hinzu.
Seit zwei Jahren ist es nun aber überhaupt vorbei mit der Kultur, der des Erzählens etwa, bei einer von und mit Menschen veranstalteten Lesung oder im Theater. Vorbei die Zeit auch, als der Anschlag des ersten Tones beim Publikum, im gemeinsamen Erlebnis, die Situation veränderte.
Hätten wir uns besser auf dieses kulturelle Absterben vorbereiten können? Wir hätten. Hellhörigkeit und Widerstand wären nötig gewesen, als es dem Grünen Joschka Fischer 1995 entfuhr: „Kultur ist nicht mein Ding.“ Denn was ist es anderes als ein Skandal, wenn mit einem lässigen Lippenbekenntnis ein Wegwischen von Tradition, von Denken und Theorie erfolgt? Dieser Grünen-Politiker, spätere Außenminister und Vizekanzler wird noch hinzusetzen: „Es stimmt, ich habe mit Kultur nichts am Hut. Ich war noch nie in der Oper. Ich gehe nicht ins Theater, nicht in Konzerte.“
Warum kein Erschrecken? Weil nicht vorstellbar war, dass das westeuropäische Versprechen von Freiheit, Unabhängigkeit und Rechtsstaat nur trügerisch aufschien?
Im Wahljahr zum Bundestag 2021 hätte es einem jeden angelegen sein sollen, sich mit Kraft einer immer rasanteren Tendenz zur Beschränkung von Kunst, Kultur, Freiheit und Bildung entgegenzustemmen. Vor allem nicht zuletzt dadurch, dass wir uns näher informier(t)en, wer denn da eigentlich in die Parlamente einziehen will und wofür jeder Einzelne dieser Damen und Herren da steht. Doch einmal mehr wurde eine Chance durch den Wähler vertan. Immerhin erhielt er zum Geschenk die Ampel.
Der Aufschlag — oder: Die Hölle
Es gilt fernerhin mit Thomas Hobbes, das Schlimmste zu verhindern. Das Schlimmste ist benennbar. Benennung ermöglicht den Zugriff, Benennung gewährt Fasslichkeit. Es gilt, dem Zeitgeist in den hybriden Arm zu fallen, es gilt zu verhindern, „wie mitten im Frieden Landschaft verheert wird, so gemein und hochmütig, so um sich greifend und im Unmaß aufragend, Horizonte sperrend, rücksichtsloser als Feuersbrunst, Rodung, Industrialisierung zusammen“ (Botho Strauß).
Doch Politik, Medien und viele Zeitgenossen sind überzeugt, dass neu gleich gut ist, der Fortschritt in Medizin, Wirtschaft, Technik, der Unterhaltungsindustrie belege dies eindrücklich. Der Fortschritt ist somit auf Permanenz gestellt. Permanent dann aber auch die Krise. Die Krise der Finanzen etwa, des Klimas und der Energie. Die Krise der Europäischen Union wird betont, wie die der Migration. Als Krisen werden wahrgenommen die Zerstörung der Ökosysteme, der Produktions- und Energiehunger Chinas, der Nahostkonflikt, der Ukraine-Russland-Konflikt, Pandemien, der zunehmende ideologische wie religiöse Fundamentalismus.
Das Schreckensszenario ist mühelos erweiterbar. Das globale Geschehen ist unüberblickbar. Das Grundgefühl ohnmächtiger Teilhabe verstärkt sich unablässig, es steigert sich nahezu albtraumhaft gegenwärtig im Erleben des Ausnahmezustands durch asoziales Corona-Regime und seine Exponenten Scholz und Lauterbach. Das Paradies gestaltbaren Lebens ist verloren.
Urplötzlich: das Verlangen zu fliehen. Der Gegenwart gilt es zu entkommen, dem Lügengespinst der Corona-Macht wie den Kriegsgelüsten. Jeder freilich ist auch Schmied der eigenen Unwissenheit. Die Lüge ist die charakteristische Sprachäußerung dieser Macht, sie schafft die Hölle — „teuflisch ist, wer das Reich der Lüge aufrichtet und andere Menschen zwingt, in ihm zu leben (…) es ist Wahnsinn, sich in der Lüge einzurichten“ (Arnold Gehlen).
