Krieg und Pöbel

Jeder Krieg ist im Kern eine Ausdrucksform des Kampfes zwischen Arm und Reich.

Der Krieg ernährt den Krieg. Diese schlichte Weisheit, entnommen aus dem zweiten Teil von Friedrich Schillers Wallenstein-Trilogie, führt zu einer ebenso trivialen Wahrheit: Frieden lässt den Krieg hungern, aber nicht verhungern. Zumindest nicht in einer zivilisierten Gesellschaft, die die Schöpfer, Knechte und Profiteure des Krieges, die für Tod und Zerstörung verantwortlich sind, in die Normalität des Lebens integriert. Diese Schizophrenie, ein Schutzwall für die Bestie und eine Brandmauer gegen den Frieden, hält die Menschheit wie im Labyrinth des Minotaurus gefangen. Der neue Pöbel muss den Ausgang finden.

Die Personalie Albrecht von Waldstein, genannt Wallenstein, taugt als Ausgangspunkt, um sich der Bestie Krieg emotionslos zu nähern. Wallenstein, die zentrale Figur in Schillers Drama, kämpfte im Dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648) auf der Seite von Kaiser Ferdinand und der Katholischen Liga gegen die Protestantische Union. Er war zweimal Oberbefehlshaber der Truppen, häufte Titel und Reichtum an und wurde 1634 als angeblicher Verräter von kaisertreuen Offizieren ermordet. Der böhmische Generalissimus steht beispielhaft für das, was jeden Krieg antreibt: Selbstsucht, Macht- und Habgier.

Der Unternehmer

In der Gegenwart würde Wallenstein ganz bestimmt eine steile Karriere im Kriegsbusiness hinlegen. Nicht etwa weil sich dessen Essenzen in den letzten 400 Jahren nur marginal geändert haben oder wegen seiner Treue zu einer Obrigkeit, die ihm am Ende seine Eigenmächtigkeiten und Verrat vorwarf. Auch seine Kompetenzen bei der Gestaltung des Mordens für eine heilige Sache spielen nicht die entscheidende Rolle. Als Prototyp des modernen Kriegsunternehmers verfolgte Wallenstein neben seinen politischen Interessen insbesondere finanzielle Absichten. Unter anderem führte er eine Kriegssteuer ein. Das macht ihn für den Kapitalismus und auf Krieg gebürstete Parteien besonders sexy.

Es ist wenig überraschend, dass Wallenstein eine Art Pionier beim Aufbau wirtschaftskrimineller Allianzen war. Zusammen mit dem Bankier Hans de Witte, dem Finanzier und kaiserlichen Hofbankier Jacob Bassevi von Treuenberg, Karl I. von Liechtenstein und anderen Geldgebern aus den Reihen des Adels, begründete Wallenstein 1622 ein Münzkonsortium. Vom Kaiser pachteten sie das Hoheitsrecht über das Münzwesen in Böhmen, Mähren und Teilen Österreich. Als Münzpächter reduzierte das Konsortium in den Silbermünzen, einem damals üblichen Zahlungsmittel, massiv und in kurzer Zeit den Anteil an Edelmetall. Damit war klar, dass eine Inflation ausgelöst würde, die die Bevölkerung, den Pöbel, schnell erreicht.

Der Wissensvorsprung über die Entwertung der Münzen — und die Absicht, den noch jungen Krieg fortzuführen —, genügte dem Konsortium, sich noch vor den Preiserhöhungen die Güter zwangsenteigneter evangelisch-lutherischer Standesherrn durch Kauf anzueignen und über Kredite weiter in den Krieg zu investieren. Während die Bevölkerung verarmte, die ihr echtes Silber gegen gestreckte Münzen eintauschen musste, die Wirtschaft kaputt ging und im Duett mit der Preisexplosion eine katastrophale Versorgungslage zu Hungersnöten und Plünderungen führte, waren die Investoren des Krieges wohl genährt. Im Winter 1623 erklärte der Kaiser den Staatsbankrott. Und das ist nur ein Beispiel für die Machenschaften hinter den Kulissen aus Pulverdampf und Kriegsgeschrei.

