Konföderative Friedensordnung
Der Schlüssel für eine friedliche Menschheit liegt im Lernen und Verstehen von vermeintlich unvereinbaren Positionen und Meinungen. Hierzu wird Ende September das dritte Prattler Friedenskolleg in der Schweiz ausgetragen.
Corona, Ukraine, Gaza: Der öffentliche Diskurs ist von einem Freund-Feind-Schema geprägt. Am 21. September ist Weltfriedenstag. In diesem Kontext führt das „Neue Parlament des Büros für Neue Politik“ in der Schweiz mit Partnerinnen und Partnern aus Politik, Gesundheit, Bildung und Kultur vom 20. bis zum 22. September 2024 in Pratteln das 3. Prattler Friedenskolleg durch. Die Vision einer konföderativen Weltordnung eröffnet eine konstruktiv-zuversichtliche Perspektive. Vor allem, wenn Menschen beginnen — auch wenn es dafür Geduld braucht —, tatkräftig daran mitzuwirken. Der Autor verfasste hierzu einen Friedensappell sowie ein fiktives Gespräch mit dem ehemaligen Ombudsmann des Schweizer Kantons Baselland Louis Kuhn.
In 25 Jahren wird die Welt eine radikal andere sein — oder es wird sie nicht mehr geben. Am Weltfriedenstag vom 21. September 2024 machen wir uns am 3. Prattler Friedenskolleg gemeinsam auf den Weg: für eine Weltkonföderation für den Frieden (1).
„Kriegerische Auseinandersetzungen, sich verschärfende soziale Konflikte, fortschreitende Umweltzerstörung: Kommt es Ihnen auch so vor, als würde unsere lange Zeit so prosperierende westliche Welt gegenwärtig von einer Krise zur nächsten taumeln, ohne dass tragfähige Lösungen in Sicht sind? Was wäre, wenn dies nur der oberflächliche Schein wäre? Was wäre, wenn es immer mehr Menschen auch angesichts aller Bedrohlichkeit gelingt, zukunftsweisende, attraktive Möglichkeitsräume zu entdecken? Was wäre, wenn wir uns aus bisherigen Denk-, Gefühls- und Handlungsmustern befreien können, die uns gemeinsam nicht weiterbringen? Der Schlüssel liegt im Lernen, im Verstehen von vermeintlich unvereinbaren Positionen und Meinungen. Wenn wir dies auf einer Metaebene als Lösung für die zu bewältigenden Probleme begreifen, sind wir einer neuen Epoche ganz nah: der Metamoderne“ (2).
Seit der sogenannten „Zeitenwende“ — nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 und dem Ausbruch des Gaza-Kriegs — wird der öffentliche Diskurs verstärkt von einem Freund-Feind-Schema geprägt. Aber bereits nur der Gedanke an eine konföderative Weltordnung eröffnet eine konstruktiv-zuversichtliche Perspektive. Umso mehr, wenn wir beginnen — auch wenn es dafür Geduld braucht — daran gemeinsam tatkräftig mitzuarbeiten.
Wenn auch nicht immer: Sehr häufig sind die Zwistigkeiten im eigenen Land — manchmal bis hin zu Bürgerkriegen — nicht im Innern selbst, sondern durch äußere Mächte verursacht. Nach dem Prinzip „divide et impera” und um ein Land auszubeuten. Und dies von äußeren Regional- oder Großmächten, die oft auch noch unter einander zerstritten sind. Als Folge davon entstehen dann meist auch große Flüchtlings- und Migrationsströme.
Wenn wir Frieden im Innern unserer Länder erreichen wollen, müssen wir uns auch dafür einsetzen, dass weltweit eine umfassende Friedensordnung geschaffen wird. Dafür eignet sich eine Weltkonföderation gleichberechtigter kleiner und großer Länder, Völker und Gesellschaften.
Wir leben heute in der Schweiz — und vor allem auch im Raume Basel mit seinen internationalen Unternehmen — friedvoll zusammen mit Menschen aus fast allen Ländern der Welt. Dies bietet uns allen die ganz besondere Möglichkeit, das friedfertige Zusammenleben hier praktisch zu pflegen, darüber konkret nachzudenken und Pläne zu entwerfen, wie dies weltweit möglich sein wird.
Natürlich braucht es dafür einen langen Atem. Deshalb ist es auch sinnvoll, vor allem auch junge Menschen in diesen Prozess einzubeziehen.
Wir möchten am Internationalen Tag des Friedens mit Euch darüber nachdenken und wenn möglich auch gemeinsam mit Euch erste konkrete Schritte in eine solche Richtung tun.