Das Gefühl abgrundtiefer Einsamkeit und Leere brennt sich der Psyche ein, dieses Gefühl evoziert Widerständigkeit. Wir bedürfen des Trostes. Kunst wäre hier die benötigte Vermittlerin, sie aber wird versagt durch geist- und lebensferne Politik, erscheint bestenfalls als digitales und kümmerliches Surrogat. Kultur somit auf der Resterampe im Ausverkauf.
Kunst wird aber benötigt, um unseren Fragen nachzuspüren. Vor allem das in der Corona-Panik wiederbelebte Wissen um unsere Endlichkeit ist kaum aushaltbar. Wir bemerken zunehmend: Irgendwie ist uns unsere Geschichte verloren gegangen. Sollte es nicht etwas sein mit dem Menschen? Die Anfangsgründe des Verdachts, nicht mehr in den vorgegebenen Kosmos eingebunden zu sein, werden stärker.
Die Geschichte ist uns über die Tausende von Jahren abhanden gekommen, der Kontext verschüttet. Die Geschichte vom Anfang nämlich, mit einem Anfang, der vor allem eins zu sein hatte: gut. An diesem Guten hängt dann alles. Nur über wen der alte HERR noch heute herrscht, vermag sich Besitzstand der Geschichte wähnen und keine oder kaum Beunruhigung verspüren. Jedoch zeigen sich Deutschlands führende Protestanten bemüht, auch hier Hand an die Wurzel zu legen. Nein, allmächtig ist auch der alte HERR nicht mehr. Hören wir Mephisto lachen? Uns anderen aber erscheint sie obsolet, nicht in Übereinstimmung zu bringen mit unserer Erfahrung. So sind wir auf der Suche nach unserer Geschichte.
Im Innehalten darüber spüren wir unsere Traurigkeit. Es ist zugleich traurige Müdigkeit, die sich einstellt und der eiskalte Schauer ohnmächtigen Gefühls. Es ist, als riefe der alte, resignierte Prediger Salomo immerfort: „Alles umsonst.“ So stellt sich mein barockes Gefühl für die Vergeblichkeit wieder ein. Unsere Geschichte scheint keinen guten Ausgang zu kennen. Eine Verletzlichkeit bricht sich Bahn ob unserer Hilflosigkeit. Verstörtheit will Trost.
Wohin treiben uns unsere Fragen? Wir wollen doch einfach nur wieder atmen können, und natürlich müssen wir uns spätestens mit den nächsten Regierungsvorhaben um die kümmern, die mit Windkraft (Impfungen, Masken, Testungen) moralische und unmoralische Geschäfte machen, Schänder der Landschaftsseele, der Menschenseele. Cerberus, der bejahrte Wächter der Finsternis, macht mit seinem Gebell noch immer schaudern, das Reich des Thanatos und aller Dämonen von Satan bis Beelzebub oder Scholz bis Baerbock ist kein Ort für uns, sähe man vielleicht trotzdem gern „jeden Einzelnen auf ein Rotorblatt gefesselt und bis auf den Jüngsten Tag im Höllensturm sich drehen“ (Botho Strauß).
Johann Sebastian Bach war jedenfalls, in der damaligen Interpretation durch Martin Stadtfeld, an einer Verkehrung des Faust'schen Mottos gelegen: „Von der Hölle durch die Welt zum Himmel.“ Ewigkeit dann als Moment ohne Zentrum und Abschluss. Das Paradies ist somit die Begrenzung, Schwelle der Ewigkeit. Höher und weiter geht es nicht. Stellte sich dann etwa wiederum eine Sehnsucht ein? Hintergründig lächelt Mephistopheles.
Traumbilder steigen auf … Musik entgrenzt. Die Endlichkeit des Lebens verliert — für Augenblicke wenigstens — ihren Schrecken. Es ist nun an uns, ob wir von unserer Anfälligkeit Gebrauch machen wollen und uns ihrer Macht ausliefern. Neuerdings wäre dann ja sogleich die Warnung mitzusprechen: Denn während des Hörens oder danach könnte die Erschütterung eine nachhaltige sein, der Fragehorizont ein noch größerer werden oder sich gänzlich verändern. Musik ist Herausforderung.
Öffnen wir uns unsere Konzerthäuser! Musik. Elixier. Lebenselixier. Etwas umgreift. Noch immer: wortlos. Aufgewühlt. Getröstet.