Das Nutzvieh

Mit dieser Expertise im Tornister, und das ist nicht sarkastisch gemeint, könnte Wallenstein im heutigen militärisch-industriellen Komplex (MIK), in dem die Interessen von Rüstungskonzernen, Militärs, Bankern und Politikern verschmelzen, durchstarten. Vielleicht als smarter Young Global Leader, der den MIK mit seiner Variante, Kriegsherr, Investor und Politiker in Personalunion zu sein, revolutioniert und via WhatsApp den Finanzministern Europas erklärt, wie sie durch die Verpachtung von kostbarem Grund und Boden, durch Enteignung und dem Verkauf von Infrastruktur ganz viel wertloses Geld in die Staatskasse bekommen, um ihr Militär aufzupeppen, mit Krediten externe Kriege zu finanzieren und Waffenkonzerne mit Aufträgen zu mästen.

Die Methodik wurde im Dreißigjährigen Krieg angewendet und hat sich bis heute im Prinzip nicht geändert. Die Varianten der Täuschung wurden optimiert: Aufrüstung schafft Arbeitsplätze, Investitionen in Rüstungskonzerne beflügelt die Fantasie der Anleger und das Wachstum. Es sind Glaubenssätze, die Politik und Medien wie Betäubungsmittel über der Bevölkerung ausschütten. Davon hat die aber nichts, wie beispielsweise Armutsrenten, Niedriglöhne, steigende Mieten, das Abschmelzen der Mittelschicht und die dynamische Zunahme an Teilzeitjobs belegen. Das bedeutet im Klartext, dass die Bevölkerung betrogen, belogen und scheibchenweise ruiniert wird.

Der erste vorsichtige Schritt, der zum Ausgang aus dem Labyrinth der Bestie führt, ist das individuelle Eingeständnis, im systemischen Sinne Nutzvieh zu sein, das im Interesse kapitalistischer Investoren indirekt oder direkt in einem Krieg geschlachtet wird. Wer das als Feststellung akzeptiert und verdaut, kann die Frage stellen, was es bedeutet, wenn sich ein Staatengebilde verschuldet und zum Hauptinvestor der Bestie aufsteigt.

Der Pöbel

Die europäischen Nationalstaaten, unfähig jedem Einwohner die banalsten Grundbedürfnisse zu garantieren, taumeln bedenklich, während sie im Wachstumsfieber zu einer aggressiven Europäischen Union verschmelzen, dessen einzig erkennbarer Sinn in der Konzentration finanzwirtschaftlicher und militärischer Macht liegt. Das Hegen und Pflegen der Bestie, die in der Ukraine tobt, die Verhöhnung aller Kriegsopfer dieser Welt durch die Liebe zu Waffenhändlern, die Diffamierung von Kriegsgegnern und Pazifisten, die Bagatellisierung des Friedens und die giftige Berieselung von Kindern und Jugendlichen mit Storys über das abenteuerliche Leben von Soldaten sind Indizien für die niedersten Absichten.

Die EU wird vom Krieg durchdrungen, weil diese Union offenbar ohne Krieg nicht mehr existieren kann. Es zeigen sich historische Parallelen unter anderem zur Aufrüstung im Dritten Reich und den Vereinigten Staaten mit ihrem irrealen Militärapparat, einer nicht minder irreal ausgeprägten Pauperisierung und Krieg als Geschäftsmodell, die keinen anderen Schluss zulassen. Den Stecker wird niemand ziehen. Es macht auch keinen Sinn, auf einen neuen Michail Gorbatschow zu warten, der das verlorene Spiel abpfeift.

Der von der neufeudalistischen Kapitalelite verachtete und von der politischen Klasse missachtete Pöbel, das digitalisierte Lumpenproletariat, muss es wagen, eine Zukunft ohne Krieg zu erfinden, um aus dem Labyrinth auszubrechen. Denn diese Menschen werden von den Ausläufern der Kriege am härtesten betroffen sein.

Doch wo sind die Vorbilder geblieben, die im Palladium der Freiheit die außerparlamentarischen Impulse setzen? In Deutschland wurde die politische Linke vom Kapitalismus assimiliert. Die eingeleitete Schleifung des Sozialstaats, der Niedergang der Industrie, das wachsende Elend in den Metropolen, die zunehmende Anomie, die Zerstörung des gesellschaftlichen Miteinanders und das sich abzeichnende politische Erwachen der migrantischen Milieus werden die Antwort geben.