14 Fragen und mögliche Antworten von Louis Kuhn (3) im Hinblick auf die Bildung einer Weltkonföderation für den Frieden
1. Laut SIPRI-Report (4) gibt es weltweit aktuell circa 30 kriegerische Konflikte. Von den meisten haben wir kaum eine Ahnung. Wie sollen wir uns da für eine friedfertige Welt engagieren?
Zurzeit bewegen uns hier die Kriege in der Ukraine und in Gaza am meisten. Es ist die geografische, kulturelle und persönliche Nähe, die uns unter die Haut geht und uns zur Suche nach unmittelbaren Lösungen motiviert.
Der Ukrainekrieg hat eine enorme Aufrüstungsspirale in Gang gebracht. Friedensinitiativen wie beispielsweise diejenige auf dem Schweizerischen Bürgenstock, stecken noch in den Kinderschuhen. Kriege in der Ferne wie in Myanmar oder im Sudan müssen uns auch berühren.
2. Alles also eine Frage der Betroffenheit?
Man darf sich nicht abstumpfen lassen und teilnahmslos bleiben. Als Maßstab gelten die Menschenrechte und das Völkerrecht. Man darf sich nicht hinreißen und von Hassreaktionen dominieren lassen. Notwehr und Nothilfe sind legitim. Es sind die internationalen Gerichte, denen die Be- und Verurteilung zusteht. Sie sollten schnell und effizient wirken, wie wir dies im innerstaatlichen Recht verlangen.
Wir sind als Land aufgerufen, Not- und humanitäre Hilfe zu leisten sowie zu Friedenslösungen denkend und konkret handelnd beizutragen. Auch als einzelne Menschen können wir, wenn auch nur sehr bescheiden, unseren Beitrag dafür leisten.
3. Liegt das Ziel einer an sich wünschenswerten Weltkonföderation nicht in allzu weiter Ferne, als dass man von einem konkreten Vorschlag für den Frieden sprechen kann?
Ich habe mich als vermittelnder Ombudsman des Kantons Baselland um die konkrete Einzelfallgerechtigkeit gekümmert. Auch beim Ex-Jugoslawienkrieg in den 1990er Jahren, wo ich mich mit Freunden in der „Friedensbrugg“ (5) engagierte, ging’s immer um ganz praktisch-konkrete Arbeit. Auch in der privaten Entwicklungshilfe, die ich zusammen mit meiner Frau seit unserer Pensionierung in Lateinamerika leiste, liegt der Fokus beim konkreten Anpacken (6). Bloß mit Gedanken in die Ferne zu schweifen, liegt mir nicht.
4. Aber?
Man muss auch wagen, allgemeine, weitere Perspektiven ins Auge zu fassen. Angesichts der globalen Probleme des Klimawandels und der grausamen Kriege genügt es nicht, von einer „Zeitenwende“ zu reden, die als solche günstigstenfalls eine Regression in den Kalten Krieg bedeuten kann. Und dies möglicherweise auch mit einem katastrophal heißen, vielleicht sogar atomaren, Ausgang. Dabei sind Notwehr und -hilfe rechtlich anerkannte Maximen. Leider haben aber das militärische Expertenwesen und die Ausgabenbereitschaft für die Kriegsführung Konjunktur. Ein Friedensversuch wie auf dem Bürgenstock wird belächelt.
5. Umso mehr die Schaffung einer Weltkonföderation?
Tatsächlich sind Waffenstillstandsabkommen, Gefangenenaustausch, Nahrungsmittelabkommen, Verletztenhilfe et cetera die allerersten notwendigen Schritte. Aber man kann doch nicht immer grundsätzlich im alten Zerstörungsstil weiterfahren.
Es braucht einen fundamentalen Paradigmawechsel. In einem solchem Sinne haben acht Professoren aus Chicago unmittelbar nach den schlimmen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs bereits 1948 einen Vorentwurf für eine Weltkonföderation formuliert.
6. Mit welcher Begründung?
In der Präambel des Entwurfs steht:
„… dass Ungerechtigkeit und Krieg untrennbar aus der Wettbewerbsanarchie der Nationalstaaten entspringen; dass deshalb das Zeitalter der Nationen enden muss, und das Zeitalter der Menschheit beginnt, und deshalb die Regierungen der Nationen beschließen, ihre getrennten Souveränitäten zu ordnen, in einer einzigen Regierung der Gerechtigkeit, der sie ihre Waffen überlassen und den Bund und das Grundgesetz der Föderativen Republik der Welt errichten.“
Die individuellen, regionalen, nationalen Interessen sind nie besser geschützt als in einer allseits anerkannten Rechtsgemeinschaft, die föderativ geordnet ist, und zugleich allen Beteiligten souverän ihren optimalen Spielraum lässt. — Die eigentlichen Anarchisten sind nicht kleine Bombenleger, sondern diejenigen, die immer noch glauben, der Krieg sei der Vater aller Dinge. Und auch die Klimakrise zwingt uns umzudenken und der weltweiten Zerstörung Einhalt zu gebieten.
