KO mit KI
Mit dem weiteren Vormarsch der künstlichen Intelligenz finden Wahlkämpfe vermehrt im virtuellen Raum statt.
Man könnte ja argumentieren, bei Wahlkämpfen wäre es schon ein Fortschritt, wenn irgendeine Form der Intelligenz daran beteiligt wäre — und sei es auch nur künstliche. Aber man darf sich nicht täuschen: Der Einsatz von KI in der politischen Auseinandersetzung birgt eine ganze Reihe von Gefahren, die sich in den nächsten Jahren potenzieren könnten. Zunächst ist da die Möglichkeit, soziale Medien mithilfe von Fake-Accounts und Massenaussendungen mit Botschaften einer bestimmten politischen Richtung zu überfluten. Die virtuelle Welt hat außerdem den Nachteil, dass Bürger von Polit-Propaganda quasi in ihren eigenen vier Wänden überfallen werden können — speziell auch solche Menschen, die nie zu einer Wahlveranstaltung eines Spitzenpolitikers gehen würden. Schließlich lassen die Deep-Fake-Techniken, die quasi eine Demokratisierung der Manipulationsmöglichkeiten durch Bilder mit sich brachten, auch schlimme politische Intrigen denkbar erscheinen — wenn etwa dem virtuellen Abbild eines Politikers für ihn schädliche Aussagen buchstäblich in den Mund gelegt werden.
Macht korrumpiert, heißt es. Aber in den meisten Fällen beginnt die Korruption lange vor der Machtübernahme, nämlich im Wahlkampf. Wahrscheinlich gibt es kein Land auf der Welt, in dem absolut gleiche Bedingungen für alle konkurrierenden Parteien herrschen.
Macht ist aus vielen Gründen attraktiv, in den reichen Ländern verständlicherweise und ebenso in den ärmsten Ländern, wo sie vielleicht noch mehr zählt. Der soziale Status und die Aura einer Führungspersönlichkeit stellen bereits eine erhebliche Versuchung dar, aber die Fähigkeit, Entscheidungen für andere zu treffen und deren Respekt und Gehorsam zu erwarten, kann eine drogenähnliche Wirkung haben — und nebenbei auch noch als Aphrodisiakum wirken.
Als Winston Churchill gefragt wurde, was er am meisten vermisse, nachdem er 1945 trotz seiner überragenden Rolle während des Zweiten Weltkriegs als Premierminister abgewählt wurde, war die sarkastische Antwort „Transportation“. Aber jeder, der schon einmal mit Spitzenpolitikern von einer Polizeieskorte begleitet in der Wagenkolonne mitgefahren ist, wird sich lange an dieses besondere Gefühl privilegierter Beförderung erinnern.
Eine logische Folge davon ist, dass Wahlkämpfe extrem wettbewerbsorientiert sein können und oft auch sind, was viele der Beteiligten dazu verleitet, die bürgerliche Fairness zu vergessen. Die politischen Kulturen unterscheiden sich natürlich von Land zu Land, was bedeutet, dass sehr unterschiedliche Stufen unfairen Verhaltens möglich sind. Oft genug reichen sie von Verleumdungen und Rufmord bis hin zu körperlichen Übergriffen und Messerattacken, Vergiftungen und Schießereien. Es ist für Deutschland übrigens bemerkenswert, dass hier immer von Wahl-„Kampf“ die Rede ist, während in praktisch allen anderen Ländern von Kampagnen gesprochen wird.
Die traditionellen Wahlkampfmethoden und -instrumente bleiben bisher weitgehend im Gebrauch: Plakate, Plakate, Plakate und Kundgebungen auf zentralen Plätzen mit einer Bühne und wattstarken Lautsprecheranlagen. Die Demonstrationen der letzten Tage gegen die AfD im Besonderen sowie Nazis, Faschisten und Rechte, ganz abgesehen von den Bauernprotesten, haben allerdings unendlich viel mehr Bundesbürger auf die Straßen gebracht als die Wahlkundgebungen der Parteien bei den letzten Bundestagswahlen zusammen.
Selbst die obersten Parteigranden haben inzwischen Mühe, einigermaßen fernsehtaugliche Mengen von Unterstützern und interessierten Bürgern auf die Beine zu bringen. Und noch fataler: Wenn sie von Pfeifkonzerten am Reden gehindert oder ausgebuht werden und die Bilder und Videos dann nicht im Fernsehen, sondern tausendfach in den sozialen Medien kursieren, werden politische Massenveranstaltungen ganz absurd.
Daneben haben auch Beschädigungen an Wahlplakaten so zugenommen, dass eine Kosten-Nutzen-Analyse fällig wäre. Alle diese Veränderungen sind ein Zeichen der Polarisierung und der schwindenden Popularität der Regierenden und eines Großteils der Opposition. Was sind die Alternativen, und was kommt auf uns zu?
Deutschlands Digitalisierung und Wahlkampf
Die interne Kritik, dass wir die Digitalisierung verbummelt haben, wird längst auch in befreundeten Ländern wahrgenommen und in Leitmedien wie dem Economist oder der New York Times kommentiert. Bezüglich der Digitalisierung sind Länder mit weit schwierigeren Ausgangsbedingungen oft weiter. In Südostasien etwa mögen zwar bisher traditionelle Formen und Techniken des Wahlkampfes vorherrschen — so sind unglaubliche Mengen von Wahlplakaten immer noch weit verbreitet. Beliebte Spitzenpolitiker und Kandidaten ziehen riesige Menschenmassen an, und weniger beliebte können bei geschickten Wahlkampfunternehmern für ein Taschengeld jubelnde Unterstützer anheuern.