7. Aber wir haben doch die UNO?
Sie hat zweifellos auch Gutes auf den Weg gebracht. Etwa die Einführung des Internationalen Strafgerichtshofs, dem sich allerdings einige Player nicht unterziehen wollen. Die Schlüsselfunktionen nehmen beim Sicherheitsrat und im inneren Zirkel die fünf Vetomächte ein, die letztlich — wie zu absolutistischen Zeiten — ihre puren nationalen Machtpokerspiele betreiben. Es braucht deshalb eine grundlegende Reform.
8. Wir können so etwas doch nicht von unserem kleinen Land aus in die Wege leiten?
Sicher können wir mit bloß zivilgesellschaftlichen Mitteln allein nicht viel bewirken. Aber wir haben als Kleinstaat Schweiz in der UNO ein Antrags- und Stimmrecht und können diplomatisch auch bi- und multilateral tätig werden. Wir können auf unser eigenes 175-jähriges Erfolgsmodell der „Confoederatio helvetica” verweisen. Das ist keine „Vision, mit der man zum Arzt gehen muss“: Das ist bewährte Realität. Mittlerweile kennen übrigens — laut Föderalismus Institut der Uni Fribourg (7) — schon rund 30 Länder föderative Staatsformen. Da findet man doch Verbündete.
9. Wo setzt man an?
Nebst der Wahrung unserer Unabhängigkeit und Sicherheit gemäß Artikel 54 Abs. 2 der Schweizerischen Bundesverfassung haben wir außenpolitisch zur Linderung der Not und Armut, zur Achtung der Menschenrechte, zur Förderung der Demokratie und eines friedlichen Zusammenlebens der Völker sowie zur Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen in der Welt beizutragen. Mit der Förderung und schließlich Etablierung einer Weltkonföderation wird diese Aufgabenstellung, insbesondere hinsichtlich des Friedens konkretisiert und operationalisiert, zum Beispiel in einem neuen Art. 54 Abs. 2bis BV.
10. Und wie geht man praktisch vor?
Beispielsweise mittels einer Volksinitiative. Schön wären aber auch Standesinitiativen, die möglichst von allen Schweizerischen Kantonen ausgehen. Dass die Initiative von ihnen ausgeht, kann einen hohen Symbolwert über die Landesgrenzen hinaus erlangen und wäre gleichzeitig eine Hommage an die Gründung unserer modernen Eidgenossenschaft im Jahre 1848. Zu prüfen ist aber auch, ob aufgrund der bereits bestehenden verfassungsmäßigen Grundlage die Aufgabe der Förderung einer Weltkonföderation auf Gesetzesstufe, verbunden mit einem Referendum, konkretisiert werden kann.
11. Sind wir als Bürgerinnen und Bürger dafür außenpolitisch kompetent genug?
Es ist zutreffend, dass jahrhundertelang die Außenpolitik von Herrschern, Fürsten und ihren Diplomaten und Feldherren dominiert wurde. Auch in etablierten Demokratien ist Außenpolitik schwerpunktmäßig immer noch bei den Exekutiven angesiedelt. Das kommt daher, dass sie auf das engste mit drohender oder aktueller Kriegsführung verbunden war. Außenpolitik ist ursprünglich kein Feld, wo Bürger mitbestimmen. Auch sind wir formell-rechtlich von einem (Wahl)-Weltbürger-Recht noch weit entfernt.
Ende des 18. Jahrhunderts hat Immanuel Kant als erster bereits ein Weltbürgerecht postuliert. Allerdings mit einer sehr minimalen Ausstattung: nämlich als das Recht jedes Menschen, sich — und zwar nur versuchsweise — weltweit als Gast anzubieten. Das war gegen jede Form von Kolonialismus, und — später hätte man gesagt gegen Imperialismus — gerichtet. De facto verhalten viele Menschen sich aber bereits heute wie Weltbürger, als kosmopolitische Weltreisende und Wirtschaftssubjekte. Die ähnlich wie Ausländer nicht nur passiv, sondern indirekt aktiv an unserem Gesellschafts- und Rechtssystem teilnehmen.