Zeitungen und staatlich kontrollierte Fernsehsender sind aber längst nicht mehr die Vermittler zwischen den wahlkämpfenden Politikern und ihren Zielgruppen. Mit der Verbreitung des Internets und der Smartphones, die selbst entlegene Gebiete erreichen, beziehen immer mehr Wähler, vor allem die jüngeren, ihre politischen Informationen aus den sozialen Medien. Auf den Philippinen wurde der Erdrutsch-Wahlsieg von Präsident Ferdinand Marcos im Juni 2022 unter anderem durch Tausende von angeworbenen unpolitischen Freiwilligen ermöglicht, die während des Wahlkampfes Propaganda-Mails verbreiteten und mit ihren Smartphones ein paar Pesos dazuverdienen konnten.
Es überrascht nicht, dass hier die Ausgangspunkte für neue Trends im Marketing liegen, im Wahlkampf ganz besonders. Da die technischen Möglichkeiten auch kriminellen Online-Betrügereien aller Art und Form Tür und Tor geöffnet haben, ziehen sie natürlich auch Wahlkämpfer an, faire und unfaire gleichermaßen.
Warum sollten geschickte Wahlkämpfer nicht Hunderttausende von Stimmen generieren können, wenn Kriminelle ahnungslose Internet-Surfer um Millionen betrügen?
Wahlkampftrends in den USA
Einen Vorgeschmack auf die neuesten Entwicklungen bieten wie so oft die USA. Bei den Vorwahlen um die Kandidatur werden bereits höchst raffinierte Fake-Kampagnen eingesetzt. Bei den jüngsten Vorwahlen in New Hampshire wurde eine gefälschte Version der Stimme von Präsident Joe Biden mit automatisch generierten Robocalls verwendet, um die Wähler der Demokraten von der Teilnahme abzuhalten.
So ungewöhnlich es auch klingen mag, dass der Präsident einzelne Wähler anruft, so konnte die Botschaft doch eine Anzahl von ihnen beeinflussen. Wie CNN berichtet, ist der Ton natürlich gefälscht, klingt aber genau wie der Präsident und verwendet sogar eins seiner verbalen Markenzeichen, den Begriff „malarkey“, ein Slangwort für Unsinn. Im folgenden Link bei CNN kann man den Biden-Aufruf anhören:
Wahlkampfpropaganda in Form von E-Mails ist schon seit Langem üblich. Aber für den US-Präsidentschaftswahlkampf sagt Donie O’Sullivan, CNN-Korrespondent für Politik und Technologie, eine Explosion von KI-generierten Desinformationen voraus.
Die künstliche Intelligenz hat die Umstellung von Fake auf Deepfake so einfach gemacht, dass praktisch jeder das erforderliche Programm aus dem Internet herunterladen und Videos erstellen kann, die für die meisten Empfänger authentisch aussehen.
Dieser Trend ist für die USA besonders gefährlich, weil die Legitimität von Wahlen und die geordnete und friedliche Machtübergabe durch Trumps „große Lüge“ derart untergraben sind, dass ihm die Wahl von 2020 gestohlen wurde. Jüngsten Umfragen zufolge bezweifeln fast 70 Prozent der Republikaner die Legitimität dieser Präsidentschaftswahl. Die Vermutung, dass Russland die Wahl beeinflusst oder manipuliert habe, wurde nie bewiesen, war aber populär genug, damit die Medien diese monatelang wiederholten.
Erwartungen für Deutschland?
In Deutschland und Europa werden Kandidaten bei Parlaments-, Kommunal- und Landtagswahlen wahrscheinlich der Versuchung nicht widerstehen können, ebenfalls die neuen technischen Register zu ziehen, Mails sowieso, Videos und Robocalls vermutlich auch. Werbefirmen haben Parteien und Wahlkämpfe ohnehin als lohnende Zielgruppen entdeckt und sammeln politische Spenden und sogar staatliche Zuwendungen ein, wie die Berichte über die Medienfirma Correctiv gerade zeigen.
Aber auch grenzüberschreitend tut sich auf diesem Gebiet vieles. Ein damit zusammenhängender Vorfall ist brandaktuell und hat ein erhebliches Medienecho generiert, weil der Krieg in der Ukraine in Deutschland auch kontrovers diskutiert wird. Ende Januar berichtete ein Nachrichtenmagazin, dass Internetexperten des Auswärtigen Amtes nicht weniger als 50.000 gefälschte Konten auf der Social-Media-Plattform X entdeckt haben, mit denen versucht wurde, Wut über Berlins Unterstützung für die Ukraine zu schüren.
Nach dem Beispiel Asiens und besonders der USA darf man erwarten, dass auch in Deutschland das Umwerben von Wählern stärker digital und damit persönlicher wird. Adressen und Telefonnummern sind ohnehin eine handelbare Ware und dürften auch Kandidaten und Parteien zugänglich sein.
Wie weit wir uns vor Fakes schützen können, bleibt eine spannende Frage. Irreführung ist in der Werbebranche verbreitet, und Wahlversprechen der Parteien grenzen oft genug an Irreführung. Immerhin hat sich in letzter Zeit in den Medien ein Trend ausgebreitet, die Wahlversprechen nach einiger Zeit zu überprüfen. Die Ergebnisse lauten oft genug „gebrochen“.