12. Aber ist realistischerweise ein aktiver Beitrag von der Basis her für eine Weltkonföderation zu erwarten?
Wenn Friedensorganisationen, soweit es sie überhaupt noch in nennenswerter Zahl und wirksam gibt, ernsthaft ihre Ziele verfolgen, so ist es unerlässlich, dies nicht bloß aus einer Oppositionshaltung heraus zu tun, sondern auch über den demokratischen, institutionellen Weg. Die großen und offiziellen Entwicklungshilfeorganisationen, deren Budgets heute angesichts der gegenwärtigen militärischen Sicherheitsmassnahmen gekürzt werden sollen, ließen sich nach dem Zweiten Weltkrieg in eine Kalte-Kriegs-Optik einspannen. Man dachte, sie wären in den damals sogenannten Drittweltländern nützliche Gehilfen. Von ihnen könnten heute ganz neue Impulse ausgehen.
13. Ist eine aktive außenpolitische Förderung einer Weltkonföderation mit unserer Schweizerischen Neutralität vereinbar?
Zweifellos. Wenn die Maxime, sich „nicht in fremde Händel einzumischen“, zu unserem außenpolitischen Gemeinplatz gehört, so sind die Bemühungen, zur Schlichtung oder gar zur Verhinderungen von „Händeln“ beizutragen — und zwar auf gewaltfreiem Weg — umso berechtigter. Es ist ein weiter und steiniger Weg bis zur Stiftung einer Weltkonföderation. Pflastern wir dafür die ersten Kopfsteine. Behalten wir das Ziel herzhaft fest im Auge und lassen uns von keiner Seite für Zwecke instrumentalisieren, die nicht im Interesse der Bildung einer ganzen Weltgemeinschaft sind.
14. Ist eine Weltkonföderation mit Staaten, die offensichtlich alles andere als republikanisch und demokratisch sind, überhaupt möglich?
Vergessen wir nicht, dass nach der Französischen Revolution, als in einigen Schweizer Kantonen die oligarchischen Zustände weggefegt wurden und danach trotzdem wieder restaurative Kräfte sich Geltung verschafften, 1848 bei der Gründung der Confoederatio Helvetica (CH) nicht alles schon lupenrein demokratisch war. Auch ist nicht zu übersehen, dass die ursprüngliche Schutzfunktion des Konföderations- und Subsidiaritäts-Prinzips heute, gerade in kleinen Kantonen, zu einem Privilegienschutz verkommen kann. Das Erreichen und der Erhalt einer Konföderation ist eine Daueraufgabe. Wir müssen innovativ werden und es bleiben. Im sogenannten Bericht vom Schweizer Bundesrat Wahlen, als man in den 1970er Jahren eine Totalrevision der Bundesverfassung beabsichtigte, war die Rede auch von einem funktionalen Föderalismus. Unser CH-Modell kann einen Impuls bewirken, aber es ist keine weltweit zweckdienliche Blaupause. Die Erfahrung vieler Länder und Völker muss einfließen. Und man muss auch mit monolithischen Staatsgebilden auf eine konföderativ organisierte Welt hin zusammenarbeiten.
... und dann noch dies:
2004 bilanzierten Dennis Maedows, Jørgen Randers und Donella Meadows in „Limits to Growth: The 30-Year Update“ (8) Folgendes:
„Individualismus und kurzsichtige Interessen sind die größten Probleme der gegenwärtigen Gesellschaften und die tiefste Ursache ihrer Nichtnachhaltigkeit. Liebe und Mitgefühl, in sozialen Formen institutionalisiert, sind die bessere Lösung. Eine Kultur, die an diese besseren menschlichen Qualitäten nicht glaubt, diese nicht diskutiert und entwickelt, leidet an einer tragischen Begrenzung ihrer Möglichkeiten (…). Die nachhaltigen Transformationen werden vor allem solche sein, welche die besten Seiten der menschlichen Natur, eher als die schlechtesten, ausdrücken und hegen (…).
Die Menschheit kann bei ihrem Abenteuer der Verringerung des menschlichen Fußabdrucks auf ein nachhaltiges Niveau nicht erfolgreich sein ohne einen Geist globaler Partnerschaft. Der Kollaps kann nicht vermieden werden, wenn die Menschen nicht lernen, sich selbst und die anderen als Teil einer integrierten globalen Gesellschaft zu sehen. Beides erfordert Mitgefühl, nicht nur mit dem Hier und Jetzt, sondern auch mit den Fernen und Zukünftigen. Die Menschheit muss lernen, die Idee eines lebendigen Planeten für zukünftige Generationen zu lieben.“
Stell Dir vor, wir befinden uns im Hier und Jetzt des Jahres 2049 — und es ist in den nächsten 25 Jahren nicht so weitergegangen wie in den letzten 50 Jahren. Die Wende zu einem friedvollen Miteinander auf unserer Erde ist mit einer Politik, die 100 Prozent alle und alles umfasst, am Gelingen. Warum und woran ist das erkennbar? Welche Ziele sind erreicht und wie zeigt sich die konföderierte, neue Welt in 25 Jahren?